30.03.2007

Die Goldenen 70er, ein Loch in den 80ern, 7 Jahre Fluch in den 90ern

Gekickt habe ich als kleiner Bub, schon seit ich denken kann, in der Schule dann fast jede Pause und nachmittags im Park. Von der Bundesliga habe ich anfangs noch nichts mitbekommen. 1974 trennten sich meine Eltern; ich blieb bei meiner Mutter und mit meinem Stiefvater kam dann auch der "große" Bundesligafußball in mein Leben. Er fragte mich im Frühjahr 1975, ob ich Lust hätte einmal ins Stadion zu gehen, was ich natürlich bejahte. In der Schule hatte ich schon aufgeschnappt, dass es eine Eintracht aus Frankfurt gibt und da wollte ich auch hin.

Am 7. Juni war es soweit: Wir fuhren mit der Straßenbahn ins Waldstadion. Eintracht gegen Schalke, Gegentribüne ungedeckt. Ich wunderte mich erst mal, dass die Spieler so jung waren, bis mein Stiefvater mich aufklärte, dass wir gerade zwei Jugendmannschaften im Vorspiel sahen. Dann kamen die Spieler zum Aufwärmen und irgendwann ging es dann endlich los. Als das 1:0 für Schalke durch Klaus Fischer fiel, war ich abgelenkt und verpasste das Tor - ich glaubte tatsächlich, dass die Spieler das Tor noch mal langsam für die Zeitlupe nachspielen...

Halbzeit 0:1, meine Stadionpremiere hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt, aber mein Stiefpapa beruhigte mich und sagte mir, dass die Eintracht noch kommt. So war es dann auch: In der 54. Minute machte Beverungen das 1:1 und in der 69. Grabi den 2:1-Endstand. An die Tore kann ich mich zwar nicht mehr erinnern, aber an das Gefühl, nach einem Rückstand zurück ins Spiel zu kommen. Also war mein erster Stadionbesuch ein Erfolg. Ich war auch beeindruckt von der Atmosphäre, obwohl nur 18.000 Zuschauer da waren. Klar, dass ich bald wieder ins Stadion wollte. Aber erst mal sah ich am Fernseher, wie meine neue Liebe durch Charly Körbels Tor zum zweiten Mal Pokalsieger wurde.

Vor meinem zweiten Stadionbesuch ging es dann mit Mama in die Bethmannstrasse zu Bernd Nickels Eintracht-Shop, wo ich mir ein Dreiklanghorn, einen Eintracht-Adler-Aufnäher und zweimal die Nummer 1 zum Aufnähen aussuchen durfte. Der Bernd musste grinsen, als ich sagte, dass ich die Nummer 11 haben will, denn das war in der Zeit seine Rückennummer. Aufnäher und Nummer auf ein weißes T-Shirt genäht, nun hatte auch ich ein Trikot. Im Wald wurde ein Stock gefunden, Mama färbte ein Stück Bettlaken schwarz, nähte es mit einem weißen Stück zusammen und fertig war meine Eintracht-Fahne. Das war Merchandise im Sommer '75.

Im September ging’s dann wieder ins Stadion, da waren dann sogar noch die Eltern von meinem Stiefvater dabei - die Oma ist mittlerweile 80 und ich nehme sie noch manchmal mit. Diesmal Gegentribüne gedeckt, gegen Gladbach, 45.000 Zuschauer, Endstand 1:1 und die Erfahrung, dass man nicht immer gewinnt.
Unentschieden, 2:2 ging auch mein nächstes Spiel aus, gegen den 1.FC Köln mit einem ganz jungen Toni Schumacher im Tor. Das war im Mai 76.

Anfang September hatte die Eintracht ein Abendspiel gegen Schalke. Ich war an dem Tag bei einem Freund und wir hatten beide Lust, zur Eintracht zu gehen. Meine Eltern hätten mir das nie erlaubt, ich war noch nie ohne sie dort gewesen, und abends erst recht nicht. Aber irgendwie schafften wir es, die Mutter meines Freundes zu überreden (ich hatte 4 Tage vorher Geburtstag gehabt und habe es als Wunsch geäußert), uns das Geld für die Karten zu geben und uns fahren zu lassen. Dank ihr kam ich zu meinem ersten richtigen Eintracht-Highlight.

Gerade 9 Jahre alt geworden, das erste mal ohne Erwachsene, das erste mal Stehplatz - ich glaube, es war Block K - Flutlicht, ganz schön aufregend das Ganze: Das Herz pochte mir schon bei Anpfiff. Und unsere Diva hatte sich für mich eine schöne Dramaturgie zurechtgelegt. Die Schönspieler vom Main verbummelten die erste Halbzeit und Schalke führte durch Tore von Abramczik und H. Kremers 2:0. Obwohl von meinem ersten Stadionbesuch Halbzeitrückstände gegen Schalke gewohnt, war ich skeptisch. Doch dann brannten unsere Helden der 70er Jahre ein Feuerwerk ab. Kraus, Nickel, 2 x Grabi und 2 x Holz waren die Schützen zum 6:3, Lütkebohmert hatte zwischenzeitlich auf 4:3 verkürzt. Und da hatte sie mich an der Angel, unsere Eintracht. Euphorie, Freudentaumel und Glückseligkeit bei mir und meinem Kumpel. Das erste Mal in meinem Leben diesen wunderbaren Hormoncocktail körpereigener Endorphine.

Das nächste Spiel, welches mir nachhaltig in Erinnerung ist, war 1979 gegen den HSV. Nach Rückstand hatte Pezzey den 1:1 Halbzeitstand erzielt. In der 69. Minute wurde ein junger Spieler mit dem Namen Harald Karger eingewechselt. Er erzielte zwei Tore zum 3:2 Sieg - ob beide per Kopf, weiß ich nicht mehr. Und schon wieder hatte die Eintracht ein Spiel gedreht! Ich glaube, das ist es, was nicht nur mich zum Eintracht-Verrückten gemacht hat. Dieses auf und ab und wieder auf, diese Achterbahn der Gefühle. In dieser Saison kristallisierte sich das öfters heraus. Der Sitzkopfball gegen Bukarest (leider ohne mich), und das 5:1 im Halbfinale gegen die Bayern (mit Stiefpapa und seinem Opa vor'm Fernseher).

War schon eine große Eintracht Zeit, die ich da noch miterleben durfte. Das UEFA-Cup Endspiel habe ich im Waldstadion erlebt, und in der darauffolgenden Saison wurde ich zum Kuttenfan und ging regelmäßiger ins Stadion. So auch das erste Mal "auswärts", nämlich nach Stuttgart zum Pokalendspiel '81. Da könnte ich heut noch von schwärmen...

Wir gewannen 1982 gegen Fortuna Düsseldorf 4:0 und ich bekam hinterher im Zug zum Hbf. erstmals etwas Haue ("Zieh´ dein Trikot aus!"), daran lag es aber bestimmt nicht, dass ich dann seltener ins Stadion ging. Ich hatte auf einmal andere Interessen, machte Musik, traf mich mit Mädels und hatte auch weniger mit den Leuten zu tun, mit denen ich bis dahin immer ins Stadion ging. Eintracht war meistens nur noch am Radio, ab und zu Sportschau und montags in der Rundschau. Ich war ´88 gegen Bremen draußen, als Werder durch ein 1:0 Meister wurde - dem Kutzop habe ich es schon gegönnt, auch wenn er vom OFX kam...

Das Pokalendspiel haben wir im TV gesehen, aber ganz zünftig im Schrebergarten. Ich hatte damals einen Schwarz-Weiß-Fernseher, den man an eine Autobatterie anschließen konnte. Leider war der TV schon etwas schwach und hatte kaum Kontrast. So mussten wir bei strahlendem Sonnenschein alle Fensterläden der Gartenhütte verrammeln und in der finsteren Bude Lajos Detaris Treffer bejubeln, während unsere weniger fußballbegeisterten Freunde draußen den Grill leer aßen. Anschließend ging es im Auto mit meiner Fahne - ja, die selbstgenähte, ich habe sie heute noch - hupend durch Frankfurt.

Im Sommer '89 wurden der Eintracht für die erste Pokalrunde die Bayern zugelost. Da war für mich klar: Da muss ich hin! Also, Karten gekauft und mit meinem Kumpel - der aus der Gartenhütte, wir waren noch nie zusammen im Stadion gewesen - hin. Das Ergebnis ist bekannt, Augenthaler schoss das Tor des Jahres, aber der Virus hatte mich wieder.

Ein paar Wochen später Ligaspiel gegen die Bayern, wieder verloren. Schiri war ein junger Zahnarzt aus Kartoffelland mit hoher Stimme (ach nöö, nicht der...), über den wir uns tierisch aufregten, weil er die Abseitsregel zu unseren Ungunsten auslegte. Kurz darauf gegen Uerdingen, 0:1 zurückgelegen, auf der Anzeigetafel gesehen, dass Bayern auch zurückliegt, dann 87. Weber, 89. Sippel, 2:1 gewonnen, Tabellenführer und schon wieder ein Spiel gedreht!

Seit dieser Zeit bin ich eigentlich fast immer im Stadion, es sei denn, ich bin im Urlaub oder etwas Wichtiges kommt dazwischen. In dieser Saison war ich auch auf meinen ersten richtigen Auswärtsspielen (das Pokalfinale 1981 war ja auf neutralem Platz), nämlich in Mannheim und München (ja, „Leo“ lässt grüßen).

Seit 1991/92 habe ich eine Dauerkarte und an dem letzten Spieltag der Saison - ich war „dort“ - ist in mir auch etwas zerbrochen, dieses Trauma war wie ein Fluch für mich, der 7 Jahre dauern sollte. So etwas härtet ab und man lässt die Dinge nicht mehr so nah an sich heran. Ich hatte mir daraufhin einen emotionalen "Schutzpanzer" zugelegt, allerdings mit der Folge, dass meine Begeisterung nicht mehr so unbekümmert war. Ich hatte als Fußballfan alles erlebt, alle Siege, alle Niederlagen. Ich hatte jetzt den distanzierten Blick eines alten Hasen, der nicht mehr aus der Reserve zu locken ist. Klar, ich freute mich, wenn meine Eintracht gewann, und ärgerte mich, wenn sie verlor, und der Abstieg '96 war das Allerschlimmste, aber das war alles wie in einem Nebel, ich nahm das nicht so wirklich wahr...

Und jetzt schlage ich den Bogen zu heute, denn wenn am Samstag im Borussia-Park unsere Eintracht auflaufen wird, dann ist ein Spieler dabei, der auch in der Eintracht-Mannschaft war, die mich von diesem Fluch befreite: Oka Nikolov. Das 5:1 gegen Lautern wird wohl sehr schwer zu toppen sein, denn dieses Spiel hat mir den Glauben an meine Leidenschaft im Fußball zurück gegeben, deswegen rangiert es für mich vor dem 6:3.

Durch den Stadionneubau hat sich einiges verändert, viele Leute, die früher neben einem im Block standen, sieht man nicht mehr, dafür aber andere. Seit zwei Jahren bin ich in einem Fanclub (mein Kumpel aus der Gartenhütte auch), den ich dadurch kennen gelernt habe, dass sie sich den gleichen Platz ausgesucht haben wie ich. Jetzt fahre ich noch häufiger zu Auswärtsspielen. Ich bin mal gespannt, wie die Reise weitergeht, aber eines weiß ich: Mit der Eintracht wird es nie langweilig.


Der Autor „DrHammer11“ ist Tobias aus Frankfurt und Eintrachtfan seit 1975.

 

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