Eintracht Frankfurt - Hamburger SV

Bundesliga 1990/1991 - 25. Spieltag

0:6 (0:1)

Termin: Sa 13.04.1991 15:30
Zuschauer: 29.000
Schiedsrichter: Lothar Löwer (Unna)
Tore: 0:1 Jan Furtok (26.), 0:2 Jan Furtok (46.), 0:3 Armin Eck (58.), 0:4 Waldemar Matysik (73.), 0:5 Jan Furtok (85.), 0:6 Harald Spörl (89.)

 

 

>> Spielbericht <<

Eintracht Frankfurt Hamburger SV

 


  • Richard Golz
  • Waldemar Matysik
  • Holger Ballwanz
  • Thomas Stratos
  • Carsten Kober
  • Dietmar Beiersdorfer
  • Armin Eck
  • Jan Furtok
  • Thomas Doll
  • Harald Spörl
  • Frank Rohde

 

Wechsel

Wechsel

  • Jörg Bode für Thomas Stratos (79.)
  • Fernando Pereira P. Nando für Thomas Doll (80.)

Trainer

Trainer

  • Gerd-Volker Schock

 

 

Theater ohne Grenzen

Dass der Vertrag mit Uwe Bein am Samstagmorgen, wie seit Tagen erwartet, um zwei Jahre bis zum 30. Juni 1993 verlängert wurde, ist die beste Nachricht von der Eintracht in dieser Woche. Denn es gärt gewaltig im Umfeld. Die Unzufriedenheit ist groß, nachdem die Mannschaft die hochgesteckten Erwartungen in der Rückrunde nicht mehr erfüllen konnte. Lag die Eintracht nach dem 14. Spieltag mit nur zwei Zählern Rückstand auf den Tabellenführer auf dem 4. Platz, ist sie nach nur zwei Siegen mit 9:11 Punkten in zehn Ligaspielen am letzten Wochenende vom heutigen Gegner, dem Hamburger SV, auf den 5. Rang verdrängt worden. Der Rückstand auf den Spitzenreiter beträgt mittlerweile 7 Punkte, was jedoch ungleich schwerer wiegt, ist der Umstand, dass der Vorsprung vor dem Neuntplatzierten auf zwei Zähler geschmolzen ist. Die neuerliche Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb ist für die Frankfurter aber von erheblicher finanzieller Bedeutung, zumal das Team in dieser Saison bereits in der 1. Runde UEFA-Cups ausgeschieden ist und sich beim 0:5 im Hinspiel beim dänischen Vertreter Bröndby IF bis auf die Knochen blamiert hat.

Trainer Berger, der die Eintracht vor zwei Jahren über die Relegation zum Klassenerhalt und in der letzten Saison über den 3. Platz zurück in den Europapokal führte, ist intern zur Zielscheibe des Unmuts geworden, obwohl seine Elf neben dem 4. Rang in der Liga im DFB-Pokal das Halbfinale erreicht hat. „Ich will Tore sehen“, hat Jörg Berger am Donnerstag gefordert und hofft auf einen ähnlichen Befreiungsschlag wie beim 5:1 gegen Borussia Mönchengladbach vor zehn Tagen. Klar ist: Gegen den nach schwachem Saisonstart ins Rollen gekommenen, aber zuletzt nach vier Unentschieden mit 4:4 Toren wieder etwas gebremsten HSV, darf es keine Niederlage geben.

Problematisch ist, dass mit Möller der bislang treffsicherste Spieler in diesem Jahr nicht an die Form der Hinrunde anknüpft, als er in sechs verschiedenen Punktspielen sieben Tore erzielte. In der Rückrunde traf er lediglich beim 1:1 in Bremen und beim 3:2 gegen den 1. FC Kaiserslautern. Gegen die Pfälzer gingen zwar alle Eintrachttore auf sein Konto, aber das verwundert nicht, denn der gegnerische Trainer hieß in dieser Begegnung Karl-Heinz Feldkamp. Also jener Fußballlehrer, von dem sich Möller nicht genug gewürdigt sah, was vor drei Jahren zu seinem Wechsel nach Dortmund beigetragen hatte. Doch jetzt ist nicht mehr viel übrig, von der trügerischen Harmonie nach den spielerischen Glanzvorstellungen gegen Wattenscheid und Mönchengladbach sowie nach Möllers Bekenntnis zur Eintracht am Karfreitag und seiner Hoffnung, künftig „harmonisch und vertrauensvoll“ in Frankfurt Fußball spielen zu können.

Was beim Anpfiff noch keiner ahnen kann: Bergers Wunsch nach Toren wird in Erfüllung gehen, es wird aber keines von Möller dabei sein – und auch keines von einem anderen Eintrachtspieler. Ein Teil der Fans ist vor dem Spiel aber ohnehin mit sich selbst beschäftigt, denn die Pläne des DFB, aus Sicherheitsgründen keine Stehplätze in Fußballstadien mehr zulassen zu wollen, führen bundesweit zu Protesten. Auch im Frankfurter Waldstadion werden die Fans aus dem G-Block nach einer halben Stunde ihre Stehplätze verlassen: „Sicherheit – Ja, aber nicht auf unsere Kosten“, lautet das Motto und das in der Kurve aufgehängte breite Banner spricht eine deutliche Sprache: „Sitzen ist für’n Arsch“.

Auf dem Spielfeld dagegen stellt der HSV seine Klasse sofort unter Beweis. Ein langer Ball aus der eigenen Hälfte wird von Doll im Luftduell per Kopf auf Furtok verlängert, der den Ball mit der Brust annimmt, geschickt abschirmt und dann mit der Hacke zurück in den Lauf von Doll spielt. Der schüttelt im Sprint Binz ab und dribbelt am rechten Strafraumeck auch am langen Bein Körbels vorbei. Doll scheitert aber aus spitzem Winkel mit seinem Flachschuss in die linke Ecke an der Fußabwehr Uli Steins, der den Hamburger danach tröstend in den Arm nimmt und ihm einen aufmunternden Klaps auf den verlängerten Rücken gibt.

In der 26. Minute ist Stein dann aber geschlagen, als es nahe der rechten Eckfahne einen Freistoß gibt, den Spörl ausführt. Der Ball fliegt im hohen Bogen über die Abwehr und leider auch über Uwe Bindewald, der sich völlig verschätzt und unter dem Leder ins Leere springt. Sehr zur Freude von Furtok, der acht Meter vor dem Tor in halblinker Position unbedrängt den Ball annehmen kann. Das gelingt ihm nicht sonderlich gut – die Kugel springt ihm gegen das Schienbein. Obwohl mit Torwart Stein acht Frankfurter im eigenen Strafraum gerade einmal vier Gegnern gegenüberstehen, ist in Furtoks Nähe kein Verteidiger, der diese technische Unzulänglichkeit nutzen könnte, um Bindewalds Stellungsfehler auszubügeln. So hat es der HSV-Stürmer leicht, den von ihm selbst abprallenden Ball flach ins lange Eck zu dreschen.

Die Eintracht hält teilweise mit und dagegen. Sechs Minuten später nimmt Uwe Bein ein halbhohes Zuspiel vor dem Strafraum an, indem er das Leder direkt zu Kruse weiterleitet. Der Stürmer ist schneller als die Grätsche seines Bewachers und spitzelt den Ball in den Lauf von Bein, der links im Strafraum zum Schuss ausholt. Eine Finte, denn er hat aus dem Augenwinkel die Lücke zwischen zwei Hamburgern erspäht und passt quer zurück auf den in die Spitze stoßenden Kruse. Der nimmt mit dem linken Fuß an und passiert mit dem folgenden Linksschuss auch Keeper Richard Golz, der dem Leder mit seinem Abwehrversuch aber so sehr die Fahrt genommen hat, dass Thomas Stratos den Ball noch vor der Torlinie erreichen und weg schlagen kann.

Es bleibt die mit Abstand beste Möglichkeit der Hausherren, denn der HSV ist spritziger, lauf- und spielfreudiger und vor allem torgefährlicher. Erst kurz vor der Pause zwingt Heinz Gründel HSV-Keeper Pause Golz noch einmal zu einer Parade. Die Eintrachtfans hoffen auf eine Steigerung in der zweiten Halbzeit.

Aus den Kabinen kommen beide Mannschaften unverändert und Trainer Berger gibt sich kämpferisch, als ihn der ZDF-Reporter Günter-Peter Ploog befragt: „Ich hab’ der Mannschaft noch mal Dampf gemacht!“ Doch es haben noch nicht alle der 29.000 Zuschauer nach der Halbzeitpause wieder Platz genommen, als die Hoffnung auf den schnellen Ausgleich einen herben Dämpfer erleidet. Auf der linken Seite schlagen die Hamburger einen Pass über 50 Meter auf Jan Furtok. Der Ball springt auf und über den HSV-Stürmer sowie seinen Bewacher Bindewald hinweg Richtung Strafraum. Furtok setzt sich im Sprint energisch gegen Bindewald durch und lässt auch Körbel alt aussehen, als er den Routinier mit einer erschreckenden Leichtigkeit um- und ausspielt. Furtok kommt knapp neben dem Elfmeterpunkt zum Abschluss, gegen den Stein erneut keine Chance hat. Jörg Berger reagiert und wechselt den hoffnungslos überforderten Bindewald in der 49. Minute aus und bringt mit Lothar Sippel einen weiteren Angreifer.

Die Eintracht spielt mutig nach vorne und bietet dabei den bekannt technisch anspruchsvollen Fußball, dem jedoch weiterhin jede Durchschlagskraft fehlt. Nur Anthony Yeboah, dem heute die Bindung zum Spiel seiner Elf abhanden gekommen ist, kann nach einer langgezogenen Studer-Flanke von der linken Seite Golz mit einem Kopfball vom rechten Eck des Fünfmeterraumes prüfen. Der Keeper boxt den Ball mit einer Faust schwungvoll über die Latte, wobei nicht klar zu erkennen ist, ob das Leder nicht auch so das Ziel verfehlt hätte.

Die Eintracht bleibt im Angriff, entblößt dabei jedoch angesichts der Tatsache, dass noch mehr als eine halbe Stunde zu spielen ist, erstaunlich früh die eigene Abwehr. Und so deutet sich an, was in der 58. Minute Wirklichkeit wird: Die Gastgeber werden ausgekontert. Yeboah verliert das Kopfballduell im Strafraum des HSV, der Ball wird aus dem Sechzehner an die Mittellinie geschlagen, wo der bewachte Doll mit dem Kopf für den nachrückenden Furtok ablegt. Der zweifache Torschütze treibt den Ball nach vorne, ohne dass ihm der letzte Mann Körbel entgegentritt, weil sich auf der linken Seite Armin Eck ohne Gegenspieler auf und davon macht. Furtok bedient Eck, der in den Strafraum eindringt und bis zum linken Eck des Fünfmeterraumes durchdringt, wo Körbel zu spät kommt, um den Flachschuss in die lange Ecke blocken zu können. Der bedauernswerte Uli Stein kann das 0:3 nicht verhindern und darf sich ein weiteres Mal im Stich gelassen fühlen. Doch es ist nicht das letzte Mal an diesem Nachmittag .

Doll, Furtok und Eck treiben ihren Schabernack mit einer hilf- und orientierungslosen Frankfurter Elf, die längst keine Mannschaft mehr ist und sich ohne nennenswerten Widerstand vorführen lässt. Eine Viertelstunde nach dem dritten Tor – Turowski ist seit zehn Minuten für Yeboah in der Partie – sind die Frankfurter zwar nicht wie zuvor in Unterzahl, lassen den Gegner aber dennoch nach Belieben gewähren. Manfred Binz, der im defensiven Mittelfeld Ralf Falkenmayer ersetzen soll, mit seiner Leistung jedoch lediglich deutlich macht, dass ihm die Position des Liberos mehr Spaß bereitet, trabt über den Platz, während der HSV auf der rechten Seite Thomas Doll einsetzt. Der genießt den Raum und die Freiheiten, die ihm von den Gastgebern gewährt werden, nimmt das Zuspiel aus der Luft an und bittet Dietmar Roth zum Tanz. Die schnelle Schrittfolge und der Antritt bringen den Verteidiger aus dem Gleichgewicht, so dass er Dolls Sprint kurzzeitig nur krabbelnd verfolgen kann. Auf den Hamburger wartet im Strafraum Körbel, der aber Abstand hält und es beim Abwarten belässt. Doll legt auf Waldemar Matysik zurück, der aus 13 Metern unbedrängt seinen ersten Bundesligatreffer erzielt, weil er von Binz nicht angegriffen wird. Uli Stein fliegt wieder einmal vergebens, diese Mal in die linke Ecke.

Gerd-Volker Schock wechselt gut zehn Minuten vor dem Ende innerhalb einer Minute zwei Mal aus. Zuerst bringt er Jörg Bode für Stratos und dann für den überragenden, aber auch ausgepumpten Doll den Brasilianer Fernando Pereira P. Nando. Der hatte im Februar des letzten Jahres bei seinem Einstand mit zwei Toren für ein Aufsehen gesorgt, dass er in der Folge nicht aufrecht erhalten konnte. Andererseits hat er, obwohl er überwiegend durch Einwechslungen zum Einsatz kommt, immerhin fünf Tore in dieser Saison erzielt.

Das fünfte in diesem Spiel erzielt aber nicht er, sondern Furtok, der als Stammspieler vor dieser Partie nur einen Treffer mehr auf dem Konto hatte als Nando. Doch nachdem der Pole 22 Spiele für 6 Tore gebraucht hat, erzielt er heute die Hälfte seiner bisherigen Saisonausbeute in einer einzigen Partie. Überflüssig zu erwähnen, dass Stein auch bei diesem Gegentreffer vergebens auf tatkräftige Unterstützung seiner Vorderleute wartet. Körbel begrüßt den am linken Strafraumeck heranstürmenden Eck wie zuvor Doll mit gebührendem Abstand und Binz orientiert sich erst nach Ecks Abspiel zu Furtok, von dem er sich ausspielen lässt, als habe dieser eine ansteckende Krankheit. Körbels abschließende Grätsche von der Seite kommt zu spät und Furtok schießt aus 8 Metern zum 0:5 ein. Wäre dies ein Trainingsspiel, würde es von jedem Trainer dieser Welt sofort abgebrochen, um das unwillige kickende Personal so lange um den Platz zu scheuchen, bis sich bei ihnen die Lust am konzentrierten und ernsthaften Arbeiten wieder einstellt. Doch es ist kein Trainingsspiel und so muss Jörg Berger im Gegensatz zu den Zuschauern noch fünf Minuten aushalten.

Die Frankfurter Zuschauer, tief enttäuscht, rufen als Vergeltung für ihren Schmerz hämisch nach „Zugabe“. Es mutet schon paradox an, dass sich der defensiv ebenfalls versagende Möller, in dieser Phase zumindest in der Offensive noch mit am wenigstens zuschulden kommen lassen will. Mit einem Schuss an die Latte setzt der Schützling von Bergers Gegenspieler Gerster ein Ausrufezeichen, das dank der kläglichen Mannschaftsleistung einsam und nutzlos im Raum stehen bleibt. Die Aussage zu diesem Ausrufezeichen wird dann nach dem Spiel der Trainer setzen.

Doch zuvor muss er mit ansehen, wie nun offensichtlich auch Uli Stein die Lust verliert, wobei sich der Torwart heute sicher so verraten und verkauft fühlt wie sein Trainer. Nachdem Körbel sich von Eck am linken Strafraumeck allzu leicht hat vernaschen lassen und das Einschreiten von Binz eher einem Alibi gleicht als dem tatsächlichen Versuch, einen Torschuss zu verhindern, lässt der Torwart den mit der Wucht eines Rückpasses getreten Flachschuss zur Seite prallen. Harald Spörl bedankt sich und macht das halbe Dutzend voll, indem er den Ball am linken Pfosten aus einem Meter über die Linie schiebt. 0:6. Es ist die zweithöchste Heinniederlage der Eintracht in der Bundesligageschichte und wäre es nicht bereits die 89. Minute, liefe die Eintracht Gefahr, das 0:7 zu wiederholen, das man am 19.9.1964 gegen das Kellerkind KSC erlitten hat. Damals allerdings stand mit Fritz Kübert ein Amateurspieler in den Reihen der Eintracht, der nur bei jener Niederlage in der Bundesliga mittun durfte, und mit dem nach fünf Minuten verletzten Ludwig Landerer ein Invalide, der nach den damals geltenden Regeln nicht ausgewechselt werden durfte. Solche Erklärungen kann die Trümmertruppe dort unten aber nicht anbieten.

Körbel, nach der höchsten Niederlage befragt, erinnert sich an diese Partie: „1963, glaub ich. Aber da war ich noch, da war ich noch, ich glaub’, sechs Jahre. Da hab ich ’n Spiel gesehen von der Eintracht gegen den KSC. Da hat die Eintracht null-sieben verloren“, sagt er, wobei die Beobachter nicht irritiert, dass sich der Kapitän um ein Jahr vertut, sondern dass er dabei noch lachen kann … Während Körbel gelöst lächelt, stapft der sichtlich angefressene Uli Stein vom Platz. In dieser Stimmung spricht man den Torhüter besser nicht an, doch ein aufgebrachter Eintrachtfan taucht an der Seitenlinie auf und macht sich Luft, indem er Stein beschimpft. Herrmann Rieger, Physiotherapeut und gute Seele des HSV, verhindert die kurz bevorstehende Eskalation. Er geht dazwischen und schützt insbesondere den ihm aus der gemeinsamen Hamburger Zeit nur zu gut als impulsiv bekannten Stein vor einer möglichen Dummheit.

Währenddessen sitzt Bernd Hölzenbein wie versteinert neben Gerster auf der Tribüne. Erst Minuten nach dem Abpfiff steht er auf: „Da müssen wir durch.“ Thomas Doll, der von vielen Zuschauern bei seiner Auswechslung mit lang anhaltendem Applaus gefeiert worden war, freut sich derweil unten auf dem Platz: „Wir haben ’ne gute Truppe zusammen und wir haben auch heute gesehen, dass jeder für jeden kämpft – und da kommen auch so’ne Erfolge raus.“ Einen Erfolg, den der HSV nicht alle Tage feiert: Höher haben die Hamburger in der Bundesliga auf fremden Platz in fast 30 Jahren noch nie gewonnen und ein 6:0 gelang ihnen auswärts bislang nur zwei Mal: Am 7.9.1982 bei Fortuna Düsseldorf und am 5.4.1980 beim späteren Absteiger Hertha BSC, eine Woche, nachdem der Tabellenletzte aus Berlin im Waldstadion mit 4:0 gesiegt hatte ... Dabei wäre heute ein Rekordsieg möglich gewesen, wie nicht nur HSV-Trainer Gerd-Volker Schock meint: „Zwar kann ein solches Ergebnis auch eine Last vor den nächsten Spielen sein, aber eigentlich hätten wir noch höher gewinnen können.“ Weitere Ausführungen spart er sich: „Mein Team hat alles erzählt.“

Auf Jörg Berger prasseln derweil in den Katakomben des Waldstadions die Fragen ein, wobei die häufigste so lautet: „Bleiben Sie noch Eintracht-Trainer?“ „Alles ist möglich, nichts ist unmöglich“, antwortet der Fußballlehrer da noch unverbindlich, doch auf der Pressekonferenz brechen sich die Gefühle ihre Bahn und die Enttäuschungen, besonders die der letzten Tage, aus ihm heraus: „Es ist über meine Person gesprochen worden. Das gibt es im Geschäft. Bloß es kann nicht sein, dass so etwas in die Mannschaft übertragen wird. Und wenn ich weiß, dass der Manager seine Freunde in der Mannschaft hat und nicht im Vorstand, dann habe ich so etwas geahnt und habe so etwas befürchtet.“ „Bei den Diskussionen am letzten Dienstag (Montag) mit dem Präsidium war auch der Manager dabei, obwohl er sich eigentlich bis zum Saisonende aus dem Lizenzspielerkreis zurückziehen sollte. Diese Gespräche sind in die Mannschaft getragen worden“, präzisiert Berger: „Die Mannschaft erhält ein gutes Alibi. Der Manager betreibt sehr viel Politik.“ „Für mich ist heute eine Welt zusammengebrochen, das war ein menschlicher Tiefschlag“, bekennt Berger, während Präsident Mathias Ohms mit einem Gesicht zuhört, das Bände spricht.

So ist es keine Überraschung, dass sich anschließend das Präsidium trifft und Geschäftsführer Reiner Schäfer bereits zwei Stunden nach Spielende verkündet: „Herr Berger ist nicht mehr Trainer der Eintracht.“ „Bergers Aussagen sind nicht akzeptabel und haben uns sehr getroffen“, behauptet Ohms und bestimmt nun seinerseits, was sein darf und was nicht: „Es kann nicht angehen, dass ein Vereinsangestellter in dieser Weise über andere Angestellte herfällt.“ „Ich habe in keiner Weise das Präsidium angegriffen, meine Entlassung auch nicht provoziert und nur offen gesagt, was mich stört“, entgegnet Berger, der glaubhaft versichern kann: „Wenn es um die Wahrheit und die Sache geht, dann kämpfe ich eben und nenne die Dinge beim Namen.“ Geschockt sei er angesichts der schnellen Entscheidung gegen ihn nicht: „Dazu bin ich schon zu lange im Geschäft.“ Im Gegensatz zu anderen, die gleiches von sich behaupten, wirkt der Trainer aber tatsächlich getroffen: „Natürlich bin ich schon enttäuscht darüber, wie dies hier zuletzt gelaufen ist. Deshalb muss ich jetzt erst einmal abschalten.“

Bereits vor der Bekanntgabe von Bergers Entlassung hat Klaus Gerster einen Wortschwall in die Notizblöcke der Journalisten diktiert: „Ich bin nicht der Mülleimer von Herrn Berger. In die Mannschaft ist überhaupt nichts reingetragen worden. Jedes Mal, wenn es bei uns gut gelaufen ist, war er es, wenn es nicht lief, war ich es. Berger hat immer in mir den Schuldigen für alles gesucht, dabei aber vergessen, in den Spiegel zu sehen. Dort schaut ihm nämlich der Mann entgegen, der mit unserer Riesen-Truppe in den letzten elf Spielen nur zweimal gewonnen hat. Es ist eine Unverschämtheit, was Berger da heute gesagt hat. Sollte seine Theorie stimmen, dass die Mannschaft gegen ihn gespielt hat, ist das ein Armutszeugnis für Berger. Alles nur Intrigen und Geschwätz von diesem Mann. Andauernd neue Ausreden, mal war der Ärger zwischen dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten, mal der zwischen Hölzenbein und mir schuld an Niederlagen, mal das Trainingslager, mal die Spieler, die nicht auf ihn hören wollten. Der Höhepunkt war für mich erreicht, als Berger an dem Tag, an dem Andreas Möller sein Bleiben in Frankfurt bekanntgab, zu mir sagte, wir sollten mit der Verkündung warten, bis Ohms und Hölzenbein ihren avisierten Rücktritt vollzogen hätten.“ „Ich habe mir nichts vorzuwerfen“, erklärt Berger später, „ich stehe zu jedem Wort, das ich über Gerster gesagt habe. Der Mann macht Politik im Verein und keine gute. Ich habe nur die Wahrheit gesagt, da war ich immer gradlinig und ehrlich. Ich hinterlasse eine intakte Mannschaft, die alle Chancen nach oben hat.“

„Wir Spieler haben davon nichts gewusst“, versichert der Kapitän der „intakten Mannschaft“, und zeigt wenig Verständnis für seinen ehemaligen Vorgesetzten, während die von Gerster beratenen Binz und Möller schweigen. „Völliger Blödsinn“, nennt Uwe Bein den indirekten Vorwurf, die Truppe habe absichtlich verloren, und Körbel hält diese Annahme gleichfalls für töricht. Andererseits moniert er selbst: „Bei einigen Spielern war die Bereitschaft nicht da.“ „Um fünf vor Fünf habe ich gedacht, hoffentlich pfeift der Schiedsrichter bald ab. Die letzten 20 Minuten waren die längsten meiner Laufbahn“, sagt der Spieler, der seit 1972 für die Eintracht am Ball ist und dem zum Beispiel in der Frankfurter Neuen Presse über seine Leistung vorgehalten wird: „Der Kapitän verließ das Schiff und schwamm mit.“

Ohnehin ist das Urteil bei den Zuschauern, die fürs objektive Beobachten und neutrale Berichten bezahlt werden, zwar ebenfalls einhellig, aber längst nicht so eindeutig wie bei den Spielern. „Ein anderer Trainer hätte vielleicht weiter gebuckelt, um seine Haut zu retten. Doch Berger hat den geraden Weg gewählt und Klartext gesprochen“, lobt Rainer Jourdan den Entlassenen in der Frankfurter Neue Presse: „Manager Klaus Gerster und die Spieler mögen seine Vorwürfe, die ihm den Rauswurf bescherten, als absurd bezeichnen, über wenn man die desolate Mannschaft am Samstag sah, kann man sehr wohl zu der Schlussfolgerung kommen, dass Berger geopfert werden sollte/musste.“ „Eine definitive Antwort wird es wohl nie geben“, kommentiert Harald Stenger in der Frankfurter Rundschau, „dass außerdem bei mehreren, anderen Szenen in den hinteren Eintracht-Gefilden lustlos agiert und nach schlimmen Szenen sogar gelächelt wurde, bestätigte wiederum trotz aller Dementis die These der Arbeitsverweigerung.“ „Die Umstände ließen „den Schluss zu“, meint Walther Lücker in der Frankfurter Rundschau, „dass Bergers Entlassung und Stepanovics Anstellung keine Ad-hoc-Entscheidung, sondern vielmehr ein von langer Hand vorbereiteter und für die neue Saison ohnehin geplanter Schritt gewesen ist, auch wenn sie nun als eine Nacht-und-Nebel-Aktion erscheinen mag.“ „Kein Zweifel aber“ besteht daran, meint Lücker, „dass Bergers schonungslose Offenheit in der Pressekonferenz nach dem 0:6-Debakel gegen den Hamburger SV am Samstag, dem Präsidium nur zupass kam. Mit Magendrücken dachten die Herren aus der Führungsetage nämlich daran, möglicherweise im Juli einen Trainer entlassen zu müssen, der vielleicht gerade DFB-Pokalsieger geworden ist.“

Dragoslav „Stepi“ Stepanovic, der neue Trainer, führt am Tag nach dem 0:6 bei strahlendem Sonnenschein das Vormittagstraining, erhält einen Vertrag bis Ende Juni 1992 und ist bei der Eintracht bestens bekannt. Im Oktober 1976 holte ihn der damalige Eintracht-Trainer Dieter Roos kurz vor seiner Entlassung nach Frankfurt, wo er bis zum Sommer 1978 mit Bernd Hölzenbein in einer Mannschaft spielte. Dann musste „Steppi“ die Eintracht Richtung Wormatia Worms verlassen, weil mit Bruno Pezzey neben Rudi Elsener der dritte Ausländer verpflichtet worden war. Nach einem zweijährigen Gastspiel bei Manchester City kehrte Stepanovic 1981 zur Wormatia zurück, wo er am 19.12.1981 sein letztes Pflichtspiel als Profi absolvierte. Seine Prüfung als Fußball-Lehrer legte er 1983 in Köln an und arbeitete als Trainer beim von jugoslawischen Gastarbeitern gegründeten B-Ligisten FV Progres sowie bei den Hessenligisten FSV und Rot-Weiss Frankfurt. Mit beiden Frankfurter Drittligisten verfehlte er den angepeilten Aufstieg in die 2. Liga und wechselte in der Winterpause überraschend zu Eintracht Trier in die Oberliga Südwest – ohne allerdings seine Wohnung in Bergen-Enkheim aufzugeben.

Vizepräsident Bernd Hölzenbein verstrickt sich derweil in Widersprüche. „Wenn man gesehen hat, wie der für unser Überleben dringend erforderliche UEFA-Cup-Platz in Gefahr geriet, dann war es einfach die Pflicht des Präsidiums, zu handeln“, sagt er auf der einen Seite, stellt auf der anderen aber die These auf: „Ohne diese unsägliche Pressekonferenz am Samstag, wäre Jörg Berger heute noch unser Trainer. Ich dachte, ich falle von der Bank, als ich schließlich in der Kabine mit den Spieler die Pressekonferenz nachdem HSV-Spiel hörte.“ „Wir haben uns schon Gedanken gemacht, ob Berger über diese Saison hinaus noch der richtige Mann gewesen wäre“, behauptet Hölzenbein, verschweigt aber, dass er in dieser Woche zwar für Bergers Verbleib votiert hat, aber eben nur bis zum Ende dieser Spielzeit. Und so ist es auch nicht ganz richtig, wenn er versichert: „Klarstellen möchte ich, dass Klaus Gerster mit dieser Entscheidung nichts zu tun hatte.“ Doch am Montag war Gerster Teilnehmer in der Präsidiumssitzung, in der es um die Zukunft des Trainers ging und folgende Fragen gestellt wurden: „Können wir mit diesem Mann das finanziell so dringend notwendige Ziel internationales Geschäft erreichen, und was wird in der nächsten Saison? Kann sich Berger noch durchsetzen? Kann er die Mannschaft noch motivieren?“ Es war Hölzenbein, der am Dienstag drei Stunden mit Berger sprach und zum Schluss kam: „Der packt es, der ist genügend motiviert.“ Doch fünf Tage später war Hölzenbein plötzlich nach eigenen Worten schon „immer der Meinung, dass die Mannschaft von der Substanz her besser spielen kann“, und fügt an: „Als Berger nach dem Köln-Spiel auch noch bei unseren Reservespielern nach Gründen gesucht hat, hatte ich kein Verständnis mehr.“ Und doch hat er noch vor wenigen Tagen für den Verbleib Bergers gestimmt …

Wahr ist dagegen, dass Hölzenbein Stepanovic „schon lange im Kopf hatte“, wie er auf der vor einem gewaltigen Aufgebot an Medienvertretern abgehaltenen Pressekonferenz am Sonntagmittag sagt. Schon 1987, als Karl-Heinz Feldkamp noch Trainer und Wolfgang Kraus noch Manager der Eintracht war, hatte Hölzenbein in einem Gastkommentar des „kicker“ seinen Spezi als Kandidaten ins Spiel gebracht. „Wir haben immer und immer wieder gesprochen, über Fußball diskutiert und nie den Kontakt verloren“, erklärt Hölzenbein, während Jürgen Grabowski, Bernd Nickel, Willi Neuberger und elf andere seiner Freunde am Frankfurter Flughafen zu dem schon vor über einem Jahr geplanten Zehn-Tage-Stammtisch-Trip nach Vancouver aufbrechen. Hölzenbein hat abgesagt, weil bei der Eintracht wieder einmal „die Hütte brennt“.

Buhrufe und Schmähungen wie „Blindfuchs“, „Luftpump’“ oder „Luftnummer“ begleiten das erste Training von Stepanovic, was Vizepräsident Bernd Hölzenbein aber nicht zu beeindrucken vermag. „Aber ich kann die Leute fast verstehen“, sagt er: „Die haben wohl Happel oder Schlappner erwartet. Man muss halt auch Mut zeigen. Ich bin, wie seinerzeit bei Jörg Berger, überzeugt dass ‚Stepi’ das schafft und die Sache super machen wird. Auch Berger ist verhalten empfangen worden und nach einem Jahre wollten ihm die gleichen, die damals geschrien haben, ein Denkmal setzen.“ „Stepanovic, das war selbstverständlich meine Idee“, bestätigt er, „sie wurde einstimmig vom Präsidium angenommen. Ich würde mir wünschen, dass Entscheidungen im Präsidium immer so einheitlich ausfallen. Der Trainer hat die volle Unterstützung.“ „Ich habe lange mit der Mannschaft gesprochen. So haben die mich wahrscheinlich noch nicht erlebt“, spricht „Holz“ von neu entdeckter Stärke und kündigt an: „Wer jetzt nicht mitzieht, fliegt raus. Da werden Köpfe rollen, und zwar die von Spielern und nicht der des Trainers. Ich gehe jetzt stur meinen Weg. Verantwortlich bin ich nur der Mitgliederversammlung und nicht den Fans, die hier rumschreien.“

„Ich war gerade mit den Trierern aus Worms zurückgekommen, wo wir 2:1 gewonnen hatten. Gegen 19.30 Uhr gab es den ersten Telefon-Kontakt mit Bernd Hölzenbein und schon eine Stunde später war die Sache endgültig klar“, erzählt Stepanovic nach der Trainingseinheit und die „Bild“ ergänzt, dass Hölzenbein bereits um 20 Uhr in Stepanovics Haus in Bergen-Enkheimer eingetroffen sei, wo der Serbe „zufällig“ zeitgleich nach seiner Großmutter schaute, die beim Verjagen von Tauben vom Dach gefallen sei. „In zehn Sekunden war ich mit Hölzenbein und Frankfurt klar“, wird der neue Eintracht-Trainer zitiert, der in Enkheim die Kneipe „Stepis Treff“ betreibt. „Stepi hat in der Weltelf mit Cruyff gespielt. Er war immer ein Star“, meint seine Frau Jelena: „Deshalb passt er zur Eintracht.“

Dass ihm Nervosität fremd ist, will der neue Trainer gleich deutlich machen: „Seh’ ich so aus? Ich habe keine Angst. Ich habe nichts zu verlieren. Ich habe immer von der Bundesliga geträumt. Eintracht ist die Erfüllung. Da kenne ich mich aus, da habe ich Freunde und vor allem gute Spieler.“ „Ordnung in der Mannschaft“, die fehle, sagt Stepanovic und ergänzt: „Das müssen wir schnell ändern und die Rollen neu verteilen. Ich habe feste Vorstellungen, wie die Mannschaft aussehen muss. Das steht alles schon an der Tafel in der Kabine: Bein wird im zentralen Mittelfeld spielen, Möller hinter zwei Spitzen, Binz wieder Libero und Körbel wieder Vorstopper. Das kann er seit 20 Jahren.“ „Und Bein, Möller sowie Binz will ich wieder im Nationalteam sehen“, sagt Stepanovic, der Bein und Möller Freiheiten einräumen will. „Bei Roter Stern Belgrad decken Prosinecki und Savicevic auch nicht, genau wie bei uns Möller und Bein, dafür sind die anderen umso disziplinierter“, begründet er und fordert: „So muss das auch bei uns werden.“

Stepanovic weiß, was die Anhänger hören wollen und gibt es ihnen: „Ich will ein Team formen, das nur ein Ziel im Kopf hat: Spiele gewinnen, und zwar jedes. Diese Mannschaft muss einfach nach vorne spielen.“ „Nach dem 0:6 ist die Mannschaft verunsichert“, räumt der neue Trainer ein, hat aber natürlich bereits einen Plan, wie das Debakel zu überwinden ist: „Durch Ausschwitzen! Danach darf wieder gelacht werden. Denn Fußball spielt man mit Lust und Freude.“ „Wir können unsere beiden Ziele im DFB-Pokal und in der Bundesliga noch aus eigener Kraft erreichen“, meint Stepanovic: „Mein Traumziel ist es, mit der Eintracht oben zu stehen. Nach 13 Jahren wieder hier zu sein, ist schon toll.“

Im Vergleich zum Überschwang ihres neuen Vorgesetzten nehmen sich die Reaktionen des kickenden Personals eher zurückhaltend aus, wenn ihnen überhaupt etwas zu entlocken ist. Kapitän Körbel entzieht sich den Fragen der Journalisten mit einem einzigen Satz: „Ich hoffe, dass jetzt endlich Ruhe einkehrt.“ Zum Glück für die schreibende Zunft ist wenigstens Uwe Bein gesprächig: „Wir waren an einem Punkt angekommen, wo etwas passieren musste. Die Trainer-Entlassung war wohl eine Möglichkeit. Unsere jüngste Misere lag aber nicht an Jörg Berger, sondern an jedem von uns selbst. Ich glaube, dass ich die zentrale Mittelfeld-Rolle, die sich der neue Trainer von mir wünscht, ausfüllen kann, wenn das ganze Team diszipliniert auftritt. Und Dragoslav Stepanovic legt sehr viel Wert auf Disziplin.“

Das Präsidium legt derweil Wert darauf, dass für den neuen Trainer trotz dessen laufenden Vertrages keine Ablöse gezahlt werde. „Wir haben Trier ein Freundschaftsspiel zum Nulltarif angeboten. Alles andere, beispielsweise finanzielle Forderungen, wickelt ‚Stepi’ selbst ab“, versichert Hölzenbein, der noch am Sonntag mit dem nach Frankfurt geeilten Trierer Manager und früheren rumänischen Nationalspieler Alexander Szatmári gesprochen hat. Ob Berger, dessen Vertrag noch bis zum 30.6.1992 läuft, eine Abfindung erhalten wird, konnte Hölzenbein dagegen nicht sagen: „Darüber müssen wir in den nächsten Tagen sprechen.“ Matthias Ohms hat möglicherweise nicht ohne Grund in Bezug auf Bergers Äußerungen in der Pressekonferenz von „vereinsschädigendem Verhalten“ gesprochen und angekündigt: „Das ist ein Dauerlutscher, das sollen Rechtsanwälte beurteilen.“

„Gestolpert aber ist Jörg Berger eigentlich über Klaus Gerster“, schließt Walther Lücker seine Überlegungen in der Frankfurter Rundschau: „Diese Vermutung jedenfalls blieb ohne Widerspruch, als am späten Samstagabend Bernd Hölzenbeins Frau Jutta im VIP-Raum des Waldstadions für das Präsidium, Klaus Gerster und die wenigen verbliebenen Journalisten Bier zapfte.“ „Die (Un)-Fähigkeit des Präsidiums, das den Verein offensichtlich nicht führen kann, ohne dass es ständig zu neuen Auseinandersetzungen mit enormem Konfliktpotential kommt, ist ein heißes Eisen“, kommentiert Harald Stenger in der Frankfurter Rundschau: „Ein anderes Reizthema ist die Machtposition, die Manager Gerster trotz aller Kritik an seiner Person aufgrund seines Vertrags offensichtlich beansprucht und auch eingeräumt wird.“ Als „Panik-Orchester, das sich Führungs-Mannschaft nennt“, bezeichnet Rainer Jourdan das Präsidium: „Und es geht kein Weg daran vorbei: Wenn der Teufelskreis Eintracht Feuer speit, ist Klaus Gerster dabei, in welch zwielichtiger Rolle auch immer. Solange dieser Mann etwas zu sagen hat, oder, was die Sache verschlimmert, nichts zu sagen hat und doch so viel bewirkt, wird es in diesem Klub niemals ein gedeihliches Arbeitsklima geben. Aber wer kann ihm schon das Handwerk legen, solange er mit Andy Möller ‚verheiratet’ ist, auf dessen Künste und Tore wiederum die Eintracht angewiesen ist? Filz grüßt Sumpf. Fortsetzung folgt? Die läuft schon. Hölzenbein meinte gestern: „Gerster wird ab 1. Juli das tun, wofür er bezahlt wird – und was er gesagt bekommt.“ Einspruch, Euer Ehren. Auch Klaus Gerster, der sich ja derzeit um die Profis nicht kümmern soll, rief am Samstagabend bei den Stepanovics (..) an, um den ‚Stepi’ einzuweihen. Hölzenbein: ‚Davon weiß ich nichts.’ Bis demnächst in diesem Theater ohne Grenzen.“


Epilog

Der polnische Nationalspieler Waldemar Matysik bestreitet in der 1. Bundesliga insgesamt 94 Spiele. Das Tor im Waldstadion bleibt sein einziger Treffer.

Jan Furtok erzielt nach diesem Spiel noch 11 weitere Treffer und beendet die Saison mit insgesamt 20 Toren – doppelt so viele wie in den beiden Jahren zuvor, als er die Runden mit 9 bzw. 10 Treffern abschloss. Furtok wird noch vier Jahre in der 1. Liga spielen, davon zwei bei Eintracht Frankfurt, doch in keiner weiteren Saison erneut zweistellig treffen. Im Gegenteil: Er wird in diesen vier Jahren insgesamt nur 21 Bundesligatore erzielen.

Fernando Pereira P. Nando kommt im nächsten Spiel von Beginn an zum Einsatz und erzielt beim 4:0 gegen Borussia Dortmund drei Treffer. Bis zum Rundenende schraubt er sein Torekonto für diese Saison auf 11. In der nächsten Runde gelingen ihm jedoch nur noch zwei Bundesligatore. „Ich hatte vom HSV ein Angebot über ein Jahr vorliegen, ein türkischer Verein zeigte Interesse, aber mich zog es zurück in die Heimat und zu meiner Familie“, erklärt Nando später: „Aus heutiger Sicht ein Fehler, aber als junger Mensch denkt man mit dem Herzen und nicht mit dem Verstand.“ Die Geschichte, dass er in seiner Hamburger Zeit aus Angst vor der Steuerbehörde 100.000 US-Dollar in einer Wand eingemauert habe und das Geld dort verschimmelt sei, wird heute noch gerne erzählt, aber von Nando dementiert: „Diese Story werde ich wohl mit in mein Grab nehmen. Leider muss ich Sie aber enttäuschen: Sie ist erstunken und erlogen. Mit meinem Geld weiß ich Besseres anzufangen.“

Das Freundschaftsspiel bei Eintracht Trier findet am 27.7.1991 statt. Die Frankfurter siegen nach jeweils zwei Toren von Bein und Möller sowie einem Treffer von Kruse mit 5:1. Der von Stepanovic im Sommer aus Trier an den Riederwald geholte Edgar Schmitt wird in dieser Partie nicht eingesetzt.

In seinem 1993 erschienen Buch „Halbzeit“ schreibt Uli Stein zum 0:6 gegen den HSV: „Viele behaupten, die Mannschaft habe gegen ihn (Jörg Berger) gespielt. Solche dummen Interpretationen halten sich seit Bestehen der Bundesliga (..). Berger muss sich allerdings einen schweren Autoritätsverlust nachsagen lassen, der vermutlich dazu führte, dass viele Spieler von ihm nichts mehr annahmen. Er verlor den Machtkampf gegen Möller.“ Als der Trainer kurz vor Weihnachten 1990 Möllers laut Stein „offenkundige Lustlosigkeit“ kritisiert habe, habe der Spieler geantwortet: „Hören Sie mal, wenn Sie unzufrieden mit mir sind, dann verkaufen Sie mich doch einfach.“ Ein Machtwort Bergers, dass viele Spieler nun von ihm erwartet hätten, sei aber ausgeblieben und „Möller hatte fortan Narrenfreiheit, und Berger büsste alle Autorität ein, die er sich im Vorjahr so mühsam erarbeitet hatte. (..) Der Respekt war dahin.“

Jörg Berger kehrte im April 1999 zur Eintracht zurück und führte sie mit einem sensationellen Schlussspurt von vier Siegen und einem unvergesslichen 5:1 gegen den 1. FC Kaiserslautern mit nur einem Tor Vorsprung auf den Tabellensechzehnten Nürnberg wie schon zehn Jahre zuvor zum nicht mehr für möglich gehaltenen Klassenerhalt. Seine erneute Entlassung Ende des Jahres konnte seiner Beliebtheit und Popularität bei den Eintrachtfans keinen Abbruch tun. Bei der Mitte 2012 gewählten „Säulen der Eintracht“, die mit ihren Portraits die Säulen der Station Willy-Brandt-Platz in Frankfurt schmücken, wurde der zwei Jahre zuvor an seiner Krebserkrankung verstorbene Berger vor seinen Trainerkollegen Dietrich Weise, Friedhelm Funkel und Meistertrainer Paul Osswald gewählt und erhielt mehr als doppelt so viele Stimmen wie der Zweitplatzierte Weise. (rs)

 

 

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