FSV Mainz 05 - Eintracht Frankfurt

Ligapokal 1972/1973 - Gruppe 7

2:5 (1:3)

Termin: 02.08.1972
Zuschauer: 5.000
Schiedsrichter: Hontheim (Trier)
Tore: 1:0 Dries (4.), 1:1 Bernd Nickel (29.), 1:2 Jürgen Grabowski (31.), 1:3 Ender Konca (39.), 1:4 Bernd Nickel (50.), 2:4 Dries (82.), 2:5 Bernd Hölzenbein (85.)

 


>> Spielbericht <<

FSV Mainz 05 Eintracht Frankfurt

  • Kneib
  • Scheller
  • Scherer
  • Ziehmer
  • Löhr
  • Janz
  • Richter
  • Nielsen
  • Dries
  • Klipp
  • Renner

 


 

Wechsel
  • Jakobi für Ziehmer (38.)
  • Göppl für Scherer (64.)
Wechsel
Trainer
  • Hoss
Trainer

 

 

Ein 30-Minuten-Gegner

"Jupp" Derwall, Assistent von Bundestrainer Helmut Schön und verantwortlicher Coach der Olympiaauswahl des DFB, steht in der Kritik. "Diese Mannschaft ist eine Medaille wert", hat Derwall versprochen, doch die Vorschusslorbeeren sind fast so schnell verwelkt, wie eine Rose in der Sahara. Nach dem 4:0-Sieg gegen Schleswig-Holsteins Amateure gab es Niederlagen gegen Schwedens Junioren (1:5) und gegen Finnlands A-Nationalmannschaft (1:2). "Wir müssen bei Olympia erstmal die Vorrunde überstehen", sagt Derwall nun und bekommt als Antwort des Boulevards die Gegner vorgehalten: Malaysia, Marokko und die USA. Uli Hoeneß glaubt aber nicht an ein grundsätzliches Problem, sondern sieht seine schwache Leistung, die die Zuschauer gegen Schweden bei seiner Auswechslung mit Pfiffen quittierten, so begründet: "Die 14 Tage Urlaub, die es nach der Bundesligasaison gab, sind einfach zu wenig. Und dann jetzt drei so harte Spiele in fünf Tagen, diese Anstrengung war einfach zu viel."

Anstrengend ist es auch für die Eintracht, und besonders für die Olympiaamateure Kalb und Nickel, die nur drei Tage nach der überraschenden Auftaktniederlage im Ligapokal beim Meister der Regionalliga Südwest wieder antreten müssen. Im zweiten Spiel des Wettbewerbs fährt man zu einem Verein, dem man sonst nur selten bis gar nicht über den Weg läuft. Den FSV Mainz 05 und die Frankfurter Eintracht trennen mehr als die verschiedenen Bundesländer oder die Flüsse, die Pfälzer liegen fußballerisch gesehen fast so weit weg von den Hessen wie der Mond von der Erde.

Während die Mainzer in der letzten Saison in der Regionalliga mit 11 Punkten Abstand hinter Neunkirchen als Vierter durchs Ziel gingen, wurden die Frankfurter Fünfter – aber in der Bundesliga. Trainer Erich Ribbeck misst der Begegnung in Mainz wohl auch deswegen die Bedeutung zu, die ihr zusteht - keine. Er lässt sich durch seinen neuen Co-Trainer Dieter Stinka vertreten und fährt nach Bochum, um dort den ersten Gegner seiner Elf im UEFA-Pokal zu beobachten, den FC Liverpool.

Andere Prioritäten als der Eintracht-Trainer setzen 5.000 Zuschauer, die sich das ungleiche Duell nicht entgehen lassen wollen. Vielleicht rechnen sich einige auch Chancen aus, dass den Mainzern gegen die Frankfurter ein ähnlicher Coup gelingen könnte, wie zuvor der Borussia aus Neunkirchen. Gegen den Ligakonkurrenten haben die Mainzer in der zweiten Südwest-Pokalrunde immerhin nach hartem Kampf nur mit 2:3 verloren.

Auch sonst hat der FSV gut lachen, was unter anderem an der finanziellen Unterstützung des Mainzer Konzerns Werner und Mertz liegt, der mit seiner Zahnpastamarke Blendax bundesweite Bekanntheit erlangt hat. "Mir Määnzer wolle nit nur in der Faasenacht dominieren, sondern auch im Südwest-Fußball!" Der vor einem Jahr vom Mainzer Oberbürgermeister und FSV-Verwaltungsratsvorsitzenden "Jockel" Fuchs geäußerte Wunsch soll in dieser Spielzeit in Erfüllung gehen. Dazu wurde schon zur letzten Saison mit Gerd Klier der zweimalige Torschützenkönig der Regionalliga Süd vom HSV verpflichtet. In Hamburg holte sich der ehemalige Biebricher Mannschaftskamerad von Jürgen Grabowski ein Jahr lang Bundesligaerfahrung. Zu Klier, der heute nicht mittun kann, gesellt sich in dieser Spielzeit der dänische Nationalspieler Torben Nielsen von B 03 Kopenhagen. Neu in Mainz ist auch Friedhelm Aust, der nach zwei Jahren bei der Eintracht vom Main an den Rhein wechselte, sowie Gerald Girrbach, der vom KSC zum FSV kam, und Manfred Kipp, der 1971 Torschützenkönig der Regionalliga Berlin und in der letzten Saison noch für Eintracht Braunschweig am Ball war.

Zu Beginn des Spiels sieht es so aus, als könnten die Mainzer mithalten. Ja, mehr als das, in der vierten Minute gehen sie durch einen Freistoß aus 18 Metern Entfernung sogar in Führung. Gegen den Schuss von Jochen Dries ist Dr. Kunter im Tor der Eintracht machtlos. Das passt wie die Faust aufs Auge, dass der Zahntechniker Dries die Lücke im Kasten des Zahnarztes Kunter erspäht hat. Auch Dries ist übrigens erst zu Saisonbeginn von Neunkirchen nach Mainz gekommen.

Es ist dem Regionalligisten anzumerken, dass er nach der Sommerpause schon öfter zusammengespielt hat, die Elf von Trainer Bernd Hoss harmoniert anfangs besser als die Profis vom Main. Die Abwehr des Bundesligisten benötigt in dieser Phase eine gehörige Portion Glück, um den Ansturm der 05er ohne weiteren Schaden zu überstehen: Als Dr. Kunter nach 20 Minuten bei einem Schuss von Renner ein zweites Mal geschlagen ist, rettet die Latte des Frankfurter Tores.

Die Eintracht tut sich schwer, aber sie bekommt Unterstützung durch den Mainzer Libero und Kapitän Scheller, der sich indisponiert zeigt. Sein Dribbling im eigenen Strafraum gegen Nickel missglückt, und der Frankfurter nutzt die Gelegenheit und staubt zum 1:1 ab. Nun ist der Bann gebrochen, doch den Mainzern muss es so vorkommen, als sei es ein Damm, der in die Brüche gegangen ist. Nur zwei Minuten nach dem Ausgleich visiert Jürgen Grabowski das rechte Eck des Mainzers Tores an und trifft genau. Wolfgang Kneib, dem Schwächen in der Strafraumbeherrschung nachgesagt werden, der auf der Linie aber ein Meister seines Fachs ist, hat keine Chance. Die Frankfurter haben das Spiel gedreht und dazu nicht einmal 180 Sekunden gebraucht.

Doch es kommt noch dicker für die Mainzer. In der 38. Minute muss Ziehmer verletzt vom Platz, Jakobi soll ihn ersetzen. Und Jakobi ist noch keine ganze Minute auf dem Platz, als die Eintracht zum dritten Mal trifft. Ender Konca, der in diesem Spiel zu den besten Frankfurtern gehört, erhöht in der 39. Minute auf 3:1.

Die größere Entschlossenheit beim Abschluss, das bessere Spiel ohne Ball und schließlich die Routine geben den Ausschlag, die Hessen dominieren die Rheinpfälzer deutlich. Die setzen im zweiten Durchgang dennoch alles auf eine Karte und versuchen, den Bundesligisten mit einem wütenden Sturmlauf zu beeindrucken. Dieses Vorhaben ist bereits nach fünf Minuten wieder beendet. Konca bedient den wiedergenesenen Parits, der sieht das Loch in der Abwehr der Mainzer, passt zu Nickel und dieser vollstreckt zum 4:1.

Die Partie ist natürlich entschieden, die Eintracht kontrolliert Ball, Spiel und Gegner. Dabei muss der Bundesligist nicht einmal das Tempo anziehen. Auch lässt er es in der Abwehr weiterhin an Ruhe fehlen, obwohl sich dort der Ex-Oberhausener Uwe Kliemann immer besser zurechtfindet. Neben Konca und Nickel wissen zudem der routinierte Schämer und Grabowski besonders zu gefallen.

Zehn Minuten vor dem Ende kommt dann der Neuzugang von Singen 04 zu seinem ersten Einsatz für die Eintracht: Günter Wienhold muss Dr. Kunter ersetzen, bei dem unklar ist, ob er sich lediglich eine Zerrung oder sogar einen Muskelriss in seiner linken Wade zugezogen hat. Es ist aber nicht Wienholds Versäumnis, dass Dries zwei Minuten später mit seinem zweiten Treffer auf 2:4 verkürzen kann.

Bei diesem Ergebnis wollen es die Frankfurter offensichtlich nicht belassen, noch einmal bewegen sich die Profis in Richtung des von Kneib gehüteten Tores. Bernd Hölzenbein ist es, der mit einem Kopfball fünf Minuten vor dem Abpfiff den alten Abstand wieder herstellt.

Der schwergewichtige FSV-Trainer Hoss zeigt sich nach dem Spiel über die Höhe der Niederlage enttäuscht: "Zeitweise zeigte 05 doch ein gutes Spiel." Horst Heese, der nach 67 Minuten für Kalb ins Spiel kam, ist ein freundlicher Gast und lobt die Gastgeber: "Überraschend stark. Eine halbe Stunde hielten sie gut mit." Das ist richtig und trifft die Ursache für die hohe Mainzer Schlappe auf den Punkt: Ein Fußballspiel dauert 90 Minuten …


Nachtrag

Vorsitzender des Gesamtvereins FSV Mainz 05 ist in der Saison 1972/73 ein Journalist: Werner Höllein. Der Sportredakteur in Mainz kündigt an: "Ich will beweisen, dass ein Journalist nicht nur über Sport schreiben, sondern im Sport auch organisatorisch gestalten kann." Er tut aber noch mehr und kümmert sich um einen Fußballweltmeister: Werner Kohlmeyer.

Kohlmeyer, einer der "Helden von Bern", findet sich außerhalb des Platzes immer schlechter zurecht, wird geschieden, spricht dem Alkohol mehr zu, als es ihm gut tut, verliert seine Arbeit und verarmt. "Alles, was nach der WM kam, war wie ein einziges verlorenes Wochenende", sagt Kohlmeyer und wünscht sich: "Hätte ich doch nie Fußball gespielt."

Es ist Werner Höllein, der dem Gestrauchelten, der sich zwischenzeitlich als Hilfsarbeiter auf dem Bau verdingt, wieder auf die Beine hilft. In Mainz besorgt Höllein Kohlmeyer eine Stelle bei der Allgemeinen Zeitung, wo Kohlmeyer in den seinen letzten beiden Lebensjahren als Pförtner arbeitet. Am 26. März 1974 stirbt Kohlmeyer morgens um vier in der Küche der Wohnung, in der er gemeinsam mit seiner Mutter lebt, an einem Herzanfall. Er wird nicht einmal 50 Jahre alt. (rs)


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