23.03.2007

Wie der kleine peter in den Schlamassel geriet und warum er da nicht rauskommt

Wenn ich ganz ehrlich bin:

Ich weiß nicht mehr genau, wie das alles anfing. Es gab keinen „Jetzt ist es passiert“ - Effekt, der mich zu dem gemacht hat, was ich heute bin: Ein menschliches Wesen, das von einer Fußballmannschaft innerlich zutiefst erschüttert werden kann. Oder in eine fast schon kaum zu ertragende Euphorie geschleudert wird. Also der Reihe nach, ohne Anspruch darauf, alles komplett im Gedächtnis zu haben und nicht auch falschen Erinnerungen aufzusitzen.

Ich habe es schon als kleines Kind geliebt, Fußball „zu spielen“. Wenn etwas rund war, dann musste auch dagegen getreten werden. Und das wird man dann sein Leben lang nicht mehr los. Ich hatte das Glück in eine fußballbegeisterte Familie hineingeboren zu werden, mehr als das, mein Onkel Herrmann Hesse hatte in den 50er Jahren selbst das Trikot mit dem Adler auf der Brust getragen und in der ersten Mannschaft gespielt. Also war es das Selbstverständlichste von der Welt mit Eintracht Frankfurt aufzuwachsen. Und beim Bolzen auf dem Spielplatz in die Rolle von Eintrachtspielern zu wechseln. Wer ich nicht alles war, in meiner Jugend.

Samstags gab es ein festes Ritual: Mein Vater ging ins Stadion und ich saß vor dem Radio. Ich verfolgte alle Spiele aufmerksam, konnte die kompletten Spieler aller Fußballmannschaften auswendig aufsagen und drehte bei jedem Tor der Eintracht auf, als hätte mir jemand Speed verabreicht. Mein Berufsziel war klar. Fußballer oder zumindest Radiomoderator. Ich ließ mir von meinen Eltern einen kleinen Kassettenrecorder mit Mikrofon zum Geburtstag schenken, loste die Paarungen des Spieltages aus und los ging es. Es wird hier niemanden überraschen, dass die Eintracht in meinen „Radioübertragungen“ gar nicht anders konnte als „ewig deutscher Meister sein“.

Meine Mutter musste mir immer neue Schwarz-rote Schals stricken.

Das Dumme an der Sache war: Mein Vater nahm mich nie mit ins Stadion. Und von Fechenheim aus alleine dorthin, das war mit meiner Mutter nicht zu machen.

An mein erstes Spiel im Stadion kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich kann nicht einmal mehr genau sagen, wann es gewesen ist. Ich würde mal schätzen 1973. Aber ab dem ersten Mal gab es kein Halten mehr. Es muss um diese Zeit gewesen sein, denn ich war mehrmals in einem anderen Stadion als dem Waldstadion und dieses andere Stadion war von Fechenheim aus sehr einfach zu erreichen. Das waren meine ersten „Auswärtsfahrten“.

Meine eigenen sportlichen Ambitionen endeten zu dem Zeitpunkt, an dem ich meine erste Freundin kennen lernte. Ein Freund hatte sie mitgebracht – in den G-Block – und sie war zum ersten Mal im Stadion. Ich weiß noch, dass es ein Siegesabend war: erst das Spiel, dann bei dem Mädchen und die Beziehung hielt immerhin vier Jahre. Nun war ich ein glücklicher Mensch. Ich hatte die Eintracht, eine bezaubernde Freundin und mittlerweile meine Begeisterung für Musik entdeckt. Und dann begann das mit den Pokalsiegen. Erst national und dann auch noch den UEFA-Cup.

Am 10.11.1981 beging ich einen dummen Fehler. Eine Freundin hatte mich gebeten, sie in Coventry zu besuchen. Ich bin spontan losgetrampt und verbrachte ein paar nette Tage in England. Am 14.11.1981 trampte ich zurück und erreichte in den frühen Morgenstunden Ostende. Dort warteten ein paar Deutsche Touristen auf ihre Fähre und ich fragte die, wie denn die Eintracht gegen Bremen gespielt habe. Ich war sicher, dass die mich verarschen wollten und glaubte ihnen kein Wort. Erst später musste ich begreifen, dass sie die Wahrheit gesagt hatten. 9:2 und ich in England. Es war unfassbar. Ich habe niemals auch nur eine einzige Szene dieses Spiels zu Gesicht bekommen. Noch heute wird mir schlecht, wenn ich daran denke.

So langsam brachen nun die schlechteren Zeiten an. Völlig fassungslos musste ich die erste Relegation erleiden. Das konnte doch nicht wahr sein. Eintracht Frankfurt und Abstieg? Niemals!!! Gegen Duisburg ging alles gut und ich dachte, das Schlimmste überstanden zu haben. Zumal die Mannschaft wieder einmal den DFB-Pokal holen konnte. Trotzdem ging man im direkten Anschluss wieder in die Relegation. Dieses mal gegen Saarbrücken. Und wieder ging es gut, wenn auch nur knapp. Aber in diesen Spielen funkelte bereits eine Sternschnuppe am Horizont, die sich zu einem Kometen entwickelte, wie ihn die Eintracht nur selten erleben durfte. Bei Saarbrücken spielte ein Mann mit Namen Anthony Yeboah und dieser Name steht für eine Epoche, die jeder, der sie erlebt hat, niemals wieder vergessen wird. Eintracht Frankfurt lag in Geburtswehen, gebar „Fußball 2000“ und dieser Fußball entwickelte sich zu einem prachtvollen Wunderkind.

So viel wurde schon über diese Zeit geschrieben, über die unglaublichen Stein und Bein, über die Andrea Möller, die mit dem Kopf schon in Italien steckte, als es darauf angekommen wäre, alles zu geben und all die anderen. Ganz fair ist es nicht, da einen besonders hervorzuheben, aber Tony Yeboah überstrahlt in meinen Erinnerungen alles. Ich war zu der Zeit schon von G-Block auf die Gegentribüne ausgewandert, denn sitzen ist für´n Arsch bequemer. Ich hatte keine Dauerkarte, da ich ständig mit wechselnden Leuten ging, gerne auch mit meinem BVB-Freund und einem Bayernbekannten. Ausverkauft war sowieso nur gegen die Bayern. Selbst die Bekannten waren völlig beeindruckt. Wenn die Spiele nicht so gut besucht waren, kaufte ich bei akzeptablem Wetter immer Tickets für Unterrang ungedeckt und stand mit den üblichen Leuten vor dem Mäuerchen. Dicht dabei am Spiel und mittendrin.

Manchmal kamen unattraktivere Gegner und meine Frau und ich schlenderten einmal über den Flohmarkt - ich hatte ihr zugesagt, das Spiel ausfallen zu lassen. Ich: „Ich kann nicht anders, ich muss da hin“… Sie: “WAS?“…

Um halb drei war ich im Stadion.

Dann kam der Tag, an den sich jeder, der ihn bewusst erlebt hat, sein Leben lang erinnern wird. Ein Schiedsrichter schickte mich in die Hölle. (Damals konnte ich ja noch nicht ahnen, dass es sich erst um eine Vorhölle handelte, und ich noch viel Schlimmeres würde erleben müssen.) Ich war nicht in Rostock. Ich musste an diesem Abend arbeiten, saß nachmittags in einer Kneipe in der Textorstraße und schaute Premiere. Vom Rest des Tages weiß ich nicht mehr viel. Erst am nächsten Tag wurde mir so richtig klar, was da gerade passiert war: der absolute Antiklimax. Vergeigt hatten wir die Meisterschaft eigentlich in den Spielen zuvor, mit 4 Unentschieden in den letzten 7 Spielen, darunter gegen Wattenscheid.

Dennoch gab es Grund, diese Mannschaft zu feiern. Ralf Weber wurde durch seinen Einsatz nach dem Spiel zur Legende. Nur zwei Personen hatten es auf immer und ewig bei mir verschissen: Das Mädchen und der Trainerdarsteller Stepanovic. „Lebbe geht weiter“ ist für mich einer der dämlichsten Sprüche, die jemals irgendjemand im Fußball geäußert hat.

Die darauf folgende Saison war durchwachsen, Licht und Schatten, aber sie war anders. In meinem Kopf steckte noch immer noch das verlorene Endspiel und irgendwie glänzte die Mannschaft nicht mehr göttergleich. Mein persönlicher Tiefpunkt war das Pokal-Aus gegen Leverkusen. Stepanovic hatte zuvor schon angekündigt, dorthin wechseln zu wollen und nach dem Spiel war er weg. Absoluter Höhepunkt war, als Ulis Stein den brandgefährlichen Ulf Kisten im eigenen Strafraum zu tunneln versuchte und sich dabei das 0:3 einfing.

Ich wurde nun etwas ruhiger. Der Reiz der Stadionbesuche wich einem immer häufigeren „eigentlich keinen Bock haben“. Doch der Start in die neue Saison riss mich wieder aus meinem Phlegma. Die Eintracht blieb die ersten 15 Spiele ungeschlagen, Tony Yeboah war in der Form seines Lebens und den Jungs zuzuschauen machte richtig Spaß. Ich lernte wie man Dnepropetrowsk richtig ausspricht und war begeistert über die beiden Siege gegen La Coruña.

Eine andere Tatsache schweißte mich in dieser Zeit noch stärker an die Eintracht und das Umfeld. Hatten in den 80ern Rechte ziemlich offensiv Stimmung im Stadion gemacht und mir häufig den Spaß verdorben, so entwickelte sich nun ein Zusammengehörigkeitsgefühl über die Spieler, die offensichtlich keine Deutschen waren. Die rassistischen Äußerungen im Stadion wurden immer leiser und noch heute bin ich stolz (ja, hier passt es), ein „United Colours of Bembeltown“ – T-Shirt besessen und getragen zu haben.

Dann kam das Spiel gegen Salzburg. Und die unterirdischen rassistischen Schmähungen gegen unsere Spieler. Wer in diesem Moment nicht begriffen hat, wie scheiße Rassismus ist, der wird es seinen Lebtag nicht mehr begreifen.

Das Rückspiel habe ich in Hamburg verfolgt, bei einem Freund mit großen Sympathien für die Eintracht. Wir beschlossen, bei jedem Tor einen Wodka zu trinken, egal, für wen es fallen würde. Eine echte Schnapsidee. Das Spiel ging bekanntermaßen 1:0 für die Eintracht aus, das reichte aber nur zur Verlängerung. Und dann kam das Elfmeterschiessen. Als Binz Anlauf nahm, wusste ich: das wird nix! (Aber da täuscht man sich ja manchmal: Als Jones in Oxxenbach Anlauf nahm, dachte ich das gleiche.) Leider irrte ich mich nicht. Die während des Elfmeterschießens eingelöteten 9 Wodka legen einen dichten Schleier über den restlichen Verlauf dieses Abends.

Dann ging Toppmöller, weil Stein gefeuert wurde. Yeboah verletzte sich zuvor schwer und kam niemals mehr in die Nähe der zuvor gezeigten Leistungen. Am Ende war ich froh, als die Saison vorbei war. Und hier schließt sich der Kreis zum Flohmarkttag mit meiner Frau: Das Spiel, das ich beinahe ausgelassen hätte, endete mit einem lockeren 5:1 gegen Wattenscheid.

Und dann stand ich bei der Saisoneröffnungsfeier plötzlich einem Mann gegenüber, der in Frankfurt an den Uhren herumfummeln wollte. Hätte er mal besser an sich selbst herumgefummelt.

Die Geschichte um Yeboah, Gaudino und Okocha wurde schon häufig aus den verschiedensten Perspektiven erzählt. Ich kannte zu jener Zeit einige Leute, die relativ dicht an der Mannschaft waren und habe dazu meine ganz eigene Meinung, (nicht jeder wird die teilen.)

Meiner Meinung nach war in erster Linie Bernd Hölzenbein für die Entwicklung der folgenden Wochen verantwortlich. Hatte er bei Toppmöller noch für Teile der Mannschaft und gegen den Trainer agiert, stattete er nun Osram mit einer für einen Trainer ungewöhnlichen Machtfülle aus. Und Osram wirkte bereits bei der Saisoneröffnung auf mich, als sei er weitestgehend humorfrei. Spätestens als Osram Yeboah in der Öffentlichkeit wegen Körpergewicht und mangelnden Deutschkenntnissen herunterputzte, hätte Hölzenbein die Reißleine ziehen müssen, in irgendeiner Form. So bildeten sich wieder Grüppchen und Yeboah, Gaudino und Okocha opponierten relativ offen gegen den Trainer. In einer solchen Situation gibt es nur zwei Möglichkeiten. Der Trainer wird gefeuert oder er setzt sich mit Hilfe des Managements durch. Eintracht Frankfurt entschied sich für die zweite Variante. Wohl auch auf Grund der Vorfälle der vorhergehenden Saison wurden dieses mal die Spieler abgewatscht und nicht dem Trainer hinterher gewunken.

Ich war am Boden zerstört, begriff aber, dass Osram unter den bestehenden Umständen gar nicht anders konnte. Sonst hätte er selbst hinwerfen müssen. Das hat er dann erst später getan. Und das ist ihm 100%ig vorzuwerfen.


Mittlerweile gab es auch die ersten sichtbaren Anzeichen dafür, dass die Eintracht weit über ihre Verhältnisse gewirtschaftet hatte. Ich war sauer. Die glorreichen Jahre noch im Kopf, und eine nicht nachvollziehbare Vereinspolitik vor Augen, entschloss ich mich, in den Verein einzutreten und Einfluss zu nehmen. Ich wollte Ohms weg, ich wollte Hölzenbein weg, Ehinger und Lämmerhirdt sowieso. Doch dann wurde unter fadenscheinigen Begründungen (es sei vom DFB so vorgeschrieben) die Satzung geändert. Die Mitglieder hatten keinerlei Mitbestimmungsrecht mehr und es wurde fröhlich weitergewerkelt. Ich besuchte Jahreshauptversammlungen, bei denen die immer gleichen Profilneurotiker die immer gleichen Sachen erzählten und die immer gleichen Personen attackierten. Namen will ich hier nicht nennen, aber es reichte vom Kurzzeitpräsidenten bis hin zum gescheiterten Musical-Geschäftsführer.

Und dann schlug der Blitz ein - die wohl pomadigste Eintrachtmannschaft aller Zeiten bescherte uns die zweite Liga. Nach der entscheidenden Heimniederlage gegen Schalke saß ich noch minutenlang auf einer Bank zwischen Country-Kitchen und Bratwurst Walter, starrte Löcher in die Luft und war unfähig, mir auch nur ein Bier zu holen. Ich war sauer auf die Ned Zelics und Markus Schupps dieser Welt, die nicht das Geringste getan hatten, das Debakel zu verhindern. Auf einen Vorstand, der die drittteuerste Mannschaft der Liga zusammengestellt hatte, ohne Sinn und ohne Plan. Und - wie sich dann herausstellte - auch ohne Geld.

Es begann die Ära der Alpträume. Der jahrelange Kampf um die Lizenz.

Ich will mich kurz fassen: Der dümmste Vorschlag kam mal wieder von Welttrainer Stepanovic. Ja, der war zurück und schlug allen Ernstes vor, die Mannschaft aufzulösen und ganz unten wieder anzufangen. Ich schäumte vor Wut. Irgendwie schafften wir es dann doch: Wir durften 2.Liga spielen und zum ersten Mal in meinem Leben kaufte ich eine Dauerkarte. Aus Trotz. Weil ich mir von diesen Deppen nicht meinen Verein nehmen lassen wollte. Weil ich auch in meinem Umfeld ein Zeichen setzen wollte. Für jemanden, der schon lange Eintrachtspiele zelebriert hatte, war es genau so schlimm wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich lernte so interessante Städte wie Meppen kennen, das spielerische Niveau war teilweise nicht zu ertragen und wenn Samstags Bundesliga lief, wusste ich nicht, was ich aus dem Dreckstag machen sollte.

Die Erinnerungen an die folgenden Jahre sind wenig stringent. Es kamen Sympathen wie Heller und Patella, die letztendlich auch nur das Geld verpulverten, das wir nicht hatten. Es kam der Herr Otto. Der ging aber nach wenigen Tagen wieder, als die Steuerfahndung die Geschäftsräume durchsuchte. Ich lernte, was Milestone Monitoring ist, und dass Herr Lippert eine negative Ausstrahlung hat. Gartenstühle kamen in Mode, später auch Container. Herr Jedlicki kam und mit ihm Octagon, die stopften uns mit Millionen, die schnellstmöglich wieder verbraten wurden. Octagon flüchtete wieder, in dem Wissen eine Geldverbrennungsmaschine gefüttert zu haben. Salou kam und ging. Möller durfte auch noch mal ran. Sein letzter Einsatz war zumindest ein Pluspunkt für Reimann: Einwechslung in der 90. Minute, mir hat das gut gefallen. Es gab eine legendäre Gerichtsverhandlung und irgendwann, mittendrin in diesem Chaos, ich schätze mal 2001, entdeckte ich das Forum.

Es gab die Herren Andermatt, Magath, Berger, Ehrmantraut, Rohr, Dohmen und etliche, die ich schon wieder vergessen habe. Das ist wahrscheinlich auch besser so. Es gab ein 5:1 - um es zu sehen, musste ich aus dem Krankenhaus ausbüchsen - ein 6:3 und vieles, vieles mehr.

Wenn ich das alles so durchlese, dann wird mir völlig klar, warum Heribert Bruchhagen und Friedhelm Funkel meine ganzen Sympathien haben. Ich bedanke mich hiermit bei den beiden Herren. Auch bedanken möchte ich mich beim Eintracht-Archiv, das mir geholfen hat, Spiele dem jeweiligen Zeitpunkt zuzuordnen.

Heute bin ich ein alter Sack, aber ganz sicher kein Lederhut. Ich bin nicht mehr so oft im Stadion, sondern sehe die meisten Spiele im Fernsehen. Meine Freundin lässt mich Samstags ab 14:00 Uhr in Ruhe, da sie weiß, dass meine Nerven vibrieren. Nach einer Niederlage bin ich für niemanden zu sprechen. Und immer häufiger liebäugle ich mit dem Gedanken, den Fernseher einfach auszuschalten und einen Spaziergang zu machen. Aber das geht einfach nicht. Irgendwann trifft mich bei einem Eintrachtspiel der Schlag. Da bin ich mir ganz sicher.

peter

peter ist Peter Mielke aus Frankfurt und seit unergründlichen Zeiten Eintrachtfan.

 

© text, artwork & code by fg