05.06.2006

10.000 Frankfurter, „schalalalala“, Oberhausen am 18.05. 2003

Das 6:3 gegen Reutlingen zählt für die meisten von uns zum Größten, was sie je mit der Eintracht erlebt haben und war auch schon mehrmals Thema in der Fanhistorie. Ohne den Sieg eine Woche zuvor in Oberhausen aber hätte es dieses Herzschlagfinale nicht gegeben...

„10.000 Frankfurter, schalalalala“ ist – wie wohl allen hier bekannt sein dürfte – ein beliebter Gesang bei Auswärtsspielen, vor allem, wenn die Eintracht-Anhänger mal wieder zahlenmäßig stark vertreten sind. Was ja häufiger der Fall ist. Wirklich 10.000 sind es dann aber doch eher selten. Meine Geschichte handelt nun von einem Spiel, bei dem dieser Wert wohl tatsächlich erreicht wurde.

Im Frühjahr 2003 ging es für unsere Eintracht um den Aufstieg in die erste Liga und Ende April befand man sich auch auf dem dafür erforderlichen dritten Tabellenplatz. Dann folgte Anfang Mai das Spiel gegen den benachbarten Mitkonkurrenten um den Aufstieg: Mainz 05. Ich erinnere mich an einen furchtbar nervenaufreibenden Tag, an bei Ebay ersteigerte Tickets, an mein entsetztes Zusammensinken im Block beim 3:2-Siegtreffer für die Mainzer während über Lautsprecher die Karnevalsmusik dudelte, an eine SMS von meinem Opa aus dem Spanien-Urlaub: „Herzliches Beileid“... Und es sah zunächst so aus, als ob wir alle Aufstiegshoffnungen abschreiben könnten.

Dann allerdings siegte die Eintracht nur vier Tage später 4:1 im strömenden Regen zuhause gegen Waldhof Mannheim und die Mainzer verloren weitere drei Tage später 3:4 gegen den damals von Werner Lorant trainierten LR Ahlen. Köln und Freiburg waren bereits aufgestiegen, Tabellenplatz drei aber würde sich zwischen den drei punktgleichen Vereinen aus Fürth, Mainz und Frankfurt entscheiden. Es wurde doch wieder spannend!

Zum Glück hatten wir uns schon seit Wochen nicht nur die Karten für das Heimspiel gegen Reutlingen, sondern auch für das Auswärtsspiel in Oberhausen am 33. Spieltag gesichert. Letztere übrigens relativ spontan bei einem Besuch des Eintracht-Fanshops in der Bethmannstraße. „Irgendwie kommt man immer hin, wenn man es nur will,“ hatte Jule damals gemeint. Und schon waren die Karten gekauft.

Das Spiel rückte näher und da wir bei unseren bisherigen gemeinsamen Auswärtsfahrten meistens die Bahn genutzt hatten, lief es auch diesmal auf eine Wochenendticket-Tour hinaus. Ich machte mich im Internet schlau über mögliche Verbindungen und sah, dass wir die schnellste Verbindung leider nicht nutzen konnten, da diese über Koblenz verlief, wir aber eine über Gießen brauchten, damit Jule zusteigen konnte. So würden wir länger unterwegs sein und schon um sieben Uhr sowieso in FFM abfahren müssen, aber immerhin gab es eine passende Verbindung.

In den Tagen vor dem Spiel zeichnete sich ab, dass sich eine ziemlich große Masse an Eintracht-Fans auf den Weg ins Ruhrgebiet machen würde und im Internet wurde schließlich ein möglicher „Entlastungszug“ angekündigt. Genaue Informationen zu diesem gab es aber erst zwei Tage vor der Partie. Es sollte die Möglichkeit geben, im Zug Fahrkarten zu kaufen, allerdings sollte auch das WET, das viele Fans bereits gekauft hatten, Gültigkeit besitzen. Und was uns sehr entgegenkam: Die Fahrt sollte über Gießen und Dillenburg erfolgen – perfekt!

Abfahrt war um 9:30 Uhr am Frankfurter Hauptbahnhof und so trafen sich Sonja, Anika und ich gegen neun und begaben uns zum Gleis 16. Wir waren bestens gerüstet für die Fahrt, neben Chips, Schokolade und Getränken hatten wir noch eine Plastik-Box mit Frikadellen dabei, extra noch von Mama am Vorabend für die Fahrt gebraten.

Wir stiegen in den Zug und ließen uns gleich im ersten Wagen nieder, aber dort blieben wir nicht lange. Man ist ja von Sonderzug- und WET-Fahrten her einiges gewohnt, aber auf der anderen Seite des Ganges saß eine Gruppe älterer und schon ziemlich alkoholisierter Herren, deren Aussehen darauf schließen ließ, dass sie sich erstens nur von Hochprozentigem ernährten und dass sie sich zweitens kurz vor dem Fall der Mauer zuletzt gewaschen haben mussten. Als dann auch gleich die ersten blöden Bagger-Sprüche in unsere Richtung gegrölt wurden, zogen wir es vor, uns einen anderen Platz zu suchen. Warum die Fahrt in solcher Gesellschaft verbringen, wenn es auch noch andere Möglichkeiten gab?

Die Bahn hatte – was sie heute bestimmt nicht mehr tun würde – einen relativ neuen Zug bereitgestellt, darunter auch einen Wagen mit mehreren Erste-Klasse-Abteilen. Wir zögerten zunächst, uns dort hinein zu setzen, aber wer sollte etwas dagegen haben? Erste-Klasse-Tickets für Fanzüge gab es ja wohl kaum. Also nahmen die drei Friedas im Erste-Klasse-Abteil Platz und machten es sich gemütlich.

Die ersten Getränke wurden geöffnet, während draußen vorm Fenster die Wetterau in der Sonne vorbeizog. In Gießen folgte dann der erste Zwischenstopp und Jule stieg zu, gemeinsam mit einer großen Menge weiterer Eintracht-Fans. Wir unterhielten uns mit den wirklich netten mitreisenden Herren vom BGS, die den Kontakt zu den Fans suchten und uns fragten, wie unsere Tipps für das Ergebnis lauteten. Ein Schaffner kam auch vorbei und starrte fassungslos in unser Abteil… „Nur Mädels, und dann auch noch Eintracht-Fans!“ meinte er kopfschüttelnd als er unser Ticket kontrollierte. Da er optisch eigentlich ganz ansprechend war, wurde ihm die Äußerung jedoch schnell verziehen und er wurde zudem wenig später noch unauffällig auf einem leicht verwackelten Foto verewigt.

Als ich mich etwas später auf die Toilette begab, musste ich durch ein Abteil, dessen Insassen die Wände mit diversen aus der „BamS“ herausgerissenen Fotos dekoriert hatten. Während die blutüberströmten Opfer eines Bombenanschlags an der Glastür zwischen zwei Abteilen nicht unbedingt hätten sein müssen, entlockte mir ein Bild des Mainzer Trainers Jürgen Klopp auf der Innenseite des Klodeckels dann aber doch ein Lächeln.

Die Stimmung im Zug war gut. Irgendwann kam draußen auf dem Gang eine kleine Polonaise vorüber gezogen. Unterwegs sammelte unser Zug ungefähr eine Stunde Verspätung ein und irgendwann kam er durch Köln, und das in ziemlich gemächlicher „Geschwindigkeit“. Aus allen Fenstern des Zuges wurde plötzlich gepöbelt und gepfiffen gegen den bereits aufgestiegenen FC und auf den Straßen neben den Bahngleisen standen erschrockene Passanten, die uns fassungslos anstarrten. Es muss für sie auch eine groteske Szenerie gewesen sein… Familien mit Kindern und Hund im Park auf Sonntagsspaziergang – und plötzlich kommt ein Zug voller „Irrer“ vorbeigefahren, aus dessen Fenstern wüste Beschimpfungen schallen…

Wir erreichten Oberhausen gegen 14 Uhr, eine Stunde vor Spielbeginn. Bevor wir jedoch zum Stadion fahren konnten, hatten die Damen und Herren in Grün mal wieder einen Glanzauftritt. Wir hatten einiges an Essen und Getränken übrig, das wir gerne am Bahnhof deponieren wollten. Auf meine höfliche Frage an einen Polizisten, wo denn die Schließfächer seien, kam die Antwort: „Die sind alle voll. Und du gehst jetzt weiter!“, begleitet von einem Schubser gegen meine Schultern. Ach ja, es ist doch immer wieder nett!

Draußen vor dem Bahnhof wurden wir aufgehalten, es ging nicht vor und nicht zurück. Die Benutzung der Toiletten im Bahnhof wurde uns untersagt, ebenso wie das Aufsuchen der Büsche rund um den Bahnhof. Ein entnervter Fan, dessen Harndrang sehr groß gewesen sein muss, erkundigte sich bei einigen Polizisten, wie hoch die Strafe für das Urinieren gegen ein Polizeiauto sei, drückte den Beamten Geld in die Hand und erleichterte sich an ihrem Dienstfahrzeug.

Der Spielbeginn rückte näher und langsam machte sich Unmut breit. Von hinten wurde gedrängelt und geschoben, wodurch die Fans in der ersten Reihe gegen die Polizeikette geschubst wurden. Und die „Grünen“ reagierten prompt mit Stockschlägen auf deren Köpfe. Mit dieser großen Masse Fans war die Oberhausener Polizei offensichtlich hoffnungslos überfordert.

Irgendwann fuhren Busse vor, die uns zum Stadion bringen sollten. Wir quetschten uns hinein, wohl oder übel mit Sack und Pack und Proviant… Damit das restliche Bier nicht komplett in den Mülleimern am Stadion landete, öffnete ich mir trotzig eine Dose und leerte sie innerhalb kürzester Zeit.

Auf der Brücke über den Rhein-Herne-Kanal hielten die Busse und setzen uns ab. Am Kanal entlang gingen wir in Richtung Stadion, teilweise immer noch auf die Polizei schimpfend. An der Einlasskontrolle gab es dafür eine nette Überraschung, wir konnten nämlich unsere Rucksäcke bei den Ordnern abgeben und hatten somit auch das Problem mit der Proviantaufbewahrung gelöst. Es waren mittlerweile nur noch zehn Minuten bis zum Spielbeginn und als wir das Stadion betraten, sahen wir sie: Die 10.000 Frankfurter. Die ganze Kanalkurve war voller Menschen und auch auf den überdachten Tribünen waren zahlreiche Eintracht-Trikots und Schals zu erkennen. Ein tolles Bild!

Die Partie wurde angepfiffen und so mancher war auch per Radio mit einem Ohr in Mainz, wo die 05er gegen Lübeck spielten, und in Fürth, das gegen Burghausen antrat. Wir mussten nicht lange warten, bis wir jubeln konnten: In der 11. Minute erzielte Dino Toppmöller das 1:0 für die Eintracht und in der 19. Minute das 2:0. Da führte Fürth 1:0 und in Mainz waren zu diesem Zeitpunkt noch gar keine Tore gefallen.

Die Stimmung war großartig, im Moment lagen „wir“ ja vorne, um ein Tor besser als Fürth. Auch zur Halbzeitpause hatte die Eintracht Platz drei inne, Fürth führte noch immer 1:0 und hatte ein Torverhältnis von +22, Mainz lag 2:1 vorne (+19) und die Eintracht führte 2:0 bei +23 Toren. Es war mal wieder eine sehr knappe Geschichte…

Und uns allen wäre wohler gewesen, wenn die Eintracht noch weitere Tore erzielt hätte, aber Pawel Kryszalowicz schaffte es, die beste Chance des Spiels kläglich zu versemmeln… Unser „Lieblingsrentner“ Bernd formulierte es einige Tage später beim Besuch des Eintracht-Trainings folgendermaßen: „Als der Pawel des Tor net gemacht hat, is de Toppmöller fast aus de Hos’ gehüppt!“ Und 10.000 Fans mit ihm…

Martin Stein und einige andere Vorsänger versuchten, die Fanmasse irgendwie bei den Gesängen zu koordinieren, was gar nicht so einfach war angesichts der Verteilung auf die komplette Kurve und die Tribünen. So entwickelte sich irgendwann ein Wechselgesang zwischen den einzelnen Blöcken, die sich u.a. scherzhaft gegenseitig bepöbelten. Ich weiß nicht, ob es den „Eintracht Frankfurt“-Wechselgesang zwischen zwei Blöcken schon vorher gegeben hat, mir fiel er zum ersten Mal an diesem Tag in Oberhausen auf.

Neben „Maddin“ stand „Adi“ Adelmann auf dem Zaun und erheiterte die Zuschauer mal wieder mit einem Strip. Während Fürth nach einer 2:1-Führung den Ausgleich kassierte, fielen in Mainz die Tore, am Ende stand es 5:1… Und nach ihrem 2:0-Erfolg kamen die Eintracht-Spieler auch nicht sofort in die Kurve, sondern informierten sich am Fernseher erst einmal über die anderen Ergebnisse. Fürth war aus dem Rennen, zwischen der Eintracht und Mainz 05 würde es sich am letzten Spieltag entscheiden. Allerdings dachten wir zu diesem Zeitpunkt, dass die Mainzer in der Tabelle aufgrund ihres klaren Sieges vor der Eintracht stehen müssten. Die Kurve feierte ihre Mannschaft und die Spieler liefen am Zaun entlang und klatschten die durch den Zaun gestreckten Hände der Fans ab.

Wir holten unser Gepäck und begaben uns zurück zum Bus. Vor dem Bahnhof war diesmal keine Polizei, aber drinnen. Einige Fans zogen einfach Trikot und Schal aus und durften dann, als vermeintliche „normale“ Reisende (Ist es nicht toll, dass wir „unnormal“ sind?) die Polizeikette passieren, um Essen und Getränke im Bahnhof zu kaufen. Wir gingen auf unser Gleis und stiegen in den wenig später einfahrenden Zug Richtung Frankfurt.

Drinnen sahen wir, dass er während des Spiels nicht geputzt worden war… Es standen große gefüllte Müllsäcke herum, der Boden klebte und in einigen Abteilen roch es nicht gerade appetitlich. Wir gingen durch den Zug, in der Hoffnung, eine nicht ganz so versiffte Ecke zu finden. „Falls ich plötzlich weg bin, bin ich irgendwo kleben geblieben,“ meinte Sonja…

Wir hatten schon fast den ganzen Zug durchquert, als wir es fanden: Unser Erste-Klasse-Abteil von der Rückfahrt, so sauber, wie wir es hinterlassen hatten. Wir machten es uns gemütlich und packten erstmal Essen und Getränke aus. Irgendwann öffnete ein Mitreisender unsere Abteiltür und fragte, ob wir vielleicht Gummibärchen o.ä. hätten. Hatten wir. Dann erblickte er die Tupper-Box und fragte, ob das da drinnen Kuchen sei. Auf meine Antwort: „Nee, Frikadellen,“ stellte er nur beeindruckt fest: „Mit Euch kann man ja richtig gut auswärts fahren, ihr habt ja alles dabei!“

Um 18 Uhr verließ unser Zug Oberhausen und in unserem Abteil kamen weitere Besucher mit unterschiedlichen Anliegen vorbei. Das ging von „Maddin“ Stein, der uns einfach nur einen „Guten Appetit“ wünschte bis zu vier Jungs, die unsere Tür begleitet von folgendem Kommentar aufrissen: „Ey, nur Weiber hier! Jungs, welche gefällt euch denn am besten?“ (Herr, lass’ Hirn regnen…) Na ja, dies hatte zur Folge, dass wir alle vorbeikommenden Herren mit Noten von eins bis sechs bewerteten.

Das absolute Highlight in Sachen „Besucher“ war aber ein reichlich angeheiterter Ultra, der mit einem Becher, der eine undefinierbare Flüssigkeit enthielt, vor uns stand und uns bat, dass wir doch jede einen Schluck von unseren Getränken hineinkippen sollten. Auf meine Frage, was denn da alles drin sei, erwiderte er: „Cola, Fanta, Äppler, Red Bull, Wodka, Bier, Rotwein, keine Ahnung, was noch.“ Und er trank das Zeug auch tatsächlich! A propos Getränke, im Zug waren sämtliche Toiletten kaputt, so dass wir uns mit dem Trinken lieber zurückhielten. Ich glaube, ich hatte nur zwei Biere auf der Rückfahrt.

Gegen halb acht stellten wir, als wir das Spiel noch einmal Revue passieren (oder „Paroli laufen“ wie Horst Hrubesch sagen würde) ließen, stellten wir fest, dass wir uns beim Torverhältnis verrechnet hatten und doch Dritter waren – vor den Mainzern. Das führte zu spontanem Jubel und wilden Umarmungen in unserem Abteil.

Die restliche Rückfahrt verlief entspannt und stellenweise auch sehr lustig. In Gießen stieg Jule dann aus und wir anderen fuhren glücklich nach Frankfurt. Da wussten wir noch nichts von dem Herzschlagfinale, das uns eine Woche später erwartete. Aber es war klar, dass die 10.000 Frankfurter in Oberhausen einen wichtigen Schritt in Richtung Aufstieg miterlebt hatten.

Kine_EFC_Frieda ist Christine Moje aus Bad Soden und Eintracht-Fan seit 1999.

 

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