29.03.2007

Der unglaublichste Tag in meinem Leben...

Diesen Tag im Mai 2003 werde ich auch nie vergessen. Wir waren nach dem Spiel erst in Sachsenhausen und haben danach bei mir bis Dienstag oder Mittwoch das Spiel auf VHS als Dauerschleife laufen lassen und sind immer abwechselnd zur Tanke, Bier holen.

Und wenn wir schon dabei sind, so habe ich den Tag damals erlebt:

10:30 Uhr: Mein Wecker klingelt, ich stehe auf, mache Kaffee, stöbere durchs Forum und sehe - im Gegensatz zu den letzten laaaaaaannnngeeeen sieben Tagen - allem eigentlich ziemlich optimistisch entgegen. Ich rede mir noch ein: "Gegen Reutlingen gewinnt man normalerweise mit zwei Toren Unterschied, also 2:0 oder 3:1, und dementsprechend werden die Mainzer garantiert keinen 3:0- oder gar 4:1-Auswärtssieg erreichen.

So, nach kurzen Telefonaten mit flocker und flommes war der Treffpunkt ausgemacht: 13 Uhr, Hauptwache. Also, Trikot an, Nokia 7210 mit eingebautem Radio eingesteckt und ab mit der U7 zur Hauptwache. Kurz zur Bank, ab in die S9, Sportfeld raus und zum Gleisdreieck, wo uns zuerst mal die Baetz Boyz empfingen, sichtlich gezeichnet von ihrer Saufparty am Vorabend.

Erst mal ein paar Jägermeister reingeschüttet, Nerven beruhigen und ab unter die Bierstände, wo einige Forumler schon anwesend und sichtlich nervös waren (zico_b, franknfurter, sash0308, erikeasy, AlexUSA, Basaltkopp.... ach neee, der war ja im Urlaub....ha ha ha.... und weitere). Noch ein paar Bier und los ging’s mit flocker und flommes in unseren Block 116, Westkurve, Oberrang.

Die ersten 60 Minuten lass´ ich mal weg. Aber dann ging’s ja rund: 3:3 im Waldstadion, 4:0 für Mainz verkündete mein Kopfhörer, den ich 90 Minuten im Ohr hatte. Totenstille im Stadion, ich starrte nur noch ins Leere, konnte es nicht fassen; ich hörte die Mainzer Jubelschreie aus Braunschweig. Ich konnte mich nicht mehr bewegen, nix mehr sagen. Mir schossen folgende Gedanken durch den Kopf:

- Jetzt kommen 12 Monate Schmach, Hohn und Spott aus Mainz

- Eine ganze Saison, eine Saison, bei der ich bei 34 Spielen dabei war, in die ich unzählige Stunden, Tage, ja Wochen investiert hatte, die mich Tausende von Euro gekostet und mir zig Nerven geraubt hat, wurde hier gerade in den letzten 15-20 Minuten vergeigt...

- Wie lange werden wir jetzt in der Versenkung verschwinden? Werden wir die Lizenz nun überhaupt bekommen? Werden wir in den nächsten 10 Jahren wieder aufsteigen können?

- Ich überlegte, mit welchem Hochprozenter ich mir in der nächsten Stunde die Lichter ausschießen werde? Wie ich die vollgestopfte S-Bahn ertrage usw. usw. usw...

Diese Mannschaft geht mir einfach soooooo zu Herzen, dass in diesem Moment für mich erst mal NICHTS mehr ging: Ich konnte nichts sagen, mich nicht bewegen, in mir war völlige Leere, als ob grade ein lieber Freund gestorben wäre. Da bekommt man auch erst mal nix mehr raus..... Rings ´rum verschwanden die Leute im Sekundentakt und begaben sich auf den Nachhauseweg. Und ich muss zugeben, dass auch mir solche Gedanken durch den Kopf geschossen sind. Die vollgestopfte S-Bahn wollte ich mir nicht antun; ich wollte nur weg vom Ort der kollektiven Trauer. Geblieben bin ich aber doch. Sie hatten es ja irgendwie verdient.

Das ganze hat dann bis ca. 10 Minuten vor Schluss gedauert, ungefähr bis zum Mainzer 4:1, welches ich flommes und flocker und den anderen Leuten um mich ´rum verkündete. Es waren aber dennoch alle am Fluchen: "DAS nutzt jetzt auch nix mehr – Scheiß-Verein hier." ... "Dann halt noch mal nach Burghausen, Ahlen oder Lübeck."

Beim 4:3 sind dann alle nüchtern aufgestanden, haben halt "applaudiert". Wenigstens noch ein Sieg. Im Hinterkopf hatten zu diesem Zeitpunkt aber alle: "Wenn die Eintracht aus Braunschweig noch eins macht, brauchen wir nur noch ein Tor." Das kollektive Schweigen im Stadion schlug spätestens zu diesem Zeitpunkt in einem die Mannschaft unglaublich noch vorne peitschenden, ohrenbetäubenden Lärm um. "EINTRACHT! EINTRACHT!!!". Ich blickte alle 30 Sekunden auf die Uhr, im Ohr immer noch nix Neues aus Braunschweig.

Die Stadionuhr zeigt schon 16:45 Uhr, eigentlich Abpfiff-Zeit.

Doch was passiert da in dieser 90. Minute? Diakité trifft zum 5:3!!!! Unfassbar. 15 Sekunden später verkündet mir mein Nokia Handy, dass in Braunschweig Schluss ist. Ich packe es weg und verkünde es laut im Block: "In Braunschweig ist Schluss, 4:1".....

Jeder weiß nun: Wir brauchen noch ein verdammtes Tor! Die Uhr im Stadion zeigt 16:48 Uhr. Von diesen 3 Minuten in völliger Trance, in unglaublicher Angespanntheit, wie ich sie noch nie erlebt habe, weiß ich nur noch, dass ich zu flommes rüber schrie: "Ein Tor, ich fass es net, das ist die Strafe für K´lautern damals".

Im Stadion herrscht eine Stimmung, wie ich sie auf einem Fußballplatz noch nie erlebt habe: 25000 Menschen stehen seit Minuten auf ihren Plätzen, hyperventilieren, sind dem Herzinfarkt nahe, starren auf den Ball, auf Schiedsrichter Strampe und schaffen es trotzdem das Stadion in ein Tollhaus zu verwandeln, welches die 11 Männer da unten nur noch nach vorne treibt. So etwas habe ich noch nie erlebt. (Und glaubt mir, ich bekomme selbst beim Schreiben gerade eine Gänsehaut.)

Dann geschah etwas, was in Worten eigentlich nicht mehr zu beschreiben ist, und was ich bis heute noch nicht richtig begreifen kann:
Oka stolpert den Ball nach einem Rückpass irgendwie ins Mittelfeld, von dort auf die Außenbahn zu Streit, der flankt...... Skela bekommt die Pille knapp am Elfmeterpunkt, nur noch wildes Gekreische im Stadion, der Ball kommt zu Diakité, der schießt...... doch Reutlingens Schlussmann klärt zur Ecke. Keller rennt hin, führt schnell und kurz aus zu Henning Bürger, der flankt das Ding in den Strafraum.....
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In diesem Moment atmet keiner im Waldstadion. Alle Pulsschläge dürften auf 200 sein, die Uhr zeigt 16:49 Uhr.

Wie der Lärmpegel in dieser einen Sekunde war, weiß wohl keiner so genau. Ich schätze, es war ein Mix aus Geschreie, Schweigen, ich weiß es nicht. Es ist nicht zu beschreiben.
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Der Ball fliegt, fliegt und fliegt und kommt ca. 3 Meter vor dem Tor nach unten. Schur steigt irgendwie hoch, bekommt das Ding an seinen Goldschädel, köpft in Richtung Tor....... und auf einmal zappelt er im Netz!!!!!! Tooooooooooooooooooooooooooooooorrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr!!!!!

Ich falle im Oberrang mindestens über 3 Sitzreihen, liege mit wildfremden Leuten in den Armen, knutsche sie ab, rutsche auf dem nassen Boden der Tribüne entlang, von vorne und von hinten kommen flocker und flommes auf mich zugerannt, wir liegen uns in den Armen, weinen, schreien, stehen wieder auf, wir können gar nicht genug jubeln, es wird weiter gesprungen, gehüpft, jeder ist in diesen Minuten zum Küssen gut genug. Es ist so ein unglaublich geiles Gefühl, es ist so unfassbar, so absolut unvergesslich. In dieser Sekunde schüttet mein Körper die Adrenalin- und Glückshormonproduktion eines ganzen Jahres aus. Das Stadion erbebt in seinen Grundmauern. Party, Jubel, Feiern, Schreien überall. Ein kollektiver Glücksrausch der Gefühle setzt ein, der sich bis heute nicht bei mir gelegt hat.

Es war der unglaublichste Tag in meinem Leben!


Der Autor „Obi-Wan Kenobi“ ist Marcus aus Frankfurt, Eintrachtfan seit 1989.


 

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