Eintracht Frankfurt - Hertha BSC Berlin

Bundesliga 1977/1978 - 23. Spieltag

0:5 (0:1)

Termin: Sa 28.01.1978, 15:30 Uhr
Zuschauer: 18.000
Schiedsrichter: Jan Redelfs (Hannover)
Tore: 0:1 Hans Weiner (36.), 0:2 Jörgen Kristensen (53.), 0:3 Bernd Gersdorff (56.), 0:4 Bernd Gersdorff (70.), 0:5 Holger Brück (78., Foulelfmeter)

 

 

>> Spielbericht <<

Eintracht Frankfurt Hertha BSC Berlin

 


  • Norbert Nigbur
  • Michael Sziedat
  • Uwe Kliemann
  • Holger Brück
  • Hans Weiner
  • Karl-Heinz Granitza
  • Dieter Nüssing
  • Jörgen Kristensen
  • Wolfgang Sidka
  • Erich Beer
  • Bernd Gersdorff

 

Wechsel Wechsel
  • Gerhard Grau für Jörgen Kristensen (65.)
  • Ole Rasmussen für Bernd Gersdorff (82.)
Trainer Trainer
  • Kuno Klötzer  



Loramer

"Mit der richtigen Ergänzung zu Hölzenbein und Wenzel hätten wir in Gladbach nicht verloren", hat Dr. Kunter bereits am letzten Wochenende gesagt und deutlich gemacht, dass die Eintracht einen Stürmer sucht. Nun, eigentlich hat sie ihn schon gefunden, es ist der Kölner Mittelstürmer Dieter Müller, dessen leiblicher Vater einst für die Eintracht gespielt hat und den es angeblich wieder in seine südhessische Heimat ziehen soll. "Wir stehen mit Müller in Kontakt. Bei 1,7 Millionen Mark Ablösesumme, die die Kölner fordern, muss jedoch gut überlegt werden", gibt sich Dr. Kunter zurückhaltend. Dieter Müller, der am Wochenende seine Mutter in Götzenhain besucht, soll am Sonntag nach dem Spiel gegen Berlin ein klärendes Gespräch mit den Eintracht-Verantwortlichen führen.

Zuvor kommt die Hertha, und sie kommt als Tabellendritter an den Main. Dabei hat sie die Hinrunde fast ausnahmslos in der zweiten Tabellenhälfte zugebracht und war dort zwischenzeitlich sogar bis auf die Ränge 15 und 16 abgerutscht. Doch ab dem 11. Spieltag haben die Berliner eine niederlagenlose Serie hingelegt, die erst vor 14 Tagen mit einer 1:2-Niederlage beim MSV Duisburg ihr Ende gefunden hat. Der Tabellenletzte 1860 München war dann am letzten Spieltag beim 4:1-Heimsieg eine leichte Beute. Wenn es nach den Herthanern geht, soll dieser Erfolg den Beginn einer neuen Serie markieren.

Die Eintracht hat an diesem letzten Spieltag in Gladbach mit 0:2 verloren und ist vom gerade erarbeiteten 4. Rang auf den 7. abgerutscht, 2 Punkte hinter der Hertha. Zuvor war die Eintracht in immerhin sechs Spielen ohne Niederlage geblieben, hat allerdings in drei der letzten fünf Begegnungen auch kein Tor erzielen können. Und nun kommt die Elf aus Berlin, gegen die im Waldstadion seit 1969 nur ein einziger Heimsieg errungen werden konnte ... Könnte doch der strömende Regen im Waldstadion die Erinnerung an die bisherigen Partien gegen den Angstgegner aus den Köpfen der Spieler spülen wie aus einem Rinnstein! "Das geht heute klar, wir haben Mumm", verspricht Kapitän Grabowski - der Statistik zum Trotz - vor dem Spiel optimistisch.

Doch schon in der 4. Minute geht Gersdorff bei einem Hertha-Konter auf der linken Seite durch, als die Eintracht-Abwehr den ehemaligen Braunschweiger Stürmer im Abseits wähnt. Torwart Koitka muss den Fehler seiner Vorderleute ausbügeln und tut das auch. Dieser Auftakt ist alles andere als vielversprechend.

Und in der Tat ähnelt der Beginn der Partie der Begegnung gegen Borussia Dortmund vor zwei Wochen. Gegen eine geschickt aus einer gefestigten Abwehr heraus operierende Elf findet diese Eintracht erneut kein Mittel. Der vom Dauerregen morastig gewordene Untergrund tut sein Übriges. Das Aufbauspiel der Eintracht bleibt auf diesem Gelände stecken wie ein überladener Schwertransport auf einem aufgeweichten Waldweg.

Die Herthaner spielen auf demselben Geläuf und doch wirken ihre Angriffszüge leichter. Das mag daran liegen, dass bei den Gästen nahezu jeder Spieler immerzu in Bewegung zu sein scheint. Mit schnellen Spielzügen, so einfach wie präzise, stoßen die Gäste immer wieder aus der eigenen Abwehr heraus nach vorn. Willi Neuberger muss mehr als einmal retten.

Erst nach 15 Minuten gibt es ein offensives Lebenszeichen der Frankfurter durch Stepanovic. Seinen Weitschuss lässt Nigbur zwar abprallen, doch Hölzenbein reagiert zu spät und verpasst die Chance zum 1:0. Schade, mit einer Führung im Rücken wäre die Aufgabe etwas einfacher geworden.

So ist es 10 Minuten später aber erneut die Hertha, die gefährlich vor das Tor der Eintracht kommt. Wie zu Beginn der Partie läuft Gersdorff bei einem Konter auf der linken Seite durch, als sei er ein Messer in heißer Butter. Wieder muss Koitka retten.

Auf der anderen Seite fällt es der Abwehr um Uwe Kliemann nicht schwer, die Gastgeber auf Distanz zu halten. Chancen der Eintracht bleiben Mangelware wie Bananen in Ostdeutschland. Es bedarf schon einer Einzelleistung des heute starken Stepanovic, um Nigbur nach etwas mehr als einer halben Stunde zu einer Parade herauszufordern.

In der 36. Minute scheint die Defensive der Frankfurter im nassen Untergrund wurzeln geschlagen zu haben, denn keiner greift den Berliner "Hanne" Weiner an, als er sich über die Mittellinie in Richtung des gegnerischen Strafraums aufmacht. Bevor die Frage der Zuständigkeiten in den Reihen der Eintracht abschließend geklärt werden kann, hat Weiner in Höhe des Elfmeterpunktes den Ball an dem herausstürzenden Koitka vorbei ins Tor geschoben. "Er ist an fünf Mann vorbei, und jeder hat darauf gewartet, dass er abspielt", versucht Körbel das schwere Versäumnis der Eintracht-Deckung zu entschuldigen.

Die Eintracht versucht umgehend, den Gleichstand wieder herzustellen. Doch Weidle, von Jürgen Grabowski herrlich in Szene gesetzt, vergibt die gute Möglichkeit fast kläglich. In der Hälfte der Hertha ist der Platz mittlerweile durchpflügt wie ein Acker, doch der sichtbare Beweis für die Anstrengungen der Eintracht bleibt ohne Ertrag. Es ist ein Acker ohne Frucht. So sehr vor allem auf linken Seite Stepanovic, der diesmal die Position mit Peter Krobbach getauscht hat und im Mittelfeld spielt, für Betrieb sorgt, das Spiel der Eintracht prallt an der massiven Abwehrmauer von Kuno Klötzers Männern ab.

Für Aufregung auf den Rängen sorgt in der ersten Halbzeit nur noch einmal der Unparteiische. Schiedsrichter Redelfs zieht sich den Zorn der Zuschauer zu, als er kurz vor dem Pausenpfiff Grabowski die Gelbe Karte zeigt, weil sich der Eintracht-Kapitän bei einem Freistoß über den zu kurzen Abstand der Hertha-Mauer beschwert hatte. Nun, auch Enttäuschung braucht ein Ventil.

Wer gehofft hat, die Eintracht würde wie schon so oft verwandelt aus der Kabine zurückkehren und das Spiel umbiegen, sieht sich rasch von seinen Träumen befreit. Ohne Flügelspiel und weite Pässe versuchen die Frankfurter immer wieder, sich mit unergiebigem Klein-Klein-Spiel durch die Strafraummitte zu mogeln. Doch dort stopfen Kliemann und der umsichtige Brück alle Löcher. Die Berliner dagegen stürzen die Hausherren mit raumgreifenden Pässen und leichtfüßigen Flügelspielern von einer Verlegenheit in die andere. Die Hertha ist selbstbewusster, robuster, zweikampfstärker, schneller, spritziger und lässt sich auch vom kurzzeitigen Ansturm nach der Pause nicht überraschen. Eiskalt und souverän schlägt sie zurück, geradezu vernichtend.

Wie schon das Führungstor ist auch der zweite Streich der Hertha sehenswert, wenngleich Kristensens Solo, das ihn an nicht weniger als fünf Gegenspielern vorbeiführt, einem Offenbarungseid der Frankfurter Defensive gleichkommt. Zweimal versuchte Körbel den raffinierten Dänen mit Fouls zu stoppen, doch vergeblich. Abgeklärt drischt Kristensen den Ball an Koitka vorbei ins Tor. Der Keeper ist bedient und schlägt die Hände über den Kopf zusammen. Dabei hat sein Albtraum erst begonnen und er wird nun von Minute zu Minute schlimmer werden …

Kurz darauf muss Koitka Kopf und Kragen riskieren, und sich dem durchgebrochenen Gersdorff vor die Füße werfen, um den dritten Berliner Treffer zu verhindern. Doch der Frankfurter Schlussmann hat den Zug nicht aufgehalten, nur seine Ankunft etwas verzögert. Denn schon wieder hat der überragende Weiner die rechte Frankfurter Abwehrseite aufgerissen, als sei sie ein in Stanniolpapier eingewickeltes Geschenk. Weiners Schuss kann Koitka noch parieren, gegen den Nachschuss von Gersdorff ist er aber machtlos. 0:3 in der 56. Minute.

Die Konter der Gäste sorgen gleich einem Fuchs im Hühnerbau für Gefahr im Strafraum der Eintracht und Cramer versucht es mit einem zusätzlichen Wachhund. Peter Reichel kommt nach einer Stunde für den gewohnt emsigen Roland Weidle, der ungewöhnlich ineffektiv geblieben ist. Die Zuschauer interessiert das nur noch am Rande: Lautstark wird die Entlassung Cramers oder wahlweise die Rückkehr Gyula Lorants gefordert.

Einig sind sich die Herthaner. Die präsentieren sich nicht nur als ein geschlossenes Bollwerk, das der Chinesischen Mauer zur Ehre gereichen würde, die besitzen heute auch die besseren Einzelspieler. Libero Brück, der vor Jahren gemeinsam mit Grau von Hessen Kassel nach Berlin wechselte, spielt wie der ungemein dynamische Weiner eine überragende Partie. Nüssing, der zu Saisonbeginn vom Club aus Nürnberg zur Hertha gestoßen ist, gefällt als großartigen Kämpfer. Gleich einem Geländewagen mit Allradantrieb überwindet er Schlick und Schlamm im Frankfurter Waldstadion, während seine Gegenspieler mit platten Reifen daneben stehen. Ein Sonderlob verdient sich Sidka, der Grabowski beschattet und sich mit dem Frankfurter Kapitän herzhafte Duelle liefert, die keinen eindeutigen Sieger finden. Sziedat dagegen hat mit dem blass bleibenden Hölzenbein leichtes Spiel. Und Erich Beer tut das, was Grabowski heute verwehrt bleibt: Er bestimmt nach Belieben Tempo und Richtung des Spiels seiner Mannschaft.

In der Minute, in der Gerhard Grau für Jörgen Kristensen eingewechselt wird, gelingt es Grabowski noch einmal ein Ausrufezeichen zu setzen, doch sein Schuss in der 65. Minute landet am Pfosten. Das Debakel ist ohnehin nicht mehr aufzuhalten. Jeder Angriff der Gäste könnte mit einem Torerfolg ein Tor werden - so harm- und hilflos stehen die Frankfurter den Berlinern gegenüber. Für das 0:4 sorgt 20 Minuten vor dem Ende wieder Gersdorff, diesmal nach einer Ballstafette über fast 20 Stationen ohne Frankfurter Ballberührung – so etwas nennt man wohl eine Vorführung oder wahlweise eine Demütigung.

"Cramer raus", brüllen die enttäuschten Zuschauer, soweit sie sich nach dem 0:4 nicht bereits vor der Zeit auf den Heimweg gemacht haben. Ob der Trainer den Schreihälsen Grund zum Brüllen geben will? Die Frage bleibt unbeantwortet und somit auch, warum er mit Stepanovic den an diesem Tag besten Eintrachtspieler auswechselt. Egon Bihn kommt so in der 73. Minute zu seinem zweiten Bundesligaeinsatz in dieser Spielzeit.


Ratlosigkeit auf der Trainerbank

Fünf Minuten später kommt Neuberger gegen Granitza im Strafraum zu spät und legt den Stürmer strafstoßwürdig. Holger Brück läuft an und verwandelt seinen 3. Strafstoß in dieser Saison eiskalt - 0:5. Als wolle der Hertha-Trainer das halbe Dutzend vermeiden wechselt er den zweifachen Torschützen Bernd Gersdorff aus. Ole Rasmussen darf acht Minuten später auf dem Platz den Sieg der Hertha bejubeln, der wohl historisch zu nennen ist.

Eine taktisch so großartig eingestellte Mannschaft, wie die Elf von Kuno Klötzer, hat man in Frankfurt schon längere Zeit nicht mehr gesehen. Doch was für eine bittere Niederlage für Dettmar Cramer. Der an Körpergröße kleinste Trainer der Bundesliga, der sich zu seinem Bedauern in Diensten der Bayern einst als Napoleon ablichten ließ, hat heute im Waldstadion sein Waterloo erlebt. Zudem ist der Eintracht in den sechs Bundesligaspielen unter ihm zum vierten Mal kein Tor gelungen. Dabei trainiert Cramer die Mannschaft, die sowohl in der Spielzeit 74/75 mit 89 Treffern, 75/76 mit 79 und auch in der letzten Saison mit 86 Toren von allen Bundesligisten die meisten Tore erzielt hat. "In Mönchengladbach trafen die Stürmer der Eintracht nicht, gegen Hertha nun auch nicht die Verteidiger", erklärt Cramer die Torflaute.

"Dieses 0:5", nimmt Jürgen Grabowski seinen Trainer in Schutz, "hat nichts mit Taktik, nichts mit der Einstellung, nichts mit dem Trainer Maier, Schulze, Schmitz, Müller, Cramer oder Lorant zu tun. Wir haben als Mannschaft versagt". Es sei "die alte Suppe", meint Grabowski. Der Gegner spiele defensiv, nicht mehr so blind als früher, sondern sehr geschickt. Das eigene Publikum verlange den Angriff, peitsche seine Mannschaft nach vorne. "Wenn dann das 0:1 fällt", analysiert Grabowski, "hat das katastrophale Folgen. Die Heimmannschaft rennt ein ums andere Mal in die Konter."

Jürgen Grabowski wertete die zweithöchste Niederlage der Frankfurter Bundesliga-Geschichte als eine "kalte Dusche, die schon lange überfällig war". "Das waren heute keine taktischen Fehler oder Probleme des Deckungssystems, das war ganz einfach Schwäche, was wir geboten haben. Die vier ersten Tore der Berliner waren wie von einer Weltklassemannschaft gegen eine Kreisklassenmannschaft herausgespielt", kritisiert Grabowski. "Die ersten drei Tore der Berliner entsprangen großartigen Sololeistungen, die nur möglich waren, weil einzelne von uns katastrophal versagten. Beim ersten Tor geht Weiner los und umspielt fünf Mann. Beim zweiten Tor geht Kristensen los und umspielt sechs. Beim dritten Tor gewinnt Weiner ein Sprintduell und Gersdorff schiebt den Ball rein. Drei Solo-Einlagen und drei Tore. Das gelingt höchstens alle fünf oder zehn Jahre mal. Das ist so ein Spiel gewesen, wo du mit herum trottest und immer einen Schritt zu spät kommst. Du quälst dich im Mittelfeld ab und hinten knallt's. Jeder Pass, der misslingt, wird mit Pfiffen quittiert." Die Moral sei nun schwer angeknackst, bestätigt Grabowski, fürs Erste behelfe man sich mit Galgenhumor, aber das sei auch keine Lösung: "Man sieht die Sonne nicht mehr scheinen." Trainer Cramer habe gesagt, die Mannschaft befinde sich jetzt in einer Situation, wo sie beweisen könne, dass sie wirklich genug Klasse habe, um sich durch eine derartige Niederlage nicht aus den Latschen kippen zu lassen.

Uwe Kliemann, der ehemalige Vorstopper der Eintracht, der in Frankfurt immer noch einen exzellenten Ruf besitzt, spöttelt in Siegerlaune über seinen einstigen Verein: "Die Eintracht spielt nicht mehr Lorants und noch nicht Cramers Stil. Sie spielt Loramer" Kliemanns Wortspiel trifft den Kern des taktischen Mischmaschs, den die Eintracht auf dem Platz bietet.

Bundestrainer Schön sieht in der Raumdeckung gar ein grundsätzliches Problem: "Jetzt zeigt sich, wie gefährlich diese Spielart ist, wenn einige Spieler nicht in Form sind. Es wäre ungerecht, über Dettmar Cramer den Stab zu brechen." Gyula Lorant ist dagegen immer noch davon überzeugt: "Die Frankfurter sind für meine Spielart geboren. Den Bayern muss ich sie erst einbläuen. Man muss das Raumdeckungs-System nicht nur verstehen, sondern auch speziell dafür trainieren." Cramer ist angeblich einen anderen Weg gegangen und soll die Spielerfrauen gebeten haben: "Sie müssen uns helfen, meine Damen! Sie haben sensible Männer." Auf jeden Fall sieht Cramer in Lorants taktischem Erbe kein Kuckucksei: "Es liegt doch nicht am System, sondern an Schaltfehlern einzelner Spieler, wenn sie sich reihenweise ausspielen lassen." Kuno Klötzer ist komplett anderer Meinung und rät seinem Kollegen: "Dettmar muss jetzt den radikalen Schnitt wagen und wieder zur Manndeckung zurückkehren. Eintracht steckt in einer tödlichen Sackgasse."

Präsident Achaz von Thümen, sicher kein ausgewiesener Taktikexperte, fühlt sich wohl nach den ausführlichen Gesprächen mit Cramer dennoch zu einem Kommentar berufen, der einem Universitätskanzler im Führungsstil entsprechen mag, in pädagogischer und psychologischer Hinsicht jedoch bedenkliche Mängel offenbart: "An der Raumdeckung liegt's nicht. Man muss nur auch einmal Stars wie Hölzenbein auf die Reservebank setzen, wenn sie außer Form sind." "Das ist doch kein Akt von Mut", hat Cramer aber bereits die ebenso lautende und lautstark geäußerte Forderung von Fans kommentiert: "Das wäre doch für mich der Weg des geringsten Widerstands gewesen." "Hölzenbein schießt im Augenblick keine Tore, das nagt an ihm, das macht ihn unsicher. Er ist nicht ein solch robuster Typ wie beispielsweise Granitza", zeigt der Coach mehr Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen als der Mann von der Uni.

Statt den "Holz" ins zweite Glied zu verbannen, hat der Trainer zusammen mit Kapitän Grabowski und Bundestrainer Helmut Schön beraten, wie Weltmeister Hölzenbein aus seinem Formtief zu helfen sei: "Der Gedanke war naheliegend, Hölzenbein im Mittelfeld einzusetzen. In dieser Rolle hat er bei der Südamerika-Reise der Nationalelf in Argentinien eins seiner besten Länderspiele gemacht." Hölzenbein ist dankbar für die ihm von Cramer gebaute Brücke: "Ich habe mich vorne von Spiel zu Spiel mehr festgerannt. Ich will mich nicht im Mittelfeld verstecken. Wenn der Konten geplatzt ist, stürme ich auch wieder in der Spitze." "Vielleicht passt Holz überhaupt besser ins Mittelfeld. Auf dieser Position sucht ja auch Helmut Schön noch einen Mann", sieht Cramer die Lösung, die aus der Not helfen soll, nicht unbedingt als Notlösung an. Seine Chancen auf eine WM-Teilnahme mit der DFB-Auswahl sieht Hölzenbein deutlich gesunken: "Ich mache mir da keine Illusionen, wenn es so weitergeht, bin ich weg vom Fenster. Ich bin doch nicht allein schuld, dass es bei uns nicht läuft. Deshalb ist es ungerecht, wie mich unser Präsident von Thümen in die Pfanne haut."

Kuno Klötzer analysiert den Kantersieg unterdessen sachlich, aber nicht ohne Mitleid für die Unterlegenen: "Während das Spiel in der ersten Halbzeit ausgeglichen war, wendete es sich nachher zu unseren Gunsten. Die Eintracht setzte alles auf eine Karte und lief in die Hertha-Konter. Schon nach 30 Minuten zeichnete sich ab, dass unsere Spielanlage besser war. Nach der Pause hat es mir als altem Fußballer fast weh getan, wie Frankfurt ausgespielt wurde. Bei Hertha gab es keinen Ausfall, sowohl in der Abwehr als auch im Angriff war ich hochzufrieden." Die Klasse des Gegners kann Dettmar Cramer bestätigen: "Dass Hertha in einer Bombenform ist, haben wir gesehen. Doch das Genick gebrochen haben uns die ersten beiden Tore, als Weiner und Kristensen mit bravourösen Einzelleistungen an vier bzw. fünf Abwehrspielern vorbei spazieren konnten. So krasse Abwehrfehler dürfen und werden uns nicht mehr passieren. Als Bernd Gersdorff einen Abpraller zum 0:3 nutzte, war die Substanz des Frankfurter Spiels erschöpft."

"Ich hatte andauernd das Gefühl, dass die Berliner zwei Spieler mehr auf dem Platz gehabt hätten", klagt Karl-Heinz Körbel unten vor der Kabine, während sein Trainer ein Stockwerk höher den Grund für die gefühlte Überzahl zu kennen glaubt: "Wenn man gegen eine so abwehrstarke Mannschaft 0:3 zurückliegt, muss man halt angreifen. Wir haben das getan und sind in die Konter gelaufen. Für eine solche Niederlage gibt es dennoch keine Entschuldigung."

"Auch die schlechten Bodenverhältnisse sind keine Rechtfertigung für das schlechte Spiel der Eintracht, denn sie spielt ja nicht erst seit gestern Fußball", bestimmt Cramer und auch der Kapitän sucht keine Entschuldigungen, selbst wenn sie nahe liegen oder ihm nahegelegt werden, wie der indiskutable Zustand des Rasens im Waldstadion: "Davon will ich jetzt nicht reden, das wäre billig", dazu ist er erst bereit, wenn "wir wieder ein Spiel gewonnen haben". Der Einbau einer Drainage für 250.000 Mark soll dem Spielfeld und der Eintracht helfen: "Es ist zu überlegen, ob man nicht noch 300.000 Mark für eine Heizung drauflegt. München hat diese Heizung und dafür bei jedem Wetter ein musterhaftes Spielfeld", schlägt Grabowski vor. Zukunftsmusik. Die nächste Melodie hat der Trainer schon im Ohr und versucht den Blick der Spieler trotz der gesenkten Häupter nach vorne zu richten: "Wir dürfen aber die Köpfe nicht hängen lassen und müssen in Duisburg am nächsten Samstag den Karren aus dem Dreck ziehen."

Doch wer die Ursachen eines Debakels "ganz einfach in krassem menschlichem Versagen" erkannt zu haben glaubt, muss sich fragen lassen, wie er die von ihm benannten "eklatanten Fehler in Abwehr und Angriff" zu beseitigen gedenkt. "Mich haben einige Spieler der Eintracht sehr enttäuscht, aber ich nenne keine Namen. Wir müssen schon jetzt an das nächste Spiel in Duisburg denken", beschränkt sich Cramers Antwort auf die allgemein gehaltene Ankündigung personeller Veränderungen innerhalb der Mannschaft neben dem den Journalisten nur zu gut bekannten Hinweis: "Was durch Arbeit verbessert werden kann, wird getan."

Angesprochen auf Klötzers Äußerung, dass ältere Spieler nicht gerne hinter dem Ball herliefen, wenn andere ihn spielen, entgegnet Cramer: "Der schwere, seifige Boden war natürlich Gift für Spieler, die gerne ihre Technik auf einem Bierdeckel ausspielen. Das ist eine Erklärung, aber keine Entschuldigung, wie auch das 0:5 nicht entschuldigt werden kann." Auf den Vorwurf, dass aus dem Mittelfeld weder Ideen noch lange Pässe kamen, weil die Eintracht Außenstürmer habe, reagiert Cramer nicht überrascht: "Ich hatte schon eine böse Ahnung, als Wolfgang Kraus in Hamburg vom Platz gestellt wurde. Ich sah die Probleme auf mich zukommen." Nur lösen konnte er sie anscheinend nicht …

"Bei Herrn Cramer sitzen wir halbe Stunde lang vor der Tafel und staunen, was er uns alles in der Wir-Form über den Fußball im Besonderen erzählen kann. Ich-Mensch Lorant machte mit fünf Worten, mal sanft, brutal, klar, dass wir auf Spielfeld kämpfen und zusammenhalten müssen", zitiert der "Kicker" einen Spieler, "der alles andere, als ein stürmischer Lorant-Verehrer war, den fundamentalen Unterschied zwischen dem derben Despoten und dem deklamierenden Demokraten". "Angst ist bei mir unterentwickelt", hatte Cramer bei seinem Amtsantritt erklärt, heute sagt er: "Draufhauen hilft auch nichts. Was die Eintracht jetzt braucht, sind gute Freunde." Es scheint, dass er die auch gebrauchen könnte …

Die allgemeine Empörung, die Wut der Fans richtet sich gegen Cramer, doch letztendlich fühlen sich die Anhänger um ihre Hoffnungen betrogen, die durch die kühnen Prognosen der Verantwortlichen zu Saisonbeginn geweckt und genährt wurden. Meister wollte man werden, so und nicht anders hatte es das Führungsteam um Trainer Lorant und Manager Wolf doch proklamiert.

Einer der wenigen Freunde Cramers fährt nach dem 0:5 erst einmal in Urlaub: Achaz von Thümen. Am Montagnachmittag ist nur Frau von Thümen im Hotel Belvedere zu erreichen: "Das Wetter hier ist schön, nur die Nachrichten aus Frankfurt sind schlecht." "Typisch Thümian, die Mannschaft steckt im Dreck, und der Präsident sonnt sich im Urlaub", kommt daraufhin der Seitenhieb Gyula Lorants, als er sich bei der Abendpost/ Nachtausgabe für die Glückwünsche zu seinem Geburtstag bedankt. Und dann verblüfft er die Redakteure mit einem Versprechen: "Im März bin ich wieder in Frankfurt!" Dem Schweigen am Frankfurter Telefon folgt schallendes Lachen aus München: "... zum Länderspiel!" "Die Misere liegt nicht an der Mannschaft und nicht am Trainer, sondern bei anderen. Die Stars kommen wieder, dann marschiert auch die Eintracht wieder", macht der Trainer der Eintracht Mut, knüpft das aber an eine Bedingung: "Doch dazu braucht sie gute Stimmung." Die allerdings ist in Frankfurt mal wieder auf dem Nullpunkt.

Dabei wurde die Eintracht noch vor zwei Wochen als die erfolgreichste Mannschaft der letzten sechs Spieltage (9:3 Punkte) gefeiert. Und nun dieser Sturz vom vierten auf den neunten Tabellenplatz, der bei einer erneuten Niederlage am Samstag in Duisburg auf den zwölften Rang vorläufig zu enden droht, da gesteht auch Hartmut Scherzer in der Abendpost / Nachtausgabe: "Vor drei Wochen, nach einer imponierenden Serie von Kampferfolgen wie dem 0:0 beim HSV trotz des Platzverweises von Wolfgang Kraus, habe ich an dieser Stelle die "launische Diva" Eintracht Frankfurt beerdigt - etwas voreilig, wie ich eingestehen muss, denn die Dame war nur scheintot." (rs)

 

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