Eintracht Frankfurt - Borussia
Neunkirchen |
Deutsche Meisterschaft 1960/61 - Qualifikation
5:0 (2:0)
Termin: 06.05.1961, Südwest-Stadion (Ludwigshafen)
Zuschauer: 35.000
Schiedsrichter: Ternieden (Oberhausen)
Tore: 1:0 Ernst Kreuz (38.), 2:0 Ernst Kreuz (42.), 3:0 Erwin Stein (48.), 4:0 Dieter Lindner (78.), 5:0 Richard Kreß (78.)
Eintracht Frankfurt | Borussia Neunkirchen |
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Trainer | Trainer
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Die Eintracht spielte das Spiel von Kreuz Ludwig Dotzert berichtet vom Qualifikationsspiel in Ludwigshafen „Erwin, schon dich fers Endspiel!" posaunte ein wohliger Baß anfangs der zweiten Halbzeit vor der Tribüne. Erwin Stein und die zehn Riederwälder waren längst dabei. Nach dem 4:0 ließen sie das Spiel austrudeln wie einen bunten Brummkreisel. Und das Publikum — von einzelnen passionierten Kunstpfeifern abgesehen — verstand. Der Baß wollte offenbar nur seine Billigung kundtun. Ludwigshafen offenbarte es in bisher selten erreichter Deutlichkeit: diese Mannschaft ist unter Paul Oßwald nach Jahren konzentriertester Trainingsarbeit in einem Stadium der Reife angelangt, daß selbst von Profi-Millionären kaum noch überboten werden kann. Es gibt noch virtuosere Fußballer auf der Welt, gewiß, daran zweifelt niemand. Wir sprechen hier von der Reife, die sich in der geistigen Einstellung zum Spielablauf dokumentiert. In Ludwigshafen lief die Eintracht auf Triebwerken, die ihre Tourenzahl je nach den Erfordernissen automatisch nachregulierten. Die Mannschaft vom Riederwald hatte nicht nur den Gegner, sondern sie hatte auch sich selbst stets in der Gewalt. Es lag verführerisch nahe, diese konsternierten Neunkirchener Borussen, die zeitweilig wie hypnotisiert wirkten, nach dem Tor Nummer 4 einfach vom Rasen zu fegen. Aber die automatische Feineinstellung stand bereits auf piano pianissimo. Die Riederwälder haben sich zu Meistern des geringsten Risikos entwickelt. Als sie umrauscht von Vereinshymnen, eingekreist von nicht mehr zu bändigenden Freunden, überweht von Fahnen, die wie Baldachine anmuteten, teils vom Platz gingen, teils auf den Schultern der Fans zum Kabineneingang ritten, hatten sie sich bereits wieder erholt. Die hochdramatische Geschichte der Qualifikationsspiele kennt kein Beispiel dafür, daß ein Team auch nur annähernd so unberührt, so frisch und so trocken aus diesem abenteuerlichen Sturmtief zurückkehrte. Bisher kehrten nur Wracks zurück, die bis zum Beginn der Endrunde im Schnellverfahren überholt werden mußten und dann doch nicht ganz flott wurden. Es ist kein Zufall, daß noch nie ein Qualifikationssieger bis ins Endspiel vordrang. Die Eintracht ging im Bewußtsein dieser Verschleißgefahr mit dem offensichtlichen Willen ins Spiel, die Phase des Schwebezustandes auf ein Minimum zu beschränken. Sie fuhr dem Gegner sofort nach dem Anpfiff mit einer Heftigkeit an den Kragen, die selbst den Optimisten überraschte, Stinka, Stein, Kreß, Kreuz und wieder Stein pflasterten mit ihren pfeifenden aber noch etwas ungezielten Schüssen ein wirres Ornament in die Neunkirchner Torzone. Schon nach zehn Minuten hätte alles erledigt sein können. Aber Neunkirchens Torhüter Kirsch verlor seine anfängliche Unsicherheit schnell. Und im Eintrachtsturm häuften sich, wenn die entscheidende Sekunde da war, die Fälle des Mißglückens. Einer jener verhexten Tage schien sich anzubahnen, an_denen die Eintrachtspieler mit dem linken Bein ganze Festungen beiseiteschieben und auf den letzten zehn Metern über einen Strohhalm stolpern. Noch waren die Neunkirchener im Vollbesitz ihrer Kräfte und antworteten mit schneidigen Attacken. Emser und Dörrenbächer brachten Loy mit flachen Effetschüssen sichtlich in Verlegenheit. Was geschehen würde, wenn einer dieser Schüsse zur Borussia-Führung einschlüge, konnte kein Mensch voraussagen. Selbst das 1:0 in der 22. Minute bedeutete noch nicht die Klärung, Im Gegenteil, der Treffer, den Ernst Kreuz nach einem Eckball von Kreß, umringt von Gegnern, mit klassischem Dropkick aus kurzer Entfernung mitten ins Tor jagte, löste die beste Viertelstunde des Südwestzweiten aus. Endlich setzten sich die Neunkirchener über die Scheu hinweg, die sie der Eintracht mit schlotternden Knien gegenübertreten ließ. Der Flügel Meurer/Emser warf sich in die Brust. Linksaußen Kunz machte den etwas beklommen wirkenden Eigenbrodt mit langen Dribblings nervös. Zwischen dem 1:0 und dem 2:0 winkte den Borussen zum letzten mal die Chance, das Steuer herumzureißen. Auch hier jedoch blieb diese Chance fadenscheinig und verschwommen. Eine fulminante Tor-Doublette warf die Saarländer dann noch vor dem Wechsel endgültig ins Nichts. Ernst Kreuz schoß seinen „Pele-Treffer" und Erwin Stein stieß aus fünfzehn Metern mit einer stellen Geraden in die linke untere Ecke nach. Dazwischen lag nur gut eine Minute. Blitz und Schlag schlug vor den Neunkirchenern eine Doppeltür ins Schloß. Das schlimmste war die Machart. Ernst Kreuz zickzackte mit seinem Gegner so lange herum, bis sich dieser hilflos um die eigene Achse drehte, und rollte den Ball schließlich mit einer Behutsamkeit über die Linie, als handele es sich um ein rohes Ei. Also veralbert zogen sich die Neunkirchener zur Pause zurück, nicht ohne vorher noch unter einem Pfostenschuß von Solz zusammengezuckt zu sein. Sie waren kaum wieder da, als nach einer Solz-Flanke Lindners Volleyschuß zur Nr. 4 in die Falle huschte. Ein Gefühl der Machtlosigkeit kroch in ihnen hoch, dessen sie sich nicht mehr erwehren konnten. Den Launen der Riederwälder ausgeliefert, mit Heimweh nach dem Südwesten im Herzen hatte man nur noch den einen Wunsch, den Schlußpfiff in würdiger Haltung zu erreichen. Mit Hilfe der Riederwälder, die es bei einem Kopfball Lindners an den Pfosten und einem Treffer von Kreß nach indirektem Freistoß auch von Weilbächer bewenden ließen, gelang dies denn auch besser als gedacht. Solange die Riederwälder Ernst machten, war ihr Angriffsspiel das Spiel des Ernst Kreuz. Der „Lange" bewegte sich nach kurzer Anlaufzeit in Sphären, in die der deutsche Fußball nur mit seinen äußersten Ausläufern hineinreicht. Wo er hintupfte, öffneten sich Tür und Tor. Bis zum vierten Treffer war er der gesuchteste Mann innerhalb der Eintrachtmannschaft. Den Rest konnte man dann alleine. Riesenbaby Kreuz wurde schlafen gelegt, auf daß er sich ja nicht übernimmt. Daß die Riederwälder die stärkste Partie seit Monaten lieferten, lag jedoch beileibe nicht nur an dem Langen allein. Borussia-Verteidiger Schreier war Kreß von Anfang an hoffnungslos ausgeliefert. Borussia-Stopper Lauck merkte man an, daß er einem Mittelstürmer vom Format Erwin Steins sein Lebtag noch nicht begegnet war. Kreuz, Kreß und Stein im Sturm sowie Höfer in der Abwehr gaben ihrer Mannschaft an diesem Tag Europa-Cup-Linie. Die brisante Technik eines Solz, die Solidität der Lindner und Stinka, der dampfende Eifer Weilbächers, dem der Ringelreihen der zweiten Halbzeit allerdings weniger Spaß machte, und die gertenhafte Elastizität des Stoppers Lutz vervollständigten das Bild einer Mannschaft, die mit hohen Zielen in die Endrunde einsteigt. Späterhin rückten dann auch Loy und Eigenbrodt nach, an denen im ersten Teil des Schauspiels Lampenfieber zehrte. Emser, Meurer und Torhüter Kirsch waren die einzigen Neunkirchener, die entfernt an die Zeit vor zwölf Monaten erinnerten, als die Borussia dem süddeutschen Meister Karlsruhe drei ausgewachsene Punkte abknöpfte. (aus 'Der neue Sport' vom 08.05.1961) |