27.05.2006

25. Mai 2003: ein doppelt denkwürdiges Spiel

 

Es ist die Geschichte eines einmaligen Fußballerlebnisses. Und es ist die beinahe ebenso unglaubliche Geschichte zweier Exil-Adler. Es war ein Sonntag; es war der 25. Mai 2003. Das Waldstadion war eine Baustelle, es hatte kein Dach und nur zweieinhalb bis drei halbfertige, aber funktionsfähige Tribünen. 25.000 Menschen fanden Platz. Nur, muss man sagen, hätte dieses Spiel doch eigentlich jeder Fußball-Fan gerne live gesehen. Nur der liebe Gott weiß, weshalb ich mir Mitte Dezember bereits zwei Karten für das Finale sicherte. Wahrscheinlich, weil ja eh klar war, dass wir es am Ende spannend machen würden. Man kennt es ja nicht anders.

Nun, fünf Monate später sollte ich das goldenste Händchen aller Zeiten gehabt haben. Für mich war es erst das zweite Eintracht-Spiel, zu dem ich selbst hinfuhr. Mein klappriger Golf II - er fährt immer noch - machte es in Verbindung mit meinem erst vor wenigen Monaten bestandenen Führerschein möglich. Endlich konnte ich mal zu Eintracht-Spielen fahren, was insofern etwas besonderes war, als dass ich rund 250 Kilometer vom Waldstadion entfernt wohne. Im schönen Schwäbisch Gmünd nämlich. Auch zu diesem Spiel musste ich erst einmal eine Begleitung finden - wer ist in Baden-Württemberg schon Eintracht-Fan? – doch ein Kumpel sagte zu. Glück für ihn und für mich, dass Freiburg schon aufgestiegen war, denn so konnte der SC-Fan mit mir gemeinsam für die Eintracht sein.

Es war also Sonntag, der 25. Mai, es war kurz vor 15 Uhr und es bahnte sich Fritz-Walter-Wetter an. Die Ausgangslage war eindeutig: Wir mussten gewinnen. Und zwar mit mindestens genau so vielen Treffern Vorsprung, wie es ein gewisser FSV Mainz 05 zeitgleich in Braunschweig tat. Jene Bonbonschmeißer hatten einen guten Tag erwischt. Zumindest ihr Stürmer Benjamin Auer, seines Zeichens der unbeweglichste Kartoffelsack auf einem Fußballplatz. Er traf tatsächlich viermal, und wie er das gemacht hat, weiß er wohl selbst nicht. Nach 61 Minuten feierte man in Braunschweig also Karneval, schließlich führten die Kappen mit 4:0.

Das sah im schönen Frankfurt ein wenig anders aus. Erst traf Jermaine Jones, dann glich Nico Frommer aus. Für den Reutlinger wär’s vielleicht besser gewesen, wir wären nicht aufgestiegen. Dann hätte er mit uns in der kommenden Saison zweite Liga spielen dürfen, da wäre er sicher besser zurecht gekommen. Alex Schur sah das anders, Ervin Skela auch. 3:1 zur Pause, noch alles in Ordnung. Doch dann spielten die Herren Gambo und Würll die Spielverderber, 3:3 in Frankfurt, 4:0 für Mainz. Uns fehlten also sage und schreibe vier Tore. Die alten Herren um mich herum gingen: „das ist doch Scheiße“. Sie werden sich 30 Minuten später in den Allerwertesten gebissen haben. In der 62. Minute brachte Trainer Willi Reimann Bakary Diakité, der vor der Partie verabschiedet wurde. Zu Recht. Doch er machte das gleiche wie Kartoffelsack Auer: das Spiel seines Lebens. Mehr oder weniger zeitgleich traf er zum 4:3, als Abdoul Thiam den Braunschweiger Ehrentreffer markierte. Danke, Abdoul! Auf einmal waren’s nur noch zwei Tore, was in nur noch sieben plus x Minuten ja schon ein Haufen ist. Aber irgendwie sah das das Frankfurter Publikum anders und brach in totale Euphorie aus. Rot gegen den Reutlinger Rehm, Diakité traf noch einmal, 90. Minute. Zu spät? Schluss in Braunschweig. Nur noch die Nachspielzeit. Was dann passierte, weiß ich nicht mehr genau. 25.000 Menschen standen, sie brüllten wie die Irren irgendetwas in Richtung Feld. Von geordnetem Support konnte man nicht mehr reden. Jeder schrie, die Nachricht war deutlich: Macht ein Tor, egal wie. Die Gehirne setzten aus, zumindest meines, es war wie in Trance. Die totale Euphorie, dieses „da geht noch was“. Dann auf einmal Eckball, Flanke, 93. Minute, es müsste Schur sein, der hoch steigt, für eine Sekunde scheint es totenstill zu sein. Alles wird langsam, der Ball kriecht in Richtung Tor – und auf einmal zappelt der Ball im Netz. 6:3, das reicht. Über Reihen hinweg fallen sich Menschen in die Arme, sie brüllen, sie jubeln, sie weinen, sie drehen durch vor Glück. Der totale Rausch, ich habe so etwas bisher nicht mehr erlebt, egal bei welcher Partie. Langsam wich das Adrenalin wieder aus dem Blut. Während Dimo Wache unschuldige Braunschweiger Zuschauer verdreschen wollte, wurde langsam klar: wir sind wieder drin in der Bundesliga.

Ihr wollt die zweite Geschichte an diesem Tag noch wissen? Ein Fremder neben mir machte von meinem Kumpel und mir ein Aufstiegs-Erinnerungs-Foto. Er schickte es mir per E-Mail, in der er schrieb, dass er in der Nähe von Stuttgart wohnt. Es stellte sich heraus: Er wohnt nur 15 Kilometer von mir weg. Ein weiterer Adler mitten in Baden-Württemberg. Seither besuchen wir regelmäßig gemeinsam das Waldstadion oder die Eintracht auswärts. Auch wenn kein Spiel mehr einen Charakter hatte wie dieses, für mich im doppelten Sinne, denkwürdige Spiel.

PS: Wenn Diakité im Juli seinen Dienst in Mainz antritt, könnte er ja im „Aufsteiger 2003-T-Shirt“ auflaufen.

'zwenboy' ist Swen aus Augsburg.

 

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