Eintracht Frankfurt - VfB Stuttgart
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Oberliga Süd 1953/54 - 23. Spieltag
5:0 (2:0)
Termin: 07.02.1954
Zuschauer: 28.000
Schiedsrichter: Schmetzer (Mannheim)
Tore: 1:0 Hans Weilbächer (18.), 2:0 Erich Dziwoki (43.), 3:0 Hans Weilbächer (56.), 4:0 Alfons Remlein (59., Elfmeter), 5:0 Alfred Pfaff (61.)
Eintracht Frankfurt | VfB Stuttgart |
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Trainer | Trainer
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Revanche für das Stuttgarter Cannae Rache ist süß. Auch auf dem Fußballplatz. Seit jenem 0:7 im Neckar-Stadion sann die Eintracht auf Revanche. Sie ist ihr an diesem frostigen ersten Februar-Sonntag geglückt und besser und durchschlagender als gedacht. Aus dem Stuttgarter Cannae wurde ein Riederwald-Cannae — der Spitzenreiter für einen Sonntag wurde nicht nur klar, er wurde vernichtend geschlagen und regelrecht deklassiert. In der ersten Viertelstunde freilich sah es nicht so aus, als breche das Eis der Eintracht-Niederlagen. Die Schwaben schalteten sofort den Schnellgang ein, zogen ihren surrenden Kombinationskreisel auf, daß der Eintrachtdeckung die Ohren summten und als Kudraß obendrein bereits in der 6. Minute nach einer Karambolage mit dem forschen Hinterstocker verletzt vom Felde mußte, sank das Stimmungsbarometer auf den Rängen weit unter den Gefrierpunkt. Aber Kudraß kam bald wieder, das Feuer der Stuttgarter verlosch so rasch, wie es auf geflammt war und in der VfB-Abwehr knisterte und krachte es, wie der Main im Sonnenschein. Pfaff und Kreß fühlten dem Nationalverteidiger Retter und dem finster dreinblickenden Schlienz auf den Weisheitszahn, und auf einmal schlug es wie der Blitz aus heiterem Himmel hinter dem machtlosen Bögelein ein. Reichert, der Wiederentdeckte, riß mit einem Querpaß übers ganze Feld die linke Deckungsseite der Schwaben auf, Dziwoki schob das Leder an dem angreifenden Hünen Steimle vorbei zu dem heranstürmenden Weilbächer, der schlug einen Haken, lief einige Meter nach innen und setzte urplötzlich aus gut 20 Meter einen Linksschuß unter die Latte, daß Retter trotz der vielgepriesenen Pomade die Haare zu Berg standen. Vergessene Angstpsychose Von diesem Schlag mit dem Dampfhammer erholten sich die Schwaben nicht mehr. Die Eintracht verlor mit einem Male die ganze Angstpsychose, die sie in den letzten Wochen gequält und gemartert hatte, sie fand zu dem schwungvollen „Frisch-fromm-fröhlieh-frei-Stil" der September-Wochen zurück, alle Disharmonien im Angriff verflogen wie Staubkörner im Wirbelsturm, der Laden stimmte wieder, Reichert und Weilbächer bildeten mit dem ,,Feldherrn" Remlein und dessen getreuen Adjutanten Heilig ein magisches Quadrat von magischer Anziehungskraft und die Schwaben kamen sich trotz der Minus-Temperatur vor wie in der Sauna. Kreß hetzte Schlienz wie einen auf der Treibjagd aufgescheuchten Hasen, Pfaff legte sich — vielleicht weil Sepp Herberger auf der Tribüne saß — wie ein Olympia-Ruderer in die Riemen und das Spielfeld schrumpfte auf die VfB-Hälfte zusammen. Von einem hinterlistigen Hinterhaltsschuß Hinterstockers abgesehen, der über die Latte strich, kam Henigs Kasten nicht ein einzigesmal in Gefahr. Vor Bögeleins Gehäuse ging es dafür um so turbulenter zu, sein Torraum schien von Hochspannungsmasten flankiert zu sein, und in der 39. Minute rollte das Leder zum zweiten Male hinter die Demarkationslinie. Eine Blitzkombination alter Windmannscher Eintracht-Schule, die von Weilbächer über Remlein und Kreß führte, brachte Dziwoki bis auf Nahkampf-Distanz an das Schwabentor heran, der Posthörnchen-Wirt spielte mit Bögelein Poker, der fiel prompt auf den Bluff herein und es hieß 2:0. Es gab dann noch ein sehr mißtöniges Zwischenspiel, als in der letzten Minute vor der Pause Dziwoki den am Boden liegenden Bögelein unfair attackierte und der unbeherrschte Steimle nach dem Freistoß-Pfiff an Dziwoki rächende Nemesis spielte. Es war, wie Altmeister Fink sachlich und nüchtern feststellte, eine glatte Tätlichkeit, aber Schmetzer fehlte wieder einmal der Mut zur letzten Konsequenz, er stellte den Sünder Steimle nicht vom Felde, und so entstand innerhalb und außerhalb des Spielfeldes eine sehr gereizte Atmosphäre. Die drohende Explosion blieb erfreulicherweise jedoch aus — einmal, weil sich Steimle nach der Pause sichtlich zusammenriß und seine schlechten Instinkte in der Kabine gelassen hatte. Zum anderen, weil bereits nach Ablauf der vierten Viertelstunde auch das VfB-Begräbnis erster Klasse vorüber war. Die Eintracht nahm die Stuttgarter sofort wieder in einen festsitzenden Doppelnelson, aus zehn schwarzrotgestreiften Frankfurtern schienen zwei Dutzend geworden zu sein, die Schwaben wurden blaß und blässer, und ein neues Ungewitter fegte über sie hinweg. Drei Tore in sechs Minuten In der 6. Minute brachte der überlastete Schlienz das Leder nicht aus der „Off-Limits-Zone", Pfaff spielte Dziwoki frei, dessen Schuß prallte ab und Weilbächer jagte das Leder mit der Seelenruhe eines pensionierten Weichenwärters ins lange Eck. Fünf Minuten später stürmte Heilig wie der leibhaftige Frühling nach vorne und als ihn Hinterstocker im Strafraum von hinten „umstockte", deutete Schmetzer auf den Elfmeterpunkt. Remlein verlor auch jetzt die Ruhe nicht. Sein scharfplacierter Schuß schlug unhaltbar ein. Noch ehe der Sekundenzeiger eine Drehung um 360 Grad vollendet hatte, tauchte „Nummer fünf" auf der imaginären Tortafel auf. Steimle hatte im Zweikampf mit Dziwoki den Ball verloren, Weilbächer spielte den lachenden Dritten, er flankte sofort hoch nach links, Pfaff stand just an der linken Strafraumecke, er nahm das herunterkommende Leder direkt aus der Luft und ehe Bögelein zu Boden kam, lag der Ball hinter ihm im Netz. Es war ein Traumtor, wie man es zuletzt in Bologna von dem jungen Savioni gesehen hatte. Wir klatschten mit — wir hätten ein Herz aus Eis haben müssen, hätte uns dies Tor nicht vom Sitz gerissen! Der Rest war nicht der Rede wert. Die rachelüstige Eintracht ließ die ,,Friedenstaube" aus dem Schlag, sie ließ jetzt auch die Schwaben zu Wort kommen — aber deren Sturm spielte so sinnlos, so harmlos, und so kraftlos, daß die Eintrachtdeckung selbst im Marschtempo noch rechtzeitig Halt gebieten konnte. Wahrscheinlich hätte dieser VfB-Sturm noch drei Tage lang das Eintrachttor attackieren können, ohne es einmal zu erobern. Am Ende sauste ein Pfundsschuß Dziwokis dem erschreckten Bögelein an den Kopf — sonst wäre das halbe Dutzend voll geworden. Kreß und Remlein Was die Eintracht diesmal zeigte, war wieder einmal Klassefußball — schnell, spritzig, durchdacht und kraftvoll. Der Kommandant dieser Fußballgarde war nicht der Kapitän Bechtold — er hieß wieder einmal Remlein. Weil er das große Fußball-Einmaleins im Schlaf vorwärts und rückwärts hersagen kann, wußte er zu jeder Sekunde das einzig Richtige zu tun, er sah auch im dichtesten Menschenknäuel den bestplacierten und ungedeckten Kameraden und wurde so zum wahren Schlachtenlenker. Wloka machte trotz seiner noch nicht ganz ausgeheilten Verletzung einen imponierenden Eindruck, Bechtold, Kudraß und Henig ließen keinen Zweifel aufkommen, wer Herr im Hause sei und im Angriff legte Kreß eine Partie auf den hartgefrorenen Boden, daß Sepp Herberger wahrscheinlich in Gewissensnöte geriet. So wie er Schlienz versetzte, wurde der Stuttgarter Stopper noch selten versetzt — und wenn man berücksichtigt, daß Schlienz die überragende Feldfigur der Schwaben war, ergibt sich das Prädikat für Kreß von selbst. Es heißt „einfach grandios". Auch Weilbächer hatte einen glänzenden Tag, Reichert bildete das langgesuchte, wertvolle Verbindungsstück, Pfaff schien justament dem Jungbrunnen entstiegen zu sein, und Dziwoki zeigte Steimle, seinem alten Widersacher, daß er doch der pfiffigere und schlauere ist. Was soll man vom VfB sagen? So schwach hatte sich wohl keiner der 25000 Zuschauer die Stuttgarter vorgestellt. Krieger und Kronenbitter waren kaum zu sehen, der Sturm umspielte wieder seinen eigenen Schatten, und Retter machte als Verteidiger wie als Haarcremepropagandist eine ausgesprochen schwache Figur. Wenn die deutsche Nationalelf auf ihn in Saarbrücken nicht verzichten kann, dann steht es schlecht um sie. Außer Schlienz überzeugte nur noch Bögelein restlos. Er wußte zuweilen nicht mehr, wo ihm der Kopf stand — aber er ging nicht unter. Schmetzer (Mannheim) blieb auch in diesem harten Ringen
den Beweis schuldig, daß er internationale Klasse repräsentiert.
Sie verlangt, im Notfall auch vor dem Platzverweis nicht zurückzuschrecken.
Dazu brachte er auch diesmal nicht den Mut auf. (aus 'Der neue Sport'
vom 07.02.1954) |