Eintracht Frankfurt - 1. FC
Nürnberg |
Oberliga Süd 1961/62 - 30. Spieltag
2:1 (2:1)
Termin: 15.04.1962
Zuschauer: 71.000
Schiedsrichter: Tschenscher (Mannheim)
Tore: 1:0 Erwin Stein (16.), 1:1 Flachenecker (25.), 2:1 Erwin Stein (26.)
Eintracht Frankfurt | 1. FC Nürnberg |
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Trainer | Trainer
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2 Tore zu wenig für die Eintracht Ludwig Dotzert berichtet aus dem Frankfurter Stadion Eintracht Frankfurt — 1. FC Nürnberg 2:1 (2:1) Die 70.000, die das Stadion füllten, waren auf der falschen Hochzeit. Sie sahen weder die wahre Eintracht noch den wahren Club. Sie sahen ein Spiel, das an seinen absurden Voraussetzungen nach und nach kaputtging. Die zweite Halbzeit war nur noch eine nervenaufpeitschende Groteske dessen, was man sich von dem Treffen der beiden stärksten Mannschaften des Südens versprochen hatte. Die Eintracht stürmte mit neun Stürmern, die Nürnberger verteidigten mit neun Verteidigern, manchmal sogar mit zehn. Hüben und drüben waren sämtliche Verbindungen gerissen. Die Eintracht glich einer Truppe, die mit bloßen Händen ein Haus zur Seite wälzen wollte und die Nürnberger einer verschworenen Rotte, die Rücken an Rücken um ihr Leben kämpft. Das Ganze sah einem Duell gegen den Abstieg viel ähnlicher als einem Duell um die Meisterschaft. Schuld daran waren auch zweiundzwanzig Spieler, die zur Zeit überanstrengt sind. Schuld daran war jedoch in erster Linie der Umstand, daß die Eintracht beim Anpfiff quasi schon zwei Tore im Rückstand lag. Dieser Umstand steigerte ihre gewohnte offensive Einstellung im Laufe der Zeit ebenso in ein schier unerträgliches Extrem wie umgekehrt der Club nach dem Wechsel beim Stande von 2:1 für die Riederwälder zu einem scharfkantigen Granitblock erstarrte. Nach dem Wechsel genügte den Riederwäldern ein Eigenbrodt in persönlicher Höchstform, um den ganzen Club-Sturm zu stoppen. Höfer konnte so viel mitstürmen wie er wollte, Schymiks Patzer und Deckungsnachlässigkeiten gegen Nürnbergs stärksten Stürmer, den Reserve-Rechtsaußen Albrecht, regten niemand mehr auf; Loy wurde fast überflüssig. Man hatte beiden Mannschaften in der Pause offenbar die Lage noch einmal ganz klar unter die Nase gerieben, dem Club, daß eine 1:2-, ja sogar eine 1:3-Niederlage immer noch den Sieg bedeutet und der Eintracht, daß ein 3:1-Sieg im Grunde auf das gleiche herauskommt wie eine Niederlage. Die Konsequenzen konnten nicht ausbleiben. Sie hatten sich in der Entwicklung schon vor der Pause abgezeichnet. Es waren Konsequenzen, die den Kleinkünstlern vom Schlage Stinka und Solz am meisten schadeten. Beide Halbstürmer wurden im Gewirr der Nürnberger Abwehrräder mit Haut und Haaren verhackstückt, Stinka noch nachhaltiger als Solz; aber kaum hatte Zenger bemerkt, daß sich Solz auf keinen Fall kleinkriegen lassen wollte, da zog er noch rauhere Seiten auf als vorher, und ehe Solz einen Ball unter Kontrolle bekam, lag er meistens schon auf der Nase. Dieter Stinka wirkte auf dem Halbstürmerposten wie ein lampenfiebriger Debütant. Mit dem weitgehenden Ausfall der beiden Halbstürmer hatte die Eintracht ihre Chance, den Club mit Köpfchen und Spielwitz zu schlagen, schon nach wenigen Minuten vertan. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als es mit der Vehemenz, dem Tempo und der Energie zu versuchen. Die Vehemenz, das Tempo und die Energie sind Spezialgebiete des Erwin Stein. Erwin, von dem, man sagt, daß er geschickt werden muß, schickte sich diesmal quasi selbst. Spurtend und keilend, schießend und schmetternd riß er weitere Winkelrisse in den Chileanzug des Stoppers Wenauer, der schon in Hamburg keine rechte Freude für Sepp Herberger war. So stark wie Erwin im letzten Spiel der Saison war, war er nur noch im ersten, damals beim 5:4 gegen Offenbach. Den Treffer, mit dem die Eintracht nach ihrem bereits gescheiterten Ueberrumpelungsversuch schließlich doch noch in Führung ging, kann nur ein Mann wie Erwin Stein schießen, ein Marin, der auch aussichtslosen Bällen nachjagt, Wenauer hatte zehn Meter Vorsprung. Er wollte gerade per Kopfball an Torhüter Wabra zurückgeben, als er plötzlich Schritte hinter sich hörte. Der Kopfball blieb auf halber Strecke liegen. Da blieb für Stein nicht mehr viel zu tun. 1:0! Die Eintracht sammelte sich zu ihrem zweiten Massenstart. Weilbächer stampfte noch einmal so fest auf, Horn legte sich in die Speichen, Richard Kreß ruckte aussichtsreicher denn je an seinem Spezialgegner Hilpert vorbei. In Höchstform aber befanden sich nur Erwin Stein, Eigenbrodt, Höfer und Loy. In Höchstform befand sich weder ein Außenläufer noch ein Halbstürmer. Auf den Außenläufer- und Halbstürmerposten aber wird das Spiel einer Mannschaft gemacht. Hinzu kamen zwei, die neunzig Minuten lang konstant in Tiefstform verharrten: Schämer und Schymik. Schon der Ausgleichstreffer des Clubs nach einem Fehlschlag Höfers durch Flachenecker war praktisch das Aus für die Riederwälder. Als dann jedoch schon zwei Minuten später Erwin Stein eine Kopfballvorlage von Solz aus der Luft unter die Latte schleuderte, weigerten sich die 70.000, an dies Aus zu glauben. Nur der Club wußte Bescheid. Obwohl seine Konters in der ersten Viertelstunde durch Müller und Albrecht viermal zu heißen Torchancen führten, verkroch er sich Mann für Mann in sein Schneckenhaus. Morlock war überhaupt nie aus diesem Schneckenhaus herausgekommen. (aus 'Der neue Sport' vom 16.04.1962)
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