04.10.2003

 

Als Herr Hoffmann und Herr Rosicky Geburtstag hatten

Der Blick aus dem Fenster zeigte Sonnenschein. Selten genug an einem vierten Oktober – schließlich befinden wir uns definitiv im Herbst und im Herbst regnet es. Die Blätter an den Bäumen färben sich gold-rot, die Äpfel wandeln sich zu Süßem, später zu Apfelwein und die Gedanken werden manchmal melancholisch, denn „ ... wer jetzt kein Haus hat, der baut sich keines mehr.“ (Rilke)

An einem anderen Haus wird sehr wohl gebaut, nämlich am „größten Cabrio der Welt “. Und das hat Folgen. Zum Einen wird alles schöner, höher, größer; zum Anderen sind liebgewonnene Gewohnheiten auf den Müllhaufen der Geschichte gewandert, insbesondere diese, sich mit Freunden irgendwo im Block zu treffen.
Wer heute zur Eintracht will, muss vorsorgen, muss Karten „organisieren“ – und sitzt, wenn er Pech hat, meilenweit von seinen Kumpels entfernt. Wenn man noch mehr Pech hat, sitzt man neben „Eintracht-Fans“ alten Schlages, doch dazu später mehr.

Der Autor des Artikels allerdings hat durch eine seltsame Fügung des Schicksals eine Dauerkarte, - zum ersten Mal seit seinem ersten Stadionbesuch Mitte der Siebziger. Und er hat sich diese Dauerkarte erarbeitet. Ich will genau sein: Ich hatte sogar zwei Dauerkarten: Ostkurve, Block 148. Leider ist mein Kumpel Andi dieses Jahr selten in Frankfurt, genau wie Michael oder Holger; die Jungs studieren oder arbeiten in der Republik – und sind die Leidtragenden der aktuellen Situation, denn wer wenig Geld hat, kauft sich keine Dauerkarte auf Verdacht, um am End’ drei, vier Heimspiele sehen zu können. Und wer kurzfristig erkennt, dass es die Zeit zuließe, der könnte sich zwar eine Karte kaufen - und sitzt dann einsam und vereinzelt im weiten Rund. Macht das Spaß? Nicht wirklich, oder?

So landete meine zweite Dauerkarte in den Händen meines ... Vaters. Das ist natürlich klasse, denn es bringt auch im zarten Alter von 39 Jahren noch Freude, mit seinem Daddy ins Stadion zu gehen. Schließlich beginnen die meisten Stories über „seinen Verein“ mit den Worten:

„Na ich muss so ungefähr zehn gewesen sein, als mich mein Papa zum ersten Mal mit ins Stadion genommen hat...“

Und jeder, wirklich jeder kann sich an seinen ersten Stadionbesuch erinnern. Und so ist die Geschichte des Fußballvereins, in meinem Falle der Eintracht, untrennbar verknüpft mit der eigenen Geschichte, mit einer „guten alten Zeit“, in der alles begann ... derweil Muttern zu Hause Kuchen backte, um die Helden zu stärken.

Ich glaube, dass dies mit ein Grund ist, weshalb die Bindung zum Lieblingsverein eine sehr emotionale ist – es ist die Erinnerung an die innigen Momente der Kindheit, in denen man mit seinem Daddy alleine war. Wie oft sind schon Kids mit ihrem Daddy alleine - und machen etwas, woran sie sich ein Leben erinnern? Eben.

Als wir uns um halbdrei an der Louisa trafen, schien die Sonne; der Weg ins Stadion und die Bratwurst schafften wir trockenen Fußes – und hey, ich hatte Geburtstag, da regnet es doch nicht und die Eintracht gewinnt. Auch als Billy Reina das Dortmunder einsnull erzielte, waren wir noch frohen Mutes, schließlich spielte die Eintracht mit zwei, na sagen wir: Stürmern – und wir hatten noch mindestens 78 Minuten Zeit. Außerdem hatte ich mir zum Geburtstag ein Tor gewünscht.

Es tröpfelte.

Nicht viel, aber der Blick hinters Stadion verhieß nichts Gutes. Ich kann mich noch gut an ein 2:2 gegen Waldhof erinnern; auch damals war Daddy dabei, ebenso mein Schwesterchen - und wir standen 90 Minuten im strömenden Regen, nass bis auf die Knochen – trotz Regenschirm. Aber: Unentschieden! Also ...

Es tröpfelte stärker.

Einer der unschätzbaren Vorteile wenn du mit deinem Dad ins Stadion gehst, ist der väterliche Rucksack. Fanden sich gegen Leverkusen (bei 35 Grad im Schatten) Plastikbecher und eine Pet-Flasche Wasser darin, - damals war dies noch erlaubt -, so packte Vater heuer zwei Regenponchos aus. Diese waren zwar nicht schwarz-rot, und wir sahen aus wie zwei Gartenzwerge auf Abwegen – aber wir blieben halbwegs trocken, während vor, neben und hinter uns kein Mensch mehr auf seinem Platz hockte.

Ein Bild für die Ewigkeit: Zwei Frankfurter Buben im strömenden Regen, einer davon permanent Sachen plärrend wie: „Auf geht’s“, „weiter“ und „Außen“, der andere abgeklärt und souverän.

Als der Regen in der zweiten Halbzeit nachließ, kamen die anderen alle wieder und wurschtelten sich umständlich auf die patschnassen blauen Sitzschalen. Und wenn dann von der feinen Gesellschaft einer den Mund aufmachte, dann kamen Sätze wie „Kreuz, der kann nix“ und „Wiedener muss raus“. Oder „Bindewald rennt rum wie Falschgeld“. Sonst nichts!

Klar spielen hier nicht mehr Grabowski oder (Hölzen)Bein – aber die Eintracht hat dieses Jahr nur eine Chance, wenn alle an einem Strang ziehen; wenn wir bis zum Schluss daran Glauben, die Klasse zu halten und unsere Jungs auch bei Fehlern unterstützen. Und wir werden uns daran gewöhnen müssen: Fehler sind Standard, alles was darüber hinaus geht, ist Anlass zu Jubel. Ich würde auch gern „Fußball 3000“ sehen, aber kann ich von einer Drehtür erwarten, dass sie ins Schloss fällt??? Nein, - aber solange sie sich dreht, kann ich damit leben, oder?

Höhepunkt der Vorstellung war der „Fan“, der jedes Mal wenn ich brüllte, mich von der Seite ansah, als hätte ich bei Don Giovanni gefurzt.

Ich meine, das Foul an Cha im Strafraum war selbstverständlich ein Elfmeter, zumindest aus meiner Wahrnehmung, und wer diesen nicht pfeift, der ist halt ein Arschloch. Und das muss gesagt werden. Doch dies blieb meine einzige Pöbelei, ansonsten beschränkte ich mich auf „bewegt euch“ und so was, aber der Kerl blickte mich bei wirklich jeder Äußerung schräg von der Seite an.

Wegen solchen Knalltüten, können meine Freunde nicht neben mir sitzen. Schlimm ...
Unten brachten Lexa und Jones frischen Wind. Jetzt geht was.

Noch zehn Minuten.
Noch fünf Minuten.
Noch drei Minuten.
Wann fällt endlich der Ausgleich? Ich habe mir doch ein Tor gewünscht, dass muss doch noch fallen.
Noch eine Minute: Kopfball Chris, ich springe auf, - scheiße, auf der Linie geklärt.
Och menno ...
Schlusspfiff.
Verloren.
Weiter geht’s.

Auf dem Treppenabgang sang ein Dortmunder „die Frankfurter sind scheiße“. Ich pfefferte ihm ein „Benimm dich“ entgegen – und er war tatsächlich ruhig.

Wie blöde kann man eigentlich sein? Ich meine, wenn statt meiner (aufgeklärt, humanistisch und nüchtern) ein anderer gelaufen wäre, der hätte der Biene Maja kurz und schmerzlos eine übergebraten. Wie in jedem anderen Stadion der Welt. Glück gehabt, Kollege.

Und so sind wir durch den Wald zurück zum Auto gelaufen, (Daddy schenkte mir noch ein „Werther’s Echtes“), haben die Ponchos gut verpackt - und abends meinen Geburtstag gefeiert. Denn da weder die Hertha, noch Gladbach, noch Lautern, (später noch Rostock) gewonnen hatte, sah doch alles halb so wild aus. Und das Tor, dass ich mir sooo gewünscht hatte, fällt. Da bin ich sicher. Und wenn nicht gegen die Löwen (Endstand 0:0), dann gegen Köln.

Übrigens hatte auch Tomas Rosicky Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch.

 

'Beverungen' ist Axel Hoffmann aus Frankfurt.


 

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