Schalke 04 - Eintracht Frankfurt

Bundesliga 1972/1973 - 30. Spieltag

3:2 (1:1)

Termin: Sa 05.05.1973, 15:30 Uhr
Zuschauer: 25.000
Schiedsrichter: Klaus Ohmsen (Hamburg)
Tore: 1:0 Nico Braun (25.), 1:1 Bernd Nickel (35.), 2:1 Peter Ehmke (46.), 2:2 Bernd Hölzenbein (74.), 3:2 Paul Holz (88.)


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Schalke 04 Eintracht Frankfurt

  • Norbert Nigbur
  • Manfred Dubski
  • Ulrich van den Berg
  • Helmut Kremers
  • Hartmut Huhse
  • Nico Braun
  • Klaus Beverungen
  • Erwin Kremers
  • Rainer Budde
  • Klaus Scheer
  • Peter Ehmke

 


 

Wechsel
  • Paul Holz für Ulrich van den Berg (36.)
  • Helmut Manns für Hartmut Huhse (41.)
Wechsel
Trainer Trainer

 

Boxerherzen

Der Vizemeister und Pokalsieger der letzten Saison kämpft in dieser Spielzeit gegen den Abstieg. Der tiefe Sturz des FC Schalke 04 ist die Konsequenz aus der Verstrickung etlicher Spieler in den Betrugsskandal aus der Saison 70/71, der den deutschen Fußball erschüttert und in dieser Runde zu einem noch nie da gewesenen Zuschauerschwund führt.

Rüssmann, Fichtel, Lütkebohmert, Fischer und Sobieray wurden mittlerweile wegen des Betrugsskandals vom DFB gesperrt. Die dagegen erwirkten einstweilige Verfügungen des Oberlandesgerichts und Landgerichts Frankfurt sowie die Auflage des Arbeitsgerichts für Schalke die Spieler beim nächsten Spiel einzusetzen, zwangen den DFB zur weithin kritisierten Maßnahme das Schalker Spiel gegen Köln kurzerhand abzusetzen.

Nun hat der DFB seine Drohungen verschärft, falls diese Spieler im Bundesligaspiel gegen die Eintracht eingesetzt werden sollte. Nach dem bereits angekündigten Punktabzug im Fall eines Sieges sollen jetzt folgende Strafen auf Schalke zukommen: Lizenzentzug und damit Zwangsabstieg aus der Bundesliga, Erhöhung der Strafen für die verurteilten Spieler von bisher zwei Jahren auf lebenslänglich, Amtsenthebung des gesamten Schalker Präsidiums und Platzsperre für die noch ausstehenden Bundesliga-Heimspiele.

Vor dem Spiel gegen die Eintracht verzichten nun Fischer und Sobieray nach Rücksprache mit ihren Anwälten von sich aus auf einen Einsatz, um dem Verein Schalke 04 "Unannehmlichkeiten und Schwierigkeiten" zu ersparen. Das hätten sich die Spieler vielleicht überlegen sollen, bevor sie das Geld für eine Spielmanipulation annahmen. Sie hätten ihrem Verein nicht nur Unannehmlichkeiten, Schwierigkeiten und den wenig angenehmen Namen "FC Meineid 04", sondern auch den Abstiegskampf erspart.

"Wir wollen Schalke vor größtem Schaden bewahren und wollen deshalb nicht spielen", lautet die telefonische Nachricht der beiden Spieler, die um 12.35 Uhr die Geschäftsstelle der Schalker erreichte. Als die "Erklärung" der beiden vor Spielbeginn über die Stadionlautsprecher verlesen wird, gibt es. Pfiffe für den DFB und Beifall für die Manipulateure. Es ist eine verkehrte Welt.

Eine erfreuliche Nachricht gibt es aber dann auch noch und die erfuhr der gesperrte Außenverteidiger Sobieray nach dem Mittagessen. Da hatte ihm sein Trainer Ivica Horvat nämlich gratuliert: "Herzlichen Glückwunsch, du bist Vater geworden." Sobieray hatte keine Ahnung, dass seine schwangere Frau zuvor ins Krankenhaus eingeliefert worden war.

Horvat, so gibt der Coach auch an, war an der Entscheidung der beiden Spieler beteiligt: "Ich habe ihnen gesagt, dass es am besten sei, wenn sie nicht spielen würden. Schließlich weiß ich auch nicht, wie die beiden nach dieser langen Zwangspause in Form sind." Schalke bleibt also nicht anderes übrig, als heute mit dem buchstäblich letzten Aufgebot anzutreten. Auf der Ersatzbank der Knappen herrscht deswegen auch kein Platzmangel. Neben Ersatztorwart Pabst kann der Schalker Trainer, Ex-Eintracht-Spieler Ivica Horvat, lediglich auf Manns und Holz zurück greifen.

Die Gelsenkirchener sind außerdem mit bislang nur 15 Punkten die heimschwächste Elf der Bundesliga. Die auswärtsschwachen Hessen (3 Punkte) sollten dennoch gewarnt ins Spiel gehen. Angeknockte Boxer gelten als unberechenbar und deshalb als besonders gefährlich – manchmal trifft diese Regel auch auf angeschlagene Fußballmannschaften zu.

Außerdem herrscht schon lange vor Spielbeginn eine eigentümliche Stimmung in der Gelsenkirchener Glückauf-Kampfbahn. Vorsorglich ließ Polizeichef Kowallek einen weiteren Bereitschaftszug im Stadion antanzen. Aber es bleibt alles ruhig, obwohl vorher Schalker Fans sämtliche Schlösser aus den Türen der Spielfeld-Gitterumrandung ausgebaut hatten und auch die Lautsprecheranlage demoliert worden war. Frankfurts Trainer Erich Ribbeck ahnt Schlimmes: "Meine Jungs haben heute richtig Angst."

So wird von Spielbeginn deutlich, dass dies keine Partie für Fußballästheten wird. Der jungen Schalker Elf fehlen einfach die technischen Mittel, dafür besitzt die Mannschaft jedoch offensichtlich das Herz eines Boxers: Ohne Rücksicht auf die eigene Unversehrtheit wird der Kampf auf dem Platz geführt und Niederschläge werden weggesteckt.

Und Nieder- und Rückschläge für die Schalker hat diese Begegnung einige in petto. Nachdem Nico Braun die Gastgeber nach einem Alleingang von Scheer mit seinem achten Saisontor in der 25. Minute in Führung gebracht hat, erzielt Frankfurts Kunstschütze Bernd Nickel mit einem raffinierten Freistoß aus 18 Metern in der 35. Minute den Ausgleich. Doch es kommt noch ärger für die Gastgeber: Helmut Kremers verschießt fünf Minuten später einen Elfmeter …

Doch damit ist es immer noch nicht genug, das Pech der Gastgeber findet eine Fortsetzung. Kurz nach Nickels Ausgleich hat Trainer Horvat bereits den Mittelfeldspieler Paul Holz für den Abwehrrecken van den Berg gebracht. In der 41. Minute ist das Auswechselkontingent der Knappen dann schon erschöpft: Huhse wird ausgewechselt, ein ähnliches Schicksal ereilte ihn am letzten Spieltag gegen Köln, wo er bereits nach 36. Minuten den Platz verlassen musste. Für Abwehrspieler Huhse kommt der etatmäßige Stürmer Manns, der in dieser Spielzeit jedoch erst ein einziges Tor geschossen hat – beim 6:1 der Schalker gegen Offenbach.

Bewundernswert, wie die Schalker den schnellen Verlust der ersten Führung seit Wochen und die vergebene Elfmeterchance verkraften. Kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit ist es der 19 Jahre alte Peter Ehmke, der die Eintrachtabwehr mit einem tollen Alleingang überwindet und die kämpfenden Knappen erneut in Führung bringt.

Nun ist es an Trainer Ribbeck zu reagieren. In der 57. Minute bringt er Thomas Rohrbach, der Körbel als Außenverteidiger ersetzen soll. Nach 72 Minuten holt der Eintracht-Coach dann Libero Trinklein vom Platz, um mit Thomas Parits einen weiteren Stürmer zu bringen. Am erneuten Ausgleich, der zwei Minuten später fällt, haben jedoch weder Rohrbach noch Parits Anteil. Hölzenbein überwindet mit einem Schuss aus 20 Metern den überraschten Torwart Nigbur.

Die Eintracht kann heute – ganz anders als sonst – eine optimale Chancenverwertung vorweisen: 2 Chancen, 2 Tore. Über das drucklose Spiel der Männer vom Main kann ihre Treffsicherheit allerdings nicht hinwegtäuschen. Bei den Hausherren sorgen dagegen die Kremers-Zwillinge, der immer anspielbare Budde sowie Scheer mit seinem besten Spiel in dieser Saison für Dauerdruck in Richtung des Tores von Günter Wienhold, der erneut Dr. Kunter vertritt.

Zwei Minuten vor dem Ende muss sich Wienhold aber dann ein drittes Mal geschlagen geben: Gegen den schönen Volleyschuss des 20-jährigen Paul Holz, der aus einem Gedränge 14 Meter vor dem Tor abzieht, hat er keine Abwehrchance. Ein dramatisches Spiel findet seinen glücklichen, aber letztlich verdienten Sieger in den Gastgebern.

Den Protest, den der Schalker Vorstand aufgrund der Drohungen des DFB gegen die Wertung dieses Spiel vorsorglich eingelegt hatte, interessiert nun niemanden mehr. Die Zuschauer liegen sich in den Armen und Trainer Horvat ist genauso zumute. "Ich könnte ihn umarmen", kündigt er mit Blick auf den Siegtorschützen an.

Um das Gefühlsleben seines Frankfurter Kollegen ist es naturgemäß nach dieser Niederlage schlechter bestellt. "Bei etwas mehr Cleverness hätten wir das 2:2 verteidigen müssen. Die Chancen auf den 6. Platz und die Teilnahme am UEFA-Cup sind nun futsch", ärgert sich Ribbeck. "Eine Katastrophe, wie wir gespielt haben", schimpft er, ohne das berechtigte Lob an den Gegner zu vergessen: "Aber die Schalker haben unglaublich gekämpft." Das kann man Ribbecks Truppe nicht zugute halten, leider blieben auch wichtige Spieler unter ihrer Normalform. "Den Grabowski habe ich heute gar nicht gesehen", kritisiert Horvat beispielsweise den Frankfurter Kapitän.

So verliert die Eintracht am Ende nicht nur auf dem Platz, sondern auch in der Tabelle einen Rang und rutscht auf Platz 11. Die siegreichen Schalker und Hannover 96 tauschen die Plätze; Schalke steht nun auf dem 16. Rang und damit auf einem Nichtabstiegsplatz. (rs)


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