20.10.2006

Wie ein junger Adler das Fliegen lernte

Mein Fandasein - im Vergleich zu den meisten anderen in der Fanszene - mag viele an die Verweildauer des Menschen in der langen Geschichte unseres Planeten erinnern, für mich ist diese Zeit jedoch schon eine Ewigkeit lang. Ich habe keinen Vereinserfolg (Titel) als Fan UND als "Normalbürger“ (bewusst) miterlebt. Bei mir kam alles in drei Schüben:

  1. Interesse
  2. Liebe
  3. Geisteskrankheit

Es fing alles im Februar 1984 an. In einem unbedeutenden Nest im äußersten Zipfel des Main-Taunus-Kreises hielt der Storch zum dritten Mal Einzug und bescherte der Familie Warning ihren ersten Sohn und zeitgleich das letzte Kind. Eine relativ unspektakuläre Kleinkindphase wurde schlagartig beendet, da der kleine Christian nur noch alleine im Kindergarten war. Seine zweitälteste Schwester wurde 1988 eingeschult. Im Gegensatz zu vielen anderen Kindern, war sie von der Schule begeistert, so begeistert, dass sie jeden Tag nach der Schule ihr kleines Brüderlein an die Hand nahm, eine Spieltafel und Kreide in die Hand nahm, um diesen an ihrem Wissen teilhaben zu lassen. So trug es sich zu, dass Klein-Christian mit 4 u.a. bereits Lesen und Schreiben konnte. Da dieser das Erlernte sofort einsetzten wollte und die Bilderbücher dafür nicht geeignet waren, wurde nach langer Überlegung beschlossen, dem Jungen ein Stück Zeitung vorzulegen. Bis zu seiner Einschulung 1990 versuchte der Junge also Zeitung zu lesen.

Dann kam die Einschulung und der erste Kontakt mit den sonst so verhassten Bremthalern zeigte, dass alle doch ein gemeinsames Thema hatten, was sie interessierte: Fußball. Deutschland war frischgebackener Weltmeister (was der kleine Christian jedoch nicht wusste). Durch die Gespräche der Klassenkollegen animiert, verlangte Christian jeden Morgen den Sportteil. Er verschlang Tag für Tag den Sportteil der Frankfurter Rundschau. So fiel es ihm auch relativ schnell auf, dass es einen Verein gab, der ganz in der Nähe spielte: Eintracht Frankfurt. Wo spielen die denn? Was? Erste Liga? Ist das nicht die beste? Und sieh mal einer an, die sind sogar recht weit oben. Die müssen gut sein. Ist das auch wirklich Frankfurt am Main? So verschlang der Bub Tag für Tag Artikel um Artikel über diesen Fußballklub. Durch die hervorragende Berichterstattung der FR-Sportredaktion damals, bemerkte der Bub, dass die Eintracht wohl ganz Deutschland begeisterte mit ihrem Fußball.

Weitere Zeit ging durch das Land und Christian war mittlerweile in der 2. Klasse. Erste Grüppchenbildungen gab es. Auf der einen Seite die Bayernfans. Bayern? Das ist doch nicht hier in der Gegend! Kopfschütteln! Man lernte schließlich einen Jungen aus der Parallelklasse kennen, mit dem man sich anfreundete. Dieser war Kölnfan. Köln? Auch nicht hier in der Gegend - aber der Junge stammte von da. Es war mittlerweile Ende 1991 und die Eintracht stand ganz oben in der Tabelle. Irgendwie hat man sich immer schon ein bisschen gefreut, wenn in der Zeitung der Sieg gefeiert wurde. Zudem wurden die Bayernfans zunehmend nervöser (sie wollten schließlich Meister werden). Das Klima an der Schule wurde immer rauer. Fußballspiele arteten in Prügeleien aus. So stellte man schnell fest, dass das Schlimmste, was man werden kann, Bayernfan ist ("Zieht den Bayern...“, „Frankfurt hinterher, schießt tausend Tore mehr...“). Zuversichtlicher war man schließlich dann kurz vor dem letzen Spieltag, als die Eintracht mit besten Chancen auf den Titel ganz vorne stand. Rostock? War abgestiegen und eine reine Formsache. Die böse Überraschung kam am Tag darauf in der Sonntagszeitung. Stuttgart war Meister (obwohl ich es nach wie vor bestreite)! Häme, Spott, Erniedrigung! Der Gang in die Schule war schwer, aber spätestens jetzt setze immer wieder das Kribbeln in Bauch und Kopf ein, wenn es um die Eintracht ging - beim Lesen, beim Reden, beim Prügeln.

Es wurde 1993 - die Technik erreichte das kleine Dorf Niederlosbach und wir waren stolzer Besitzer eines Computers. Das erste, was auf diesem installiert wurde, war Fußball Manager Hattrick III. Christian und sein Freund spielten gemeinsam - er natürlich mit dem FC und ich mit der Eintracht. Mal wurde er Meister, mal ich, mal die Bayern, mal Dortmund. Wie im realen Leben spielte man gegen solche Underdogs wie Wattenscheid, Uerdingen etc. So lernte man schnell die meisten Namen der anderen Teams. Klar - Bein, Bindewald, Binz, Yeboah und Weber kannte man schon. Von Jay-Jay war in der Zeitung auch öfters die Rede und mit keinem anderen Spieler verband ich das Schicksal der Eintracht mehr als mit ihm.

Es wurde 1994. Christian und sein Freund gingen nicht mehr auf die Grundschule, sondern verließen alle ihre Klassenkollegen in Richtung Höchst. Dort waren fast alles Frankfurter - klar. Einmal im Jahr gab es an der Schule ein paar hundert Freikarten für ein Eintrachtspiel, aber auf Christians Anfragen reagierte keiner seiner Familie. Er solle seinen Onkel fragen, dieser war MSV-Fan, obwohl er seit 25 Jahren das Stadion nicht mehr gesehen hatte. Klar hatte man durch die Familie auch eine Verbundenheit zu Duisburg und freute sich, wenn der MSV gewann, aber man wollte die Eintracht sehen und nicht die Zebras. Der Rest der Familie hielt das Interesse des Jungen an Fußball für eine kurze Spinnerei. Das erste, was er sich von seinem jahrelang Ersparten kaufte, war ein Tetra Pak-Eintrachttrikot - für 80 DM in einem kleinen Sportfachgeschäft in Höchst. Ein Klassenkollege verkaufte ihm zudem eine 1m-Fahne für 25 DM. So verfolgte Christian das Heynckes´sche Trauerspiel und den Rauswurf von Jay-Jay, Maurizio und Yeboah in seinem neuen Trikot. Auch die Rehabilitation der beiden erstgenannten und die Autoschiebereivorwürfe fesselten den Jungen ans Radio. Es war die Zeit vom Dancefloor á la Snap!, Culture Beat u.a. und es war der Mainstream, den jeder hörte und liebte.

Das Schuljahr ging vorbei und für Christian - mittlerweile 10 - stand ein ganz großer Sprung bevor. Man zog um nach Amerika. Auf der dortigen Schule war man der einzige Eintrachtler. Ein arroganter Bayernschnösel machte einem das Leben schwer und ein Schalkefan, der schneller an die Spielergebnisse kam als ich (FAZ brauchte 3 Tage), versorgte mich mit den notwendigen Informationen. Die Eintracht hatte sich mittlerweile gewandelt - statt UEFA-Pokal, rutschte man immer weiter ab. Trotzdem hielt ich es für einen schlechten Scherz, als der Schalkefan freudestrahlend ankam und mir den Abstieg der SGE ankündigte. Abstieg? Das traf doch nur auf Klubs wie Nürnberg, Duisburg, Uerdingen etc. zu. Die Eintracht konnte doch nicht absteigen. Als der Schalkefan meinte, dass ich mir jetzt wohl einen anderen Klub suchen müsste, brach unsere gegenseitige Sympathie zusammen. Jetzt erst recht! Trotzig und dickköpfig wie ich war, stand ich weiter zur Eintracht. Geldsorgen, Gestolper in der 2. Liga - alles machte man mit.

Es kam der Tag (1997), an dem man wieder zurück nach Deutschland kam. Aber man stellte erschrocken fest, dass sich nicht nur die Musik geändert hatte, auch die Berichterstattung über die Eintracht war anders. Anstatt ganz vorne auf der Seite zu stehen, musste man weiterblättern. Jedoch verfolgte man seitdem Woche für Woche die Zweite Liga im Radio. Die Eintracht stieg Platz um Platz in der Tabelle. Die Namen? Bis auf Weber, Sobotzik und Bindewald kannte ich keinen mehr. Aber das Fingernägelkauen setzte ein. Klare Ergebnisse waren eher Mangelware. Da gab es ein Spiel gegen Leipzig. Das Führungstor bekam ich von meinen Eltern mitgeteilt, die sich zur selben Zeit im Landeanflug auf Frankfurt befanden.

Am 20. Februar 1998 kam dann der große Tag. Zu seinem Geburtstag bekam ich einen Stadionbesuch geschenkt. Das mit Abstand schönste Geschenk meines Lebens war eine Karte für das Heimspiel im März gegen den Mitaufstiegsfavoriten SC Freiburg. Meine Eltern meinten, dass Treue - trotz des Abstieges - belohnt werden sollte. Ein Monat später war es soweit. Mit der Bahn fuhr man ins soooooo grooooße Waldstadion. Unüberdachter Sitzplatz Gegentribüne. Fangesänge, wie man sie bisher nur aus Radio und Fernsehen kannte. 2:0 lautete der Endstand und die Eintracht stieg auf den ersten Platz.

Das Punkten ging weiter und es war klar, gegen Mainz würde wohl die Entscheidung fallen. Ich besorgte für meinen besten Freund (zum Kölner hatte ich mittlerweile keinen Kontakt mehr) Eintrittskarten - direkt unter den Stehrängen Gegentribüne. Dort bekamen wir auch das erste Mal mit, dass G-Block und Gegentribüne nicht immer einheitlich dasselbe sangen, wussten allerdings nicht, warum. Nur mit viel Überredungskunst hatten wir unsere Eltern zu ihrem Segen bewogen, dieses Spiel zu besuchen, allerdings musste meine älteste Schwester mit (,die seitdem eine Abneigung gegen Frankfurter hat). Die Emotionen kochten hoch und wir versuchten die Fangesänge nachzuahmen, hüpften und tanzten vor Freude. Das 2:2 störte uns nicht - ein Punkt würde ja reichen. Dann brachen die Dämme; Leute kletterten massenweise über den Zaun, bis schließlich die Ordner die Tore öffneten. Unter den wüsten Beschimpfungen der Eintrachtfans wurde der letzte Eckball der Mainzer angepfiffen ("Bloß nicht rein, bloß nicht rein!" ) - danach folgte der Schlusspfiff. Grenzenloser Jubel und alle Fans stürmten das Feld. Ich wurde jedoch mit einem energischen Griff an meiner Kapuze aufgehalten und meine Schwester schleppte mich aus dem Stadion.

Dies war dann der Auftakt von Stadionbesuchen, die ich nie vergessen möchte. Großartige unbeschreibliche Momente (5:1 gegen Lautern) und Spiele, wo man heulend und auf die Mannschaft fluchen das Stadion verließ (1:5 gegen Köln), folgten. Die Liebe blieb und ich verzieh der Eintracht jeden Fehltritt. Ich habe eine Menge interessanter und sympathischer Leute getroffen, dessen Anwesenheit ich nie missen möchte. Heute ist die Eintracht meine Drogensucht und ich möchte nie wieder von ihr loskommen. Der exakte Moment, wo der junge Adler seine Schwingen ausbreitete, ist nicht feststellbar, aber er fing an zu fliegen und wuchs zu einem großen Greifvogel heran, den nichts in Europa... äääääääh in der Welt mehr aufhalten kann.

Autor „Schoppenpetzer“ alias Christian Warning, lebt in Fauerbach und ist Eintrachtfan seit 1991

 

 

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