Stuttgarter Kickers - Eintracht
Frankfurt |
Oberliga Süd 1955/56 - 2. Spieltag
3:5 (3:2)
Termin: 04.09.1955
Zuschauer: 14.000
Schiedsrichter: Resch (Augsburg)
Tore: 0:1 Zatopek (4., Eigentor), 0:2 Erich Bäumler (8.), 1:2 Bugeker (10.), 2:2 Flaig (13.), 3:2 Eberle (15.), 3:3 Erich Bäumler (48.), 3:4 Alfons Remlein (51.), 3:5 Alfons Remlein (90.)
Stuttgarter Kickers | Eintracht Frankfurt |
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Trainer
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Eintrachtsieg bei Eintrachtwetter Die Sonne lachte über dem Neckarstadion, das nun auch von den Stuttgarter Kickers benutzt wird. „Eintrachtwetter", konstatierte ein hemdsärmeliger Platzordner, der sich offenbar auskannte. „Und Eintracht-Platz", ergänzte sein nicht minder bewanderter Kollege. Es muß tatsächlich etwas dran sein. Die Riederwälder liefen bei einer idealen Leichtathletiktemperatur in Rekordzeit zu Höchstleistungen auf, und kamen nur durch die höhere Gewalt eines kaum faßbaren Kickersgewitters vorübergehend aus dem Konzept. Der Eintracht stand schon in den ersten Phasen des Spiels Fortuna mit beiden Armen bei. Aber Fortuna war gerecht. Unmittelbar darauf erschien die gleiche Dame im Stuttgarter Strafraum. Beide Male gab es Pfostenschüsse. Zuerst bumste der nach links ausgebogene Bugeker aus schwierigstem Winkel ans Gehölz, als Bechtold ein Loch in die Luft gedroschen hatte. Und im Gegenzug spritzte Kreß mitten durch die gegnerische Deckung und ließ sich auch von dem ihn verfolgenden Stopper Zatopek nicht mehr stören. Sein Schuß vom Elfmeterpunkt aber traf die gleiche Stelle der Torumrahmung, die auch Bugeker in die Quere kam. Damit begann die Aera Kreß. Der Riederwälder Mittelstürmer spielte auf wie in seinen größten Tagen. Er spielte, als wäre sein Bewacher Zatopek überhaupt nicht da. Und noch in der aufregenden Phase der beiden Pfostenschüsse erzwang er einen Eckball und köpfte diesen Eckball auch selbst so geschickt ins kurze Eck, daß Tormann Bechtold das Leder trotz einer Glanzparade erst hinter der Linie erwischte. Das war das 1:0 in der 4. Minute. Auch das 2:0 in der 8. Minute war zunächst einmal das Werk von Kreß, der Bäumler an der linken Strafraumgrenze intelligent bediente. Bäumler schnickte den Ball ebenso intelligent über den verzweifelten Bechtold hinweg, der sich ihm vor die Füße warf. Nun war also der Kickersriegel im Handstreich aufgebrochen. Dafür aber entstand eine andere, vielleicht noch größere Gefahr für die Eintracht: Die Stuttgarter merkten auf einmal, daß sie auch stürmen können. Wie von einem Rausch erfaßt preschten sie plötzlich über den Rasen des Neckarstadions, in dem nun auch die Degerlocher Gastrecht genießen, und fünf Minuten genügten, um die Situation völlig umzudrehen. Mittelstürmer Bugeker hob den Ball über den herauslaufenden Rothuber hinweg, und es hieß 2:1. Freistoßspezialist Scholz drosch einen 25-m-Freistoß so wuchtig aufs Tor, daß der Ball aus Rothubers Händen vor die Füße von Flaig sprang, der ins volle traf. Und gerade vollendete sich die erste Viertelstunde, als ein noch kernigerer Schlag des aufgerückten Eberle aus gut 30 Metern genau unterm Dach einschlug. Die Kickers, die nun Eberle zu Kreß beordert hatten, stürmten weiter, und für den Rest der ersten Hälfte spielte man mit vertauschten Rollen. Während die „Riegler" rücksichtslos nach vorn drängten, versuchte die Eintracht, das Überraschungsmoment auszunutzen. Sie hatte dabei ihre beste Szene, als Pfaff quer durch den dünn besetzten Stuttgarter Strafraum steuerte, dann jedoch den Ball Bechtold mitten auf den Leib knallte. Wie ein Phönix entstieg die Eintracht sofort nach dem Seitenwechsel der Asche, die vom „Strohfeuer" des mitreißenden Auftaktes noch auf dem Rasen herumlag. Jetzt war wieder alles wie zuvor und jetzt war es nicht nur Schein, sondern großartige und dauerhafte Realität. Innerhalb von vier Minuten hatten Bäumler und Remlein allen Schaden repariert, der bei dem unfaßbaren Schwächeanfall zwischen der 10. und 15. Minute entstanden war, und bei beiden Treffern waren die Chancen so zwingend herausmodelliert (Kreß und Weilbächer), daß vor dem Torschützen das leere Gehäuse klaffte. Doch diese Erfolge ereigneten sich genau so schnell wie nach dem Beginn der ersten Halbzeit und deshalb hatten die treuen Riederwälder Schlachtenbummler Angst, die Duplizität der Ereignisse könnten sich fortsetzen. Wie ihre Eintracht dann jedoch diese Angst verjagte und ihr Tempo, ihre Klarheit und die Weiträumigkeit ihrer Aktionen von Minute zu Minute steigerte, war schlechthin hinreißend. Nur ein Teil ihrer Chancen wurde ausgenutzt, und dreimal scheiterte sie lediglich an dem behäbigen Schiedsrichter Resch aus Augsburg. Einmal gab er einen Treffer nicht, den Feigenspan nach einem herrlichen Monolog von Pfaff, der an drei Gegnern und schließlich auch noch am Tormann vorbeiglitt, erzielt hatte, und zweimal blieb ihm der Pfiff im Halse stecken, als Bäumler und Feigenspan nur noch mit der Notbremse in Situationen gestoppt wurden, an denen kaum noch etwas zu verderben schien. Die 90. Minute brachte aber dann doch noch die verdiente Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht. Weilbächer schickte den Ball aus der Position des Rechtsaußen weit hinüber wo der freistehende Remlein bereits mit dem Arm winkte. Die Flugbahn des Balles reichte zwar nicht ganz hin, aber ein Stuttgarter Kopf verlängerte das Leder unfreiwillig doch noch bis zu diesen linken Läufer der Riederwälder, der sich in aller Seelenruhe das richtige Eck zum fünften Treffer aussuchen konnte. Die Riederwälder durchmaßen im Stuttgarter Neckarstadion alle Stationen, die eine Fußballmannschaft durchmessen kann. Sie waren im siebten Himmel, als der gefürchtete Kickers-Riegel bereits in den ersten Minuten völlig zersplitterte, und schmorten im Fegefeuer, als die Kickers unter dem Druck des Geschehens plötzlich ihre Angriffsqualitäten entdeckten. Dann, nach dem Wechsel jedoch, zeigte sich eindeutig, daß der Stuttgarter Generalangriff, der die Eintracht wohl deshalb so sehr erschüttert hatte, weil niemand mit ihm rechnete, daß dieser Generalangriff nur auf einer Serie von Explosionen beruhte. Im Angriff sind sie nun mal keine Praktiker, die Stuttgarter, sondern nur Berauschte. Und als dann die Riederwälder zu neuem Start aus den Kabinen kamen, ließ sich kein Riegel mehr aufbauen. (aus 'Der neue Sport' vom 05.09.1955)
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