Werder Bremen - Eintracht Frankfurt |
Endrunde um die Deutschen Meisterschaft 1958/59 - 1. Spieltag - Gruppe 1
2:7 (1:3)
Termin: 16.05.1959
Zuschauer: 42.000
Schiedsrichter: Baumgärtel (Hagen)
Tore: 0:1 Richard Kreß (10.), 0:2 Eckehard Feigenspan (14.), 0:3 Eckehard Feigenspan (23.), 1:3 Arnold Schütz (34.), 1:4 Dieter Stinka (55.), 2:4 Arnold Schütz (65.), 2:5 Alfred Pfaff (80.), 2:6 Eberhard Schymik (88.), 2:7 Eckehard Feigenspan (89.)
Werder Bremen | Eintracht Frankfurt |
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Der Südmeister zerstörte alle Bremer Tips Unser Redaktionsmitglied Bert Merz war nach dem Spiel in den Kabinen Werder Bremen — Eintracht Frankfurt 2:7 (1:3) Den Frankfurtern, die in der letzten halben Stunde im Weserstadion an der Vortribüne entlanggingen, mußte es angst um die Eintracht werden. Da schmetterten die sonst so wenig redseligen Norddeutschen ihre Tips nur so durch die Luft. Der Querschnitt ergab ein "3:2 für Werder". Um so größer war die Enttäuschung bei einem erheblichen Teil des Publikums nach dem Spiel. Der kleinere, objektive Teil entließ die „Sieger" mit herzlichem Beifall. Diese wurden von dem kleinen Trupp mit dem halben Dutzend schwarzweißer Fahnen nach schon in Mannheim erprobter Art vom Feld geritten. Vor der Kabine stand Paul Oßwald eine gute halbe Stunde lang im Mittelpunkt der Ovationen. Bekannte, Unbekannte, Reporter, Neugierige wollten den Trainer der Eintracht sehen und hören. Aber der Paul sagte nicht viel. Was sollte er sagen? Er war mit seinen Männern zufrieden. "Sie haben alle großartig gespielt und sich so eingesetzt, wie ich es von ihnen erwartet hatte. Ich bin überzeugt, daß unser Spiel noch besser gelaufen wäre, wenn Alfred Pfaff nicht verletzt wurde." Strahlende Gesichter Im Raum 6 gab es nur strahlende Gesichter. Auch Pechvogel Hans Weilbächer strahlte mit. „Wir haben sie schön auseinandergenommen", sagte er, als ob er selbst mitgespielt hätte. Zwischen den Spielern turnte in ausgelassener Freude Erich Dziwoki, der unvergessene Außenstürmer und Torschütze der Südmeisterelf von 1952 herum. „Wenn ihr ins Endspiel kommt, bin ich wieder da. Von Lübeck bis Berlin ist ja nicht weit", meinte er und drückte Dieter Lindner, der wegen seines Mißgeschicks bei zwei, drei guten Chancen etwas haderte, fest an sich. „Nicht traurig sein, mein Lieber, wer die Tore schießt, ist ganz gleich." Und dann ging die Tür auf und jemand rief: „Die Kickers haben 3:2 gegen den HSV gewonnen." Da brauste ein Jubel auf wie beim eigenen Sieg, „Das ist recht so", rief Alfred Pfaff. „Man soll den Süden ruhig unterschätzen. Die werden noch Augen machen." Im Hintergrund murmelte jemand etwas von dem Traum-Endspiel..., während Egon Loy erzählte, wie er „gespürt" habe, wo Schröders Elfmeter hingehen sollte. Einige Türen weiter hielt Georg Knöpfle, der großartige FSV-Seitenläufer der dreißiger Jahre und heutige Werder-Trainer, seine Pressekonferenz ab. „Unsere Mannschaft war zu nervös. Ehe sie überhaupt richtig wußte, wie gespielt wurde, stand es 3:0. Von diesem Schock erholte sie sich nie mehr ganz. Selbst Willi Schröder war nicht konzentriert, sonst hätte er merken müssen, daß der Eintracht-Torwart nach dieser Ecke reagierte. Wir haben durch die Fehler unserer Deckung so hoch verloren. Diese hat nicht einmal schlecht, sondern verkehrt gespielt und die Gegner stets zu spät angegriffen. Die Eintracht ist eine Klasseelf. Gegen sie zu verlieren, ist keine Schande. Aber das 2:7 war zu hoch." Zu dem auf der Bank sitzenden Läufer Schiemeczek gewandt, sagte Knöpfle dann: „Ich hatte dir das mit dem Trick von Sztani erzählt, aber du bist doch darauf reingefallen." Während einige Bremer Spieler noch dies und das zu ihrer Entschuldigung anzuführen hatten, zog sich Kapitän Schröder wortlos an. Er beteiligte sich mit keiner Silbe an der Unterhaltung. Ehe sich die Eintracht für die letzten Stunden ihres Bremer Aufenthaltes wieder in das idyllische Hotel im Bürgerpark zurückzog, mußte Trainer Oßwald, Rudolf Gramlich und Ernst Berger noch viele Hände schütteln. Es war so: Die Eintracht hatte ein Stadion mit 42.000 Menschen, die zum allergrößten Teil vorher nur ihre Mannschaft und deren Sieg kannten, überzeugt. „Wir wollen am Samstag auch die Frankfurter überzeugen", waren Ernst Bergers Worte. Eiskalte Eintracht im Feuer Ludwig Dotzert schildert den Spielverlauf im Weserstadion Unter der glatten Oberfläche des schwindelerregenden Ergebnisses verbergen sich die schwarzen „Was, wenn?" wie Alpdrücke. Was, wenn Alfred Pfaff nach seinem Unfall in der fünften Minute nicht wiedergekommen wäre? Es sah schlimm genug aus. Mit einer Sztani-Vorlage zog er auf und davon; und alle Sehnen waren zum Zerreißen gespannt, als er beim Versuch zu schießen mit dem zu tief angesetzten Fuß in den Rasen schlug. Alfred krümmte sich. Nur mit Mühe erreichte er die Auslinie, wo Arzt und Masseur kauerten. Das konnte schon das Ende aller Hoffnungen sein. Das mußte die Pfaff-Elf bis auf die Grundmauern erschüttern. Es gehört zu den bodenlosen Unerklärlichkeiten der Team-Seele, daß genau das Gegenteil eintrat. Pfaff ging und im gleichen Augenblick fiel die letzte Nervosität von seiner Mannschaft. Der Südmeister warf sich in die Brust. Die Bremer scheuten zurück. Als Kapitän Pfaff in der 11. Minute wieder kam und sich mit bandagiertem Knöchel nach Linksaußen begab, übernahm er eine geläuterte Truppe, die bereits 1:0 führte und eben mit voller Fahrt in die Siegesallee einschwenkte. Das Tor hatte Kreß geschossen. In Höchstgeschwindigkeit daherrasend, schleifte er an der Außenlinie, weit im Feld zurück, einen von weither kommenden Flugpaß mit nach vorn, raste auf dem kürzesten Weg auf Bremens Tormann Ilic zu, der bereits einige verblüffende Proben seines Könnens abgelegt hatte, und riß den Ball ohne Zögern an Ilic vorbei fast mitten ins Tor. Die ganze Aktion eine einzige fünfzig Meter lange Gerade, die Werder Bremen ins Mark traf. Der Nordzweite schien wie gelähmt. Vier Minuten später fiel das zweite Tor für die Eintracht. Von rechts schlich sich Sztani an den Bremer Strafraum heran, paßte zu dem nach innen gewechselten Kreß, dessen Schußversuch abgeblockt wurde und Feigenspan schlenkerte das bißchen Fallobst, das bei diesem Zusammenprall anfiel, ins Netz. Zehn Minuten später stand es, 3:0, als der gleiche Feigenspan eine Flanke Lindners stilvoll mit der Schläfe in die Ecke köpfte. Werders Ansturm Das schien der Sieg. Das war der Sieg noch lange nicht. Kurz nach dem dritten Treffer wandelte sich auf beiden Seiten die psychologische Position. Bis jetzt war alles Gefühl, Impuls, Reflex und Reaktion. Nun regte sich der Gedanke. Auf einmal — anders kann man die Vorgänge nicht deuten — empfanden die Riederwälder ihren Eröffnungsspurt ohne Pfaff und später mit einem gehemmten, verletzten Pfaff auf Linksaußen, den Spurt der drei Treffer, als etwas Ungeheuerliches. Wollte man sie in einen Hinterhalt locken? Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen? Die Bremer kamen ihnen auf einmal unheimlich vor. Und sie hatten auch etwas Unheimliches. Schorsch Knöpfle, ihr Trainer, hatte sie mit einer Reihe Spezial-Anti-Eintracht-Maschen ausgerüstet, die wie ständig wiederholte Nadelstiche ihre Wirkung auf die Dauer nicht verfehlten. Loy konnte kaum einmal abschlagen, ohne daß ihm der nächststehende Bremer mit scheinbar sinnlosen Tänzen und Tacklings auf die Nerven fiel. Kein Riederwälder konnte den Ball einwerfen, ohne daß sich — Brustkasten an Brustkasten — ein Bremer vor ihm aufbaute, um dem Einwerfenden die Aussicht zu versperren. Das Schlimmste aber waren die Eckbälle: Spezial-Anti-Horvat-Eckbälle, die dem langen Ivica seiner wirksamsten Waffe, der Länge, beraubten. Raffiniert angeschnitten drehten sich diese Nerventöter etwa in Kragenknopfhöhe auf den Elfmeterpunkt und schufen für die Eintracht-Abwehr, wo man gewöhnt ist, daß der Ball entweder in den Fangarmen Loys landet oder vom Schädel Horvats ins Feld zurückprallt, eine völlig neue Situation. Ehe sich die Riederwälder halbwegs darauf eingestellt hatten — ganz gelang es ihnen nie — stieß Bremens Schütz einen dieser "Tiefflieger" mit dem Kopf ins Netz. Nur noch 3:1 für die Eintracht! Was, wenn sich dieser Vorsprung weiter verkürzt hätte? Jedes weitere Tor in der nun aufziehenden Sturmflut hätte die Gefahr eines Deichbruchs heraufbeschworen. Feuergeist Hagenacker Aus war's mit der vielzitierten hanseatischen Gelassenheit, drinnen wie draußen. Hektische Anfeuerungsstürme der 42.000 peitschten über den Platz. Weckten Schröder, der aus dem Nichts herauftauchte wie ein hilfreicher Geist. Weckten den Feuerkopf Hagenacker, der sich kurzerhand vom rechten Verteidiger zum rechten Läufer beförderte und von dieser vorgeschobenen Basis aus ungeahnte Energien in den Angriff pumpte. Der Eintracht blieb nichts übrig, als sich mit dem Rücken an der Wand ihrer Haut zu wehren. Ein halbes Dutzend weiterer Eckbälle Werders verlangten der Riederwälder Abwehr das Aeußerste ab. Die Hauptchance aber gehörte auch in dieser Phase den Frankfurtern. Kreß schmetterte kurz vor dem Wechsel einen Ball an die untere Lattenkante, der wie eine schwere Faust unmittelbar vor der Torlinie aufschlug. Die kritischsten Sekunden für die Eintracht jedoch sollten noch kommen. Kurz nach der Pause schob Höfer den gefährlich nach innen kurvenden Wilmovius mit dem Oberkörper quasi aus der Kurve, und der Bremer stürzte mit Nachdruck auf den Rasen. Elfmeter! Brausende Ovationen für den Schiedsrichter. Grabesstille, als Jupp Schröder anlief. Die Waage vibrierte auf der Degenspitze, — Als Loy den mittelscharf geschossenen Ball im Fallen aus der Ecke schlug, fingen die Riederwälder wieder an, die Initiative an sich zu reißen. Lindner, Sztani und Stinka schlossen sich zu einem Sonderunternehmen zusammen und der mutig bis zum Elfmeterpunkt vorgeprellte Stinka konnte eine Vorlage Sztanis aufnehmen, sich drehen und zum 4:1 einschießen, ehe sich in der verdünnten Zone der bremischen Spielhälfte etwas wie ernste Gegenwehr regte. Gut zehn Minuten später krachte zum zweiten Male ein Schuß des entfesselten Richard Kreß an die Querlatte und dann durften die Werder-Leute noch einmal zehn Minuten von der Wendung träumen. Schütz schickte einen Irrläufer zum 2:4 ins Netz. Pfaffs Geniestreich Endgültig gewonnen war das immer hinreißende Spiel erst zwanzig Minuten vor Schluß durch einen Geniestreich des Alfred Pfaff, der bei einem indirekten Freistoß den von Sztani angetippten Ball aus dem Helmuth-Rahn-Winkel derart raffiniert auf den Körper des lauernden Ilic zielte, daß der Ball wie ein Querschläger in den einzigen offenstehenden Spalt prallte. Das riß den Bremer Trotzköpfen das Herz aus dem Leibe. Kreß feuerte einen unheimlichen Schrägschuß an Ilic vorbei, den der Schiedsrichter aus fragwürdigen Gründen wegen Abseits nicht als Tor anerkannte. Schymik überraschte den konsternierten Jugoslawen im Werder-Tor mit einem tückischen Aufsetzer und Sztani/Feigenspan marschierten unbehindert fast bis über die Linie, als der Bremer Abwehr vergeblich auf einen Abseitspfiff wartete. Der Schlußpfiff erlöste die ausgelaugten Werder-Helden aus einem Zustand vollkommener Hilflosigkeit. Zermürbt, abgestumpft und groggy wankten sie vom Platz. Jetzt hatte es euch der Letzte gesehen: Zwischen dem Sieger und dem Besiegten lag der Unterschied einer ganzen Klasse. Der Nordzweite mußte ständig über sich hinauswachsen, um der Eintracht Paroli zu bieten, und mußte diesen Energieraubbau schließlich teuer bezahlen. Die Eintracht, obwohl lange vom Zweifel an sich selbst angenagt, wirkte vor diesem Hintergrund wie eine britische Profi-Elf: Unbarmherzig im Zweikampf, eisig, wenn die Konterchance winkte, elegant und rasant. Dabei fehlte Weilbächer. Dabei mußte Pfaff ständig auf seinen Knöchel achtgeben. Dabei schlug den Riederwäldern ein Heißluft-Sturm entgegen, der weit über ihre Vorstellungen hinausging. Ueberhaupt, das Unerwartete herrschte vor. Paul Oßwald mag seine Mannschaft bisweilen selbst nicht mehr gekannt haben. Dieser Stinka, zum Beispiel! Welch ein Leistungsdurchbruch. Erst in letzter Minute für Weilbächer in die Mannschaft berufen, wurde er zu einer Qual für Schröder, den gefährlichsten Mann der Bremer, und stand immer an entscheidender Stelle, wenn sich die Eintracht aus vorübergehender Bedrängnis wieder nach oben spielte. Und dieser Richard Kreß! Im Süden kennt man ihn langsam. Oben im Norden verbreitete er mehr Angst und Schrecken wie der leibhaftige Gottseibeiuns. Der rasende Rechtsaußen traf — man schaue weiter oben nach — zweimal ins Tor und zweimal an die Latte. Und wenn auch nur einer seiner wilden Schüsse zählte, so wie er schoß keiner! Sogar Feigenspan nicht, der dafür (ebenso unerwartet) ein wichtiges Glied in der Reaktionskette bildete, die den Südmeister in atemberaubendem Tempo aus dem eigenen Strafraum In den Strafraum des Gegners schleuderte. (aus 'Der neue Sport' vom 19.05.1959)
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