31.05.2006

Bericht aus der Diaspora

Vorab ein paar Bemerkungen, um das Ganze besser zu verstehen. Ich lebe in Belgien, in der Diaspora. Ostbelgien gehört zur Region Wallonie, also französischsprachig. Es gibt aber eine deutschsprachige Gemeinschaft, (fast) autonom mit eigener Regierung, Parlament etc. Deutsch ist, was in Europa weithin unbekannt ist, in Belgien dritte Amtssprache. Trotzdem kann man nicht behaupten, dass wir Deutschen hier die Beliebtesten sind.

Anders sieht es fußballtechnisch aus. Da es hier nur einen Zweitligaverein gibt (die AS Eupen bei der letztes Jahr ein gewisser Herr Salou spielte), die Einheimischen aber mit den belgischen Traditionsvereinen wenig anfangen können, gibt es hier Fanclubs deutscher BL-Vereine der Region. Jeder vierte hat das Emblem der Alemannia aus Aachen auf dem Auto. Es gibt einen gut organisierten Schlacke 0:6 Club, seit neuestem einen HIV-Fan-Club und jede Menge Fans der Ziegenschänder, Schalke, weil da etliche Belgier gespielt haben, der Clubgründer ist ein Kumpel von Marc Wilmots, HIV wegen van Buyten - und Köln? Nun, als es noch kein Steuerabkommen mit Deutschland gab, wohnten die Kölner Spieler alle hier in der Umgebung. Dazu kommt die Nähe zu Köln und die Ähnlichkeit in Sprache und Gesinnung.

Jetzt ist es so, dass hier eine Menge Deutsche leben und arbeiten; einer hat eine Kneipe, eine Adresse in Deutschland, eine Satellitenschüssel und einen Premiere Decoder. Was liegt also näher, als am Samstag seinen Gästen mit Beamer und Großbild die Bundesliga zu präsentieren?

Es war der 4. Februar 2005 und der Wirt lud alle FC-Fans zur Übertragung der Zweitligabegegnung zwischen dem Tabellenführer FC und der Eintracht aus Frankfurt ein. Da ich lange kein Eintrachtspiel mehr sehen konnte, ging ich hin. Um nicht aufzufallen in Zivil, und das war auch gut so. Eine halbe Stunde vor Spielbeginn war bereits eine Bombenstimmung in der Hütte. Alle sprachen davon wie die Eintracht platt gemacht wird. Es ging eigentlich nur um die Höhe des Sieges. Schüchtern und still setzte ich mich an die Theke. All die rot-weißen Trikots und die Sprüche hatten mich schon etwas verlegen gemacht. Siedend heiß fiel mir ein, dass mein Auto direkt vor der Tür stand, mit dem Wimpel im Seitenfenster.

Aber was soll’s – Anpfiff. Die ersten Minuten waren alles andere als verheißungsvoll und Pröll hatte alle Hände voll zu tun. Die Abwehr schlief und um mich herum tönte es: „Den haben wir nicht umsonst vom Hof gejagt, und es ist alles nur eine Frage der Zeit. In der Halbzeitpause wurde es zwar etwas ruhiger, aber alle waren fest davon überzeugt, dass es „der Ebbers“ schon macht. Dann kam die 59. Minute, Arie van Lent nahm Maß und - vorbei war’s mit der Kölner Herrlichkeit.

Ich war plötzlich sehr alleine in der Kneipe. Vielleicht hätte ich mir den Jubel verkneifen sollen... Nachdem die letzte Chance der Kölner in der 76. Minute vergeigt wurde, war die Stimmung sogar etwas gedrückt. Köln hatte die Tabellenführung verloren, ich zog es vor mich abzusetzen, und die Jungs in ihrer Trauer alleine zu lassen.

Wie die Geschichte endete, ist hinreichend bekannt. Köln ist aufgestiegen, wir auch. Aber ich habe die Saison dann lieber hier im Live-Ticker verfolgt.

Autor EdiG wohnt im belgischen Kettenis und hat sich der Eintracht bereits seit 1960 verschrieben.


 

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