Kid Klappergass

Lamento und Euphorie. Saison 2011/12

Die Adler pfeifen es bereits von den Dächern: Hurra - der neue Band aus der Klappergass ist da! Der Eintrag, der jetzt hier kommt, hätte eigentlich bereits früher in dieser Woche hier stehen sollen, musste ihn leider aufgrund eines Unglücksfalls verschieben - „eigentlich“ bin ich also zu spät, aber für Dinge, die einem wichtig sind, ist es ja nie zu spät. Deswegen – here we go:

Seit gut einem Jahr bloggt er nicht mehr, der Kid, zumindest nicht mehr öffentlich und immer noch fehlt vielen von uns der morgendliche Blick in die Klappergass, der für mich auch immer so etwas wie ein Ruhepol im Jeden-Tag-eine-neu-Sau-durchs-Ort treibenden Netzgetriebe war. „Da könnte Kid jetzt gut ein bisschen die Luft rausnehmen.“ „Schade, dass Kid DAZU jetzt nichts schreibt.“ So etwas in die Richtung denke ich gar nicht so selten und freue mich um so mehr, dass Kid seit dieser Saison zumindest als Gastautor hier bei mir im Blog wieder ab und zu netzöffentlich schreibend auftaucht.

Und natürlich schreibt der Kid auch sonst weiter über die Eintracht. Im Eintracht-Archiv – wo er sein ganz persönliches Projekt – mindestens 10 komplette Saisonverläufe in Form von Spielberichten zu dokumentieren – nach wie vor langsam aber stetig vorantreibt. (Derzeit geht es um die Saison 1965/66 ) – aber selbstverständlich hat Kid auch das aktuelle Eintracht-Geschehen immer im Blick. Im Mai bereits ist der erste Klappergass-Band "Der lange Abschied" erschienen, in dem Kid die Saison 2010/11 Tag für Tag begleitet, auch in der tasmanischen Rückrunde (anders als die Akteure auf dem Platz) am Ball bleibt und fassungslos, aber unerbittlich den Weg der Eintracht in die zweite Liga dokumentiert. Zweite Liga? Da konnte, da durfte die Eintracht nicht bleiben – folgerichtig, dass Kid auch die Fortsetzung der Geschichte schreibt. „Lamento und Euphorie“ heißt der vor zwei Wochen erschienene Band, der sich mit der Atomaufstieg-jetzt-Saison 2011/12 beschäftigt , in der die Eintracht versucht, die Dinge wieder gerade zu rücken – und auch Kid sich Schritt für Schritt aus dem tiefen Loch der Enttäuschung, der Wut, der Apathie wieder ins Freie schreibt.

Zwischen „Lamento und Euphorie“ liegen in der Saison 2011/12 nicht einmal 12 Monate – und auch im Titelbild des Bandes sind diese beiden Eckpole eingefangen – vorne steht ein jubelnder Seppl Rode, im Hintergrund läuft Sebi Jung, den Kopf gesenkt, und es ist kaum zu glauben, dass das keine Fotomontage ist, sondern diese Szene tatsächlich zeitgleich in einem Spiel stattgefunden haben soll – hat sie aber – und zwar im Spiel gegen Energie Cottbus. Freude und Niedergeschlagenheit – warum auch immer und wie im richtigen (Eintracht-)Leben ganz dicht nebeneinander.

Wie „Der lange Abschied“ ist auch „Lamento und Euphorie“ keine rückschauende Betrachtung der Saison, sondern eine Tag-für-Tag-Dokumentation, die immer entlang am aktuellen Geschehen geschrieben ist. Bis November 2011 – also bis knapp zur Hälfte der Saison – waren die Tagebuch-Einträge noch öffentlich in der Klappergass nachzulesen – danach hat Kid sich zurückgezogen – der neue Band bietet also überwiegend neue Texte.

Die Lektüre des „Langen Abschieds“ war eine echte Herausforderung – die Schrunden der Tasmanenrückrunde noch frisch, die detaillierte Schilderung rührte an noch offenen Wunden. Da hat es „Lamento und Euphorie“ natürlich leichter. Es macht Spaß noch einmal in die Aufstiegssaison einzutauchen, zu blättern, hier und/oder da hängen zu bleiben, sich fest zu lesen und zu sehen, wie sich die Zuversicht allmählich gegen den Zweifel durchsetzt. Es ist im August 2011, beim 3:0 der Eintracht in Braunschweig, als Kid so etwas wie „das Ende der Entwöhnung“ in sich spürt – noch keine Geburtsstunde einer neuen Mannschaft (Wie auch? Es stehen ja ohnehin zu diesem Zeitpunkt nur noch vier Neue auf dem Platz, auch Oka Nikolov steht bereits wieder statt Thomas Kessler im Tor) - aber endlich spielt die Eintracht wieder Fußball, richtigen Fußball.

So viele Details und Diskussionen – eigentlich ganz frisch und doch schon fast wieder dabei, in Vergessenheit zu geraten. Wie war das noch gleich mit der kuriosen Vorgeschichte des Pokalerstrundenspiels, das keineswegs in Halle, aber vielleicht in Nürnberg, Berlin, Rostock, vielleicht ja auch in Prag oder Honolulu stattfinden könnte und am Ende eben doch in Halle? Hat die Eintracht nach dem Abstieg die richtigen Konsequenzen gezogen? Ist Bruno Hübner der richtige Sportdirektor? Könnte es sein, dass Armin Veh vielleicht doch den Wenns-schief-geht-ich-kann-nichts-dafür-Skibbe-Virus in sich trägt? Oder findet sich in den Gefühlsschwankungen des „Meistergrantlers“ ein Hauch von "Dr. Jekyll und Mr. Hyde"? Na ja, immerhin haben wir jetzt – durch die Verpflichtung von Mo Idrissou und Rob Friend – "tausend Optionen" mehr, auch wenn wir nicht euphorisch genug sind oder am Ende doch zu euphorisch. Ist Pirmin Schwegler vielleicht doch der feine Kerle für den man ihn früher gehalten hat? Huch, da läuft ja auch noch Theo Gekas durchs Bild – und Caio, der auf der Stürmerposition getestet wird. Meindeinunser Meier. Martin Fenins Geschichte rollt noch einmal vor uns ab: Der Wechsel, der Fall, das Unglück – und die Rückkehr ins Waldstadion beim Heimspiel gegen Cottbus, sein emotionaler Besuch auf der Waldtribüne.

Dass das Vergangene manchmal aktueller ist als das Aktuelle, kann man sehen, wenn man noch einmal nachliest wie das damals eigentlich genau war mit der Verpflichtung von Heiko Butscher in der Winterpause: Als die ersten Spekulationen aufkamen, hatte Bruno Hübner erst einmal „direkt abgewinkt“, war zwei Wochen später dann aber überzeugt, dass Butscher genau der Spieler ist, der „die Anforderungen an einen neuen Spieler komplett erfüllt“. Und auch Armin Veh war froh, dass „Heiko hier ist, denn ich glaube, dass er meine Erwartungen erfüllen kann.“ Er wurde „keinesfalls als Backup geholt, er soll unsere Abwehr verstärken, bestenfalls unter den ersten Elf.“ Na dann: „Der gute Geist ist zurück.“ Oder war er vielleicht nie weg? Es gibt eben wirklich nichts Neues unter der Sonne ,-)

Klappergass-Spielberichte sind immer mehr als ein kompetenter Blick aufs Spielgeschehen. Dem Mann, der zurecht von sich selbst sagt, dass er über ein „Elefantengedächtnis“ verfügt, entgeht kaum ein Detail oder ein Widerspruch. Der Kid ist „Perfektionist“ in einer Welt, in der es Perfektion nicht allzu häufig gibt (in der Major League Baseball in den USA gab es seit 1880 z.B. nur 20 „perfekte Spiele“, beinahe wären es 21, wenn Referee Jim Joyce beim Spiel der Houston Astros gegen die Cleveland Indians keine folgenschwere Fehlentscheidung getroffen hätte. Woher ich das weiß? Na, ratet mal). Betrachtungen über den Alltag, die Welt an sich, Jürgen Grabowski, Bücher, Filme und das Leben, das auch Trauriges bringt. Kid nimmt Abschied von „Don“ Petermann, einem Freund und Wegbegleiter. Der Winter ist kalt. Peter Feldmann wird neuer Oberbürgermeister von Frankfurt. Ludwig Hirsch begeht Selbstmord. Fraport macht den Abflug, Uwe Seeler Werbung für Edeka. Wer war nochmal gleich William Bell? Und warum lohnt es sich Kurt Krüger-Lorenzen zu lesen? Am Ende ist alles reine Nervensache, nichts bleibt wie es war, die Eintracht ist aufgestiegen und was macht Kid? Er legt „einfach noch mal Hannes Wader auf, anstatt im Radio zum x-ten Mal die Toten Hosen mit „Tage wie diese“ zu hören. So hat in diesem Sommer jeder seine Hymne und ich mal wieder meine eigene.“

Boah, das war jetzt ja wirklich fast in epischer Kid-Länge. Und dabei wollte ich doch eigentlich nur sagen: Wer noch nach einem passenden Adler-Weihnachtsgeschenk sucht – hier ist es! (Rechtzeitig bestellen, bei einem Book on Demand muss man ggf. immer mit einigen Tagen Lieferzeit rechnen!)

Das Buch ist ebenso schön aufbereitet wie der erste Band, es ist noch ein ganzes Stück dicker (daher leider auch noch ein bisschen teurer) – aber dafür gibt es auch viel mehr bunte Fotos, insgesamt 40, die meisten davon stammen auch dieses Mal wieder von Stefan Krieger. Auch wieder dabei ist das praktische Lesebändchen - ein Stichwortverzeichnis, das bei der Fülle an Namen und Details sicher sehr hilfreich wäre, gibt es auch dieses Mal nicht, aber da ich weiß, wie viel Zeit, Aufwand und Mühe Kid ohnehin bereits in das Lektorat seines Buches gesteckt hat, will ich darüber nicht lamentieren, sondern bin stattdessen einfach nur eins: Euphorisch.

Für alle die, wie Mr. Boccia mit der Zeit gehen und sich "so einen altmodischen Staubfänger" (vulgo: Buch) nicht mehr ins Regal stellen: Den Klappergassband gibt es dieses Mal auch als E-Book für 22,99 Euro, also deutlich günstiger als die gedruckte Version, dafür hat man natürlich auch weniger zum Anfassen. Was ihr wollt und wie es euch gefällt :) (Kerstin)

Kid Klappergass. Lamento und Euphorie. Saison 2011/12
588 Seiten. Books on Demand. Norderstedt. 2012. 44,95 Euro (als E-Book 22,99 Euro)


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