Eintracht Frankfurt - 1. FC Nürnberg

Oberliga Süd 1960/61 - 3. Spieltag

0:2 (0:1)

Termin: 26.12.1960 im Stadion
Zuschauer: 35.000
Schiedsrichter: Tschenscher (Mannheim)
Tore: 0:1 Morlock (24.), 0:2 Flachenecker (57.)

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Eintracht Frankfurt 1. FC Nürnberg

 


  • Wabra
  • Derbfuß
  • Hilpert
  • Zenger
  • Wenauer
  • Reisch
  • Flachenecker
  • Morlock
  • Strehl
  • Wild
  • Albrecht

 

Trainer Trainer
  • Herbert Widmayer

 

Club-Bescherung im Frankfurter Stadion

Sonderbericht des „Neuen Sport" von Ludwig Dotzert

Eintracht Frankfurt — 1. FC Nürnberg 0:2 (0:1)

Das also war die zweite Weihnachtsbescherung, auf die sich das Fußballvolk so sehr gefreut hatte. Eine schöne Bescherung! Alles was recht ist. Eine ernüchternde Bescherung. Ein Häufchen zerbrochener Illusionen, auf bombastischem Tablett serviert. Erst auf dem Heimweg kam einem Stück für Stück wieder zum Bewußtsein, daß das, was geschehen war, mit einer Sensation nicht das geringste zu tun hat. Was an dem Sieg der Nürnberger im Frankfurter Stadion sensationell war, spielte sich nicht auf der aufgescharrten Schneedecke des Spielfeldes ab, sondern in der Phantasie eines Publikums, das sich von dem 2:0-Sieg einer Zehn-Mann-Eintracht über Offenbach irritieren ließ. Dieses 2:0 erhitzte den Optimismus in Frankfurt und Umgebung derart, daß man zum Beispiel einen so eklatanten Ausfall wie den eines Erwin Stein nur noch als kleinen Schönheitsfehler abtat. Die Enttäuschungen, die den Eintrachtanhängern im letzten Jahr zustießen, waren sowieso vergessen. Man fühlte sich seit vorigen Sonntag in jene Zeiten zurückversetzt, als Offenbach schlagen soviel bedeutet wie unschlagbar sein. Diese Zeiten sind jedoch seit zwei Jahren vorbei.

Im Stadion zeigte sich die Eintracht ohne Schminke. Sie zeigte sich so, wie eine Mannschaft, die in den Hauptrollen mit „zweiter Wahl" besetzt ist, nun einmal aussieht. Sie verlor, weil gegen einen Club zur Zeit nur eine Eintracht in bester Besetzung gewinnen könnte, eine Eintracht mit Alfred Pfaff oder zumindest einem Kreuz in Bestform im Innentrio. Aber bei den Riederwäldern wurde außer diesen beiden auch ein Kreß und ein Lindner in Bestform vermißt. Die zwei, die sich da auf dem rechten Flügel abplagten, hießen nur so. Ansonsten hatten sie mit denen, die einmal der Stolz Frankfurts waren, an diesem Tag nur wenig gemein. Die übrigen Stürmer hießen Schämer, Solz und Kraft. Keiner von Ihnen hätte gegenwärtig auch nur die leiseste Chance, einen Posten im Club-Angriff zu erhalten. Die Eintracht aber ist auf sie angewiesen.

Nur Solz verfügte über die technischen Fertigkeiten, um auf den schwierigen „Mischboden" (halb Gras, halb Schnee) wenigstens einen Teil seiner Ideen in die Praxis umzusetzen. Die andern kamen aus dem Stümpern selten heraus. Sie kamen weder an ihre direkten Gegenspieler heran, noch an ihre Amtskollegen im Nürnberger Angriff. Sie verpulverten ihre Kräfte in alle Winde. Sie wurden mit sich selbst kaum fertig, geschweige denn mit der Aufgabe, den Nebenmann ins Spiel zu bringen. Ihre Mittel reichten einfach nicht aus.

Eine gute Viertelstunde lang fielen diese Kalamitäten nur wenig auf. Das war die Viertelstunde des Wolfgang Solz und des Dieter Stinka. Solange Solz auf dem Damm blieb, gab es wenigstens einen Riederwälder, der mit dem Ball an seinem Gegner vorbeikam und der auf der Landkarte der Nürnberger Spielhälfte einigermaßen Bescheid wußte. Zwei Vorlagen von ihm beschworen feiste Chancen herauf, aber sowohl Lindner als auch Schämer fehlte es an Geistesgegenwart und Konsequenz. Kurz danach schlenzte Schämer einen Ball diagonal durch den Strafraum, der Torhüter Wabra das Leben ziemlich sauer machte; aber dabei blieb es vorläufig. Der Club hatte sich lange genug vor der großen Eintracht verbeugt. Mor1ock gab das Signal. Plötzlich reckte und streckte sich die Elf, daß die Riederwälder aus allen Nähten platzten. Das erste Tor fiel, ein Original-Feiertags-Tor von Morlock, der bei einem Eckball von rechts im Sprinter-Tempo aus dem Hintergrund genau auf den Punkt startete, auf den es ankam und den außer ihm niemand erkannt hatte. Und als der Ball von Morlocks Stirn über das zum Rettungsversuch ausgestreckte Bein Höfers ins Netz gehüpft war, war das Spiel im Grunde schon entschieden. Solz war abgebrannt wie eine Wunderkerze. Die Kreß-Lindner-Schämer-Kraft-Truppe nahm sich aus wie eine Viermot-Maschine ohne Pilot.

Mit Hangen und Bangen erreichten die Riederwälder die Pause, ohne weiter als 0:1 zurückzuliegen. Die letzten Applausstürme, die einer von ihnen entfesselte, brausten in Richtung Loy von den Rängen herab. Loy schien sich in die Zeiten der Europa-Pokal-Spiele zurückversetzt zu haben. Er machte keinen falschen Schritt, keine falsche Bewegung. Seine Rettungstaten gegen Wild, der allein in den Strafraum gestiebelt war, und gegen seinen konfusen Vordermann Lutz, der bei einer verteufelten Rückgabe kurz vor dem Eigentor stand, gehören zu den besten Leistungen seiner Laufbahn.

Die zweite Halbzeit begann mit einem neuen Ueberrumpelungsversuch der Eintracht, der jedoch nicht mehr die Vehemenz der Riederwälder Eröffnungs-Offensive erreichte. Immerhin gelang es in dieser Phase noch, Keile in die gegnerische Abwehr zu treiben. Dann klatschte ein Kopfball Wilds an den Pfosten, und kurz darauf spießte der gleiche Wild drei Abwehrspieler der Riederwälder quasi auf der Fußspitze auf. De letzte war Höfer. Und so konnte Flachenecker die Vorlage Wilds frei annehmen, zwei Schritte marschieren und schließlich die Lederkugel geradeaus in die nächstliegend Ecke schmettern.

Unterdessen ging der Stern des Herbstmeisters von der Noris immer strahlender auf. Auf diesem schwierigen Boden, auf den Langpässe immer nur im Ungefähren landeten, zeigte sich, wie gut es ist, wenn mal auch mit dem guten alten Kurzpaß zurecht kommt. Präzis, überlegt, ohne überflüssige Eile sponnen die Nürnberger ihre Kombinationsgespinste. So wurden unnötige Laufereien und unnötige Zweikämpfe vermieden. So wurden die Imponderabilien, die der „Mischboden" mit sich brachte, in Grenzen gehalten. Wenn der Club bei seinen Angriffszügen immer einen Zug zuviel drin hatte, dann hatte die Eintracht einen zu wenig drin. Gleich zwei, drei Dinge auf einmal erledigen, mit einem einzigen lichtvollen Dreißigmeterpaß — dazu fehlten die Talente und ein einwandfreies Terrain.

Am tiefsten in der Misere steckten die Riederwälder im zweiten Teil der ersten Halbzeit, als der Club nach Belieben schalten und walten konnte. Stinka, der zu den profiliertesten Initiatoren des Eintracht-Auftaktes gehört hatte, blieb auf der Strecke, als Morlock zum Gegenstoß blies. Das gleiche Schicksal blühte Weilbächer, der den langen Halblinken Wild nie durchschaute. Desgleichen ging es Schymik, dem selten ein so gerissener Gegner vor die Schuhe kam wie Nürnbergs Ersatz-Linksaußen Albrecht. Ja sogar Lutz geriet ins Wanken. Zuerst büßte er die Sicherheit seiner Füße ein und dann die Sicherheit seines Herzens. Darauf, daß Club-Mittelstürmer Strehl ein Tor versagt blieb, braucht sich Lutz nichts einzubilden. Strehl, der mehrmals freie Bahn hatte, war selbst sein schwierigster Gegner. Wenn einer enttäuschte im Nürnberger Sturm, dann er.

Die Eintracht ließ keine Umbesetzung unversucht, um das Schicksal doch noch zu wenden. Zuerst bastelte man nur am Angriff herum. Als auch das nichts nützte, zog sich Lindner in die Läuferreihe zurück, um seinen Platz Weilbächer zu überlassen. Der „blonde Hans", endlich seinen Peiniger Wild los, fing das Spiel vorne noch einmal neu an. Trotz Temperaturen um 0 Grad wickelte er die Aermel bis über die Ellenbogen hoch. Und jeder verstand. Jeder krempelte zumindest im Geiste die Aermel mit hoch. In der letzten Periode, die etwa eine halbe Stunde andauerte, steckte der Club bis an den Kragen in der Defensive. Und trotzdem wurde die Eintracht kaum gefährlicher. Sie hatte eine einzige große Gelegenheit, als Lindner aus dem Hintergrund eine flammende Rakete in Richtung Tor abließ, Wabra das heiße Ding aus den Händen sprang und Solz plötzlich vor der leeren Ecke stand. Aber Solz brachte auch diesen Ball vorbei. Vorbei der Ball, vorbei die letzte Aussicht auf eine Wendung. Die innere Kraft, mit der die Eintracht nun vorrückte, reichte zwar aus, um den Club zeitweise vor dem eigenen Tor plattzudrücken; aber sie reichte nicht aus, um den Block um Wenauer aufzusprengen. „Und wenn" die noch zwei Stund' so weiterspielen, fällt kein Tor", prophezeite ein Nürnberger Kollege. So weit sich das verfolgen ließ, nämlich bis zum Schlußpfiff, sollte er recht behalten.

Die Riederwälder brauchen dennoch die Flinte nicht ins Korn zu werfen. Schon in vierzehn Tagen findet das Rückspiel statt. Vielleicht findet sich in dieser Zeit wieder Kreuz, vielleicht kommt Lindner endlich zu sich, vielleicht ist Kreß endlich über die Nachwehen seiner Zwangspause hinweg. Einer oder zwei von ihnen müßten sich fangen. Das ist unabänderliche Voraussetzung. (aus 'Der neue Sport' vom 27.12.1960)

 

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