Dynamo Dresden - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1991/1992 - 3. Spieltag

2:1 (1:1)

Termin: Di 13.08.1991 20:00
Zuschauer: 20.500
Schiedsrichter: Wolf-Günter Wiesel (Ottbergen)
Tore: 0:1 Andreas Möller (27.) 1:1 Torsten Gütschow (40.) 2:1 Torsten Gütschow (81.)

 

 

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Dynamo Dresden Eintracht Frankfurt

  • René Müller
  • Jens Melzig
  • Detlef Schößler
  • Heiko Scholz
  • Andreas Wagenhaus (60.)
  • Hans-Uwe Pilz
  • Uwe Rösler
  • Sven Ratke
  • Ralf Hauptmann
  • Steffen Büttner
  • Torsten Gütschow

 


 

Wechsel

  • Frank Lieberam für Sven Ratke (62.)
  • Dirk Zander für Torsten Gütschow (84.)

Wechsel

Trainer

  • Helmut Schulte

Trainer

 

 

Güts(c)how in Dresden

In Frankfurt hängt der Himmel mal wieder voller Geigen. Der Titelkandidat ist gut in die Saison gestartet, Trainer Dragoslav Stepanovic verweist nach dem 2. Spieltag aber völlig zu Recht auf die Länge der Saison. Durch die beiden Klubs aus dem Osten Deutschlands, die sich als Erster und Zweiter der Fußball-Oberliga Nordost (NOFV) für die nun auf 20 Teams aufgestockte 1. Bundesliga qualifiziert haben, wird es statt der seit 1965 üblichen 34 Spieltage 38 geben. „Ich würde die zwei Siege gerne für die nächsten 36 hergeben“, sagt Stepanovic.

Das ist nachvollziehbar, doch Grund zur Klage hat er nach dem 2:1-Auftaktsieg in Düsseldorf und dem rauschenden Fußballfest gegen Aufsteiger Schalke 04 natürlich auch nicht: Fünf Mal musste der Gästetorwart Jens Lehmann im Waldstadion hinter sich greifen, derweil Uli Stein seinen Kasten sauber halten konnte. Und nur drei Tage nach dem die Eintracht den Gelsenkirchenern so eindrucksvoll die Grenzen aufgezeigt hat, steht das Gastspiel in Dresden an. Während mit Hansa Rostock der andere Bundesliganeuling aus dem Osten der Republik nach dem Auswärtserfolg bei Bayern München hinter der Eintracht als Zweiter von der Tabellenspitze grüßt, steht Dynamo Dresden nach zwei Niederlagen am Ende der noch wenig aussagekräftigen Tabelle. Dass in beiden Punktspielen aber nicht einmal ein Treffer für die Sachsen herausspringen wollte, schafft schon ein wenig Unruhe im Umfeld des Vereins von der Elbe.

Schon vor der Saison wollten nicht alle die Notwendigkeit erkennen, den erfolgreichen Trainer Reinhard Häfner zu entlassen und in der Bundesliga durch Helmut Schulte zu ersetzen. Schulte, der seinerseits am 19. Februar beim späteren Erstligaabsteiger FC St. Pauli seine Papiere bekam, kennt zwar die Bundesliga, doch der langjährige ehemalige Dynamo-Spieler Häfner kennt Dresden wie kaum ein Anderer. Immerhin steht aber nun mit Dirk Zander, den Schulte vom Millerntor mitgebracht hat, ein Rekordhalter im Kader Dynamos: Im April erzielte Zander für St. Pauli in der Partie gegen den KSC in den ersten vier Minuten zwei Treffer und das erste Tor gelang ihm dabei nach nur 12 Sekunden – der schnellste Treffer der Bundesligageschichte bislang.

Zander ist allerdings nicht der erste westdeutsche Spieler bei Dynamo, das 1990 mit Matthias Sammer und Ulf Kirsten die besten Spieler an westdeutsche Vereine verloren hat: Der in Essen geborene Sergio Allievi kam im Sommer vor einem Jahr vom DFB-Pokalsieger Kaiserslautern, nachdem der Wechsel zu Galatasaray Istanbul am Veto seiner Frau scheiterte und auch ein Transfer zum VfL Bochum nicht zustande gekommen war. Allievi, der in Kirstens ehemaliger Wohnung in einem Plattenbau gezogen ist, kam so neben den Spielen in der NOFV-Oberliga auch zu Einsätzen im Europapokal der Landesmeister, wo der vorletzte ostdeutsche Meister erst in der dritten Runde die Segel streichen musste. Der Spielabbruch im heimischen Rudolf-Harbig-Stadion beim Rückspiel gegen Roter Stern Belgrad markierte allerdings ein unrühmliches Ende der Auftritte Dynamos auf der europäischen Fußballbühne.

Die Eintracht betritt dagegen in Dresden quasi Neuland. Viele Frankfurter Spieler nutzen am Dienstag daher die Gelegenheit zu einem Bummel durch den Kern der Altstadt. Lothar Sippel ist beeindruckt: „Überwältigend.“ Norbert Nachtweih, André Köhler und Axel Kruse verbinden im Gegensatz zu ihren Mitspielern mit Dresden auch sportliche Erlebnisse. Nachtweih, der im Sommer vom AS Cannes zur Eintracht zurückgekehrt ist und sich Ende 1976 zusammen mit Jürgen Pahl bei einem Junioren-Länderspiel in der Türkei von der DDR nach Westdeutschland abgesetzt hatte, kann sich sogar noch ganz genau an einen 4:2-Sieg mit seinem damaligen Klub Chemie Halle erinnern: „Das war in der Saison 1975/76, Dynamo war damals gespickt mit Nationalspielern und bereits vorzeitig Meister. Unser Sieg war eine echte Sensation.“

Am Montag, also bereits einen Tag vor der Mannschaft, ist die Führung der Eintracht mit Präsident Matthias Ohms, Vizepräsident Bernd Hölzenbein und Schatzmeister Wolfgang Knispel in Dresden eingetroffen. Die Herren haben sich mit den Verantwortlichen von Dynamo getroffen, doch auch die Fans begegnen sich schon vor dem Anpfiff. Organisiert vom Frankfurter Fan-Projekt trifft man sich drei Stunden vor Spielbeginn im Ratskeller des Dresdener Rathauses.

Weniger harmonisch verläuft die Anfangsphase der Partie, die Schiedsrichter Wiesel wegen einzelner Härten und versteckter Fouls erhöhte Aufmerksamkeit abverlangt. Wiesel positioniert sich allerdings sofort deutlich, unterbindet jede Regelwidrigkeit und weicht von dieser Linie nicht mehr ab. Es wird deutlich, dass die Gastgeber diese Partie nicht auch noch verlieren wollen und alles, was sie haben, in die Wagschale werfen.

Trainer Schulte hat seine Elf gegenüber der 0:2-Niederlage beim HSV lediglich auf einer Position verändert: Sven Ratke ersetzt Dirk Zander. Dragoslav Stepanovic sieht dagegen keine Veranlassung für eine Veränderung und nimmt deswegen auch keine vor. Aber auch wenn seine Mannschaft die Begegnung bei den Sachsen dominiert und das Geschehen auf dem Platz kontrolliert, so versäumt sie es doch, früh für klare Verhältnisse zu sorgen. Zudem kümmert sich Dynamos Hintermannschaft besonders aufmerksam um Möller und Spielmacher Bein, dem Routinier Hans-Uwe Pilz, der nach nur sechs Monaten bei Fortuna Köln bereits zu Jahresbeginn wieder zu Dynamo zurückgekehrt ist, fast wortwörtlich auf den Füßen steht.


Stepi, Körbel und der schwarze Abt

Und so müssen Trainer und Anhang fast eine halbe Stunde warten, bis der erste Treffer fällt. Es ist ein sehenswerter Spielzug, der von Kruse und dem ballsicheren Gründel in der 27. Minute eingeleitet und von Möller mit seinem vierten Saisontreffer abgeschlossen wird. Möller hat bislang in jedem Punktspiel getroffen und nunmehr die Hälfte der Frankfurter Treffer erzielt. Es ist allerdings das erste Mal in dieser Partie, dass er seinen Gegenspieler und hautnahen Bewacher Ralf Hauptmann abschütteln konnte.

Der Führungstreffer lässt die Gäste aus Hessen nun unverkrampfter aufspielen. In der 29. Minuten muss der agile Möller aber das 0:2 erzielen, als er frei und in bester Position vor dem Kasten der Sachsen auftaucht. Möller scheitert jedoch an Torwart René Müller, der aufgepasst hat und sich von dem Frankfurter Nationalspieler nicht so leicht überwinden lässt wie sich dieser das sicher gewünscht hat. Sechs Minuten später ist der zweite Treffer dann schon wieder greifbar nah. Axel Kruse, der mit Trainer Stepanovic seinen Frieden gemacht zu haben scheint und am Samstag gegen Schalke zwei Tore erzielt hat, steht nach einem der Pässe, die zurzeit wohl nur Uwe Bein zu spielen versteht, vor Müller und dem 0:2, doch auch er scheitert.

Die Strafe für das Auslassen allerbester Torgelegenheiten folgt fünf Minuten später – statt 0:3 steht es in der 40. Minute plötzlich 1:1. Heiko Scholz bringt einen Freistoß in den Frankfurter Strafraum, wo sich Torsten Gütschow von Dietmar Roth bewachen, aber nicht stören lässt und mit einem kraftvollen Kopfball den Ball im Eintracht-Gehäuse unterbringt. Der letzte Fußballer des Jahres der DDR hat auch in der Bundesliga nichts von seiner Gefährlichkeit eingebüßt. Drei Mal hintereinander – 1989, 1990 und 1991 - war er in der ostdeutschen Eliteklasse bis zuletzt Torschützenkönig. Die Eintracht war also gewarnt, genutzt hat ihr das nichts.

Der Gleichstand trägt im zweiten Durchgang wie zu Beginn der Partie zu einer harten Spielweise bei, die teilweise auch rüdere Formen annimmt, an der allerdings beide Mannschaften ihren Anteil haben. Dem Spiel tut dies natürlich gar nicht gut, zumal beide Teams nun verstärkt darauf abzielen, kein zweites Gegentor zu kassieren. Auf Ballsicherung oder der Bewachung des Gegners bedacht, geraten die Angriffsbemühungen hüben wie drüben erst einmal ins Hintertreffen.

Es ist Uwe Bein, der nach einer Viertelstunde in der zweiten Halbzeit des Ballhaltens überdrüssig wird und wieder etwas riskiert. Sein vortrefflicher Steilpass auf den antrittsschnellen Möller eröffnet auch gleich eine Konterchance, bei der Möller auf und davon gehen kann und deswegen von Dresdens Libero Wagenhaus von hinten die Beine weggezogen bekommt. Schiedsrichter Wiesel bleibt nichts anderes übrig, als Wagenhaus mit einer Roten Karte des Feldes zu verweisen. Der Eintracht wäre indes lieber gewesen, den Ball im Tor als den Dresdner beim Abmarsch zu sehen.

Doch auch so hat man nun den Nutzen, gegen nur noch neun Dresdner Feldspieler endlich den Raum zu erhalten, um den man eine Stunde lang gerungen hat. Schulte versucht diesen Vorteil zu begrenzen, indem er Abwehrmann Frank Lieberam für den Offensivspieler Sven Ratke in die Partie bringt, um die Defensive zu stärken. Tatsächlich gerät Dynamo unter erheblichen Druck, doch nicht mehr in Rückstand. Bein, Gründel und Möller schalten und walten, setzen den agilen, aber erfolglosen Sippel sowie den sich immer wieder anbietenden Kruse ein, aber keinem gelingt es, den entscheidenden Vorstoß zum Abschluss zu bringen.

So ist es nicht Müller, sondern Stein, der einen Rückstand verhindern muss. Gütschows Sturmpartner Uwe Rösler kommt zum Kopfball, der vom Meistertorwart der Eintracht aber pariert werden kann. Neun Minuten vor dem Ende ist aber auch Stein geschlagen. Wieder ist es eine Standardsituation, die dem Dresdner Treffer voraus geht, wieder ist es Gütschow, der sich gegen Roth durchsetzt, und wieder ist es ein Kopfballduell, das von den Frankfurtern verloren wird. Gütschows Kopfball trifft die Unterkante der Latte und springt von dort hinter die Linie. Das ist das 2:1, auch wenn der Schiedsrichter erst nach kurzem Innehalten auf Tor entscheidet und die Frankfurter ganz und gar nicht seiner Meinung sind.

Möller und Binz, die sich beide Hoffnungen auf einen Einsatz im Länderspiel gegen England machen dürfen, bekommen so einen passenden Auftakt zur Reise in die berühmte Londoner Fußballstätte, die seit dem WM-Finale 1966 Treffern wie dem in Dresden die Bezeichnung Wembley-Tor gegeben hat – zumindest in Deutschland. Gütschows zweiter Treffer heute wird aber nicht die Diskussionen nach sich ziehen wie seinerzeit das zweite Tor von Geoff Hurst, zumal die Lage der Dinge und somit des Balles heute klarer ist als vor 25 Jahren.

Die Aufregung der Frankfurter ist dennoch verständlich, denn ein Spiel, das nur sie als Sieger kennen darf, droht verloren zu gehen. Stepanovic reagiert, wechselt Gründel aus und bringt mit Edgar Schmitt einen wuchtigeren Angreifer. Schmitt, der mit dem FSV Salmrohr und dem 1. FC Saarbrücken von 1986 bis 1988 in 52 Punkspielen Erfahrungen in der 2. Liga sammeln konnte, ist im Sommer vom Amateurligisten Eintracht Trier zum Namensvetter nach Frankfurt gewechselt und feiert jetzt sein Erstligadebüt – mit 28 Jahren.

Helmut Schulte beendet auf der anderen Seite die Güts(c)how und wechselt sechs Minuten vor dem Abpfiff Zander für den zweifachen Torschützen und Helden des Tages ein. Denn das bleibt Gütschow, nachdem auch der in der 89. Minute für Stefan Studer eingewechselte Ralf Weber keine Ergebnisänderung mehr herbeiführen kann. Die Diva vom Main ist ihrem Ruf, der sie nun seit Jahrzehnten mit unterschiedlicher Intensität begleitet, wieder einmal gerecht geworden. Freuen kann sich darüber aber in Frankfurt niemand. (rs)

 


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