Eintracht Frankfurt - Werder Bremen

Bundesliga 1979/1980 - 32. Spieltag

3:2 (0:1)

Termin: Sa 17.05.1980, 15:30 Uhr
Zuschauer: 16.000
Schiedsrichter: Walter Eschweiler (Euskirchen)
Tore: 0:1 Jürgen Röber (41., Foulelfmeter), 0:2 Werner Dreßel (53.), 1:2 Norbert Nachtweih (56.), 2:2 Michael Künast (77.), 3:2 Christian Peukert (90.)

 

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Eintracht Frankfurt Werder Bremen

 


  • Dieter Burdenski
  • Karlheinz Geils
  • Norbert Siegmann
  • Hartmut Konschal
  • Karl-Heinz Kamp
  • Jürgen Röber
  • Benno Möhlmann
  • Uwe Bracht
  • Klaus Wunder
  • Uwe Reinders
  • Werner Dreßel

 

Wechsel Wechsel
  • Franz Hiller für Hartmut Konschal (80.)
  • Hans-Jürgen Offermanns für Uwe Bracht (80.)
Trainer Trainer
  • Fritz Langner

 

Die richtigen Jungs

Nach der 2:3-Niederlage im Finalhinspiel auf dem Bökelberg, ist der Gewinn des UEFA-Cups für die Eintracht in greifbare Nähe gerückt. In der Bundesliga läuft es dagegen mehr als bescheiden. Seit Jürgen Grabowski verletzungsbedingtem Fehlen hat die von Friedel Rausch trainierte Truppe fünf Bundesligaspiele hintereinander verloren und kam erst im sechsten Versuch am letzten Spieltag zu einem Punktgewinn, als beim 1. FC Köln in der 87. Minute durch einen von Nickel verwandelten Strafstoß das späte 2:2 glückte. Die Eintracht ist auf Platz 9 abgerutscht, mit vier Punkten Rückstand auf den 5. Platz und vier Punkten Vorsprung auf die Abstiegsränge. Gerade zu Hause hat Rauschs Mannschaft zuletzt empfindliche Niederlagen einstecken müssen. Zuletzt gab es eine 0:1-Niederlage gegen die abstiegsgefährdeten Bochumer und davor ein derbes 3:5 gegen Kaiserslautern, aber auch das 0:4-Debakel gegen den Tabellenletzten Hertha BSC schmerzte Verein und Anhang sehr.

Wie groß der Druck auf den Trainer auch sein mag, Präsident Achaz von Thümen bekommt diesen Druck anstelle des Trainers von den Fans im Waldstadion und auch durch die Mitglieder des Vereins gemacht. Bei der Jahreshauptversammlung am Montagabend sind die nicht immer druckreifen Unmutsäußerungen unüberhörbar, „die Angriffe der Opposition richteten sich vor allem gegen die Personalpolitik des Präsidiums und gipfelten in der mehrfach geäußerten Forderung, Achaz von Thümen solle entweder sofort zurücktreten oder zumindest im nächsten Jahr nicht wieder kandidieren“, berichtet Wolfgang Tobien im „kicker“. „Hier ist zuviel Animosität im Haus!“, erregt sich von Thümen und hat Mühe, der zahlreichen Vorwürfe Herr zu werden. Dem Verwaltungsratsvorsitzenden Rudi Sölch gelingt es, mit seiner Rede die Gemüter zu beruhigen. Er stellt aber auch fest: „Herr Rausch hat eine Abfindung bekommen.“ Das ist ein Schlag ins Kontor, nachdem in den letzten Wochen sowohl das Präsidium und Manager Udo Klug als auch der Trainer immer wieder versichert hatten, es sei an den vorzeitig ausscheidenden Rausch keine Abfindung gezahlt worden. Nicht wenige Vereinsmitglieder fühlen sich hintergangen, obwohl Sölch darauf hinweist, dass „der Eintracht keine zusätzlichen Kosten entstehen, da diese Abfindung zusammen mit dem Gehalt für den neuen Trainer Buchmann nicht höher ist als die Summe, die für Rauschs weiteres Verbleiben in Frankfurt hatte bezahlt werden müssen“, wie Tobien notiert. Dass von 170 Mitglieder 65 gegen eine Entlastung des Präsidenten stimmen, ist ein Beleg für die in den eigenen Reigen gespaltene Eintracht.

Viele Mitglieder wünschen sich an der Spitze des Vereins einen Wechsel. Der vollzieht sich aus gesundheitlichen Gründen aber lediglich im Präsidium, aus dem die Herren Krömmelbein und Erbs ausscheiden und durch den früheren Mannschaftskapitän Dieter Lindner als Vizepräsident sowie dem Bankfachmann Dieter Bartel als Schatzmeister ersetzt werden. Achaz von Thümen hatte Jürgen Grabowski lange vor der Versammlung das Angebot gemacht, sich ins Präsidium wählen zu lassen, doch der Kapitän ließ sich weder vom Präsidenten noch von dessen Gegnern vor den Karren spannen. Eine Absage für alle Zeiten ist es indes nicht. „Man soll nie nie sagen“, hält sich Grabowski diese Tür offen.

Eine andere Tür hat sich am Morgen dieses Tages für den Fußballweltmeister endgültig verschlossen. Ein Besuch beim Arzt der DFB-Auswahl, Professor Heinrich Hess, und beim Masseur Erich Deuser im Sporthotel Grünberg brachte die befürchtete Gewissheit: Jürgen Grabowski hat sein letztes Pflichtspiel für die Frankfurter Eintracht beim 5:2 gegen Borussia Mönchengladbach am 15. März bestritten. Die Verletzung, die er dort nach einer ebenso überflüssigen wie üblen Attacke von Lothar Matthäus erlitten hat, verhindert eine Rückkehr des Kapitäns, der somit auch im Rückspiel des UEFA-Cup-Finales gegen die Mönchengladbacher fehlen wird.

Eine Verstauchung des linken Mittelfußes diagnostizierte Mannschaftsarzt Dr. Degenhardt nach dem Spiel, doch Grabowski hat bei dem rücksichtslosen Foul des unerfahrenen, aber leider auch uneinsichtigen Gegenspielers einen Kapsel- und Bänderriss davon getragen sowie eine Beeinträchtigung der Mittelfußgelenke, wie Prof. Hess erläutert: „Bei Jürgen Grabowski ist der Mittelfuß im Zweikampf für Sekundenbruchteile ausgerenkt worden. Das könnte man nicht einmal operieren - da kann man nur abwarten.“ „Eine derartige Beeinträchtigung der Mittelfußgelenke ist äußerst selten, aber umso langwieriger“, hat Hess Grabowski berichtet, der sich bis zuletzt Hoffnungen auf eine Teilnahme am UEFA-Cup-Finale gemacht hatte: „Mit vier Monaten Pause muss ich wohl rechnen“, sagt Grabowski, der auch zwei Monate nach dem überdies ungeahndet geblieben Foul immer noch Schmerzen hat. Grabowski bleibt auch in dieser für ihn so bitteren Stunde äußerlich gefasst: „Jetzt weiß ich wenigstens, woran ich bin. Und dass ich mir keine Vorwürfe machen muss, nicht alles getan zu haben, um noch fit zu werden.“

Nicht fit wird auch Harald Karger, der sich im Hinspiel des UEFA-Cup-Finales in Gladbach nach einem Rempler von Winfried Schäfer eine Knieverletzung zugezogen hat. „Es sieht ganz böse aus. Wenn es bis zum kommenden Montag nicht besser wird, lassen wir eine Artographie machen. Ich glaube nicht, dass ich am kommenden Mittwoch gegen Mönchengladbach spielen kann“, sagt ein sichtlich geknickter Karger, bei dem ein Meniskusschaden befürchtet wird.

„Ich habe einfach kein Glück“, klagt auch Ronald Borchers. Hatte der einzige Frankfurter im DFB-Aufgebot am Sonntag noch Bundestrainer Derwall verärgert, weil er am Treffpunkt der Nationalmannschaft im Frankfurter Airporthotel mit zwanzigminütiger Verspätung erschienen war, so verletzte er sich bei seinem Einsatz in der B-Elf gegen Polens Auswahl und musste schon nach 36 Minuten mit einer Zerrung im linken Oberschenkel den Platz verlassen. Dabei hatte er zuvor mit großer Lauf- und Kampfbereitschaft zu überzeugen gewusst. Da Masseur Schmidt und Mannschaftsarzt Dr. Degenhardt zurzeit auf einem Kongress in Lübeck weilen, wird Borchers von Masseur Lutz Meinl mit Elektrotherapie behandelt. Er versucht, den verletzten Spieler wenigstens bis zum Rückspiel gegen Gladbach am nächsten Mittwoch wieder fit zu kriegen, „aber es sieht ganz schlecht aus“, meint Rausch, der jammert: „Wie soll ich denn bloß die Mannschaft gegen Werder Bremen stellen? Borchers, Cha Bum und Karger fallen doch mit Sicherheit aus.“ Auf Fred Schaub kann Rausch ebenfalls nicht zurück greifen, weil der wegen seiner Sperre nicht zur Verfügung steht.

Während andere berufstätige Männer den Vatertag in bekannter Weise nutzen, quälen sich Helmut Müller und Cha Bum an diesem Donnerstag abseits des Mannschaftstrainings am Spielfeldrand. Kurz vor dem Ende der Übungsstunde bricht Rausch vorzeitig ab, als auch noch Nickel einen Tritt an den linken Knöchel bekommt und danach weder laufen noch schießen kann. Lorant hat wegen einer Innenbandblessur erst gar nicht mitgetan, während Gruber mit einem dicken dicker Knöchel zum Röntgen ins Krankenhaus musste. Gruber und Trapp, der sich das Knie verdrehte, haben sich am gestrigen Mittwoch beim 6:0 in Kilianstädten verletzt …

Torhüter Jürgen Pahl, dem die Eintracht im März gekündigt hat, und der nach starker Leistung in Gladbach seinen Abschied angekündigt hat, bleibt den Frankfurtern vielleicht erhalten, nachdem der neue Trainer Lothar Buchmann ein Gespräch mit ihm geführt hat. „Ich habe den Eindruck, dass er nicht unbedingt weg will. Jetzt liegt es am Verein, mit ihm zu sprechen“, sagt Buchmann: „Die Eintracht braucht keinen neuen Tormann. Pahl ist klasse. Ich will ihn zur Nummer 1 machen.“

Einem Flügelflitzer will Norbert Nachtweih in der Partie gegen Bremen nacheifern. „Heut’ spiel’ ich mal wie der Calle Del'Haye“, kündigt Nachtweih an. Ein „neuer“ Spieler kann der Eintracht auch nicht schaden, denn sie tritt tatsächlich mit dem allerletzten Aufgebot an. Zwar sind Nickel und überraschend auch Borchers mit von der Partie, doch auf der Bank nehmen neben Torwart Funk lediglich vier Amateure Platz: Blättel, Künast, Lalic und Peukert. Während Künast im Abschlusstraining nicht recht zu überzeugen wusste, hatte Rausch keine Gelegenheit, sich von dem ihm unbekannten Peukert überhaupt ein Bild zu machen. Geschäftsführer Gerhardt konnte den jungen Mann an seinem Arbeitsplatz im Büro bei den Farbwerken Hoechst nicht erreichen, so dass Peukert erst am Samstagmorgen zum Rest der Mannschaft stoßen konnte. Der Mittelfeldspieler steht aber nicht nur wegen eines möglichen Bundesligadebüts unter Anspannung: Am Dienstag soll der kaufmännische Angestellte seine Gehilfenprüfung ablegen.

Während die jungen Talente am Anfang ihrer Karriere stehen, sieht die Sportzeitung der Eintracht beim Spiel im Waldstadion bereits „Werder Bremens letzte Chance“ auf den Klassenerhalt. Die mit Abstand negativste Tordifferenz aller Erstligavereine zwingt die Bremer tatsächlich, in Frankfurt zu punkten. Doppelt überraschend ist deshalb, dass bei den Bremern Torjäger Klaus Wunder Libero spielt und Werner Dreßel als einzige Spitze aufläuft. Trainerveteran Fritz Langner, der für den Ende Januar entlassenen ehemaligen Kölner National- und Bundesligaspieler Wolfgang Weber eingesprungen ist, will seine Elf offensichtlich aus einer sicheren Defensive zum Erfolg führen.

In der Tat tut sich die Eintracht gegen die vielbeinige Defensive der Norddeutschen überaus schwer. Nickel versucht, Ordnung ins Spiel seiner Elf zu bringen, doch es ist unübersehbar, dass ihr in der Spitze ein Stürmer fehlt, der die gegnerische Abwehrreihe durcheinander zu bringen imstande ist. Hölzenbein hat gegen Siegmann einen schweren Stand und kann sich im direkten Zweikampf ebenso wie Nachtweih nicht durchsetzen, während der antrittsstarke Borchers die Werderaner auch mit seinen kraftvollen Spurts nicht zu beeindrucken vermag. Da hilft es auch nicht, dass sich Bruno Pezzey immer wieder ins Angriffsspiel seiner Mannschaft einschaltet oder der enorm lauffreudige und bekannt kampfstarke Lorant sich ständig anbietet. Zudem ist Lottermann leider ein kompletter Ausfall. Die hohe Laufbereitschaft kann man dem Ex-Offenbacher nicht absprechen, doch was nutzen seine langen Wege, wenn er sich mit traumwandlerischer Sicherheit jedes Mal für den falschen entscheidet. Mit anderen Worten: Lottermann läuft viel, doch das Spiel auch an ihm vorbei.

Als wären die eigenen Unzulänglichkeiten nicht problematisch genug, hat die Eintracht auch noch das Pech, dass Dieter Burdenski im Werder-Tor heute einen fantastischen Tag erwischt zu haben scheint. Bereits in der 2. Minute ist er auf der Hut und verhindert in höchster Not einen formidablen Doppelpass zwischen Ehrmantraut und Pezzey. Einen Volleyschuss von Nachtweih, der drei Minuten zuvor den Ball unbedrängt ein paar Zentimeter über den Torwinkel gesetzt hat, pariert Burdenski in der 16. Minute prächtig, kann den Ball aber verständlicherweise nicht fest halten. Als Nickel jedoch zum Nachschuss ausholt, wird er gelegt. Schiedsrichter Eschweiler für den ausbleibenden Pfiff zu kritisieren, fällt aus Eintrachtsicht dennoch nicht leicht, weil die Pfeife des Unparteiischen ebenfalls stumm bleibt, als der flinke Dreßel Neuberger auf- und davonläuft und Neuberger seinem Gegenspieler im Sprint unabsichtlich in die Fersen tritt und ebenfalls im Strafraum zu Fall bringt.

Die Gäste konzentrieren sich fast ausschließlich auf ihre defensiven Aufgaben, sind aber bei ihren wenigen Kontern durchaus gefährlich. Dreßels Schuss in der 18. Minute wird beispielsweise nicht von Torhüter Pahl aufgehalten, sondern vom Pfosten des Frankfurter Kastens. Doch auch auf der Gegenseite muss Wunder retten, als er in der 32. Minute den Ball nach einem Schuss von Borchers noch vor der Linie stoppen kann. Sechs Minuten vor der Halbzeit scheint die Frankfurter Führung dann aber besiegelt: Lorants treffliche Flanke findet Nachtweih zwei Metern vor dem Tor. Dass es Burdenski mit einer überragenden Reaktion gelingt, sich diesen Ball noch zu angeln, hätte ihn vor einigen Jahrhunderten als Hexenmeister in den Kerker gebracht. Aber auch heute würde der eine oder andere Eintrachtfan dem Schlussmann der Bremer, der die Bälle magisch anzuziehen scheint, für die Dauer des Spiels sicher gerne Daumenschrauben anlegen.

Während die Eintracht trotz schwachen Spiels zu ihren Chancen kommt, diese aber auslässt oder an Burdenski scheitert, genügt den Bremern in der 41. Minute der schnelle Dreßel, der allein auf Pahl zustrebt. Pahl versucht, den Ball vom Fuß des vorbei stürmenden Angreifers zu angeln, bringt dabei aber lediglich Dreßel zu Fall, der über Pahls ausgestreckten Arm fliegt. Diesmal pfeift Eschweiler und er pfeift mit Recht. Jürgen Röber lässt sich diese Möglichkeit nicht entgehen und verwandelt sicher zur Bremer 1:0-Führung.

Und nach der Pause legt Werder nach. Der erste Konter der zweiten Halbzeit lässt Reinders aufs Eintrachttor zustürmen. Pahl kommt ihm entgegen, lenkt den Schuss des Bremers aber so unglücklich ab, dass der Ball den zurückeilenden Pezzey in den Rücken trifft. Im Fallen kann Pezzey das Leder noch vor der Linie stoppen, doch das nützt nur Dreßel, der heran rauscht, um den Ball über die Linie zu bugsieren. 0:2 nach 53 Minuten.

29:35 Punkte hätte die Eintracht im Fall einer Niederlage, die Bremer als Tabellenvorletzter 27:37 Punkte, so viel wie voraussichtlich auch der Drittletzte Hertha BSC, der vor zwei Minuten gegen Borussia Dortmund auf 3:0 erhöht hat. Die Eintracht sieht plötzlich neben der Chance auf einen der drei europäischen Gipfel, auch die Gefahr des Abstiegs in die Niederungen der 2. Liga. Nur noch zwei Punkte trennen die Hessen in diesem Augenblick von einem Abstiegsplatz und die Gästeabwehr - auswärts oft nur eine Schießbude - steht stabil und diszipliniert im Verbund mit dem sicher wirkenden Mittelfeld, derweil Torwart Burdenski unüberwindbar scheint.

Doch das Glück ist mit Nachtweih und der Eintracht. So oft hat er schon aufs Tor geschossen und nicht getroffen, aber nur drei Minuten nach dem 0:2 schließt Nachtweih ein unwiderstehliches Solo mit einem wuchtigen Schuss von der Strafraumgrenze – endlich - erfolgreich ab. Burdenski ist ohne Abwehrchance.

Im Bremer Strafraum herrschen nun Zustände, wie man sie sich auf einem sinkenden Schiff vorstellt, das zu wenige Rettungsboote mit sich führt. Es ist ein heilloses Durcheinander, ein unübersichtliches Gedränge, in dem es schwer fällt, Agierende und Reagierende auseinander zu halten. So viel aber ist zu erkennen: Borchers verfehlt zweimal nur knapp das Tor und der immer kesser aufspielende Nachtweih scheitert in der 73. Minute mit einem abermaligen Solo und einem herrlichen Schuss an Burdenski.

Vier Minuten später passiert es dann doch: Burdenski patzt, weil er bei einem raffiniert angeschnittenen Freistoß von Nickel zu spät aus seinem Tor kommt und so Michael Künast die Chance zum Ausgleich eröffnet, die sich der für den enttäuschenden Lottermann eingewechselte Amateur nicht entgehen lässt: Schulbuchmäßig nickt er den Ball zum 2:2 ein. „Kopfbälle sind seine Stärke“, kommentiert sein Amateur-Trainer Dieter Stinka sachlich. Kurz darauf erzielt Künast sogar beinahe das 3:2, als der nun verunsichert wirkende Burdenski den Ball fallen lässt.

Pezzey treibt die Eintracht nach vorne - das ist die Leidenschaft, die die Elf schon vor knapp vier Wochen im Halbfinalrückspiel des UEFA-Cups auszeichnete, als Bayern München in der Verlängerung mit 5:1 unter ging. Werder wankt, die Nerven liegen nach dem langen Abstiegskampf blank. So muss Burdenski im Flug eine Rückgabe abwehren, um so ein Eigentor zu verhindern, Langner versucht gegenzusteuern und bringt in der 80. Minute gleich zwei neue Spieler: Hiller und Offermanns für Konschal und Bracht.

Tatsächlich scheint Werder das Unentschieden über die Zeit zu bringen. Schiedsrichter Walter Eschweiler signalisiert, dass die Nachspielzeit zwei Minuten dauern wird, als Co-Trainer Dieter Schulte Rausch auf Norbert Nachtweih aufmerksam macht: „Er kann nicht mehr, er hat einen Wadenkrampf.“ Rausch bleibt die Wahl zwischen den verbliebenen drei Amateuren auf der Ersatzbank: Blättel, Lalic und Peukert. Er bringt Peukert, was der Rundfunk-Reporter so kommentiert: „Eine unverständliche Auswechslung.“ Peukert läuft indes auf den Rasen, erhält den von den Bremern abgewehrten Ball, zieht von der linken Seite aus 25 Metern beherzt ab, überrascht die Bremer Abwehr und Schlussmann Burdenski mit einem Aufsetzer und es steht 3:2 für die Eintracht. Anpfiff und Abpfiff sind eins. Peukerts erste Ballberührung war auch seine letzte.

„Ich wollte erst ins lange Eck schießen, doch dort stand Burdenski. Da habe ich den Ball ins kurze Toreck gezogen“, schildert der Torschütze wie zuvor erstaunlich abgeklärt, denn gleich nach dem Abpfiff stürzen zwei ZDF-Sportredakteure auf den Rasen und halten Peukert und Künast das Mikrofon unter die Nase, Minuten später sind die Beiden von den Journalisten der Presse umlagert. „Ich war zuerst sehr nervös, aber dann lief es ganz gut und das Tor war natürlich ein Riesenerlebnis“, zeigt sich Künast, der eine Schlosser-Lehre bei der Stadt Frankfurt abgeschlossen hat, überglücklich.

„Ich hatte gar nicht gemerkt, dass Nachtweih angeschlagen war“, gibt Rausch zu, dass er keinen Wechsel mehr geplant hatte: „Schulte machte mich darauf aufmerksam, und so kam Peukert noch zu seinem Einsatz.“ „Peukert war ein Glücksgriff“, strahlt Rausch und verbeugt sich verbal vor den Einschätzungen Stinkas und Schultes: „Ihr habt mir mit Künast und Peukert doch die richtigen Jungs empfohlen.“ In seiner bekannt kumpelhaften Art umarmt Rausch Stinka gar überschwänglich: „Dieter, ich bedanke mich!“

„In eins, zwei Jahre wollen wir uns auf Dauer ganz oben etablieren“, lautet die Ansage der beiden Amateurspieler, die wissen, dass sie wahrscheinlich erst einmal wieder ins zweite und dritte Glied versetzt werden. „Bei Künast muss man noch abwarten“, meint Stinka, „Peukert traue ich in einem Jahr den Sprung zu. Ich halte ihn für das größte Talent bei unseren Amateuren. Deswegen habe ich ihm auch das Trikot mit der Nummer 10 gegeben und werde ihm so lange in den Hintern treten, bis er Lizenzspieler ist.“ „Das Geld, das wir in die Amateure stecken, zahlt sich aus“, jubelt der neu gewählte Vizepräsident Dieter Lindner schon. Künast, der als Jugendspieler vom badischen Club FC Birkenfeld zur Eintracht gekommen ist, wäre allerdings um ein Haar Schulte zur kommenden Saison als Lizenzspieler zur SpVgg Fürth gefolgt, weil er nach einer langwierigen Verletzung bei den Amateuren nach seinem Geschmack zu lange über den Status des Ersatzspielers nicht mehr hinaus gekommen war. Seiner Freundin zuliebe entschied er sich gegen den Wechsel nach Fürth und will in Frankfurt zu bleiben. „Die hän mich oi mal am Hösle gepackt. Da kannscht doch gar net hochspringe und köpfe“, lautet der erste Eindruck des Schwaben von der Bundesliga.

Peukert spielt seit vier Jahren bei der Eintracht, nachdem er als Schüler für Weiß-Blau Niederrad am Ball gewesen ist. „Ich hatte gehofft, bei meinem Bundesliga-Debüt wenigstens einmal an den Ball zu kommen“, sagt Peukert, der in der abgelaufenen Oberliga-Saison als Mittelfeldspieler immerhin 18 Treffer erzielt hat. Stinka konstatiert knapp: „Christian weiß, warum Tore auf einem Fußball-Feld stehen.“

Das weiß auch Norbert Nachtweih, aber ihm war weitaus weniger Schussglück bescheiden, als dem Debütanten. „Es war wie eine Seuche“, klagt Nachtweih über seine vergebenen Chancen: „Ich hätte mindestens drei Tore schießen müssen. „Nachtweih spielte in der Spitze stark, doch im Abschluss war er schwach“, bestätigt Rausch, der weiß: „Wir haben glücklich gewonnen. Dies war bestimmt kein gutes Spiel von uns. Doch es sieht aber auch personell sehr schlecht aus. Neben Karger und Cha sind auch Schaub und Trapp verletzt, von Müller und Grabowski ganz zu schweigen. Und auch Nickel, Borchers und Neuberger gingen nicht hundertprozentig fit in dieses Spiel. Ich hoffe jedoch am Mittwoch auf das Spiel der Spiele. Wir werden im UEFA Pokal-Finale kämpfen bis zum letzten Blutstropfen“, bemüht Rausch einen unpassenden und martialischen Vergleich.

„Burdenski hielt heute zwischen Welt- und Kreisklasse“, hadert Werder-Manager Assauer, den Rausch auf der Pressekonferenz zu trösten versucht: „Zu Werder wird auch wieder einmal Fortuna kommen.“ „Ja, Fortuna Köln“, lautet Manager Assauers trockene Replik. (rs)

 

 

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