Eintracht Frankfurt - Hamburger
SV |
Deutsche Meisterschaft 1960/61 - 4. Spieltag Endrunde, Gruppe 1
4:2 (1:2)
Termin: 10.06.1961 im Stadion
Zuschauer: 70.000
Schiedsrichter: Thier (Gelsenkirchen)
Tore: 1:0 Erwin Stein (24.), 1:1 Klaus Stürmer (38.), 1:2 Uwe Seeler (43.), 2:2 Erich Meier (63.), 3:2 Wolfgang Solz (73.), 4:2 Erich Meier (75.)
Eintracht Frankfurt | Hamburger SV |
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Trainer | Trainer
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Das 1:0 durch Stein |
Schnoor und Lindner |
Erwin Stein ging mit dem Kopf Sieg der Kondition / Kreß als beleidigte Leberwurst / Und jetzt gegen Dortmund Der große Sonderbericht des „Neuen Sport"
mit Beiträgen von Erich Wick, Ludwig Dotzert, Eintracht Frankfurt—Hamburger SV 4:2 (1:2) Wenn diese Eintracht, die da in einem gnadenlosen Kampf den Hamburger SV zertrümmerte, zerlegte, zerrieb, wenn diese Eintracht das Endspiel 1961 erreicht, so wird es nicht die Eintracht des Endspiels 1959 sein. Wir alle, die noch unter dem frisch gebliebenen Eindruck jenes Finales stehen, wünschen uns in einem Eckchen unseres Herzens jene Mannschaft zurück, die den Gegner foppte, statt ihn zu schlagen. Wir möchten lachen über Tricks und nicht bangen, wer den Ball wohl zuerst erreichen wird. Die Eintracht, die den HSV schlug, ist eine Mannschaft der Kämpfer und unterscheidet sich hierin nicht von den anderen Mannschaften der Endrunde. Nur so sind die Ueberraschungen zu erklären, die wir jeden Samstag erleben: daß die Kleinen sich strecken und größer machen, bis sie dem Favoriten gewachsen sind. Insofern hat die Eintracht den Einheitsanzug der Endrunde 1961 an, den Anzug Marke „Kondition". Darüber aber, und das ist das Gute, ist die geschliffene Ballbehandlung nicht verloren gegangen, die eine Eigenheit der Eintracht und eine Spezialität ihres Trainers Oßwald ist. Im wildesten Getümmel blitzt dieses Vermögen auf, den Gegner zu umschlängeln, „auf den Arm zu nehmen". Nur daß das alles nicht mehr ausreicht, den Sieg zu garantieren. Richard Kreß war diesmal ein Mann, der unter Ueberdruck stand. Kurbjuhn mit seiner schlacksigen Unbekümmertheit dem überlegenen Richard gegenüber („Na, dann machen wir eben einen Freistoß!") fand einen Schiedsrichter, der geduldiger war als sein Gegenspieler. Kreß wurde zum Erzbild des empörten Rächers seiner eigenen Fußballehre, und es war für beide gut, daß Schiedsrichter Thier nicht alles so tierisch ernst nahm, was zwischen diesen beiden Matadoren vorging. Ueber allem Jubel und Trubel dieses unvergeßlichen Nachmittags wäre es zu vermessen, die Tiefen zu vergessen, durch die das Eintrachtboot schaukelte. Wieder dieses Unbegreifliche, daß die Eintracht vor lauter Torgelegenheiten die Tore vergißt, daß der Mann zu zittern beginnt, dem die große Chance vor den Fuß rollt. Wieder dieses lähmende Entsetzen, wenn Seeler—Stürmer fast allein sich in die Frankfurter Abwehr hineinkeilten. Wieder nach einem 1:0 ein 1:2 und die Furcht, nun endgültig verloren zu sein. In diesem Moment erkannte ich, daß es nicht unbedingt an Kreuz oder Solz, nicht an Eigenbrodt oder Schymik (der sich übrigens phantastisch rehabilitierte) liegt, wenn man von einer Eintrachtkrise sprach. Es waren die Nerven, nur die Nerven. Und als Kreß die beleidigte Leberwurst spielte, da war es doch, seien wir ehrlich, als hätte die Eintracht wieder verspielt. Und da kam ein Mann heraus, den man in der Endrunde fast vergessen hatte, nachdem er früher so manches Eintrachtspiel entschied: Erwin Stein. Er ging mit dem Kopf durch die Wand, er fetzte fast mit Brachialgewalt, aber mit erlaubter Gewalt die Mauer hinweg und riß alles um. Das war der Sieg. Durch Kampf zum Sieg — so heißt ein altes Sprichwort. Wenn am Mittwoch gegen Dortmund derselbe Geist herrscht, kann es nicht schief gehen. Die Männer, die in diesem Jahr das Endspiel der deutschen Meisterschaft gewinnen wollen, müssen aus Eisen gemacht sein. Die der Eintracht sind es, selbst ein Lindner — welch eine Verwandlung! Erich Wick
Drei Eintrachttore in 13 Minuten Kreß und Stein waren die ersten, die den HSV in Schrecken versetzten. Daß nach drei Minuten der Ball nach einem Vorstoß dieser beiden zwischen drei Hamburgern noch neben das Tor sprang, war die erste Auflage des Glücks, das sich später öfters bei Schnoor einstellte. Kurz darauf nahm Stürmer, aus weiter Entfernung, erstmals Maß und Loy mußte mit den Fingerspitzen den Ball abdrehen. Im allgemeinen aber rollte das Spielchen nach der anderen Seite, und erst nach einer Viertelstunde tauchte zum erstenmal die Hamburger Läuferreihe jenseits der Mittellinie auf. Im Strafraum war man großzügig mit Eckbällen (Werner), und in der 14. Minute prallte der Nachschuß Stinkas vom letzten Mann, Krug, noch über die Latte. Als wenig später Stein in einer aussichtsreichen Stellung durch einen glatten Fehler des einen Linienrichters gestoppt wurde, murrte das Volk ebenso auf wie bei den krassen Fouls von Kurbjuhn gegen den startenden Kreß. Nur ein kleiner Bruchteil zum Erfolg fehlte in der 20. Minute den Innenstürmern der Eintracht, doch Schnoor griff am Boden noch den Ball nach einem flachen Schuß von Kreß ein zweitesmal. Da schlich in der 23. Minute eine Vorlage von Solz wie am Kördelchen durch die Hamburger Deckung zu Stein, der über den herauslaufenden Schnoor und unter die Latte das 1:0, dem anschließend noch eine gute Möglichkeit bei Steins Freistoß und dem Kopfball von Solz folgte. Die zweite große HSV-Chance kam Dörfel ziemlich unvermutet bei einer Steilvorlage vor die Füße, aber der Ausgleich fiel erst, nachdem noch einmal Werner auf der eigenen Torlinie gerettet hatte. Eine Steilvorlage aus dem Mittelfeld, Lutz köpfte im Kampf mit Seeler zur Seite, verlor den Zweikampf mit Uwe, und auf dessen flache Hereingabe war nur Stürmer gefaßt. Er schob den Ball überlegt in die Ecke. Aehnlich das zweite Tor. Eintracht-Pech zunächst, als Stein an die Lattenunterkante traf und niemand zum Nachschuß bereit war, Gegenzug, eine mäßige Kopfballabwehr von Lutz, See1er ließ den Ball garnicht zu Boden fallen, aus 18 Metern, aus der Luft flog der Ball in den linken Winkel. 1:2! Man spürte es bei der Eintracht, daß sie nach Wiederbeginn den Weg der ersten halben Stunde wiedersuchte. Zunächst ging alles noch zaghaft und verkrampft. Stein lenkte wie ein Artist den Ball aufs Tor... um Zentimeter zu hoch. Kurbjuhn wurde immer wilder gegen Kreß, ein direkter Freistoß blieb unterwegs hängen, und dann betätigte sich der Kreß-Widersacher Kurbjuhn als Retter am Torpfosten. Die 12. Eintracht-Ecke brachte den Gleichstand. Lindners Kopfball kam zu Meier, dessen Flachschuß durch den dichtbesetzten Torraum drang. Meinke schlug den Ball ganz knapp hinter der Linie wieder aus dem Tor. Doch der mäßige Schiedsrichter Thier stand ganz in der Nähe. 2:2. Dafür gab er in der 70. Minute keinen Elfmeter, als Kurbjuhn Kreß über das Knie abrollen ließ. Nach einem Einwurf von Kreß schlich sich dann Stinka an der Auslinie dicht ans Tor heran, schob den Ball zurück, und während Stein mit zwei Hamburgern sich abquälte, sprang So1z hinzu und spitzelte den Ball an Schnoor vorbei ein. Auch das vierte Tor, drei Minuten später, wurde von einem Abwehrspieler eingeleitet. Meier lenkte vor Schnoor den flachen Schuß Höfers mit dem rechten Schienbein in die Ecke. Das war der Sieg! Loy mußte sich noch einen schrägen Schuß von Wulf fassen, Höfer Neisner auf dem kurzen Weg zum Tor ebenso bremsen wie Schymik auf der anderen Seite Dörfel. Aber die Eintracht ließ sich nicht mehr überraschen. Das 5:2 (durch Stein) hätte gezählt, wenn man sich geschickter angestellt hätte, nachdem Lindner schon die gesamte HSV-Deckung hinter sich hatte. So gab es „Abseits" statt Tor. Aber das störte die Stadionbesucher in ihrer Siegesfreude nicht mehr. Bert Merz
Jetzt ist es heraus. Die Niederlage der Eintracht in Hamburg, die erste seit dem 8. Januar, wirkte auf die Riederwälder wie ein heilender Elektroschock. Ein einziger gewaltiger Stromstoß schien alles durchschlagen zu haben, was sich zwischen Kopf und Füßen blockierend festgesetzt hatte. Keine Spur mehr von jenen unersprießlichen Reihum-Kombinationen, die aussahen wie eine nicht ganz gelungene Kopie spanisch-südamerikanischen Schaugepränges. Fortgeblasen die Anzeichen beginnender Ueberzivilisation und einlullendem Es-kann-ja-gar-nicht-Schiefgehen-Fatalismus. Strotzend gesund kam der alte, gute Kern der Eintracht zum erstenmal in dieser Endrunde wieder zum Vorschein. Die Riederwälder mögen vor einer Woche im Volksparkstadion schöner gespielt haben; diesmal spielten sie besser. Mit dem Sieg in Frankfurt errangen sie zugleich den hochverdienten Gesamtsieg in der 180-Minuten-Partie gegen den HSV. Das „nationale Europacup-Finale 60/61" ist — nehmt alles nur in allem — klar zugunsten der Paul-Oßwald-Mannschaft entschieden. Noch stellten die Riederwälder keine fugenlose Einheit dar; aber der neue Mut zum Wagnis beseelte Mann für Mann. Da gab es keine Ausnahme. Dieser Mut drückte sich vor allem aus durch einen ruckartigen Uebergang vom kurzen Querpaß zum gezielten Steilpaß Die Riederwälder hatten ihren Plan wieder eingenordet. Auf dem Weg nach vorn wurden im Vergleich zu Hamburg durchschnittlich je zwei bis drei Stationen ausgespart Die Verschönerungspässe fielen weg. Wer am Ball war, hatte wieder unumschränkte Machtvollkommenheit. Dazu kam die Bereitschaft, für die geringste Chance alle Kraft zum Fenster hinauszuwerfen. Man zerrupfte sich selbst um Seifenblasen. Wo war der stärkste und wo der schwächste Spieler? Eingeschmolzen in zwei Energiezentren, in die der einzelne fast vollständig aufging, verwischte sich der individuelle Beitrag zum Sieg sehr bald. Das Energiezentrum des Angriffs setzte sich zusammen aus Kreß, Lindner, Erwin Stein und Dieter Stinka. Höfer, Lutz, Weilbächer und der für den erkrankten Eigenbrodt eingesprungene Schymik bildeten den Abwehrkeil, an dem die trockenen Konter der Hamburger ins Leere abrutschten. Nur einer war einsam und blieb einsam: Torhüter Egon Loy. Er hatte keine Assistenten wie sein Gegenüber Schnoor, der stets auf die Unterstützung zweier Hilfstorhüter bauen konnte. Die Grundlinie des Eintracht-Vielecks lag weit vor Egon Loy. Trotzdem reagierte der Schlußmann der Riederwälder auf sämtliche Anforderungen mit den jähen Reflexen, die sonst nur einen Schlußmann auszeichnen, der unter Dauerdruck steht. Ohne die Loysche Feuerversicherung im Hintergrund wäre die Mannschaft vielleicht doch noch verzagt. Im übrigen gab es nur bei Höfer keine Störungen. Nur bei ihm paßte jede Aktion wie der Deckel auf den Topf. Nur er hatte keine schwache Sekunde. Aber selbst die Schwächen der andern verwandelten sich oft in Stärke. Richard Kreß , mit hasenreinen Mitteln überhaupt nicht zu bremsen, reihte so lange Unbegreiflichkeiten aneinander, bis schließlich doch etwas Plausibles herauskam. Er kannte kein höheres Ziel, als den rauhbeinigen Kurbjuhn mit vernichtenden Dribblings für seine letzten Unsauberkeiten zu bestrafen. Er war schlecht aufgelegt, unversöhnlich, egal, um was es sich handelte. Und war gleichzeitig herrlich. Mit einem ganzen Rucksack von Fehlern bepackt übertraf er den nächstbesten Rechtsaußen der Bundesrepublik noch um eine halbe Klasse, selbst wenn dieser einen fehlerlosen Tag erwischt. Lindner kam in der zweiten Halbzeit zwanzig Minuten lang körperlich nicht mehr ganz mit. Dafür lieferte er in der restlichen Zeit, besonders aber vor der Pause, die wirksamste Partie seit Glasgow. Endlich hatte er die Situation wieder im Griff. An Erwin Stein vermißte man noch immer die reißende Wucht und die unfehlbare Genauigkeit seiner Fernschüsse. Dafür gab er erstaunliche Beispiele klugen Mitdenkens und reifer Anpassungsfähigkeit. Auch die notwendige Dosis Eigenwilligkeit fehlte nur selten. Lutz war nicht frei von Seeler-Psychose; Weilbächers Zuspiel war ungenau; Schymik startete aufgeregt, und Stinka neigte zum Kleinigkeitskram. Alle aber behielten bis zum Schluß die Fähigkeit, kurzerhand über ihre Schatten hinwegzuspringen. Als die großen Männer der Torsekunde erwiesen sich sogar Meier und So1z, die weniger ins Auge fielen, als unentbehrlich. Uwe Seeler, Wulf, Stürmer, Krug und Schnoor — das war alles, was von der Hamburger Herrlichkeit im Eintracht-Tornado übrigblieb. Ludwig Dotzert
DFB-Präsident Dr. Peco Bauwens: „Endlich Tore für Eintracht Frankfurt, die verdient gewonnen hat. Der HSV hat mich etwas enttäuscht." Bundestrainer Sepp Herberger: „Es war ein gutes Spiel, das der HSV aufgrund des schwächeren Angriffs, in dem nur Seeler und Stürmer überzeugen konnten, verdient verlor. Eintracht hätte bereits zur Halbzeit klar führen müssen." Helmut Schön: „Eintracht Frankfurt spielte in allen Teilen homogener. Die Hamburger gingen nach dem Seitenwechsel regelrecht unter." Eintracht-Trainer Paul Oßwald: „Dieses Spiel hat mich stark mitgenommen, aber es ist zum Schluß noch einmal alles gut gegangen. Wir waren überlegen und mußten schon zur Pause führen." Der Hamburger SV weigerte sich, einen Kommentar abzugeben und verriegelte seine Kabine. (aus 'Der neue Sport' vom 12.06.1961)
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