Eintracht Frankfurt - Borussia
Neunkirchen |
Bundesliga 1964/1965 - 12. Spieltag
1:0 (0:0)
Termin: Sa 21.11.1964 14:30
Zuschauer: 12.000
Schiedsrichter: Herbert Lutz (Bremen)
Tore: 1:0 Wilhelm Huberts (68.)
Eintracht Frankfurt | Borussia Neunkirchen |
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Trainer | Trainer
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Kirsch und die Pflaume Im Waldstadion ist das „Schalke des Südwestens“ zu Gast: Die Borussia aus Neunkirchen, der „Stadt der Kohle und des Eisens“. Im Grunde kommt dieses Duell aber eine Runde zu spät. Die Borussia, die 1962 noch ihre 50-jährige Zugehörigkeit zur jeweils obersten Spielklasse gefeiert hatte, wurde für die erste Saison der neu geschaffenen Bundesliga nicht berücksichtigt. Der 1. FC Saarbrücken hatte den Vorzug erhalten – wegen seines ligatauglichen Stadions oder doch wegen der Einflussnahme Hermann Neubergers, dem Vorsitzenden des Saarländischen Fußball-Verbandes und ehemaligen Pressewart des 1. FCS? In der Oberliga Südwest war die Borussia zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Einführung einer Profiliga jedenfalls gerade Meister geworden, vor dem FK Pirmasens, dem 1. FCS und dem 1. FC Kaiserslautern. Der hatte allerdings im Sommer 1963 die Nase in der Oberliga vorn und zog ebenfalls in die Bundesliga ein. Die Borussia hatte bereits zu Ostern 1963 den nächsten Nackenschlag zu verkraften, als sie mit Rudi Dörrenbacher ihren erfolgreichsten Torjäger verlor. Im Nachholspiel der Oberliga Südwest am 15. April 1963 beim VfR Frankenthal erzielte Dörrenbächer in der 18. Minute per Kopf den Führungs- sowie seinen 16 Saisontreffer, wurde dabei jedoch vom Torwart mit der Faust unglücklich an der Schläfe getroffen, stürzte ohne jede Reaktion auf den hart gefrorenen Boden und zog sich einen Schädelbasisbruch zu. Sechs Wochen lang lag er im Koma. Dörrenbächer erholte sich, aber an eine Fortsetzung seiner Laufbahn als Fußballer war für den Polizeibeamten nicht zu denken. In der neu geschaffenen Regionalliga Südwest hat die Borussia aber auch ohne Dörrenbächer in der letzten Saison Durchschlagskraft be- und in einem spannenden Zweikampf den FK Pirmasens mit einem Punkt Vorsprung auf den 2. Rang verwiesen. Die Pirmasenser siegten zwar am letzten Spieltag mit 5:1 beim FSV Mainz 05, doch die Borussia gab sich beim 6:0 in Ludwigshafen ebenfalls keine Blöße. In der Aufstiegsrunde setzte es dann allerdings gleich im Auftaktspiel bei Tasmania Berlin eine 1:5-Niederlage, die Torwart Willi Ertz den Platz zwischen den Pfosten kostete. Im nächsten Spiel stand beim 4:1 gegen St. Pauli Horst Kirsch im Kasten. Da Trainer Horst Buhtz aber mit Ertz und Kirsch über zwei gleichwertige Schlussmänner verfügt, pflegt er diese nach Patzern gerne durch den jeweils anderen zu ersetzen. So erging es auch Kirsch nach der folgenden 0:1-Heimniederlage gegen den FC Bayern München. Beim 2:0 in München – Routinier Ringel schoss die Saarländer per Elfmeter in Front, Torjäger Günter Kuntz besorgte die Entscheidung – stand also wieder Ertz im Tor, brachte die Gegner schier zur Verzweiflung und ließ mit seinen Kameraden Bayern-Coach „Tschik“ Cajkovski fassungslos zurück: „Der Buhtz hat mich reingelegt.“ Auch in den beiden restlichen Spielen in St. Pauli und gegen Tasmania Berlin hielt Ertz seinen Kasten sauber und trug so seinen Teil zu den beiden wichtigen 1:0-Siegen bei, die der Borussia am Ende den Aufstieg in die Bundesliga bescherten. Den Sieg in Berlin schoss übrigens Karl Ringel in der 85. Minute hinaus, obwohl Vereinarzt Dr. Richard Kaufmann zwei Tage zuvor noch den Kopf geschüttelte hatte: „Keine Hoffnung auf seinen Einsatz am Mittwoch.“ In Hamburg saß Ringel dann auch noch eine Stunde vor Spielbeginn mit seinem angeschwollenem Knie auf der Tribüne und ließ alle wissen, er müsse passen. Dass er jedoch nicht schauspielerte, beweisen die anhaltenden Kniebeschwerden und -operationen, die bislang einen Einsatz in der Bundesliga verhindert haben. Aber nicht nur der Kapitän und Spielmacher Ringel fehlt dem gebürtigen Magdeburger Buhtz heute, er muss überdies auf den verletzten Paul Pidancet sowie Günter Kuntz verzichten, der wegen der Folgen einer Kieferoperation nicht zur Verfügung steht. Beide Ausfälle wiegen schwer, denn Kuntz hat in zweien seiner sechs Einsätze getroffen und dabei vier Tore erzielt. Dieselbe Anzahl geht auf das Konto von Pidancet, der außerdem in allen bisherigen elf Bundesligapartien zur Stammelf gehörte. Für die beiden kommen Horst Berg und Heinz Simmet zu ihrem Bundesligadebüt. Doch auch die Frankfurter Eintracht kann nicht in Bestbesetzung antreten, denn Trimhold fehlt wegen einer Blinddarmoperation. Solz muss zudem mit Lindner Dienst in der Reserve verrichten, die gegen Schwaben Augsburg mit 0:2 verliert. Gegenüber der 2:3-Niederlage bei Aufsteiger Hannover 96 nimmt Horvat somit Stinka sowie Lechner anstelle des erkrankten Trimhold und des allzu verspielten Solz in die Mannschaft. Georg Lechner, der vom TSV Schwaben Augsburg mit der Empfehlung von 18 erzielten Toren in der Regionalliga Süd zur Eintracht gewechselt ist, kommt damit ebenfalls zu seinem Debüt in der höchsten Spielklasse. Die Frankfurter wollen, nachdem sie in sechs Auftritten auf fremden Plätzen vier Mal erfolgreich waren, im Waldstadion endlich den ersten Sieg in einem Heimspiel einfahren. Bei einer Niederlage jedoch würde der auf Platz 12 rangierende Neuling die zwei Plätze vor ihm liegende Eintracht in der Tabelle überholen. Die Borussia jedoch ist ihrerseits die Elf mit der aktuell schlechtesten Bilanz in der Fremde: 1:9 Punkte. Dennoch werden die Saarländer augrund ihrer beeindruckenden Stärke im heimischen Ellenfeldstadion nicht mehr als Abstiegskandidat Nummer eins gehandelt, obwohl es zu Saisonbeginn nach fünf Niederlagen in sechs Spielen genau danach ausgesehen hat. Wie die Gäste in Frankfurt zu weiteren Punkten zu kommen gedenken, zeigen sie mit ihrer taktischen Ausrichtung, die in der Defensive fast nie weniger als sechs oder sieben Mann vorhält. Mit Harig und Melcher hat sich die Abwehr zu einem flexiblen Bollwerk aufgebaut. Die Eintracht macht es diesem Deckungsverbund allerdings recht einfach, denn das Angriffsspiel der Hausherren kommt langsam und durchsichtig daher. Der Esprit scheint der in dieser Saison nur auswärts spielstarken Elf vor eigenem Publikum mal wieder völlig abzugehen. Diese Begegnung ist so trist, wie dieser nasskalte Novembersamstag.
Die erste brauchbare Torgelegenheit haben dann auch noch die Gäste, doch zum Glück für die Eintracht steht May bei seinem vermeintlichen Treffer in der 12. Minute im Abseits. Danach kommt von den Saarländern in der Offensive nicht mehr viel Zwingendes, obwohl sie bis zur Pause nach Eckbällen mit 5:3 in Führung liegen. Hinten allerdings brennt nichts an, denn dort stehen Stopper Leist und Keeper Kirsch. An Leist, der während der Aufstiegsrunde in der Prüfungsvorbereitung zum Kfz-Meister stand, doch dann zugunsten der Mannschaft seine Prüfung in den Herbst verschob, beißen sich die Frankfurter die Zähne aus und Kirsch wird zum fast unüberwindbaren Hindernis für die Stürmer der Eintracht. Hier faustet, dort hechtet er und springt immer wieder mutig und katzengleich dazwischen, wenn es brenzlig wird. Trainer Butz, der als Spieler nach dem Münchner Löwen Ludwig Janda der zweite deutsche Profi in Italien war, kann sich auf die Schulter klopfen. In die Saison war er mit Ertz als Nummer 1 gegangen, dem jedoch gleich am ersten Spieltag ein Missgeschick unterlief, als er ausrutschte und einen Schuss ins eigene Tor faustete. Am dritten Spieltag stand Kirsch für eine Partie zwischen den Pfosten, bevor Ertz nach einem Patzer beim 0:3 gegen den 1. FC Kaiserslautern am 6. Spieltag vorerst wieder auf die Ersatzbank musste. Mit Kirsch im Kasten haben die Saarländer aus den letzten fünf Partien nun sieben von zehn möglichen Punkten geholt und die 12.000 Zuschauer in Frankfurt bekommen einen Eindruck davon, welchen Anteil der Keeper daran haben könnte. Viel mehr bleibt ihnen auch nicht, denn neben den gelungen Steilpässen Bluschs gibt es nur die Paraden Kirschs, die zum Applaudieren einladen. Und immerhin sorgt das Klatschen dafür, dass einem bei dieser unfreundlichen Witterung etwas wärmer wird. Die Begegnung ist von vielen Unterbrechungen geprägt, die aus Freistößen resultieren, weil die Spieler es mit dem Körpereinsatz gerne übertreiben. Das ist aber auch die einzige Bewegung, die sichtbar und somit erwähnenswert ist. Lichtblicke gibt es wenige. Stinka ist einer davon und sorgt wenigstens für etwas Belebung, wenn um ihn herum immer wieder erst der Ball angenommen, vorgelegt und meist viel zu spät abgespielt wird. Auf der Gegenseite sind es die Debütanten Berg und Simmet, die ohne Scheu mitspielen. Oft weicht Berg auf die Flügel aus, versucht Dribblings und auch mal einen Schuss. Überragend ist jedoch Melcher. Wenn eine Angriffskombination entsteht, ist garantiert er beteiligt. Nach dem Wechsel ist es mit der Ausgeglichenheit vorbei, die Eintracht kommt zu 10:0 Ecken. Blusch und Stinka kurbeln das Angriffsspiel an, Kraus, Stein und Huberts steigern sich gehörig und decken Kirsch mit Serien von Schüssen ein. Der jedoch ist nicht nur reaktionsschnell, sondern auch wagemutig und wirft sich in jede Flanke. Kaum hat er das Leder, schlägt er es schon wieder ab. Keine Sekunde zu lang bleibt der elegant wirkende Keeper am Boden und springt behände auf. Solche Torwartleistungen sieht man auch in Frankfurt nicht alle Tage.
Dass dieser famose Schlussmann in der 68. Minute dann doch noch überwunden werden kann, ist dem Umstand zu verdanken, dass ihm im entscheidenden Moment die Sicht versperrt ist. Nach einer Hereingabe von Kraus gelangt der abgefälschte Ball zu Huberts, der seinen Schuss geschickt verzögert und dann aus zwölf Metern Entfernung ins Tor trifft. Um ein Haar hätte die Frankfurter Führung jedoch nur zwei Minuten Bestand, dann bringt Höfer May am Elfmeterpunkt zu Fall, ohne dass Schiedsrichter Herbert Lutz pfeift und auf eben diesen Punkt deutet. Immerhin sieht man nach dem 1:0 auch von der Eintracht einige Direktkombinationen, doch ein zweites Mal gelingt es ihr nicht, Kirsch das Nachsehen zu geben. In der 82. Minute allerdings hat der großartige Tormann einiges Glück, als Huberts die Flanke von Stein aus nur drei Metern am Tor vorbei drischt. Am Ende ist das jedoch nicht entscheidend, denn es bleibt beim 1:0 und der Schütze des Siegtores darf sich trotz der vergebenen Großchance freuen: Die allzu harte Manndeckung behagte mir nicht. Umso mehr freue ich mich, dass mir das Siegestor gelang, als mich mein Bewacher mal eine Sekunde aus dem Auge verlor. Torhüter Kirsch bewahrte durch großartige Paraden seine Elf vor einer klaren Niederlage.“ Kirsch, der in diesem Spiel etwa 30 Schüsse hielt, ist jedoch zerknirscht: „Im ganzen Spiel gelang mir alles und dann so eine ‚Pflaume’. Mir war die Sicht versperrt ...“ Kirsch wird es nicht trösten können, dass er wie Blusch in der „Bild“ in der „Nationalelf der Woche“ steht. Trainer Horvat findet, „dass gegen eine so defensiv eingestellte Mannschaft schwer zu spielen ist. Trotzdem mussten wir einige Tore mehr erzielen. Zufrieden war ich mit der Leistung nur in der zweiten Halbzeit, als wir den kampfstarken Neunkirchern auch mit Kampfgeist begegneten.“ Sein Kollege Buhtz erinnert indes daran, dass Kuntz und Pidancet fehlten und mit beiden in der ersten Halbzeit ein Vorsprung gegen eine wenig überzeugende Eintracht möglich hätte sein können: „Nach der Pause, als der Gegner mit Macht ankam, war nichts mehr drin für uns. Schiedsrichter Lutz machte große Fehler, benachteiligte uns besonders, als er Höfers grobes Foul an May auf dem Elfmeterpunkt völlig ignorierte.“ „Ich wollte an Höfer vorbei, trickste, da rutschte Höfer aus und hielt mich im Fallen mit beiden Händen fest“, schildert May die Szene und gibt zu Protokoll: „Da sagte selbst Höfer mitleidig zu mir: Ich kann nicht selbst pfeifen.“ Der Eintracht kann es einerlei sein. Sie bleibt zwar auf Platz zehn, hat aber mit 12:12 Punkten nun ein ausgeglichenes Punktekonto, bevor es am nächsten Spieltag zum VfB Stuttgart geht, der punktgleich mit den Frankfurtern ist, aber auf Rang sieben liegt. Diesen Tabellenplatz will man den Schwaben gerne streitig machen.
Karl Ringel kommt wegen seiner Knieverletzung nur zu einem einzigen Bundesligaspiel, dass er am 29. Spieltag beim 1:1 bei Hertha BSC Berlin bestreitet. Sein Gegenspieler heißt Otto Rehhagel. Nach dem Ende der Saison beendet er seine Karriere. Heinz Simmet bleibt bis 1966 in Neunkirchen und wechselt dann zu Rot-Weiss Essen, von wo er nach einem Jahr zum 1. FC Köln geht. Simmet wird mit den Kölnern Deutscher Meister und drei Mal DFB-Pokalsieger und erzielt bis zu seinem Karriereende 1978 in 419 Erstligaspielen 56 Treffer. Das Wechselspiel zwischen den Torhütern Ertz und Kirsch geht weiter und endet erst, als Kirsch 1968 die Borussia in Richtung Röchling Völklingen verlässt. Kirsch kommt in der Saison 1975/76 noch einmal zu 12 Spielen in der 2. Bundesliga Süd für Eintracht Bad Kreuznach, wo er ab 1972 unter Vertrag steht. Ertz beendet 1981 seine Karriere bei der Borussia. Er spielt mit ihr 1974/75, 1978/79 sowie 1980/81 in der 2. Bundesliga Süd, aus der die Saarländer 1981 letztmalig absteigen. In jener Saison kommt bei Neunkirchenern Stefan Kuntz zu einem Zweitligaspiel. Er ist der Sohn von Günter Kuntz und wird ab 1983 ebenfalls Erstligaspieler, ist dabei aber ungleich erfolgreicher als sein Vater. Kuntz wird Deutscher Meister, DFB-Pokalsieger, Europameister, Fußballer des Jahres sowie zwei Mal Bundesligatorschützenkönig. (rs)
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