25.03.2007

Der 25.8.1973 oder wie klein concordia zum eagle mutierte

Ihr müsst wissen, ich hatte eine sehr schwere Kindheit, da in meinem Elternhaus das Interesse für Fußball knapp unter 0 % lag. Na ja, bei meinem Papa vielleicht bei 0,25 %. Einen Fernseher hatten auch nur meine Großeltern, die einen Stock über uns wohnten, also gab es auch keine Sportschau.

Fußball fand für mich als kleiner Steppke höchstens ab und an auf der Wiese gegenüber statt, aber auch dort wurde wegen der Mädchen meist „Webbeln oder Scheiteln“ - die Älteren werden sich vielleicht erinnern - gespielt. Und wenn dann mal Fußball gespielt wurde, dann gehörte man bis zum Alter von ca. 6 zum „Gewerzel“, nicht einmal wert gewählt zu werden. In der Grundschule unterrichtete die gute Frau Pigrun im Fach Turnen - das hieß damals so - auch tatsächlich Turnen. Fußball? No way.

Als ich dann 7 oder 8 war, gehörte ich nicht mehr zum „Gewerzel“, das waren jetzt die „Kleinen“. Man wurde nun schon in eine Mannschaft gewählt und so langsam begann Fußball Spaß zu machen. Ungefähr ab 1968 nahm mich dann der Vater eines Klassenkameraden so 2-3 mal pro Jahr mit ins Stadion.

Ich begann nun zu ahnen, dass vielleicht auch der Verein meiner Heimatstadt ganz interessant sein könnte. Sympathie, so ich sie denn überhaupt für professionellen Fußball empfand, hatte ich aber nur zu den Bayern. Na ja, es gab halt keine Prägung. Besagter Vater eines Klassenkameraden gehörte nämlich ganz eindeutig zu der Spezies Mensch, die von Heinz so liebevoll als Lederhut kategorisiert wurde. Wenn er also die Spieler so schlecht fand, warum sollte der Verein besser sein?

Nun gut, immer noch hatte klein concordia wenig mit professionellem Fußball am Hut - Fußball an sich mittlerweile gerne, aber nur wenn selbst gekickt wurde. Die erste einschneidende Änderung an diesen unerfreulichen Zustand war die WM 1970 in Mexiko. Sogar mein Papa schaute mit mir gemeinsam (beim Opa) die Spiele und ich war fasziniert, hin und weg, Fußball konnte ja richtig geil sein. Der Virus wurde übertragen, schlummerte aber noch recht still und leise vor sich hin.

1971 kam ich aufs Gymnasium und verlor damit meinen „Stadionvater“. Nach rund einem Jahr, also Mitte 1972, nahm mich dann mehrmals mein Onkel mit. Zwischenzeitlich hatte ich begonnen auf Stadionbesuche zu drängen, allein durfte ich aber nicht und Papa wollte nicht. Mit meinem Onkel war das schon eine ganz andere Sache, er unterstützte (neudeutsch: supportete) die Eintracht zwar nicht, meckerte aber auch nicht, sondern erklärte mir Taktiken und erläuterte mir das Spiel. Jetzt bekam der Stadionbesuch Gesicht und begann Spaß zu machen. Fasziniert war ich allerdings mehr vom G-Block, weniger vom Verein.

Im Frühjahr 1973 veränderte sich mein Onkel beruflich und wieder war es vorbei mit den Stadionbesuchen. Ich war jetzt aber doch schon ganz schön angespitzt und habe begonnen, meinen Vater planmäßig zu bearbeiten. Nach den Schulferien war die Bastion reifgeschossen und weil mein Papa zwar ein weitestgehend am Fußball uninteressierter, aber gleichwohl lieber Papa ist, fiel seine Wahl auf den 25.8.1973 - Eintracht Frankfurt : VFB Stuttgart. Wie immer auf der Gegentribüne, umgeben von Lederhüten und einem sehr schweigsamen Papa. Ich habe den Spielverlauf, die Tore etc. absichtlich nicht nachgeschaut, sondern schildere es so, wie es der 12 jährige Steppke erlebte.

In der ersten Halbzeit war die Eintracht optisch überlegen, der VFB versuchte zu kontern - weder der einen noch der andern Mannschaft gelang sonderlich viel. Halbzeit, Pfiffe, Bluna für klein concordia. Die 2. Hälfte begann. Ich meine, wir saßen noch nicht richtig - ich glaube, wir kamen etwas zu spät - Tor für Stuttgart, 0:1 und die Lederhüte fluchten. So um die 55. Minute - wie gesagt, die Zeit ist gefühlt - Tor Stuttgart, 0:2, das Gemecker der Lederhüte nahm gewaltige Ausmaße an.

Ich meine, beim Stand von 0:2 ging Uwe Kliemann in ein Kopfballduell und brach sich das Nasenbein. Während das Blut wie ein Wasserfall aus der Nase schoss und Uwe, mein Held am Spielfeldrand behandelt wurde, machte Stuttgart das 0:3. Die Lederhüte hörten schlagartig auf zu meckern und saßen ebenso fassungslos wie still da. Uwe, immer noch leicht blutend, kam wieder auf das Spielfeld zurück, egal, keine Hand regte sich. Übrigens, auch der heute gerne so verklärte G-Block war ruhig, da kam absolut nichts mehr, außer Pfiffen.

Ich war den Tränen nah, die Eintracht fand ich doch mittlerweile ganz gut und so im eigenen Stadion gedemütigt zu werden, nein, das war einfach nicht fair. Mein Papa versuchte mich zu trösten und während so eine fast schon gespenstische Ruhe herrschte, schoss die Eintracht, es wird wohl so um die 70. gewesen sein, doch tatsächlich das 1:3. (Holz?, ich weiß die Torschützen nicht mehr aus dem Kopf.) Wie aufgezogen fingen die Lederhüte wieder grußlos an zu meckern. (Merke, wenn sie meckern, ist es noch nicht so schlimm, dann geht noch was). Stuttgart danach aufreizend lässig, die Eintracht plötzlich wieder mit Leben, aber ohne die ganz große Überzeugung.

Es muss wohl um die 80. gewesen sein - mehr oder weniger aus dem Nichts fällt das 2:3! Was war denn jetzt los? Die Gegentribüne stand geschlossen auf, nix mehr Lederhut, das Stadion kochte, „Eintracht, Eintracht“ hallt es durch das ganze Stadion. Die Jungs plötzlich wie entfesselt! Ecke, Uwe immer noch blutend, stürmte nach vorne, die Ecke kam, Uwe schraubte sich hoch, köpfte und.. und.. verdammt, Latte (ca.85.)!

Macht nix, weiter ging´s. Die Jungs müssen sich gesagt haben: Wenn der Uwe mit Nasenbeinbruch an die Latte köpfen kann, können, nein, müssen wir noch einen drauflegen. Und sie stürmten weiter, Stuttgart kam kaum noch aus dem eigenen Strafraum und dann.. (ca. 88.) Jaaaaaaaaa! 3:3! Das gibt’s doch nicht! Alles schreit, jubelt, fällt sich um den Hals, tatsächlich auch mein Papa (unglaublich, wenn man ihn kennt), hüpft, springt, schreit, feuert an. Das Stadion steht Kopf. Aber damit nicht genug, wenn diese Eintracht mal ins Rollen kommt, muss der Gegner, der das übersteht erst noch geboren werden. Und richtig, kurz vor Schluss fiel geradezu zwangsläufig das 4:3 und Fertig, Abpfiff, Aus.

Was danach los war, spottet jeder Beschreibung; es war ein Hammer! Der Virus war ausgebrochen, hart, heftig, unbarmherzig und durch nichts und niemanden zu besiegen. Ich habe verloren, der Virus wird mich mein Leben lang begleiten.

Wie ging es weiter? Mein Papa ging nie wieder ins Stadion. (Ich glaube, er schämte sich, als er ohne Stimme, verschwitzt, stinkend und völlig derangiert wieder zu Hause ankam.) Klein concordia kaufte sich ab der Saison 74/75 eine Dauerkarte für den G-Block und die Liebesbeziehung geriet nur noch kurz in Gefahr, als klein concordia meinte, am 25.1.1975 nur im Eintrachttrikot (aber das sieht halt so cool aus) bei einem Grad und Nieselregen das Spiel gegen Bremen sehen zu müssen und sich eine Lungenentzündung einfing. Da war die Dauerkarte ernstlich in Gefahr von Muttern eingezogen zu werden. Weil ich aber auch eine liebe Mama habe, konnte ich diese Krise meistern.

Ich glaube, es war der Lattenkopfball von meinem Held Uwe, der den Virus unheilbar hat werden lassen und der jede Gegenwehr bei klein concordia auslöschte.

Gruß
concordia-eagle


Der Autor „concordia-eagle“, Uli aus Frankfurt, ist seit 1973 Eintrachtfan.


 

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