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Eintracht Frankfurt - Hamburger SV |
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Bundesliga 1990/1991 - 25. Spieltag
0:6 (0:1)
Termin: Sa 13.04.1991 15:30
Zuschauer: 29.000
Schiedsrichter: Lothar Löwer (Unna)
Tore: 0:1 Jan Furtok (26.), 0:2 Jan Furtok (46.), 0:3 Armin Eck (58.), 0:4 Waldemar Matysik (73.), 0:5 Jan Furtok (85.), 0:6 Harald Spörl (89.)
Eintracht Frankfurt | Hamburger SV |
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Theater ohne Grenzen Dass der Vertrag mit Uwe Bein am Samstagmorgen, wie seit Tagen erwartet, um zwei Jahre bis zum 30. Juni 1993 verlängert wurde, ist die beste Nachricht von der Eintracht in dieser Woche. Denn es gärt gewaltig im Umfeld. Die Unzufriedenheit ist groß, nachdem die Mannschaft die hochgesteckten Erwartungen in der Rückrunde nicht mehr erfüllen konnte. Lag die Eintracht nach dem 14. Spieltag mit nur zwei Zählern Rückstand auf den Tabellenführer auf dem 4. Platz, ist sie nach nur zwei Siegen mit 9:11 Punkten in zehn Ligaspielen am letzten Wochenende vom heutigen Gegner, dem Hamburger SV, auf den 5. Rang verdrängt worden. Der Rückstand auf den Spitzenreiter beträgt mittlerweile 7 Punkte, was jedoch ungleich schwerer wiegt, ist der Umstand, dass der Vorsprung vor dem Neuntplatzierten auf zwei Zähler geschmolzen ist. Die neuerliche Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb ist für die Frankfurter aber von erheblicher finanzieller Bedeutung, zumal das Team in dieser Saison bereits in der 1. Runde UEFA-Cups ausgeschieden ist und sich beim 0:5 im Hinspiel beim dänischen Vertreter Bröndby IF bis auf die Knochen blamiert hat. Trainer Berger, der die Eintracht vor zwei Jahren über die Relegation zum Klassenerhalt und in der letzten Saison über den 3. Platz zurück in den Europapokal führte, ist intern zur Zielscheibe des Unmuts geworden, obwohl seine Elf neben dem 4. Rang in der Liga im DFB-Pokal das Halbfinale erreicht hat. „Ich will Tore sehen“, hat Jörg Berger am Donnerstag gefordert und hofft auf einen ähnlichen Befreiungsschlag wie beim 5:1 gegen Borussia Mönchengladbach vor zehn Tagen. Klar ist: Gegen den nach schwachem Saisonstart ins Rollen gekommenen, aber zuletzt nach vier Unentschieden mit 4:4 Toren wieder etwas gebremsten HSV, darf es keine Niederlage geben. Problematisch ist, dass mit Möller der bislang treffsicherste
Spieler in diesem Jahr nicht an die Form der Hinrunde anknüpft, als
er in sechs verschiedenen Punktspielen sieben Tore erzielte. In der Rückrunde
traf er lediglich beim 1:1 in Bremen und beim 3:2 gegen den 1. FC Kaiserslautern.
Gegen die Pfälzer gingen zwar alle Eintrachttore auf sein Konto,
aber das verwundert nicht, denn der gegnerische Trainer hieß in
dieser Begegnung Karl-Heinz Feldkamp. Also jener Fußballlehrer,
von dem sich Möller nicht genug gewürdigt sah, was vor drei
Jahren zu seinem Wechsel nach Dortmund beigetragen hatte. Doch jetzt ist
nicht mehr viel übrig, von der trügerischen Harmonie nach den
Was beim Anpfiff noch keiner ahnen kann: Bergers Wunsch nach Toren wird in Erfüllung gehen, es wird aber keines von Möller dabei sein – und auch keines von einem anderen Eintrachtspieler. Ein Teil der Fans ist vor dem Spiel aber ohnehin mit sich selbst beschäftigt, denn die Pläne des DFB, aus Sicherheitsgründen keine Stehplätze in Fußballstadien mehr zulassen zu wollen, führen bundesweit zu Protesten. Auch im Frankfurter Waldstadion werden die Fans aus dem G-Block nach einer halben Stunde ihre Stehplätze verlassen: „Sicherheit – Ja, aber nicht auf unsere Kosten“, lautet das Motto und das in der Kurve aufgehängte breite Banner spricht eine deutliche Sprache: „Sitzen ist für’n Arsch“. Auf dem Spielfeld dagegen stellt der HSV seine Klasse sofort unter Beweis. Ein langer Ball aus der eigenen Hälfte wird von Doll im Luftduell per Kopf auf Furtok verlängert, der den Ball mit der Brust annimmt, geschickt abschirmt und dann mit der Hacke zurück in den Lauf von Doll spielt. Der schüttelt im Sprint Binz ab und dribbelt am rechten Strafraumeck auch am langen Bein Körbels vorbei. Doll scheitert aber aus spitzem Winkel mit seinem Flachschuss in die linke Ecke an der Fußabwehr Uli Steins, der den Hamburger danach tröstend in den Arm nimmt und ihm einen aufmunternden Klaps auf den verlängerten Rücken gibt. In der 26. Minute ist Stein dann aber geschlagen, als es nahe der rechten Eckfahne einen Freistoß gibt, den Spörl ausführt. Der Ball fliegt im hohen Bogen über die Abwehr und leider auch über Uwe Bindewald, der sich völlig verschätzt und unter dem Leder ins Leere springt. Sehr zur Freude von Furtok, der acht Meter vor dem Tor in halblinker Position unbedrängt den Ball annehmen kann. Das gelingt ihm nicht sonderlich gut – die Kugel springt ihm gegen das Schienbein. Obwohl mit Torwart Stein acht Frankfurter im eigenen Strafraum gerade einmal vier Gegnern gegenüberstehen, ist in Furtoks Nähe kein Verteidiger, der diese technische Unzulänglichkeit nutzen könnte, um Bindewalds Stellungsfehler auszubügeln. So hat es der HSV-Stürmer leicht, den von ihm selbst abprallenden Ball flach ins lange Eck zu dreschen. Die Eintracht hält teilweise mit und dagegen. Sechs Minuten später nimmt Uwe Bein ein halbhohes Zuspiel vor dem Strafraum an, indem er das Leder direkt zu Kruse weiterleitet. Der Stürmer ist schneller als die Grätsche seines Bewachers und spitzelt den Ball in den Lauf von Bein, der links im Strafraum zum Schuss ausholt. Eine Finte, denn er hat aus dem Augenwinkel die Lücke zwischen zwei Hamburgern erspäht und passt quer zurück auf den in die Spitze stoßenden Kruse. Der nimmt mit dem linken Fuß an und passiert mit dem folgenden Linksschuss auch Keeper Richard Golz, der dem Leder mit seinem Abwehrversuch aber so sehr die Fahrt genommen hat, dass Thomas Stratos den Ball noch vor der Torlinie erreichen und weg schlagen kann. Es bleibt die mit Abstand beste Möglichkeit der Hausherren, denn der HSV ist spritziger, lauf- und spielfreudiger und vor allem torgefährlicher. Erst kurz vor der Pause zwingt Heinz Gründel HSV-Keeper Pause Golz noch einmal zu einer Parade. Die Eintrachtfans hoffen auf eine Steigerung in der zweiten Halbzeit. Aus den Kabinen kommen beide Mannschaften unverändert und Trainer Berger gibt sich kämpferisch, als ihn der ZDF-Reporter Günter-Peter Ploog befragt: „Ich hab’ der Mannschaft noch mal Dampf gemacht!“ Doch es haben noch nicht alle der 29.000 Zuschauer nach der Halbzeitpause wieder Platz genommen, als die Hoffnung auf den schnellen Ausgleich einen herben Dämpfer erleidet. Auf der linken Seite schlagen die Hamburger einen Pass über 50 Meter auf Jan Furtok. Der Ball springt auf und über den HSV-Stürmer sowie seinen Bewacher Bindewald hinweg Richtung Strafraum. Furtok setzt sich im Sprint energisch gegen Bindewald durch und lässt auch Körbel alt aussehen, als er den Routinier mit einer erschreckenden Leichtigkeit um- und ausspielt. Furtok kommt knapp neben dem Elfmeterpunkt zum Abschluss, gegen den Stein erneut keine Chance hat. Jörg Berger reagiert und wechselt den hoffnungslos überforderten Bindewald in der 49. Minute aus und bringt mit Lothar Sippel einen weiteren Angreifer. Die Eintracht spielt mutig nach vorne und bietet dabei den bekannt technisch anspruchsvollen Fußball, dem jedoch weiterhin jede Durchschlagskraft fehlt. Nur Anthony Yeboah, dem heute die Bindung zum Spiel seiner Elf abhanden gekommen ist, kann nach einer langgezogenen Studer-Flanke von der linken Seite Golz mit einem Kopfball vom rechten Eck des Fünfmeterraumes prüfen. Der Keeper boxt den Ball mit einer Faust schwungvoll über die Latte, wobei nicht klar zu erkennen ist, ob das Leder nicht auch so das Ziel verfehlt hätte. Die Eintracht bleibt im Angriff, entblößt dabei jedoch angesichts der Tatsache, dass noch mehr als eine halbe Stunde zu spielen ist, erstaunlich früh die eigene Abwehr. Und so deutet sich an, was in der 58. Minute Wirklichkeit wird: Die Gastgeber werden ausgekontert. Yeboah verliert das Kopfballduell im Strafraum des HSV, der Ball wird aus dem Sechzehner an die Mittellinie geschlagen, wo der bewachte Doll mit dem Kopf für den nachrückenden Furtok ablegt. Der zweifache Torschütze treibt den Ball nach vorne, ohne dass ihm der letzte Mann Körbel entgegentritt, weil sich auf der linken Seite Armin Eck ohne Gegenspieler auf und davon macht. Furtok bedient Eck, der in den Strafraum eindringt und bis zum linken Eck des Fünfmeterraumes durchdringt, wo Körbel zu spät kommt, um den Flachschuss in die lange Ecke blocken zu können. Der bedauernswerte Uli Stein kann das 0:3 nicht verhindern und darf sich ein weiteres Mal im Stich gelassen fühlen. Doch es ist nicht das letzte Mal an diesem Nachmittag . Doll, Furtok und Eck treiben ihren Schabernack mit einer
hilf- und orientierungslosen Frankfurter Elf, die längst keine Mannschaft
mehr ist und sich ohne nennenswerten Widerstand vorführen lässt.
Eine Viertelstunde nach dem dritten Tor – Turowski ist seit zehn
Minuten für Yeboah in der Partie – sind Gerd-Volker Schock wechselt gut zehn Minuten vor dem Ende innerhalb einer Minute zwei Mal aus. Zuerst bringt er Jörg Bode für Stratos und dann für den überragenden, aber auch ausgepumpten Doll den Brasilianer Fernando Pereira P. Nando. Der hatte im Februar des letzten Jahres bei seinem Einstand mit zwei Toren für ein Aufsehen gesorgt, dass er in der Folge nicht aufrecht erhalten konnte. Andererseits hat er, obwohl er überwiegend durch Einwechslungen zum Einsatz kommt, immerhin fünf Tore in dieser Saison erzielt.
Die Frankfurter Zuschauer, tief enttäuscht, rufen als Vergeltung für ihren Schmerz hämisch nach „Zugabe“. Es mutet schon paradox an, dass sich der defensiv ebenfalls versagende Möller, in dieser Phase zumindest in der Offensive noch mit am wenigstens zuschulden kommen lassen will. Mit einem Schuss an die Latte setzt der Schützling von Bergers Gegenspieler Gerster ein Ausrufezeichen, das dank der kläglichen Mannschaftsleistung einsam und nutzlos im Raum stehen bleibt. Die Aussage zu diesem Ausrufezeichen wird dann nach dem Spiel der Trainer setzen. Doch zuvor muss er mit ansehen, wie nun offensichtlich auch Uli Stein die Lust verliert, wobei sich der Torwart heute sicher so verraten und verkauft fühlt wie sein Trainer. Nachdem Körbel sich von Eck am linken Strafraumeck allzu leicht hat vernaschen lassen und das Einschreiten von Binz eher einem Alibi gleicht als dem tatsächlichen Versuch, einen Torschuss zu verhindern, lässt der Torwart den mit der Wucht eines Rückpasses getreten Flachschuss zur Seite prallen. Harald Spörl bedankt sich und macht das halbe Dutzend voll, indem er den Ball am linken Pfosten aus einem Meter über die Linie schiebt. 0:6. Es ist die zweithöchste Heinniederlage der Eintracht in der Bundesligageschichte und wäre es nicht bereits die 89. Minute, liefe die Eintracht Gefahr, das 0:7 zu wiederholen, das man am 19.9.1964 gegen das Kellerkind KSC erlitten hat. Damals allerdings stand mit Fritz Kübert ein Amateurspieler in den Reihen der Eintracht, der nur bei jener Niederlage in der Bundesliga mittun durfte, und mit dem nach fünf Minuten verletzten Ludwig Landerer ein Invalide, der nach den damals geltenden Regeln nicht ausgewechselt werden durfte. Solche Erklärungen kann die Trümmertruppe dort unten aber nicht anbieten.
Währenddessen sitzt Bernd Hölzenbein wie versteinert neben Gerster auf der Tribüne. Erst Minuten nach dem Abpfiff steht er auf: „Da müssen wir durch.“ Thomas Doll, der von vielen Zuschauern bei seiner Auswechslung mit lang anhaltendem Applaus gefeiert worden war, freut sich derweil unten auf dem Platz: „Wir haben ’ne gute Truppe zusammen und wir haben auch heute gesehen, dass jeder für jeden kämpft – und da kommen auch so’ne Erfolge raus.“ Einen Erfolg, den der HSV nicht alle Tage feiert: Höher haben die Hamburger in der Bundesliga auf fremden Platz in fast 30 Jahren noch nie gewonnen und ein 6:0 gelang ihnen auswärts bislang nur zwei Mal: Am 7.9.1982 bei Fortuna Düsseldorf und am 5.4.1980 beim späteren Absteiger Hertha BSC, eine Woche, nachdem der Tabellenletzte aus Berlin im Waldstadion mit 4:0 gesiegt hatte ... Dabei wäre heute ein Rekordsieg möglich gewesen, wie nicht nur HSV-Trainer Gerd-Volker Schock meint: „Zwar kann ein solches Ergebnis auch eine Last vor den nächsten Spielen sein, aber eigentlich hätten wir noch höher gewinnen können.“ Weitere Ausführungen spart er sich: „Mein Team hat alles erzählt.“
So ist es keine Überraschung, dass sich anschließend das Präsidium trifft und Geschäftsführer Reiner Schäfer bereits zwei Stunden nach Spielende verkündet: „Herr Berger ist nicht mehr Trainer der Eintracht.“ „Bergers Aussagen sind nicht akzeptabel und haben uns sehr getroffen“, behauptet Ohms und bestimmt nun seinerseits, was sein darf und was nicht: „Es kann nicht angehen, dass ein Vereinsangestellter in dieser Weise über andere Angestellte herfällt.“ „Ich habe in keiner Weise das Präsidium angegriffen, meine Entlassung auch nicht provoziert und nur offen gesagt, was mich stört“, entgegnet Berger, der glaubhaft versichern kann: „Wenn es um die Wahrheit und die Sache geht, dann kämpfe ich eben und nenne die Dinge beim Namen.“ Geschockt sei er angesichts der schnellen Entscheidung gegen ihn nicht: „Dazu bin ich schon zu lange im Geschäft.“ Im Gegensatz zu anderen, die gleiches von sich behaupten, wirkt der Trainer aber tatsächlich getroffen: „Natürlich bin ich schon enttäuscht darüber, wie dies hier zuletzt gelaufen ist. Deshalb muss ich jetzt erst einmal abschalten.“
„Wir Spieler haben davon nichts gewusst“, versichert der Kapitän der „intakten Mannschaft“, und zeigt wenig Verständnis für seinen ehemaligen Vorgesetzten, während die von Gerster beratenen Binz und Möller schweigen. „Völliger Blödsinn“, nennt Uwe Bein den indirekten Vorwurf, die Truppe habe absichtlich verloren, und Körbel hält diese Annahme gleichfalls für töricht. Andererseits moniert er selbst: „Bei einigen Spielern war die Bereitschaft nicht da.“ „Um fünf vor Fünf habe ich gedacht, hoffentlich pfeift der Schiedsrichter bald ab. Die letzten 20 Minuten waren die längsten meiner Laufbahn“, sagt der Spieler, der seit 1972 für die Eintracht am Ball ist und dem zum Beispiel in der Frankfurter Neuen Presse über seine Leistung vorgehalten wird: „Der Kapitän verließ das Schiff und schwamm mit.“ Ohnehin ist das Urteil bei den Zuschauern, die fürs objektive Beobachten und neutrale Berichten bezahlt werden, zwar ebenfalls einhellig, aber längst nicht so eindeutig wie bei den Spielern. „Ein anderer Trainer hätte vielleicht weiter gebuckelt, um seine Haut zu retten. Doch Berger hat den geraden Weg gewählt und Klartext gesprochen“, lobt Rainer Jourdan den Entlassenen in der Frankfurter Neue Presse: „Manager Klaus Gerster und die Spieler mögen seine Vorwürfe, die ihm den Rauswurf bescherten, als absurd bezeichnen, über wenn man die desolate Mannschaft am Samstag sah, kann man sehr wohl zu der Schlussfolgerung kommen, dass Berger geopfert werden sollte/musste.“ „Eine definitive Antwort wird es wohl nie geben“, kommentiert Harald Stenger in der Frankfurter Rundschau, „dass außerdem bei mehreren, anderen Szenen in den hinteren Eintracht-Gefilden lustlos agiert und nach schlimmen Szenen sogar gelächelt wurde, bestätigte wiederum trotz aller Dementis die These der Arbeitsverweigerung.“ „Die Umstände ließen „den Schluss zu“, meint Walther Lücker in der Frankfurter Rundschau, „dass Bergers Entlassung und Stepanovics Anstellung keine Ad-hoc-Entscheidung, sondern vielmehr ein von langer Hand vorbereiteter und für die neue Saison ohnehin geplanter Schritt gewesen ist, auch wenn sie nun als eine Nacht-und-Nebel-Aktion erscheinen mag.“ „Kein Zweifel aber“ besteht daran, meint Lücker, „dass Bergers schonungslose Offenheit in der Pressekonferenz nach dem 0:6-Debakel gegen den Hamburger SV am Samstag, dem Präsidium nur zupass kam. Mit Magendrücken dachten die Herren aus der Führungsetage nämlich daran, möglicherweise im Juli einen Trainer entlassen zu müssen, der vielleicht gerade DFB-Pokalsieger geworden ist.“ Dragoslav „Stepi“ Stepanovic, der neue Trainer, führt am Tag nach dem 0:6 bei strahlendem Sonnenschein das Vormittagstraining, erhält einen Vertrag bis Ende Juni 1992 und ist bei der Eintracht bestens bekannt. Im Oktober 1976 holte ihn der damalige Eintracht-Trainer Dieter Roos kurz vor seiner Entlassung nach Frankfurt, wo er bis zum Sommer 1978 mit Bernd Hölzenbein in einer Mannschaft spielte. Dann musste „Steppi“ die Eintracht Richtung Wormatia Worms verlassen, weil mit Bruno Pezzey neben Rudi Elsener der dritte Ausländer verpflichtet worden war. Nach einem zweijährigen Gastspiel bei Manchester City kehrte Stepanovic 1981 zur Wormatia zurück, wo er am 19.12.1981 sein letztes Pflichtspiel als Profi absolvierte. Seine Prüfung als Fußball-Lehrer legte er 1983 in Köln an und arbeitete als Trainer beim von jugoslawischen Gastarbeitern gegründeten B-Ligisten FV Progres sowie bei den Hessenligisten FSV und Rot-Weiss Frankfurt. Mit beiden Frankfurter Drittligisten verfehlte er den angepeilten Aufstieg in die 2. Liga und wechselte in der Winterpause überraschend zu Eintracht Trier in die Oberliga Südwest – ohne allerdings seine Wohnung in Bergen-Enkheim aufzugeben. Vizepräsident Bernd Hölzenbein verstrickt sich derweil in Widersprüche. „Wenn man gesehen hat, wie der für unser Überleben dringend erforderliche UEFA-Cup-Platz in Gefahr geriet, dann war es einfach die Pflicht des Präsidiums, zu handeln“, sagt er auf der einen Seite, stellt auf der anderen aber die These auf: „Ohne diese unsägliche Pressekonferenz am Samstag, wäre Jörg Berger heute noch unser Trainer. Ich dachte, ich falle von der Bank, als ich schließlich in der Kabine mit den Spieler die Pressekonferenz nachdem HSV-Spiel hörte.“ „Wir haben uns schon Gedanken gemacht, ob Berger über diese Saison hinaus noch der richtige Mann gewesen wäre“, behauptet Hölzenbein, verschweigt aber, dass er in dieser Woche zwar für Bergers Verbleib votiert hat, aber eben nur bis zum Ende dieser Spielzeit. Und so ist es auch nicht ganz richtig, wenn er versichert: „Klarstellen möchte ich, dass Klaus Gerster mit dieser Entscheidung nichts zu tun hatte.“ Doch am Montag war Gerster Teilnehmer in der Präsidiumssitzung, in der es um die Zukunft des Trainers ging und folgende Fragen gestellt wurden: „Können wir mit diesem Mann das finanziell so dringend notwendige Ziel internationales Geschäft erreichen, und was wird in der nächsten Saison? Kann sich Berger noch durchsetzen? Kann er die Mannschaft noch motivieren?“ Es war Hölzenbein, der am Dienstag drei Stunden mit Berger sprach und zum Schluss kam: „Der packt es, der ist genügend motiviert.“ Doch fünf Tage später war Hölzenbein plötzlich nach eigenen Worten schon „immer der Meinung, dass die Mannschaft von der Substanz her besser spielen kann“, und fügt an: „Als Berger nach dem Köln-Spiel auch noch bei unseren Reservespielern nach Gründen gesucht hat, hatte ich kein Verständnis mehr.“ Und doch hat er noch vor wenigen Tagen für den Verbleib Bergers gestimmt … Wahr ist dagegen, dass Hölzenbein Stepanovic „schon lange im Kopf hatte“, wie er auf der vor einem gewaltigen Aufgebot an Medienvertretern abgehaltenen Pressekonferenz am Sonntagmittag sagt. Schon 1987, als Karl-Heinz Feldkamp noch Trainer und Wolfgang Kraus noch Manager der Eintracht war, hatte Hölzenbein in einem Gastkommentar des „kicker“ seinen Spezi als Kandidaten ins Spiel gebracht. „Wir haben immer und immer wieder gesprochen, über Fußball diskutiert und nie den Kontakt verloren“, erklärt Hölzenbein, während Jürgen Grabowski, Bernd Nickel, Willi Neuberger und elf andere seiner Freunde am Frankfurter Flughafen zu dem schon vor über einem Jahr geplanten Zehn-Tage-Stammtisch-Trip nach Vancouver aufbrechen. Hölzenbein hat abgesagt, weil bei der Eintracht wieder einmal „die Hütte brennt“.
„Ich war gerade mit den Trierern aus Worms zurückgekommen, wo wir 2:1 gewonnen hatten. Gegen 19.30 Uhr gab es den ersten Telefon-Kontakt mit Bernd Hölzenbein und schon eine Stunde später war die Sache endgültig klar“, erzählt Stepanovic nach der Trainingseinheit und die „Bild“ ergänzt, dass Hölzenbein bereits um 20 Uhr in Stepanovics Haus in Bergen-Enkheimer eingetroffen sei, wo der Serbe „zufällig“ zeitgleich nach seiner Großmutter schaute, die beim Verjagen von Tauben vom Dach gefallen sei. „In zehn Sekunden war ich mit Hölzenbein und Frankfurt klar“, wird der neue Eintracht-Trainer zitiert, der in Enkheim die Kneipe „Stepis Treff“ betreibt. „Stepi hat in der Weltelf mit Cruyff gespielt. Er war immer ein Star“, meint seine Frau Jelena: „Deshalb passt er zur Eintracht.“ Dass ihm Nervosität fremd ist, will der neue Trainer gleich deutlich machen: „Seh’ ich so aus? Ich habe keine Angst. Ich habe nichts zu verlieren. Ich habe immer von der Bundesliga geträumt. Eintracht ist die Erfüllung. Da kenne ich mich aus, da habe ich Freunde und vor allem gute Spieler.“ „Ordnung in der Mannschaft“, die fehle, sagt Stepanovic und ergänzt: „Das müssen wir schnell ändern und die Rollen neu verteilen. Ich habe feste Vorstellungen, wie die Mannschaft aussehen muss. Das steht alles schon an der Tafel in der Kabine: Bein wird im zentralen Mittelfeld spielen, Möller hinter zwei Spitzen, Binz wieder Libero und Körbel wieder Vorstopper. Das kann er seit 20 Jahren.“ „Und Bein, Möller sowie Binz will ich wieder im Nationalteam sehen“, sagt Stepanovic, der Bein und Möller Freiheiten einräumen will. „Bei Roter Stern Belgrad decken Prosinecki und Savicevic auch nicht, genau wie bei uns Möller und Bein, dafür sind die anderen umso disziplinierter“, begründet er und fordert: „So muss das auch bei uns werden.“ Stepanovic weiß, was die Anhänger hören wollen und gibt es ihnen: „Ich will ein Team formen, das nur ein Ziel im Kopf hat: Spiele gewinnen, und zwar jedes. Diese Mannschaft muss einfach nach vorne spielen.“ „Nach dem 0:6 ist die Mannschaft verunsichert“, räumt der neue Trainer ein, hat aber natürlich bereits einen Plan, wie das Debakel zu überwinden ist: „Durch Ausschwitzen! Danach darf wieder gelacht werden. Denn Fußball spielt man mit Lust und Freude.“ „Wir können unsere beiden Ziele im DFB-Pokal und in der Bundesliga noch aus eigener Kraft erreichen“, meint Stepanovic: „Mein Traumziel ist es, mit der Eintracht oben zu stehen. Nach 13 Jahren wieder hier zu sein, ist schon toll.“
Das Präsidium legt derweil Wert darauf, dass für den neuen Trainer trotz dessen laufenden Vertrages keine Ablöse gezahlt werde. „Wir haben Trier ein Freundschaftsspiel zum Nulltarif angeboten. Alles andere, beispielsweise finanzielle Forderungen, wickelt ‚Stepi’ selbst ab“, versichert Hölzenbein, der noch am Sonntag mit dem nach Frankfurt geeilten Trierer Manager und früheren rumänischen Nationalspieler Alexander Szatmári gesprochen hat. Ob Berger, dessen Vertrag noch bis zum 30.6.1992 läuft, eine Abfindung erhalten wird, konnte Hölzenbein dagegen nicht sagen: „Darüber müssen wir in den nächsten Tagen sprechen.“ Matthias Ohms hat möglicherweise nicht ohne Grund in Bezug auf Bergers Äußerungen in der Pressekonferenz von „vereinsschädigendem Verhalten“ gesprochen und angekündigt: „Das ist ein Dauerlutscher, das sollen Rechtsanwälte beurteilen.“
Der polnische Nationalspieler Waldemar Matysik bestreitet in der 1. Bundesliga insgesamt 94 Spiele. Das Tor im Waldstadion bleibt sein einziger Treffer. Jan Furtok erzielt nach diesem Spiel noch 11 weitere Treffer und beendet die Saison mit insgesamt 20 Toren – doppelt so viele wie in den beiden Jahren zuvor, als er die Runden mit 9 bzw. 10 Treffern abschloss. Furtok wird noch vier Jahre in der 1. Liga spielen, davon zwei bei Eintracht Frankfurt, doch in keiner weiteren Saison erneut zweistellig treffen. Im Gegenteil: Er wird in diesen vier Jahren insgesamt nur 21 Bundesligatore erzielen. Fernando Pereira P. Nando kommt im nächsten Spiel von Beginn an zum Einsatz und erzielt beim 4:0 gegen Borussia Dortmund drei Treffer. Bis zum Rundenende schraubt er sein Torekonto für diese Saison auf 11. In der nächsten Runde gelingen ihm jedoch nur noch zwei Bundesligatore. „Ich hatte vom HSV ein Angebot über ein Jahr vorliegen, ein türkischer Verein zeigte Interesse, aber mich zog es zurück in die Heimat und zu meiner Familie“, erklärt Nando später: „Aus heutiger Sicht ein Fehler, aber als junger Mensch denkt man mit dem Herzen und nicht mit dem Verstand.“ Die Geschichte, dass er in seiner Hamburger Zeit aus Angst vor der Steuerbehörde 100.000 US-Dollar in einer Wand eingemauert habe und das Geld dort verschimmelt sei, wird heute noch gerne erzählt, aber von Nando dementiert: „Diese Story werde ich wohl mit in mein Grab nehmen. Leider muss ich Sie aber enttäuschen: Sie ist erstunken und erlogen. Mit meinem Geld weiß ich Besseres anzufangen.“ Das Freundschaftsspiel bei Eintracht Trier findet am 27.7.1991 statt. Die Frankfurter siegen nach jeweils zwei Toren von Bein und Möller sowie einem Treffer von Kruse mit 5:1. Der von Stepanovic im Sommer aus Trier an den Riederwald geholte Edgar Schmitt wird in dieser Partie nicht eingesetzt. In seinem 1993 erschienen Buch „Halbzeit“ schreibt Uli Stein zum 0:6 gegen den HSV: „Viele behaupten, die Mannschaft habe gegen ihn (Jörg Berger) gespielt. Solche dummen Interpretationen halten sich seit Bestehen der Bundesliga (..). Berger muss sich allerdings einen schweren Autoritätsverlust nachsagen lassen, der vermutlich dazu führte, dass viele Spieler von ihm nichts mehr annahmen. Er verlor den Machtkampf gegen Möller.“ Als der Trainer kurz vor Weihnachten 1990 Möllers laut Stein „offenkundige Lustlosigkeit“ kritisiert habe, habe der Spieler geantwortet: „Hören Sie mal, wenn Sie unzufrieden mit mir sind, dann verkaufen Sie mich doch einfach.“ Ein Machtwort Bergers, dass viele Spieler nun von ihm erwartet hätten, sei aber ausgeblieben und „Möller hatte fortan Narrenfreiheit, und Berger büsste alle Autorität ein, die er sich im Vorjahr so mühsam erarbeitet hatte. (..) Der Respekt war dahin.“ Jörg Berger kehrte im April 1999 zur Eintracht zurück und führte sie mit einem sensationellen Schlussspurt von vier Siegen und einem unvergesslichen 5:1 gegen den 1. FC Kaiserslautern mit nur einem Tor Vorsprung auf den Tabellensechzehnten Nürnberg wie schon zehn Jahre zuvor zum nicht mehr für möglich gehaltenen Klassenerhalt. Seine erneute Entlassung Ende des Jahres konnte seiner Beliebtheit und Popularität bei den Eintrachtfans keinen Abbruch tun. Bei der Mitte 2012 gewählten „Säulen der Eintracht“, die mit ihren Portraits die Säulen der Station Willy-Brandt-Platz in Frankfurt schmücken, wurde der zwei Jahre zuvor an seiner Krebserkrankung verstorbene Berger vor seinen Trainerkollegen Dietrich Weise, Friedhelm Funkel und Meistertrainer Paul Osswald gewählt und erhielt mehr als doppelt so viele Stimmen wie der Zweitplatzierte Weise. (rs)
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