SSV Reutlingen - Eintracht Frankfurt

Oberliga Süd 1960/61 - 23. Spieltag

0:3 (0:1)

Termin: 19.02.1961
Zuschauer: 14.000
Schiedsrichter: Deuschel (Mundenheim)
Tore: 0:1 Dieter Stinka (40., Handelfmeter), 0:2 Lothar Schämer (58.), 0:3 Erwin Stein (79.)

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SSV Reutlingen Eintracht Frankfurt

  • Bögelein
  • Skischuss
  • Jost
  • Hämmerle
  • Schießl
  • Fritschi
  • Wodarczik
  • Scheurer
  • Biesinger
  • Sattler
  • Dulz

 


 

Trainer
  • Hans Merkle
Trainer

 

Mit dem Frühling spielt die Eintracht

Ludwig Dotzert berichtet aus Reutlingen

SSV Reutlingen — Eintracht Frankfurt 0:3 (0:1)

Die Riederwälder haben den Frühlingsanfang für den Hausgebrauch um vier Wochen vorverlegt. In Reutlingen hat sich alles, alles gewendet. Plötzlich und ohne jeden Uebergang erwachte Lindner aus dem Winterschlaf und bildete wieder eine zuverlässige Relaisstation auf der Strecke zum Tor des Gegners. Plötzlich und unerwartet sprießte endlich auch wieder frisches Grün auf der linken Angriffsseite, die monatelang die Schattenseite der Riederwälder war. Mochten die Reutlinger ihren Dulz ins Feld führen, die Eintracht konnte nicht weniger stolz auf ihren Linksaußen sein, der Schämer hieß und der Unverschämteste von allen war. Dinge riskierte dieser Schämer, die ihn im Fall des Fehlschlagens mindestens ein halbes Jahr in die Reserve gebracht hätten. Aber es konnte nichts schiefgehen bei der Eintracht an diesem Sonntag.

Die Riederwälder feierten das Ende der Schlechtwetterperiode. Vom Eis befreit waren Gras und Schuhe... Man konnte wieder auf leichter Welle senden. Die Angst verflog schon nach wenigen Minuten. Wenn Wodarzik mit Siebenmeilenstiefeln toreinwärts schwang, dann packte Richard Kreß die Achtmeilenstiefel aus. Wenn Reutlingens Torschützenkönig Scheurer, der nach abgelaufener Sperre erstmals wieder mitstürmte, gegen seinen Bewacher Stinka fünf Meter herausschlug, dann schlug auf der anderen Seite Solz, der seine Talente wochenlang im Uebereifer selbst abgewürgt hatte, gegen Hämmerle zehn Meter heraus. Wenn Dulz und Wodarzik sozusagen der Schaum vor den Stiefelspitzen stand, dann wurden ihre Bewacher Höfer und Schymik noch eisiger als vorher. Daß die Angst so schnell verflog, war ihr Verdienst. Das Verdienst der beiden Eintrachtverteidiger.

Von Anfang an wußten sie es einzurichten, daß es nie zu Sprinterwettkämpfen mit ihren Gegnern kam. Schymik und Höfer warteten ab und machten das so geschickt, daß die unheimlichen Galopper auf den Flügeln der Reutlinger gegen die Eintrachtabwehr schwirrten wie Insekten gegen einen Kronleuchter.

Das Herz der Eintracht aber schlug in der Läuferreihe. Es dauerte einige Zeit, bis sich Weilbächer in den Versteckspieler Sattler so verkrallt hatte, daß Sattler zu Dingen, die er sonst mit einem Trick erledigte, gut und gern drei Tricks brauchte. Aber dann gab es nichts mehr, was dieser Läuferreihe imponieren konnte. Lutz gönnte Biesinger keinen einzigen Schuß aufs Tor. Weilbächer und Stinka funktionierten wie ein Mann mit vier Füßen. Die Faustregel „Weilbächer für die Abwehr und Stinka für den Aufbau" verlor ihren Sinn. Beide beherrschten beides. Die Rollen wechselten je nach der Situation. An der Stelle, wo Reutlingens Läufer und die Läufer der Riederwälder ihre Kreise zogen, schieden sich die Geister, zeichnete sich spätestens nach einer halben Stunde ab, wer das Feld als Sieger verlassen würde.

Und trotzdem! Die Punkte wären unter Umständen dennoch in Reutlingen geblieben, wenn die Eintracht nicht Fischblut in den Adern gehabt hätte. Von der 20. Minute bis zur Pause befanden sich die Reutlinger in einer Psychose, in der man Bäume ausreißt. Die Riederwälder steckten hinter der Mittellinie fest. Das rasende Tempo, in das sich die Mannschaft, die partout zu Hause ungeschlagen bleiben wollte, hineinsteigerte, hatte etwas Betäubendes. Noch betäubender als die stoisch ihr Werk verrichtende Riederwälder Abwehr waren die Reutlinger, an denen die Vergeblichkeit ihres Kraftausbruches schwer nagte.

Kurz vor dem Wechsel reckte und streckte es sich wieder in den Riederwälder Reihen. Unaufhaltsam stemmte sich die Eintracht an die Oberfläche. Das war zu viel für die wackeren Schwaben. Fritschi trampelte grundlos auf Erwin Stein herum und verdankt die Tatsache, daß er nicht wegen Tätlichkeit in die Wüste geschickt wurde, nur dem Kleinmut des Schiedsrichters. Im Zweikampf mit Kreß benützte der gleiche Fritschi gleich darauf die Hand, um den Ball aus der Gefahrenzone zu bringen. Und jetzt wurde aus dem Schiedsrichter plötzlich eine Kampfnatur von dem Format eines Berberlöwen. Sein Elfmeterpfiff kam wie aus der Pistole geschossen, und er verteidigte diese Entscheidung gegen 14.000 wild aufschreiende Zuschauer gegen ein halbes Dutzend Reutlinger Spieler, die ihn gleich vor Empörung in ihrer Mitte einkeilten, und gegen eine Autorität wie Torhüter Bögelein, der aussah, als wolle er vor dem schwarzen Mann jede Sekunde auf die Knie fallen. Elfmeter dieser Art pflegen verpatzt zu werden. Die Belastung für den Schützen ist einfach zu groß. Aber Stinka schien nichts von Aufregung zu spüren. Mit mindestens fünf Grad Untertemperatur schritt er zur Ausführung. Prompt klebte der Ball links oben im Netz, dort, wo der Winkel für den Tormann am unerreichbarsten ist — einer mußte in diesem hektischen Tempospiel die Nerven verlieren. Jetzt waren es die Reutlinger endgültig.

Die zweite Halbzeit lief ab wie am Fließband. Sie wurde gekrönt durch Treffer, die selbst das Herz eines 80jährigen Platzmeisters erweichten. Nr. 2 tüftelte Schämer im Anschluß an einen Solz-Eckball aus 18 m Entfernung unter die Latte, und Nr. 3 rammte Erwin Stein nach Solz-Paß an Bögelein vorbei.

Der Sieg fiel zuletzt um kein einziges Tor zu hoch aus. Elf Riederwälder hatten zum erstenmal in dieser Saison gleichzeitig ihre Bestform erwischt. (aus 'Der neue Sport' vom 20.02.1961)

 

 

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