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Eintracht Frankfurt - Widzew Lodz |
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UEFA-Cup 1992/1993 - 1. Runde, Rückspiel
9:0 (6:0)
Termin: 30.09.1992
Zuschauer: 11.000
Schiedsrichter: Mottram (Schottland)
Tore: 1:0 Axel Kruse (8.), 2:0 Axel Kruse (14.), 3:0 Anthony Yeboah (20.), 4:0 Anthony Yeboah (22.), 5:0 Anthony Yeboah (36.), 6:0 Axel Kruse (36.), 7:0 Anthony Yeboah (68.), 8:0 Uwe Rahn (83.), 9:0 Uwe Bein (90.)
Eintracht Frankfurt | Widzew Lodz |
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Mit der Falle ins Abseits Widzew Lodz ist heute Abend zum Rückspiel in der 1. Runde des UEFA-Pokals im Waldstadion zu Gast und trifft auf eine Eintracht, die durch das 2:2 im Hinspiel eine gute Ausgangsposition hat. „Wir müssen eine Runde weiter kommen, alles andere wäre eine Riesen-Enttäuschung“, hat Uli Stein denn auch am Wochenende nach dem torlosen Unentschieden in Bremen gesagt. Eine Überraschung war dagegen selbst für den erfahrenen Stein das Bundesligadebüt, das Jay-Jay Okocha am Wochenende im Weserstadion hingelegt hat: „Er hat ein Superspiel gemacht.“ Das sehen die Verantwortlichen in der Chefetage der Eintracht nicht anders, obwohl der 19-Jährige drei exzellente Chancen nicht verwerten konnte. Heute Vormittag jedenfalls beschloss das Präsidium der Eintracht, die Beine Okochas mit 300.000 Mark zu versichern.
Sechs Minuten später ist die Partie dann fast schon entschieden, denn Cisek leistet sich einen schweren Fehler, nachdem er Studers flache Flanke von der linken Eckfahne abgefangen hat. Unbedrängt gerät ihm der Schlag aus dem Strafraum viel zu kurz und direkt in die Beine Webers, der den Ball vom linken Strafraumeck hoch vors Tor zirkelt. Dort ist Kruse schneller als sein Gegenspieler und köpft die Kugel im Flug an den linken Innenpfosten, von dem sie ins Tor springt: 2:0. Wenig später beschwert sich Keeper Wojdyga mit Recht schon wieder bei seinen Vorderleuten, die ihn bereits nach einer Viertelstunde zusehends im Stich lassen. Trotz Überzahl der Gäste ist es Okocha gelungen, auf der rechten Seite in Höhe der Mittellinie einen allzu schlampig gespielten Pass abzufangen und erneut Kruse steil zu schicken. Wojdyga kann den dritten Treffer gerade noch verhindern, in dem er weit aus dem Kasten eilt und knapp vor dem Frankfurter Stürmer die Kugel am rechten Strafraumeck ins Aus grätschen kann. Schimpfend und gestikulierend kehrt der Schlussmann in seinen Kasten zurück, aus dem er in der 20. Minute dann doch zum dritten Mal den Ball holen muss. Nach Studers abgewehrter Freistoßflanke kommt der Ball über mehrere Stationen zum Außenverteidiger zurück, der das Leder von der linken Seite abermals hoch nach innen schlägt, wo Yeboah es mit zwei Verteidigern zu tun hat. Die schüttelt er jedoch ab, in dem er den Ball kunstfertig mit der Brust annimmt und sich zum Dropkick vorlegt. Kraftvoll hämmert er die Kugel mit dem linken Spann aus elf Metern in den rechten Torwinkel. Wojdyga fliegt schön, aber vergebens.
Lodz ist in der Defensive völlig überfordert und kommt selbst kaum einmal in den Frankfurter Strafraum. Einmal ist dort Binz zur Stelle und spitzelt den Ball vor dem Angreifer zu Torhüter Stein zurück und in der 29. Minute wehrt Bindewald nach dem ersten sehenswerten Angriff der Gäste den Schuss von Michalczuk zur Ecke ab. Zwei Minuten später kommt Spielmacher Uwe Bein nach fast vierwöchiger Verletzungspause zu seinem Comeback, weil die nominale Nummer zehn, Rudi Bommer, mit Verdacht auf einen Muskelfaserriss den Platz räumen muss. Bein ist es auch, der fünf Minuten nach seiner Einwechslung das 5:0 einleitet. Seinen Pass aus dem halbrechten Mittelfeld nimmt Kruse mit dem Rücken zu seinem Gegenspieler an, den er mit einer Körpertäuschung verlädt. Er zieht nach links ins Zentrum und spielt fünfundzwanzig Meter vor dem Tor einen Pass nach links, wo Yeboah irrsinnigerweise ungedeckt lauert. Und wenn Yeboah ins Rollen kommt, ist vielleicht nicht Polen, heute Abend aber ganz sicher Lodz verloren. Unaufhaltsam zieht er in den Strafraum und zieht aus halblinker Position abermals kraftvoll ab. Wojdyga taucht in die rechte Ecke und kann den Hattrick nicht verhindern, denn der Schuss aus vierzehn Metern schlägt über ihn ein.
Die Frankfurter Fans sind zur Pause immer noch aus dem Häuschen und können ihr Glück kaum fassen. Sie werden dafür belohnt, dass sie sich dieses Europapokalspiel trotz der frühen Anstoßzeit um 18 Uhr nicht haben entgehen lassen. „Zugabe, Zugabe“ fordern die 11.000 Zuschauer, die nicht genug bekommen können. Dem einen oder anderen erging es vielleicht aber auch wie dem durstigen Fußballfan, der von der Gala kaum etwas mitbekommen hatte und nach der ersten Halbzeit jammert: „Zweimal war ich jetzt Bier holen und habe vier Tore nicht gesehen.“ „Die schnellen Tore haben Lodz deprimiert, nach dem 3:0 haben die Polen aufgegeben“, stellt Kruse zur Pause fest, warnt jedoch gleichzeitig vor übertriebenen Erwatungen: „Auf diesem hohen Niveau kann man aber nicht weiterspielen.“ Widzews Trainer Wladyslaw Zmuda, der mit 21 Weltmeisterschaftsspielen – so viele wie Uwe Seeler – der Rekordhalter des polnischen Fußballs ist, kann sich das auch nicht wünschen. Er wechselt zum zweiten Durchgang Joskowiak für Michalczuk ein und in der 57. Minute Miaszkiewicz für Czerwiec. Die Partie verflacht aber nicht deswegen zusehends, sondern weil die Gäste sich nun verstärkt auf die Abwehrarbeit konzentrieren. Und so dauert es bis zu 68. Minute, bis der Torreigen eine Fortsetzung findet. Wolf übergibt auf der linken Seite der eigenen Hälfte den Ball an Binz, der mit raumgreifenden Schritten die Mittellinie überquert und auf Rahn passt. Der stoppt, wartet den richtigen Moment ab und zieht dann den Ball an den rechten Spielfeldrand, wo Okocha dreißig Meter vor der Torauslinie viel Platz hat. Diesen nutzt er, um eine Flanke über die gesamte Abwehr des Gegners auf den linken Pfosten zu ziehen, wo Yeboah zehn Meter vor dem Tor nicht weniger Raum hat als Okocha auf dem Flügel. Yeboah fliegt in die Kugel hinein und köpft sie als Aufsetzer in die rechte Torecke. Wojdyga fliegt ebenfalls und wieder einmal umsonst. Uli Stein verlebt dagegen einen fast beschäftigungslosen Abend, der in der zweiten Halbzeit nur unterbrochen wird, als Wolf einen Zweikampf im Mittelfeld verliert und sich Iwanicki den folgenden Pass in die Spitze zwischen dem zurücksprintenden Bindewald und dem hinzueilenden Binz erläuft. Sein Abschluss aus halbrechter Position ist aber zu harmlos, so dass Stein unter den „Uli“-Rufen des Frankfurter Anhangs den in die linke Ecke gezielten Flachschuss ohne Probleme halten kann.
In der 87. Minute folgt dann beinahe das 9:0, als Libero Binz fünfundzwanzig Meter vor dem eigenen Tor einen Pass der Polen abfängt und direkt auf Uwe Bein spielt. Der nimmt den Ball an, bringt ihn unter Kontrolle und sieht am Rande des Mittelfeldkreises die gegnerische Hälfte frei vor sich liegen. Er treibt den Ball eilig über gut dreißig Meter nach vorne und spielt dann einen seiner butterweichen und präzisen Pässe in den Lauf von Kruse, der links in den Strafraum eindringt, doch aus zehn Metern das Leder nicht nur am ihm entgegen stürzenden Torwart, sondern auch knapp am linken Pfosten vorbei schießt. So bleibt es Uwe Bein selbst vorbehalten, in der letzten Minute den Schlusspunkt zu setzen. Zuvor wird ein Angriff der Gäste abgewehrt und per Kopf zu dem in Höhe der Mittellinie wartenden Yeboah gebracht. Der läuft los und legt das Leder einfach weit an dem ersten Gegner vorbei. Im Spurt versucht er, den Ball vor dem zum x-ten Male aus seinem Kasten geeilten Wojdyga zu erreichen. Dieses Mal ist der Schlussmann schneller, doch er schießt den Ball an Beins Brust. Der mit Yeboah von der Mittellinie gestartete Regisseur kickt auf der Strafraumgrenze reaktionsschnell die Kugel im Fallen an den zupackenden Händen des nachsetzten Keepers vorbei in Richtung Kasten, auf den das Leder fast aufreizend langsam zuhoppelt. 9:0. Die „Uwe“-Sprechchöre sind nicht der letzte Liebesbeweis des begeisterten Anhangs, der den höchsten Sieg der Eintracht in einem europäischen Pokalwettbewerb feiert. Bei der halben Ehrenrunde durch das Stadionoval müssen die Spieler serienweise Hände abklatschen, die sich ihnen durch den Zaun entgegen strecken. „Die Aufgabe muss man erst mal so lösen, das ist schließlich keine Straßenmannschaft Wir haben in den ersten zwanzig Minuten überragend gespielt“, weist Kruse Stimmen zurecht, die auf die desolate Vorstellung der polnischen Abwehrreihe nach dem frühen Rückstand hinweist. Aber nicht nur kritische Journalisten, auch ein anderer findet ein Haar in der Suppe, die einem Gourmetrestaurant zur Ehre gereicht hätte. „Ich habe mich gefreut, dass der Knoten endlich geplatzt ist“, ist Dragoslav Stepanovic nicht gerade ein Ausbund der Freude, „aber das (Ergebnis) war mir zu hoch.“
Hölzenbein kündigt außerdem an, die erst wenige Stunden zuvor beschlossene Versicherung für Okocha einer Änderung zu unterziehen: „Diese Summe müssen wir gleich morgen verdoppeln.“ Auch Axel Kruse richtet den Blick in die Zukunft: „Wir müssen diese Spiellaune und diese großartige Einstellung bis zum Sonntag bewahren. Und dann geht es volle Pulle gegen Stuttgart.“ (rs)
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