Eintracht Frankfurt - MSV Duisburg |
Bundesliga 1991/1992 - 35. Spieltag
3:0 (0:0)
Termin: Sa 02.05.1992 15:30
Zuschauer: 30.000
Schiedsrichter: Karl-Heinz Gläser (Breitungen)
Tore: 1:0 Lothar Sippel (84.), 2:0 Lothar Sippel (86.), 3:0 Anthony Yeboah (89.)
Eintracht Frankfurt | MSV Duisburg |
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Späte Treffer und Eigentore „Letzte Woche, nach dem Wattenscheid-Spiel, sind viele Leute in Frankfurt mir gegenüber auf Distanz gegangen. Der Glaube an diese Mannschaft war fast verlorengegangen“, erzählt Vizepräsident Hölzenbein, der vor dem 3:1-Sieg in Leverkusen am letzten Wochenende auf glühenden Kohlen gesessen hat. „Ich war so nervös wie nie in dieser Saison“, berichtet er: „Immer wieder musste ich daran denken, was passiert, wenn wir jetzt, nachdem wir zum ersten Mal richtig schlecht gespielt hatten, auch noch zum ersten Mal richtig mit Pech verlieren.“ Kein Wunder also, dass er „diese Entwicklung so nicht für möglich gehalten“ hätte. Alfred Pfaff, der Kapitän der legendären Meisterelf von 1959, ergeht es ähnlich. Der Ehrenspielführer der Frankfurter Eintracht lässt sich in seinem „Landgasthof Morretal“ im idyllischen Odenwald-Örtchen Zittenfelden die ARD-Sportschau auch bei vollem Haus nicht entgehen. Dass die Eintracht nach dem schwachen Spiel gegen Wattenscheid in Leverkusen solch einen meisterlichen Sieg einspielen würde, hat Pfaff aber „auch überrascht“. „Eigentlich kann jetzt keiner mehr reinfunken. Wir müssten es geschafft haben. Obwohl das eigentlich leichte Restprogramm nicht immer leichte Spiele sein müssen“, erinnert sich Pfaff an die eigenen Erfahrungen, beispielsweise aus dem Jahr 1958, als die Eintracht beim Absteiger Regensburg mit einer Niederlage die Teilnahme an der Endrunde der Deutschen Meisterschaft verspielte und er einen Strafstoß verschoss. Ob er also doch noch Zweifel am zweiten Meistertitel der Frankfurter habe, deren Spiele er im Waldstadion besucht, wenn es seine knappe Zeit erlaubt: „Eigentlich nicht, es kann normal nichts mehr passieren“, sagt er und erinnert sich an die Eintracht-Spiele vor dem Endspiel 1959. „Damals haben wir uns gerade zum Schluss in einen wahren Rausch gespielt. Die Euphorie wurde von Wochenende zu Wochenende immer größer. Und genau das wird sicher jetzt wieder passieren.“ Abseits des Rasens kann diese Euphorie nach dem Sieg in Leverkusen aber kaum noch größer werden, wie Hölzenbein zu erzählen weiß. Im Umfeld der Eintracht kreisen die Gedanken bereits um die Meisterschaftsfeier nach dem letzten Saisonspiel in Rostock: „Es ist einmalig, seit Sonntag höre ich immer wieder die gleiche Frage: Wie kommen wir schnell aus Rostock nach Frankfurt zurück?“ Wie Pfaff, so ist auch Hölzenbein mittlerweile wieder „felsenfest“ davon überzeugt, „dass wir es schaffen. Wir haben die beste Tordifferenz, wir haben die beste Mannschaft, wir waren Herbstmeister - und der holt in den meisten Fällen auch den Titel. Und schließlich hatten wir im November und zum Rückrundenauftakt schon unsere Krisen. Wir können jetzt keine mehr bekommen.“ Hölzenbein lobt in diesem Zusammenhang besonders Kapitän Uli Stein, der am vergangenen Freitag in Abwesenheit von Trainer Stepanovic und sonstiger Offizieller eine flammende Ansprache vor der Mannschaft gehalten hat. „Eine phantastische Rede“, soll es gewesen sein, will Hölzenbein in Erfahrung gebracht haben. Stein soll unter anderem eindringlich darauf hingewiesen haben, dass es im Schlussspurt keine Ablehnung, keinen Neid, keine Missgunst und keine Querelen mehr in der Mannschaft geben dürfe. Wie stabil dieser Burgfrieden ist, wird sich aber noch
zeigen müssen. Als Damoklesschwert hängt immer noch der Rechtsstreit
mit Andreas Möller um seinen geplanten Wechsel zu Juventus Turin
über der Eintracht. Die Entscheidung der FIFA, die Möllers Berater
und von der Eintracht beurlaubten Manager Klaus Gerster zur „Persona
non grata“ erklärt hat, wird für den 14. Mai erwartet
– zwei Tage vor dem letzten Saisonspiel in Rostock. Immerhin: Seit
Eintrachts „Feuerwehrmann“ Rainer Falkenhain am 29. Februar
Teil-Aufgaben des ehemaligen Managers übernommen hat, erzielten die
Frankfurter 14:4 Punkte. Erstaunliches gibt es direkt vor dem Spiel aber auch auf dem Rasen der Hauptkampfbahn zu beobachten, wo Bundestags- und hessische Landtagsabgeordnete kickend den Rasen malträtieren. Wenn man bedenkt, dass Joschka Fischer sicher leicht das dreifache eines Sechsjährigen auf die Waage bringt, fragt man sich, warum die Stadion GmbH gegenüber der Eintracht bei Spielen der F- oder E-Jugendlichen in den letzten zehn Jahren immer den „Rasen in Gefahr“ sah. Nicht in Gefahr gerät dagegen im Waldstadion der Aufsteiger aus Duisburg. Der MSV steht in der Abwehr gegen allerdings auch einfallslose Gastgeber sehr stabil und verteidigt mit Engagement das torlose Unentschieden. Dabei haben die „Zebras“ seit der Begegnung in der Hinrunde einen Absturz hingelegt, der zwar nicht ins Bodenlose, aber in den Tabellenkeller führte. Willibert Kremer, der den MSV bereits in den 70ern trainierte und bei seiner zweiten Amtszeit mit ihnen im zweiten Anlauf im letzten Sommer den Aufstieg schaffte, hat die Talfahrt bereits vor dem letzten Wochenende den Job gekostet. Aber erst nach der Heimniederlage am letzten Spieltag gegen den Hamburger SV unter Kremers Nachfolger Uwe Reinders, dem ehemaligen Nationalspieler und Profi von Werder Bremen, steht der MSV zum ersten Mal in dieser Runde auf einem Abstiegsplatz. Fünfter waren die Duisburger, als die Eintracht in einem begeisternden Spiel mit 6:3 an der Wedau siegte. Doch nach dem Sieg im Nachholspiel bei den Stuttgarter Kickers am 9.10. gelang dem MSV erst am 27.3. wieder ein doppelter Punktgewinn. Die Frankfurter wissen mit dem Abstiegskandidaten, der seine spielerische Verunsicherung hinter dem Beton einer massiven Abwehr verbirgt, nichts anzufangen. Mehr als ein Schuss von Falkenmayer in der 33. Minute auf das von Macherey gehütete Tor gelingt der Eintracht in der gesamten ersten Halbzeit nicht. Bein, Binz und Möller sind wie schon beim 1:1 im letzten Heimspiel gegen Wattenscheid eine einzige Enttäuschung. Möller sollte es dank seines Antritts am ehesten möglich sein, sich der engen Bewachung zu entziehen, doch wie so oft scheut der Nationalspieler den direkten Vergleich, wenn er fürchten muss, dass seine Fluchtversuche mit harten Bandagen bekämpft werden. Einer der Wenigen im Dress der Eintracht, der sich selbst nicht schont, muss zudem nach einer halben Stunde raus: Uwe Bindewald muss mit einer Leistenverletzung ausgewechselt werden und droht für den Rest der Saison auszufallen. Stefan Studer, der wie Heinz Gründel bei Stepanovic keine große Rolle mehr spielt und seit dem 20. Spieltag nicht mehr zum Zug gekommen ist, ersetzt den zuverlässigen Verteidiger. In der Offensive der Eintracht ändert sich dadurch aber nichts. Leider. Auch im zweiten Durchgang kommt die einzige Freude für die Eintrachtfans von der Anzeigetafel, die schon in der ersten Halbzeit von der Führung der Gladbacher beim punktgleichen Tabellendritten Dortmund kündete. Keine fünf Minuten sind nach Wiederanpfiff gespielt, da führen die Gladbacher mit 2:0 und auch der Tabellenzweite VfB Stuttgart liegt gegen den Aufsteiger Stuttgarter Kickers mit 0:1 zurück. Der Anhang der Eintracht jubelt und schreit die eigene Elf nach vorne, doch es bleibt beim Versuch – so wie bei der Eintracht, die übers Bemühen nicht hinaus kommt. Denn so sehr sich Stepanovics Auswahl auch quält, der Abwehrriegel des MSV, der wenig einfallsreich, aber umso wirkungsvoller mit elf Mann im und um den eigenen Strafraum die Frankfurter Fußballkünste im Ansatz erstickt, ist nicht zu knacken. Trainer Reinders, der übrigens erst am 6.3. bei Hansa Rostock entlassen wurde, bringt in der 58. Minute Ljutyi für Steininger, zwei Minuten danach kommt bei den Gastgebern Sippel für Dirk Wolf sowie beim MSV in der 71. Minute Kober für Struckmann. Am Spiel ändert sich nichts, außer das Binz in derselben Minute die zweite Frankfurter Torchance an diesem Tag hat – und sie verstolpert.
Sieben Minuten vor dem Ende ist es dann Sippel, der mit einer Volleyabnahme den Endspurt der Eintracht einläutet. Sein Schuss trifft aber nur das Knie von Torhüter Macherey. Keine sechzig Sekunden später hat dann der Großteil der 30.000 Zuschauer doch noch Grund zum richtigen Jubel: Eine weitere von Webers Flanken segelt mit der Uneinsichtigkeit und Unverdrosssenheit eines regelmäßigen Lottospielers in den Strafraum, wo Yeboah zum Kopfball hochsteigt und Macherey zwar auf dem Rücken des Stürmers Platz findet, aber keinen entscheidenden Kontakt zum Ball herstellen kann. Sippel ist zur Stelle und schießt zur Führung ein. Die Proteste der Duisburger, die eine Behinderung ihres Keepers durch Yeboah reklamieren, ändern daran nichts. Zwei Minuten später enteilt Möller gegen eine nun entblößte MSV-Abwehr endlich einmal seinem Bewacher Azzouzi und legt für Sippel auf, der die Kugel wuchtig ins Netz jagt. Es ist Sippels 14. Bundesligator in dieser Saison. Den Schlusspunkt setzt nach Vorarbeit von Studer in der 89. Minute Yeboah. 3:0. Schlusspfiff. Die Eintrachtspieler laufen wie zur Generalprobe für die Meisterschaft eine halbe Ehrenrunde, letztlich ist dieses „Auslaufen“ aber wohl nur ein Ventil für die Anspannung, die jetzt vom Team abfällt, in dem Moment, wo ein fast nicht mehr für möglich gehaltener Sieg errungen wurde. „Wir haben schlecht gespielt“, bringt Stepanovic die Leistung seiner Elf nüchtern und ehrlich auf den Punkt. Ehrenspielführer Jürgen Grabowski will diesem Umstand aber auch etwas Gutes abgewinnen: „Wenn eine Mannschaft erkennt, dass es im Spiel nicht gut läuft und sie dennoch drei Tore schießt, dann spricht das für die gute Moral.“ Die haben aber auch die Konkurrenten um den Titel: Der BVB erreicht zu Hause durch zwei Tore von Michael Zorc in der 74. und 89. Minute nach einem 0:2-Rückstand noch ein 2:2 gegen Gladbach und der VfB Stuttgart dreht im Lokalderby gegen die Kickers den Rückstand in den letzten 13 Minuten noch in einen 3:1-Sieg. „Damit ist alles beim alten“, sagt Uli Stein, obwohl die Eintracht nun immerhin einen Punkt mehr als Dortmund hat. Trainer Stepanovic lässt das alles aber ohnehin kalt, behauptet er: „Je spannender das wird, umso ruhiger werde ich.“ Unruhig bleibt es dafür um Möller, aber auch um Sippel, der gefragt wird, ob seine beiden Tore eine Genugtuung für ihn seien. „Einerseits ja“, gibt Sippel zu: „Aber in erster Linie steht hier die Mannschaft im Vordergrund und dann erst ich. Ich glaube, wir haben heute wieder einen wichtigen Schritt in Richtung Meisterschaft getan. Egal wie sich das um meine Person weiterentwickelt, wichtig ist, wie wir mit der Mannschaft vorankommen. Man kann nicht jeden Tag den Bundesliga-Titel holen.“ „Der ist immer dort, wo es brennt“, macht Möller dem Mitspieler ein Kompliment und Ehrenspielführer Jürgen Grabowski macht sich für Sippels Verbleib stark. Grabowski meint, dass der Stürmer gehalten werden muss, „auch wenn es ein paar Mark mehr kostet“. Sippel genießt zurzeit große Wertschätzung. Während die 20 Erstligakapitäne Eintracht-Libero Manfred Binz zum „Spieler des Monats“ wählen, kürt der Sport-Informationsdienst Sippel zum „Spieler des Tages“. Die Führungsetage der Eintracht gerät immer mehr unter Druck und Präsident Ohms schießt sich auf der Suche nach Begründungen für eine Trennung von Sippel ein Eigentor: „Sicherlich tut es uns weh, wenn Lothar Sippel geht Aber er hat seine Tore immer nur gemacht, wenn er Joker war. Wir können uns keinen Spieler leisten, der meist auf der Bank sitzt. Wir sind nicht Bayern München.“ Ohms hätte schweigen oder einen Statistiker fragen sollen, denn 8 seiner 14 Tore hat Sippel in den 17 Spielen gemacht, die er von Beginn an bestreiten durfte. Seine Jokertore waren zudem überwiegend von entscheidender Natur, weil sie wie beim 1:1 gegen Stuttgart und Gladbach oder nun gegen Duisburg Punkte einbrachten. Eher wäre ein Hinweis des Präsidenten angebracht, dass der bald 27-jährige Sippel vor dieser Saison in zwei Jahren und 37 Bundesligaspielen lediglich vier Tore erzielen konnte. Bernd Hölzenbein, der von Fans und Verwaltungsrat bestürmt wird, den Vertrag mit Sippel zu verlängern, hat einen weiteren Sippel-Fan im eigenen Haus - seine Frau Jutta. „Holz“ sieht darin kein Problem: „Und ich bin selbst auch einer.“ Als er abends mit Sippel im „Aktuellen Sportstudio“ des ZDF erscheint, kann der Vizepräsident aber nur an der Torwand punkten. Während Sippel nicht einmal triff, schlenzt Hölzenbein die Kugel drei Mal ins Runde. Das Sippel das glatte Studioparkett dennoch als Sieger verlassen kann, liegt an einem klassischen Eigentor des ehrenamtlichen Managers, der mit dem Ball einfach besser ist als mit dem Mund. „Das Angebot, das Lothar von uns bekommen hat, hätte ich zu meiner Zeit angenommen“, sagt Hölzenbein, der bei der Eintracht von 1967 bis 1981 unter Vertrag stand und „dessen Zeit“ nun schon über ein Jahrzehnt vorbei ist. Diese Vorlage verwertet Sippel natürlich eiskalt: „Das sagt wohl einiges über das Angebot aus.“ „Ich habe das Angebot der Eintracht nicht angenommen und ich glaube auch nicht, dass von der Eintracht noch mal etwas kommt“, ist Sippel noch am nächsten Tag enttäuscht. „Ich glaube, dafür kann man kein Verständnis haben“, sagt Sippel zum Vorgehen der Eintracht: „Wenn es Spieler gibt, die auf der Bank und auf der Tribüne sitzen und mehr Geld verdienen, dann macht man sich schon Gedanken. Wenn es ein faires Angebot wäre, hätte man sich auch darüber unterhalten können. Ich habe ja keine utopischen Vorstellungen.“ Walther Lücker kommt in der Frankfurter Rundschau zu folgendem Schluss: „Da liegt der Verdacht nahe, dass es einen anderen Hintergrund gibt. Vielleicht die 1,2 Millionen Mark Transfersumme, die bei einem Wechsel Sippels in die Kassen fließen werden, oder die Tatsache, dass sich für den ungeliebten Axel Kruse kein anderer Verein finden lässt, oder dass die Eintracht bei dem Norweger Jörn Andersen im Wort steht und der extra die deutsche Staatsbürgerschaft annimmt, um in Frankfurt bleiben zu können. Am Samstag saßen Kruse und Andersen nicht einmal auf der Ersatzbank, Lothar Sippel aber schoss zwei Tore.“ Sippel schließt denn wie Lücker auch nicht aus, dass man ihn loswerden will: „Das könnte durchaus sein. Ich habe nach meiner Kündigung wissen wollen, wie viel ich dem Verein wert bin. Das weiß ich jetzt und muss daraus meinen Schluss ziehen.“ „Es sieht nach dem momentanen Stand der Dinge so aus, dass ich die Eintracht verlassen werde“, sagt der Publikumsliebling und fügt hinzu: „Das ist schade, auch wegen der großartigen Fans. Da geht man schon mit einem weinenden Auge.“ (rs)
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