Eintracht Frankfurt - Borussia Dortmund

Bundesliga 1992/1993 - 5. Spieltag

4:1 (1:1)

Termin: Di 01.09.1992 20:00
Zuschauer: 34.000
Schiedsrichter: Manfred Amerell (München)
Tore: 1:0 Anthony Yeboah (22.), 1:1 Flemming Povlsen (30.), 2:1 Uwe Bein (46., Foulelfmeter), 3:1 Stefan Studer (74.), 4:1 Anthony Yeboah (85.)

 

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Eintracht Frankfurt Borussia Dortmund

 


  • Stefan Klos
  • Stefan Reuter
  • Günter Kutowski
  • Stephane Chapuisat
  • Flemming Povlsen
  • Michael Lusch
  • Michael Zorc
  • Gerhard Poschner
  • Knut Reinhardt
  • Bodo Schmidt
  • Ned Zelic

 

Wechsel

Wechsel

  • Lothar Sippel für Flemming Povlsen (68.)
  • Michael Rummenigge für Michael Lusch (68.)

Trainer

Trainer

  • Ottmar Hitzfeld

 

Renaissance der Rebellen

DFB-Trainer Hans-Hubert „Berti“ Vogts sitzt heute beim Spiel der Eintracht gegen Borussia Dortmund auf der Tribüne des Frankfurter Waldstadions. Im Aufgebot der von ihm betreuten Auswahl steht allerdings kein Frankfurter Spieler. Vogts hat weder Binz noch Bein nominiert, obwohl er Bein für den „überragenden Spieler der Bundesliga“ hält. „Wenn nach dem Freundschaftsspiel ein WM-Qualifikationsspiel anstehen würde, dann würde Uwe Bein in beiden spielen“, versucht Vogts eine Begründung, Uwe Bein sei ihm aber zu schade, ihn jetzt zu nominieren und beim nächsten Mal, wenn Häßler und Matthäus dabei sind, wieder draußen zu lassen. „Das sagt doch alles und heißt nichts anderes, als dass ich keine Chance habe, wenn die beiden wieder fit sind“, weiß Bein, der davon ausgeht, „dass die WM 1994 ohne mich stattfindet und dass das Thema Nationalmannschaft für mich erledigt ist. Anders kann ich meine Nichtberücksichtigung nicht interpretieren.“

Wichtiger ist für den Moment allerdings, dass die Eintracht am heutigen Dienstagabend gegen den Vizemeister aus Dortmund den ersten Heimsieg dieser Runde einfährt. Der Auftakt im Waldstadion ist mit dem 1:1 gegen Dresden einigermaßen missraten und das Heimspiel gegen die Bayern vom 3. Spieltag muss noch nachgeholt werden. Auswärts hielt sich die Truppe von Dragoslav Stepanovic dagegen bislang schadlos, wobei sie spielerisch nicht an die teilweise grandiosen Leistungen der letzten Saison anknüpfen konnte. Im DFB-Pokal ließ man sich bei den Amateuren vom SV Wehen in der Schlussphase fast noch eine 3:0-Führung abjagen und vor drei Tagen musste man in Wattenscheid einen 0:1-Rückstand drehen, was nach Treffern von Bein und Kruse im zweiten Durchgang aber auch gelang. Außerdem steht noch der 1:0-Sieg in Köln in der Bilanz, wo Yeboah Schütze des Goldenen Tores war.

Wenn man bedenkt, dass auch noch Libero Manfred Binz am 1. Spieltag gegen Dresden getroffen hat, unterstreicht das, wie viele torgefährliche Spieler die Eintracht in allen Mannschaftsteilen hat. Dabei haben die Riederwälder im Sommer mit Andreas Möller und Lothar Sippel zwei Akteure verloren, die in der letzten Runde für insgesamt 26 Bundesligatreffer gut waren. Der zum BVB abgewanderte Sippel sitzt heute bei den Gästen übrigens nur auf der Bank, was seiner Begrüßung durch die Eintrachtfans allerdings keinen Abbruch tut. Der 14-fache Torschütze der letzten Saison erfreut sich hier weiterhin großer Beliebtheit und wird im Waldstadion mit Sprechchören gefeiert.

Bei der Eintracht kann Stepanovic nicht ganz aus dem Vollen schöpfen. Heinz Gründel ist nach seiner Meniskusoperation weiterhin nicht einsatzfähig und auch auf Neuzugang Rudi Bommer muss Stepanovic gegen die Dortmunder verzichten: Der Routinier laboriert an einer Bänderdehnung im Knie. Dafür ist Anthony Yeboah, der in Wattenscheid wegen des WM-Qualifikationsspiels mit Ghana fehlte, wieder mit von der Partie.

Die beginnt vor 34.000 Zuschauer furios. Die beiden Mannschaften kennen sich und verzichten auf ein vorsichtiges Abtasten ebenso wie auf taktisches Geplänkel. Hier geht es gleich zur Sache und zwar mit offenem Visier – fast so, als könne man dem Gegner schon zu Beginn den entscheidenden Niederschlag versetzen. Und Kruse bietet sich zumindest schon nach fünf Minuten eine erstklassige Chance zur Führung, die er aber auslässt.

„Die müssen rennen um ihr Leben“, hat Stepanovic gefordert und seine Spieler rennen, glücklicherweise aber nur für den Sieg gegen einen spielerisch durchaus ebenbürtigen Gegner. Den versucht die Eintracht mit einer Aggressivität zu übertrumpfen, die bereits im Sturm beginnt, wo Kruse und Yeboah die Gäste früh attackieren. Hinter den beiden rückt das Mittelfeld auf, verengt die Räume und stört die Westfalen schon bei der Ballannahme. Man kann es Forechecking, Pressing oder – wie Stepanovic – frühes Angreifen nennen, aber wie man es auch immer bezeichnet, keine Elf kann das derzeit in der Bundesliga so perfekt wie die Frankfurter Eintracht.

Und kaum eine andere Mannschaft versteht sich gleichzeitig auf ein Angriffsspiel, dessen Kombinationen so wunderbar präzise ineinander greifen wie ein Uhrwerk. So wie in der 22. Minute, als Kruse Bein an der Strafraumgrenze an- und freispielt. Bein hat freie Bahn, nutzt diese allein vor Torwart Klos aber nicht. Fast schon ist er abgedrängt und die Chance vorbei, da schlägt er aus dem Fußgelenk eine Flanke, die genau auf Yeboah kommt. Und der Stürmer hat keine Mühe, den Ball über die Linie zu bugsieren.


Bein gegen Kutowski

In der Folge imponieren die Gäste, weil es ihnen nach dem Rückstand gelingt, endlich ein Mittel gegen das unangenehme Frankfurter Pressing zu finden. Allen voran sind es Ned Zelic und Gerhard Poschner, die es mangels Anspielstationen auf eigene Faust versuchen und sich mit gekonnten Dribblings durchsetzen. Im Sturm kommen jetzt die beiden Angreifer Stephane Chapuisat und Fleming Povlsen besser zur Geltung. Chapuisat, der seinem Gegenspieler Bindewald vor große Probleme stellt, taucht nach 28 Minuten frei vor Schlussmann Stein auf, scheitert jedoch am Frankfurter Keeper. Der Ausgleich ist damit allerdings lediglich aufgeschoben und das auch nur um zwei Minuten. Dann erzielt Povlsen per Pressschlag mit Bindewald das 1:1.

Die Partie ist mittlerweile vollkommen ausgeglichen und die begeisterten Zuschauer sehen Chancen auf beiden Seiten. Chapuisat scheitert in der 37. Minute erneut freistehend an Stein und Kruse lenkt vier Minuten später Studers feine Flanke per Kopf über die Latte des Dortmunder Kastens. Zur Halbzeit sollte es eigentlich nicht 1:1, sondern 2:2 oder 3:3 stehen.

Auch sonst stehen sich beide Teams in fast nichts nach. Das Umschalten von Abwehr auf Angriff gelingt beiden Mannschaften perfekt und hüben wie drüben ist die linke Seite besser als die rechte. Bei der Eintracht ist es vor allen Dingen Stefan Studer, der aus dem linken Mittelfeld heraus den Gegner laufstark und mit gutem Stellungsspiel unter Druck setzt.


Kruse und Yeboah

Unverändert geht es für beide Teams in die zweite Hälfte, in der das Ergebnis nicht lange Bestand hat. Kruse, der wie am Samstag in Wattenscheid ein ständiger Unruheherd am und im gegnerischen Strafraum ist, wird von Michael Lusch im Sechzehner zu Fall gebracht. Schiedsrichter Amerell entscheidet sofort auf Strafstoß, Bein tritt zur Ausführung an und verwandelt sicher zur erneuten Frankfurter Führung.

Wieder zeigen sich die Dortmunder unbeeindruckt. Sie setzen ihren Kessel noch mehr unter Dampf, indem Trainer Hitzfeld Stefan Reuter ins Mittelfeld beordert. Die Westfalen drängen – angetrieben vom unermüdlichen Zelic sowie Knut Reinhardt über die linke Seite – die Gastgeber zurück. Denen gelingt es zunächst nicht, sich aus dieser Umklammerung zu befreien, und Stein steht nun öfter im Mittelpunkt, als es den Eintrachtfans angesichts der knappen Führung lieb sein kann. Der Keeper gibt sich in dieser wichtigen Phase jedoch keine Blöße und bewahrt seine Elf mit sicherer Strafraumbeherrschung vor dem 2:2.

Atempausen gibt es keine – nicht für die auf dem Platz und auch nicht für die auf den Rängen. Das Spiel hat ein unerhört hohes Tempo, kaum hat eine Mannschaft der anderen den Ball abgejagt, geht es schon wieder in die entgegengesetzte Richtung weiter. Dabei spielen die Gäste mit ihren schnörkellos vorgetragenen Attacken druckvoller, die Eintracht mit ihren Kombinationen, die jetzt wieder laufen, aber nicht weniger gefährlich.

Ungewöhnlich ist auch, dass ein Spieler von den Fans beider Seiten gefordert wird. Immer wieder hallen Rufe nach Lothar Sippel durch das Waldstadion, bis Hitzfeld die Fans nach 68 Minuten erhört: Neben Sippel für Povlsen bringt er gleichzeitig Michael Rummenigge für Lusch. Stepanovic reagiert ebenfalls und gibt eine Minute später Dietmar Roth, der nach dem 1. Spieltag seinen Stammplatz vorerst verloren hat, die Chance, sich wieder in die erste Elf zu spielen. Dirk Wolf verlässt dafür das Feld.


Binz hebt Ball über Poulsen

Fünf Minuten später fällt das nächste Tor. Es ist nicht, wie von einigen notorischen Schwarzsehern befürchtet, der eingewechselte Sippel, der gegen seine alten Kameraden trifft, sondern Studer. Der wird vom großartig aufgelegten Kruse bedient, nachdem sich dieser durchgesetzt und dabei den mitgelaufenen Kollegen nicht aus dem Blick verloren hat. Aus 16 Metern trifft Studer ins obere linke Eck. Jetzt ist die Begegnung entschieden und Stepanovic kann wenig später ohne Gefahr den jungen Neuzugang Marek Penksa einwechseln, der über eine gute Technik verfügt, dem aber noch das Durchsetzungsvermögen für die 1. Liga fehlt. Bein darf früher Feierabend machen und sich den verdienten Applaus von den Rängen abholen.

Einen Höhepunkt hat die Partie aber noch zu bieten. Nach einem Diagonalpass von Binz auf den von links auf den rechten Flügel kreuzenden Kruse schüttelt der Frankfurter Stürmer Gegenspieler Bodo Schmidt ab und könnte aus spitzem Winkel aufs Tor schießen. Kruse aber entscheidet sich für die uneigennützige Variante und passt nach innen, wo Yeboah schneller als Kutowski ist und aus fünf Metern problemlos einschießen kann. „Ich habe überlegt, es selbst zu machen“, gibt der an allen vier Frankfurter Treffern beteiligte Kruse zu: „Denn am Ende der Saison wird unter Stürmern nach Toren abgerechnet.“ Doch auch ohne einen Treffer erzielt zu haben, wird Kruse von den Eintrachtfans gefeiert: „Ich hatte Gänsehaut, als nach dem Abpfiff im Stadion aus dem Fanblock mein Name gerufen wurde. Das war das beste Gefühl, das ich je bei der Eintracht hatte.“

„Ich weiß nicht, woher die Mannschaft heute diese Lockerheit hergenommen hat“, wundert sich Stepanovic und lobt: „Das System ist den Spielern in Fleisch und Blut übergegangen.“ „Die Eintracht war stark und hat verdient gewonnen“, erklärt Dortmunds Trainer Hitzfeld sportlich fair, während der Unparteiische Grund zur Freude hat: „Vier Jahre musste ich auf diesen Tag warten. Damals, beim Spiel Hannover – Bremen, bin ich letztmals ohne eine Verwarnung ausgekommen“, erinnert sich Schiedsrichter Manfred Amerell und erzählt, dass ihn Kruse vor dem Anpfiff informiert hat, dass ihm sein Trainer nach seinen zwei Gelben Karten wegen Meckerns mit 1.000 Mark Geldstrafe gedroht habe, wenn sich das wiederholen sollte. Heute aber gab es keinen Grund – weder zum Meckern noch zum Verwarnen.

Bernd Hölzenbein wird wenige Schritte von seinem Platz auf der Tribüne entfernt sofort nach dem Schlusspfiff von Journalisten umlagert. Der wegen des monatelangen Wechseltheaters um Möller und zuletzt gar wegen seines personellen Konzepts von seinem einstigen Mannschaftskollegen Jürgen Grabowski kritisierte Vizepräsident strahlt: „Heute hat jeder gesehen, warum wir Yeboah, Kruse und Studer unbedingt halten mussten. Jetzt fehlt nur noch, dass mit Gründel auch der dritte Rebell noch so einschlägt wie Kruse und Studer.“ „Das Vertrauen zu Studer und Kruse hat sich gelohnt“, meint auch Stepanovic eine Etage tiefer: „Sie haben kapiert, was ich von ihnen verlange.“ Kruse ist für Stepanovic „superklasse“ und „mein Mann des Tages“ und auch Studer erhält ein dickes Lob: „Der Studi, der beherrscht das Pressing so gut wie wenige.“ „Der Studi hat im letzten Jahr den Frust im Kopf gehabt und diesen hängen lassen“, erzählt Bein: „Ich habe ihm gesagt: Du hast so viel Geld in einem Jahr verspielt, das kannst du dir nicht mehr leisten.“

„Uns macht es Spaß, all jene Leute, die nicht an uns geglaubt haben, vom Gegenteil zu überzeugen“, feixt Stepanovic: „Wenn sich die Spieler verstehen, wenn sie sich in der Gemeinschaft wohlfühlen, können sie gute Leistungen bringen. Der Weggang von Möller hat sich positiv ausgewirkt. Er hat von der Mannschaft profitiert, aber nichts zurückgegeben. Heute sind wir wirklich eine richtige Mannschaft, deshalb spielen wir auch wieder um den Titel mit. Unbelasteter als im letzten Jahr. Da galten wir als Favorit, diese Rolle spielt nun der FC Bayern.“

„Wir wollten in diesem Jahr um die Meisterschaft spielen. Unsere Hoffnung basierte darauf, dass die Mannschaft eine echte Einheit wird“, sagt auch Hölzenbein in Anspielung auf Möllers Abgang, fügt jedoch hinzu: „Ganz ehrlich: Eine so positive Entwicklung, wie sie heute festzustellen war, haben wir so schnell nicht erwartet. Die Mannschaft hat toll und begeisternd, mit Feuer und Kampfgeist gespielt. Danach bin ich davon überzeugt, dass wir uns bis zur Hinrunde oben festsetzen. Sicherlich werden wir mal verlieren, einen Einbruch wird‘s nicht geben.“ „Wenn wir die Leistung des Dortmund-Spiels künftig annähernd wiederholen können und es Gerechtigkeit im Fußball gibt, werden wir Meister“, glaubt Kruse, über den Hölzenbein sagt: „Eine solche Klasseleistung hätte ich ihm nicht zugetraut.“

Gleich nach dem Verlassen der Kabine zieht Kruse vor den versammelten Medienvertretern munter an seiner Zigarette: „Momentan fühle ich mich bärenstark. Heute hätte ich nochmals 90 Minuten spielen können und danach nicht gemerkt, wie kaputt ich gewesen wäre.“ Für seine Leistungssteigerung, meint Kruse, gibt es „viele Gründe. Ein Schlüsselerlebnis war für mich, dass ich in der vergangenen Runde am letzten Spieltag in Rostock eingesetzt wurde. Was dies nach meiner Flucht aus der ehemaligen DDR für mich bedeutet hat, in einem so wichtigen Spiel in dem Stadion zu spielen wo ich früher praktisch zu Hause war, können wenige verstehen. Das war ein bedeutender Tag für mich. Ich bin Stepanovic dankbar, dass er mich dort aufgestellt hat. Dreieinhalb Jahre nach der Flucht wieder im alten Stadion – das vergisst man nicht.“

„Wir versuchen einfach beide, dass wir nicht mehr aneinandergeraten. Ich habe einiges eingesehen, er hat einiges eingesehen“, meint Kruse, den Stepanovic auf dem Trainingsplatz nicht mehr „öffentlich zum Deppen“ macht, sondern im kleinen Kreis kritisiert: „Ich kann meine Aggressionen nicht lenken, aber ich bin kein Quertreiber. Wie oft habe ich mich mit Stepi gestritten, draußen am Trainingsplatz haben sich die Leute die Hände gerieben und gelacht: Mensch, heute war wieder was los. Dann war ich so richtig sauer auf mich.“ „Ich weiß, dass ich mir bisher alles selbst versaut habe. Der Mannschaft und dem Trainer hat der Krach nicht geschadet, nur mir“, sagt er und fügt hinzu: „Ich habe aber nie an meiner Leistungsfähigkeit gezweifelt, selbst wenn ich lange nicht erste Wahl war.“ „In der zwischenmenschlichen Beziehung zum Trainer wird sich nichts mehr ändern“, sagt er deswegen: „Da ist zu viel vorgefallen. Ich habe zwanzigmal auf der Tribüne gesessen und hätte doch immer in die Mannschaft gehört. Zum Kaffee werde ich auch in Zukunft nicht zu Stepi gehen und er umgekehrt nicht zu mir kommen. Aber es herrscht ein sehr gutes Arbeitsklima.“

„Ich habe nach der verpassten Meisterschaft auf eine Trotzreaktion gehofft. Toll, was die Eintracht geboten hat, auch wenn es mich nun mit der Borussia getroffen hat“, meint Sippel, der mit Ivana Stepanovic, der Tochter des Eintracht-Trainers, befreundet ist. „Natürlich freue ich mich darüber. Das ist sicher auch eine Trotzreaktion unserer Mannschaft“, sagt Kruse zu den 7:1 Punkten und der vorübergehenden Tabellenführung, die ohne den nach Italien abgewanderten Möller erreicht wurde: „Ich möchte jedoch noch einmal klar herausstellen: Andy war kein Wunderknabe, er hatte bei weitem nicht die Bedeutung für die Mannschaft, wie die Öffentlichkeit immer geglaubt hat. Bein ist aus meiner Sicht für die Mannschaft dreimal wichtiger als Möller. Bein ist nämlich immer anspielbar und versteckt sich außerdem nicht, wenn es auf die Knochen geht.“

Die Stimmung in der Mannschaft sei deutlich besser geworden, bestätigt Kruse: „Ich denke da nur an unseren Neuzugang Rudi Bommer. Bommer passt viel besser zu uns als Möller. Er ist wertvoller für uns als Möller und hat nur 25.000 Mark Ablösesumme gekostet. Er spielt mannschaftsdienlich, er sorgt für gute Stimmung und ist mit seinen 35 Jahren für jeden ein Vorbild.“ Und Kapitän Uli Stein fügt unter dem Gelächter fast aller Anwesenden hinzu: „Wir sind die einzige Mannschaft der Bundesliga, die sich durch einen Abgang verstärkt hat.“ „Mit Möller hat das wenig zu tun“, widerspricht Bein: „Heute weiß jeder, welchen Platz er in der Mannschaft einnimmt, dass gerade sein Part sehr wichtig zum Erfolg ist.“

Keinen Platz hat – wie eingangs erwähnt – DFB-Auswahltrainer Vogts in seiner Elf für Bein und Binz, betont aber bei Letztgenannten: „Wir werden ihn weiter beobachten.“ „Ich kann Herrn Vogts nicht verstehen“, kommentiert der von Vogts aussortierte Binz: „Aber ich versuche nochmal alles, um wieder in die Nationalelf zu kommen. Ich bin fest davon überzeugt, dass ich das schaffe.“ Der bei der EM in Schweden bei der Niederlage gegen die Niederlande überforderte und zur Halbzeit ausgewechselte Binz sieht sich als Opfer der internen Verhältnisse: „Dort haben sie nach der schweren Niederlage gegen Holland das schwächste Glied aus der Mannschaft genommen. In dieser Hackordnung hatte ich keine Chance. Was ich damit meine, kann ich nicht in der Öffentlichkeit sagen. Irgendwann wird das ausgeräumt.“ Binz schöpft seine Hoffnung aus dem letzten Jahr, als ihn Vogts zum ersten Länderspiel der Saison in England ebenfalls nicht nominierte: „Doch weil sich einige Spieler verletzten, wurde ich nachnominiert. Und als in London dann auch noch Reuter ausfiel, war ich im Wembley-Stadion von Anfang an dabei. Danach folgte ein Superjahr, in dem ich zum besten Libero der Bundesliga aufstieg.“

„Ich hätte ja so gerne das Gesicht von Berti Vogts auf der Tribüne erlebt“, lacht derweil Axel Kruse: „Der muss doch Schweißausbrüche bekommen haben, als er den Uwe Bein zaubern sah. Wie kann Berti bloß einen solchen Spielmacher zuhause lassen? Nur weil Uwe zwei Monate älter als Matthäus ist?“ „Enttäuscht bin ich eigentlich nicht. Der Bundestrainer hat, was meine Person betrifft, für klare Verhältnisse gesorgt. Er will mich nicht mehr. Jetzt weiß ich Bescheid und kann damit leben“, kommentiert Bein gewohnt sachlich, der bislang noch auf eine Einladung gewartet hat: „Natürlich! Ich bin jetzt in der Form, wo ich mir berechtigte Hoffnungen machen konnte. Doch offensichtlich bin ich Vogts zu alt. Er glaubt, den Weg zur WM 1994 mit jungen Spielern gehen zu können. Das muss ich akzeptieren.“ Und verstehen? „Ganz ehrlich gesagt, nein! Weil es einen krassen Widerspruch offenbart. Vogts sagte immer, für ihn gebe es keine jungen oder alten Spieler, sondern nur gute und schlechte. Ich zähle mich zu den Guten. Zum Aufgebot gehöre ich aber nicht.“ „Berti widerspricht sich ständig“, bilanziert Bein: „Ich mache mir aber keine Illusionen mehr. Die Nationalmannschaft ist für mich endgültig abgehakt.“ „Für mich ist dieses Thema jetzt so weit weggeschoben, dass ich sagen muss, das war‘s wohl nach 14 Länderspielen“, sagt Bein, der bedauert: „Ich bekam, trotz einer guten WM von mir, nie die Chance, mal zwei, drei Länderspiele hintereinander durchzuspielen.“

Uli Stein kann es in seinem Zeitungs-Kommentar „nicht nachvollziehen“, dass Vogts „mit Uwe Bein den besten deutschen Mittelfeldspieler zu Hause lässt“. „Und Manni Binz nach der nicht berauschenden EM als alleinigen Sündenbock hinzustellen, finde ich nicht gut“, fährt Stein fort: „Manni hat vier hervorragende Bundesligaspiele geliefert und brennt auf Wiedergutmachung in der Nationalelf. Die Nicht-Nominierung wird nicht sein Selbstbewusstsein stärken. Aber ganz ehrlich: Ich habe noch nie was von Berti Vogts gehalten! Bei der WM 86 war er ja dritter Trainer. Schon damals hat er bei mir mit seinen Anordnungen nur Kopfschütteln hervorgerufen.“ „Kaputtlachen kann ich mich auch darüber, dass Vogts bei Bein (32) mit Blickrichtung Neuaufbau vom Alter spricht, bei Lothar Matthäus (31) das Alter aber wohl keine Rolle spielt! Jeder, der ein bisschen Ahnung von Fußball hat, muss sich doch die Augen reiben, dass kein Frankfurter im Aufgebot steht“, macht sich Stein wieder mal Luft: „Ich mag dieses Schlagwort ‚Fußball 2000‘ nicht, aber wir spielen zurzeit hervorragenden Fußball. Ein Unding, dass der Bundestrainer dies offenbar ignoriert!“

Für Stepanovic „ist Uwe Bein die überragende Persönlichkeit der ersten Spieltage dieser Saison. Das hat auch Berti Vogts erkannt. Trotzdem würdigt der Bundestrainer diese Leistung nicht, lässt Bein beim Länderspiel in Dänemark daheim. Das kann ich nicht verstehen. Gerade nach der EM, wo doch jeder gesehen hat, dass die Nationalmannschaft keinen Spielmacher hat. Wenn es nach Leistung geht, hätte Bein jetzt seine neue Chance bekommen müssen. Das Alter kann ja wohl keine Rolle spielen. Es gibt nur gute und schlechte Spieler, Bein ist ein ganz guter. (..) Beins Pässe werden auch bis zur WM 1994 nicht langsamer, seine Ideen nicht schlechter“, schreibt er im „kicker“: „Was heißt schon Alter? Der Uli Stein spielt seit Jahren auf höchstem Niveau. Würde allein Leistung entscheiden, hätte er bei der EM spielen müssen. Die Dinger, die Bodo Illgner da reingelassen hat, hätte der Uli gehalten.“ „Die Nationalmannschaft muss aus den Besten bestehen, nicht aus denen, die das mal werden können. Ich bin sicher, wenn Otto Rehhagel Bundestrainer wäre, würde Uli Stein wieder die Nummer eins im Tor sein“, sagt Stepanovic der „Sport-Bild“.

„Genauso enttäuscht wie Bein ist auch Manfred Binz über seine Nicht-Berücksichtigung. Der Manni macht jetzt einen Neuanfang. Er hat wahnsinnig Ehrgeiz. Ich bin mir sicher, dass er wieder in der Nationalelf zurückkehren wird. Ich sehe jedenfalls keinen besseren Libero in der Bundesliga. Weder Thon noch Reuter, der am Dienstag nicht viel gezeigt hat“, meint Stepanovic im „kicker“ weiter: „Aber wir spielen ja auch ein anderes Spiel als die Nationalmannschaft, versuchen das totale Pressing mit einem spielenden Libero statt mit einem Stopper. Ich träume davon, eines Tages eine Mannschaft zu stellen, in der nicht stur nach Positionen im Angriff, im offensiven und im defensiven Mittelfeld katalogisiert wird, sondern in der jeder über sein läuferisches Können und seinen Spielwitz den Gegner schon in dessen Hälfte unter Druck setzt. Wir sind auf einem guten Weg dahin.“

Und so kann er sich – laut „Sport-Bild“ – auch vorstellen, so lange in Frankfurt zu bleiben wie Rehhagel in Bremen: „Warum nicht! Es macht mir viel Spaß, und ich glaube, dass ich hier schon viel bewegt habe. Und solange Bewegung erkennbar ist, lohnt es sich weiterzuarbeiten.“ „Man müsse nicht unbedingt viel Geld investieren, um guten Fußball spielen zu können“, hat „Peppi“ Schmitt für die Fußball-Zeitung „fuwo“ bei Stepanovic mitgeschrieben, gegenüber der „Sport-Bild“ gibt der Trainer aber zu, dass er anstelle von Bommer und Rahn „natürlich lieber Stars geholt hätte. Aber wir hatten kein Geld. Den Scholl hatte ich zweimal bereits umgedreht, doch die Bayern waren 30 Minuten schneller. Und an Jorginho fehlten mir leider sechs Millionen Mark. Positiv ist aber, dass mit Wolf, Reis, Schlösser, Kientz und Okocha fünf Talente da sind. Drei packen bestimmt den Durchbruch.“


Epilog

Dragoslav Stepanovic verlässt die Eintracht nach der 0:3-Heimniederlage gegen Bayer Leverkusen im DFB-Pokalhalbfinale am 30.03.1993. Am 04.05. wird er Trainer bei Bayer Leverkusen, das er ursprünglich erst nach Saisonende übernehmen wollte, und wird Pokalsieger mit der Mannschaft, die sein vorzeitig geschasster Vorgänger Reinhard Saftig gegen Stepanovics Elf ins Endspiel geführt hat.

Manfred Binz spielt nie wieder in der Nationalelf, Uwe Bein kommt dagegen drei Wochen nach dem Sieg gegen Dortmund zu einem weiteren Einsatz beim 1:1 in Tunesien – es ist sein letztes Länderspiel.

Uli Stein wird im März 2007 Torwarttrainer der Fußballnationalmannschaft Nigerias, die von dem trainiert wird, von dem er einst „noch nie was gehalten hat“: „Berti“ Vogts. Als Vogts im folgenden Februar sein Amt niederlegt und im April 2008 Trainer der Fußballnationalmannschaft Aserbaidschans wird, gehört Stein auch dort wieder als Torwarttrainer zum Stab von Vogts. (rs)


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