Eintracht Frankfurt - SSV Reutlingen

Oberliga Süd 1954/55 - 11. Spieltag

4:3 (2:1)

Termin: 14.11.1954
Zuschauer: 25.000
Schiedsrichter: Handwerker (Ketsch)
Tore: 1:0 Hermann Höfer (25.), 2:0 Erich Bäumler (34.), 2:1 Gernhardt (45.), 3:1 Erich Bäumler (46.), 4:1 Alfred Pfaff (48.), 4:2 Feuerlein (75.), 4:3 Feuerlein (86.)

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Eintracht Frankfurt SSV Reutlingen

 


  • Schober
  • Ludwig
  • Baum
  • W.Lidinski
  • Müller
  • Vaas
  • H.Lidinski
  • Gernhardt
  • Grziwok
  • Feuerlein
  • Fritschi

 

Trainer Trainer
  • Erwin Ammer

Das wäre fast noch ins Auge gegangen

Hut ab vor Reutlingen!

Acht Minuten nach der Pause stand die Partie am Riederwald 4:1 für die Hausherren und alles schien in Butter zu sein. Die Eintracht hatte den Liga-„Hasen" Reutlingen tüchtig gehetzt und alles deutete auf eine fröhliche Treibjagd hin. Aber es schien wieder einmal nur so.

Der „Mümmelmann", von der Achalm, von den meisten schon totgeglaubt, wurde jetzt erst richtig lebendig und aus dem Jäger Eintracht wurde plötzlich das Treibwild. Die Reutlinger präsentierten sich in einer einfach phantastischen Kondition, statt abzubauen legten sie noch einen Zahn zu, ihre vorher schon verteufelt gefährlichen Attacken rollten jetzt wie schwere Panzer über die Eintracht-Deckung hinweg, der Zusammenhang in der Eintrachtelf zerflatterte zusehends und dem langen Loy wurde eingeheizt wie in einem Brutofen. Als ihn schließlich der einäugige Gernhardt, nach einem kapitalen Bock des schwachen Wloka-Ersatzmannes Bechtold, mit einem glasharten trockenen Schuß doch zum zweiten Male geschlagen hatte, und die Gefahr eines Punktverlustes immer näher rückte, raffte sich die Eintracht zwar noch einmal auf, warf die letzten noch vorhandenen Energien und Reserven in den Kampf und in einem verbissenen Gewaltangriff hatte Kreß auch den fünften Treffer am Fuß, der alle Sorgen verscheucht hätte. Aber der Frankfurter wollte es ganz genau wissen, er wollte, sechs Meter allein vor Schober stehend, auch den langen Reutlinger Torwart noch umdribbeln, aber der ging blitzschnell ins Parterre und konnte das Leder noch am Pfosten vorbei ins Aus und zur Ecke lenken.

Tolles Finale

Das gab den Reutlingern noch einmal Auftrieb, sie warfen alles nach vorne, was laufen konnte, zwei Minuten vor Schluß brachte Feuerlein, der eiskalte, hochintelligente Halblinke, aus einem Gedränge den Ball zum dritten Mal im Eintrachttor unter — es war das erstemal, daß Loy dreimal den Ball aus dem Netz holen mußte, seit er im Kasten der Eintracht steht — und in der kurzen, noch verbleibenden Zeitspanne bis zum Ende brannte es im Eintracht-Strafraum lichterloh wie bei einem Großfeuer in einer Reifenfabrik.

Sie spielte eine Stunde lang eine große, ihre beste Partie der bisherigen Saison, und war gegen die mäßige Form des Vorsonntags kaum wiederzuerkennen. Der Ball wurde rasch und sauber abgespielt, die ganze Mannschaft war ständig in Bewegung, jeder war mit Lust und Liebe und mit der nötigen Konzentration bei der Sache und durch das fast reibungslose Ineinandergreifen der einzelnen Mannschaftsteile ergab sich zwangsläufig eine klare und deutliche Feldüberlegenheit, die wahrscheinlich zu einer noch höheren Torausbeute geführt hätte, wenn noch placierter und schärfer geschossen worden wäre - und wenn die Verteidigung in der letzten Minute der ersten Halbzeit den langen Gernhardt nicht völlig ungedeckt gelassen hätte. Aber Fritschi, der aktive, bewegliche Linksaußen vom rechten Flügel (!) aus eine hohe, gut berechnete Flanke zur Mitte gab, sah sich Gernhardt mutterseelenallein vor dem Eintrachttor und konnte das Leder in aller Ruhe einköpfen.

Die beiden, in rascher Folge fallenden Eintrachttreffer nach der Pause lullten offenbar die Elf in allzu große Sicherheit, sie spielte jetzt sozusagen nur noch mit Dämpfer, vielleicht war es aber auch mangelnder Kondition zuzuschreiben, daß sich das Bild mit einem Schlage grundlegend änderte und alle Kommandogewalt an die Schwaben überging.

Diese hatten zunächst nach italienischem Muster den Rechtsaußen H. Lidinsky und auch den linken Flügelmann Fritschi mit in die Deckung zurückgezogen und die ganze Arbeit im Sturm dem Triumvirat Feuerlein, Grziwok (einem famosen Dribbler) und Gernhardt überlassen. Erst als Pfaff mit einem Nachschuß Schober überlistet und die Eintracht-Anhänger den vierten Treffer ihren Elf bejubelt hatten, schaltete der Liganeuling um. Vaas und Fritschi tauschten die Plätze, und die Losung hieß jetzt „angreifen und noch einmal angreifen". Nun zeigte Reutlingen sein wahres Gesicht — und jetzt verstand man auch, warum sich die Elf solange an der Spitze behauptet hatte. Man sah eine ganze Serie prächtiger, zügiger Angriffe, die von den unheimlich nach vorne dringenden Außenläufern W. Lidinski und Fritschi in feiner, kluger Zusammenarbeit mit dem Strategen der Elf, dem vielleicht etwas zu besonnenen und bedächtigen, aber technisch und taktisch gleich überragenden Feuerlein angekurbelt wurden.

Man trug sie vor allem über, den rechten Flügel vor, weil man erkannt hatte, daß Heilig, der in der Angriffsperiode der Eintracht heftig mitgemischt hatte, am Ende seines Lateins war und daß auch Kudraß dem Tempo nicht mehr folgen konnte. Selbst Remlein, der dem Bundestrainer wieder einmal bewies, wer der derzeit beste Eckelersatz ist, mußte häufig nach links hinüber, um mit auszubügeln und drohenden Flurschaden zu verhindern. Die Reutlinger verfielen jedoch nicht in den Fehler der Starrheit und Einseitigkeit. Ueberraschende Flankenwechsel setzten die Eintrachtdeckung häufig matt, und Bechtold wußte kaum noch, wie er den listigen und gewitzten Grziwok bremsen sollte. Er hatte vor allem mit hohen Bällen seine liebe Not — sie wurden ihm schier mit konstanter Boshaftigkeit von einem Reutlinger weggefischt.

Remlein ganz groß

Remlein, der Einmalige, war für uns der Heldentenor der Eintracht — er war der perfekte Fußballer, wie er im Lehrbuch steht. Loy empfahl sich auch diesmal mit Prachtparaden für die Nationalmannschaft und der junge Hesse zog sich von allen Abwehrspielern der Eintracht am erfolgreichsten aus der Affäre. Heilig schleppte zuviel Gewicht mit und kam so vorzeitig außer Atem, im Sturm gab Bäumler erstklassigen Anschauungsunterricht für umsichtiges und überlegtes Handeln. Er blieb einige Male knapp an dem langen Müller hängen, häufiger aber wurde er seinen Polizisten los und mit seinen genauen Flanken schuf er eine Reihe brenzliger Momente. Pfaff beging am Anfang nacheinander sechs Fehler, die einem Nationalspieler eigentlich nicht passieren dürfen — dann aber taute er prächtig auf und bildete mit dem unheimlich aktiven Kreß einen feinen Flügel. Kreß, der das zweite Tor einfach wunderbar vorbereitet hatte, verzettelte sich später jedoch wieder in übertriebenem Einzelspiel. Weilbächer gab sich aus bis zur restlosen Erschöpfung, hatte aber Pech mit seinen Schüssen und Höfer fügte sich gut in die Aktionen ein — sein Kopfballtor war Klasse, auch wenn es etwas nach Abseits aussah. Aber vielleicht sah es nur von der Tribüne so aus.

Bei den Reutlingern gefiel neben Feuerlein Fritschi am besten, auch Grziwok imponierte enorm, und Gernhardt erschien weit reifer und beherrschter, als wir ihn von Bremen her noch in Erinnerung hatten. Die beiden Lidinsky verrieten die meiste Ausdauer, Müller kam über guten Durchschnitt nicht hinaus, machte aber seine Sache recht ordentlich, Ludwig war etwas sicherer, aber auch hitziger als sein Partner Baum, und Schober gelangen zahllose Paraden, die den Klassemann charakterisierten.

Wir glauben, nicht zuviel zu sagen, wenn wir diesen Kampf als den gehaltvollsten, den dramatischsten und den feurigsten der bisherigen Meisterschaftssaison bezeichnen — es war Leben und Rasse von der ersten bis zur letzten Sekunde in dem harten, aber anständigen Ringen, und wer diesmal nicht zufrieden war, dem ist nicht zu helfen. Alle Sonntage solch hochklassige und wildbewegte Treffen, und die Zuschauerränge wären, stets so voll wie diesmal.

Handwerker-Ketsch hatte, daran gibt es nichts zu rütteln, Format — es unterliefen ihm vielleicht einige Abseitsfehler, aber sonst leitete er das Spiel brillant. (aus 'Der neue Sport' vom 15.11.1954)

 

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