VfB Stuttgart - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1991/1992 - 12. Spieltag

1:2 (1:0)

Termin: Sa 05.10.1991 15:30
Zuschauer: 48.500
Schiedsrichter: Hellmut Krug (Gelsenkirchen)
Tore: 1:0 Maurizio Gaudino (45.), 1:1 Jörn Andersen (60.), 1:2 Anthony Yeboah (80.)

 

 

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VfB Stuttgart Eintracht Frankfurt

  • Eike Immel
  • Uwe Schneider
  • Nils Schmäler
  • Andreas Buck
  • Slobodan Dubajic
  • Guido Buchwald
  • Maurizio Gaudino
  • Matthias Sammer (72.)
  • Alexander Strehmel
  • Michael Frontzeck
  • Fritz Walter

 


 

Wechsel

  • Jürgen Kramny für Alexander Strehmel (34.)
  • Michael Mayer für Uwe Schneider (46.)

Wechsel

Trainer

  • Christoph Daum

Trainer

 

 

Ausraster, Pirouetten und Traumtore

Es ist ein echtes Spitzenspiel, das heute im Stuttgarter Neckarstadion ausgetragen wird: Der Tabellenführer ist beim punktgleichen Zweitplatzierten zu Gast, den er übrigens erst am letzten Wochenende vom Spitzenplatz verdrängt hat. Das könnte sich heute wieder ändern, denn der Vorsprung der Frankfurter Eintracht auf den VfB Stuttgart beträgt nur drei Tore. Außerdem haben sich die Schwaben in den bisherigen fünf Heimspielen der Meisterschaftsrunde keine Blöße gegeben und nur zwei Gegentreffer kassiert. Zuletzt wurde mit dem 1. FC Kaiserslautern sogar der amtierende Deutsche Meister mit einer 1:4-Niederlage zurück in die Pfalz geschickt.

Dieser Heimstärke des VfB dürfte es geschuldet sein, dass Eintracht-Trainer Stepanovic seine Elf mit nur einer Spitze antreten lässt: Anthony Yeboah. Das bedeutet, dass der Coach neben Axel Kruse und Edgar Schmitt, die vor drei Tagen beim 5:0-Sieg in Luxemburg drei Tore beigetragen haben, auch auf Jörn Andersen verzichtet, der vor 14 Tagen in seinem ersten Spiel nach seinem Wechsel von der Fortuna zurück zur Eintracht beim 3:3 in München zwei Tore gegen die Bayern erzielte. Und während Stepanovic im Sturm aus dem Vollen schöpfen kann, es aber nicht tut, verwaltet Christoph Daum beim VfB den aus der Verletzungsmisere entstandenen Mangel und beordert Mittelfeldspieler Maurizio Gaudino als Unterstützung des Torjägers Fritz Walter in den Sturm.

Möller soll bei der Eintracht nach dem Willen Stepanovics heute eine ähnliche Rolle spielen, was ihm aber deutlich schlechter gelingt als Gaudino. Der lässt sich gleich zu Beginn am rechten Flügel von Binz nicht aufhalten. Seine Flanke gerät ihm dabei zum Schuss, denn über Stein hinweg senkt sich der Ball in den linken Winkel, entscheidet sich dann aber im letzten Moment doch nur die Querlatte zu touchieren und ins Feld zurückzuspringen.

Die Eintracht kann sich des Drucks der Gastgeber nicht entziehen und nur schwer erwehren. Ein Freistoß von Frontzeck von der linken Seite segelt über die Frankfurter Abwehr und kommt am rechten Eck des Fünfmeterraumes herunter, wo Lothar Sippel Matthias Sammer nicht aufhalten kann. Sammer nimmt den Ball volley und scheitert – wie zuvor Gaudino – nur an der Querlatte des Frankfurter Gehäuses. Falkenmayer befördert den Abpraller mit einem weiten Schlag energisch aus der Gefahrenzone.

Sammer, der nach seiner auskurierten Verletzung wieder in die Elf zurückgekehrt ist, ist der Dreh- und Angelpunkt seiner Mannschaft und übertrifft in der ersten Halbzeit Bein und Möller aufseiten der Eintracht deutlich. An Tagen wie diesen kann den Stuttgarter nur einer stoppen: Er selbst. Bei allem Einsatz und allem Ehrgeiz neigt der ehemalige Dresdner zum „Überdrehen“. So hat ihn Schiedsrichter Krug nach einem Foul und dem sich unvermeidlich anschließendem Meckern bereits in der Anfangsphase ermahnt. Als es Sammer dann in der 16. Minute nicht gelingt, Uwe Bein zu stellen und er den Frankfurter Spielmacher von hinten am Trikot festhält, erhält er die Gelbe Karte und muss fortan aufpassen.

Die klare Überlegenheit der weitaus aggressiver zu Werke gehenden Schwaben müssen die Hessen in diesem ersten Durchgang trotz eigener Chancen anerkennen. Was der Truppe von Trainer Daum abgeht, ist eine bessere Verwertung der sich bietenden Möglichkeiten. So jagt Buck nach einer Stein-Glanzparade den Ball freistehend aus nächster Distanz am Pfosten vorbei. Doch die Gastgeber bleiben am Drücker und lassen sich nicht davon beeindrucken, dass sie schon nach 34 Minuten Alexander Strehmel durch Jürgen Kramny ersetzen müssen.

Kurz vor dem Pausenpfiff ist es dann soweit: Sammer nimmt Studer am rechten Flügel den Ball ab und befördert das Leder gefühlvoll in die Strafraummitte, wo Gaudino – von der aufgerückten Frankfurter Deckung unbewacht – in Mittelstürmerposition steht. Mit der Brust nimmt er das Leder gekonnt an, lässt den Ball abtropfen und hämmert ihn an Stein vorbei volley unter die Latte. Ein herrlicher Treffer.

Im zweiten Durchgang bietet sich dann aber ein anderes Bild, was nicht daran liegen kann, dass der VfB zum zweiten Mal auswechselt. Für Uwe Schneider kommt Michael Mayer zu seinem Bundesligadebüt. Am Mittwoch hat der junge Mann, der in 12 Tagen 21 Jahre alt wird, bereits im Europapokal einen erfolgreichen Einstand gefeiert. Im Spiel beim SC Pecsi Munkas in der 74. Minute eingewechselt, traf er umgehend zur 2:1-Führung für den VfB. Ähnliches ist ihm heute nicht vergönnt, denn nun übernimmt die Eintracht das Kommando auf dem Rasen.


Andersen zum Ausgleich

Nach einer Stunde passt der enorm einsatzfreudige Falkenmayer den Ball am linken Flügel nach innen zu Bein, der die Kugel sofort gefühlvoll Richtung linkes Strafraumeck hebt. Dort nimmt Yeboah den Ball mit der Brust an und hebt ihn seinerseits mit dem linken Fuß in den Lauf des neben ihm startenden Andersen. Der schießt aus fast unmöglichem Winkel mit dem Vollspann auf den Kasten und trifft in den rechten Torgiebel. Andersen, zwei Minuten zuvor für Studer eingewechselt, erzielt mit seiner ersten Ballberührung den Ausgleich und das nächste Traumtor in dieser Partie.

Sammer ist über den Spielverlauf alles andere als glücklich. In der 72. Minute greift er 30 Meter vor dem eigenen Kasten Möller an. Der lupft den Ball rechts am Schwaben vorbei und will hinterher sprinten, was der Düpierte zulassen könnte, aber offensichtlich nicht zulassen will. Obwohl der Ball ihn längst passiert hat, fährt er Möller übel in die Parade. Am Boden liegend hebt Sammer beide Arme in Richtung des Schiedsrichters, als wolle er diesem bedeuten, dass er ja nicht habe anders handeln können. Das kann auch Hellmut Krug im Fall des bekanntlich bereits mit Gelb verwarnten Sammer nicht und schickt den Stuttgarter mit der „Ampelkarte“ vom Feld.


Yeboah köpft zur Führung

Jede von Möllers Aktionen wird fortan von einem gellenden Pfeifkonzert des Stuttgarter Publikums begleitet. Das scheint Möller aber nicht sonderlich zu stören. Auch nicht, als er zehn Minuten vor dem Ende einen Eckball von rechts ausführt und damit im Stuttgarter Strafraum eine Naturgewalt entfesselt. Die trägt den Namen Anthony Yeboah und ist vom bedauernswerten Stuttgarter Gegenspieler nicht zu halten, als er sich neun Meter vor dem Tor wie ein Orkan in den Ball wuchtet und mit dem Kopf in den rechten Winkel versenkt, ohne dass der auf der Linie stehende Verteidiger eine Abwehrchance hätte.

Walter, Buchwald und Gaudino bekommen in der hektischen Schlussphase Gelegenheit, das 2:2 zu erzielen, doch das gelingt ihnen ebenso wenig wie den Gästen das erlösende 1:3. Dabei haben die Frankfurter großartige Konterchancen. Etwa als Andersen Sippel freispielt, der aber allein vor Immel aus sieben Metern nur die Querlatte trifft. Oder als Uwe Bein sich von seinem Gegenspieler nicht aufhalten lässt, mit seinem halbhohen Schuss in die linke Ecke jedoch an Immel scheitert. Den Abpraller bekommt der blank stehende Andersen vor die Füße, doch der Mann, dem vor einer halben Stunde noch ein Kunststoß gelang, schießt nun aus zehn Metern über das nahezu leere Tor. Auch im Fußball gilt: Nicht alles kann man erklären.

Als Schiedsrichter Krug abpfeift, fallen sich die Frankfurter in die Arme oder hüpfen vor Freude auf dem Platz herum, bevor Kapitän Stein seiner Elf das Signal gibt, sich zum eigenen Anhang in die Kurve zu begeben. Zuvor muss Stein aber eine Umarmung des freudetrunken tanzenden Eintracht-Managers Klaus Gerster über sich ergehen lassen, der jeden herzt, der ihm nicht schnell genug ausweichen kann. Der Erfolg in Stuttgart übertüncht die weiterhin vorhandenen tiefen Risse, kitten wird er sie jedoch nicht.


Stepanovic

Eintracht-Trainer Stepanovic ist nach dem Abpfiff ebenfalls gut gelaunt. „Muss ich mal sage, reichlich geschwitzt heute“, grinst er. Und nach dem Abpfiff sei er nur deshalb so schnell in die Kabine geeilt, „weil ich die Hosen wechseln musste“. Wie üblich gefällt er sich als Spaßvogel, doch dieses Mal ebenso als nachdenklicher Mahner: „Es gab heute einige Dinge, die mir wieder nicht gefallen haben.“ Diese will er aber erst nach dem Studium der bewegten Bilder benennen: „Ich werde ihnen schon Bescheid sagen, wenn ich mir die Partie auf Kassette angeschaut habe.“ Im Gegensatz zu seinem Trainer tatsächlich etwas mitgenommen wirkt Matthias Ohms, der zur Sicherheit die Kaffeetasse mit beiden Händen umfasst. Das Zittern hat sich beim Eintracht-Präsidenten auch eine knappe halbe Stunde nach dem Schlusspfiff noch nicht gelegt: „Ein 1:1 habe ich in der Halbzeit erhofft, einen Sieg habe ich nicht mehr erwartet.“

„Wie früher die Bayern! Die waren selbst im Rückstand nicht aus der Ruhe zu bringen, die haben locker weitergespielt und dann eiskalt zurückgeschlagen“, lobt der Stuttgarter Torschütze Gaudino und sein Kapitän Buchwald meint: „Die Eintracht ist der Top-Favorit auf den Titel.“ Und auch VfB-Trainer Daum glaubt: Mit dem notwendigen Quäntchen Glück „kann diese Mannschaft Meister werden.“ Das sieht auch Uwe Bein so: „Wir haben das Zeug zum Meister.“ „Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg. Wir haben den Kampf angenommen“, findet Andreas Möller. „Nun müssen wir auch gegen die Spitzenmannschaften punkten“, fordert er: „Diesmal ist uns das gut und mit Erfolg gelungen.“ „Ich bin jedenfalls sehr froh, dass wir endlich mal gegen zehn Mann gewinnen konnten, dass es uns nicht wieder so gegangen ist, wie in Dresden oder Köln“, ist Möller erleichtert. „Irgendetwas“, meint Bein, „ist in dieser Mannschaft geschehen, dass uns ein Rückstand nicht mehr umwirft.“

Kapitän Uli Stein, eben noch jubelnd neben Binz auf dem Zaun des Frankfurter Fanblocks, spricht nun abgeklärt von einem „glücklichen, aber am Ende auch verdienten Sieg.“ Dass die Eintracht aber überhaupt ins Hintertreffen geriet, lag an dem defensiven Korsett, in das Stepanovic seine Elf in der ersten Halbzeit gesteckt hatte. Stundenlang habe er auf einem Tisch Zettelchen mit den Namen seiner Spieler hin und her geschoben, verrät der Trainer, der seine „Zettelwirtschaft“ mit der Einwechslung Andersens wieder in Ordnung brachte. „Dass Stepanovics Vorsichts-Schachzug wie schon zuletzt gegen Dortmund, als er in der Halbzeit die halbe Mannschaft umkrempelte, abermals gut ging, darf der Mann wieder auf sein Glückskonto buchen“, kommentiert Walther Lücker für die Frankfurter Rundschau und schickt eine Warnung an den Trainer hinterher: „Glück ist ein Gut, das man leicht überstrapazieren kann.“

„Ich hatte mit beiden Spitzen gerechnet“, war auch Möller vor dem Spiel von den taktischen Überlegungen seines Vorgesetzten überrascht und wenig angetan: „Ich sollte dann mit vorne drin spielen, aber das mache ich nicht so gerne.“ „Mit zwei echten Stürmern sind wir schwerer auszurechnen“, pflichtet Bein Möller bei: „Als Andersen kam, hatten wir gleich einen Anspielpunkt mehr in der Offensive und sind hinten nicht mehr so unter Druck geraten.“ „Absolut außergewöhnlich“, findet übrigens Andersen seine spielentscheidende Rolle: „ Ich kann mich nicht erinnern, als Einwechselspieler je ein Tor gemacht zu haben. Eigentlich ist Einwechseln nicht mein Spiel.“ „Ich habe Möller in der Mitte laut rufen hören, aber ich dachte mir: Hau lieber selbst drauf.“

Auf den nicht zum ersten Mal gegen ihn erhobenen Vorwurf, er tue sich bei den „absoluten Spitzenspiele“ viel schwerer tun als sonst, entgegnet Möller: „Ich bin kein Einzelkämpfer, ich brauche die Mannschaft und jeden einzelnen Mitspieler. Ich weiß aber auch, dass dies eine ganz, ganz schwere Saison für mich wird, denn jeder einzelne Gegenspieler will sich gerade gegen mich profilieren. Aber ich glaube, ich bin auf einem guten Weg, dieses Problem zu lösen.“ Den Vergleich zwischen Möller und Sammer, der im Vorfeld breit diskutiert wurde, will der Frankfurter nach dem Spiel nicht ziehen, „weil wir ja nicht gegeneinander gespielt haben. Aber ich muss sagen, wenn Sammer mal 90 Minuten einen Gegenspieler auf den Füßen stehen hat, wie es mir andauernd geht, sieht die Welt für ihn auch ganz anders aus.“ „Aber das Foul war absolut unnötig, so etwas hat der Matthias doch gar nicht nötig“, kartet Möller nach: „Vielleicht hat er innerlich total gekocht, und deshalb ist ihm das passiert.“


Sammers Foul an Möller

Sammer kocht wohl immer noch, denn zwei Kamerateams und ein Dutzend Journalisten müssen weit über eine Stunde nach dem Abpfiff immer noch auf ihn warten. VfB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder und Manager Dieter Hoeneß hatten mit dem als Hitzkopf bekannten Sammer noch das eine oder andere beruhigende Wörtchen zu reden, weil man ihn vor dem „Ausrasten bewahren wolle“, wie Hoeneß den Journalisten im Vorübergehen lächelnd mitteilt. Tatsächlich gelingt es dem nach knapp 80 Minuten doch noch aufgetauchten Sammer Einsicht zu zeigen, doch die dauert lediglich so lange an, wie die Fernsehkameras laufen. Es sei „Schwachsinn“ gegen die Entscheidung von Krug zu wettern, hatte er eben noch eingeräumt, doch im Zwiegespräch mit den schreibenden Journalisten schwinden die erzwungene Besonnenheit und Einsicht zusehends, was dem hitzigen Kopf, der ja bei normaler Betriebstemperatur ohne Zweifel auch ein kluger ist, natürlich selbst nicht verborgen bleibt: „Ich muss unheimlich aufpassen, dass ich meine Gedanken zusammengekommen. Irgendwie fühlt man sich immer ungerecht behandelt.“

Und genau so fühlt sich nicht „man“, sondern Sammer und tritt plötzlich die ganze geheuchelte Einsicht so wenig elegant in die Tonne wie zuvor auf dem Platz in die Beine des Frankfurters. Doch genau das will Sammer nicht wahrhaben, obwohl die Fernsehbilder ihn widerlegen: „Er ist gegen mein Bein gelaufen. Ich habe ihn nicht getreten!“ Warum sollte er auch, denn „ich habe es nicht nötig, Möller absichtlich zu foulen.“ Und bevor er verschwindet, gibt er seinem Gegner für dessen allerdings tatsächlich theatralisches Rollen nach Sammers Tritt noch einen mit: „Ich hoffe nur, dass sie ihn wieder aus dem Rasen 'rauszogen haben – nach dieser Pirouette ...“ (rs)


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