Eintracht Frankfurt - Hertha
BSC Berlin |
Bundesliga 1971/1972 - 7. Spieltag
1:1 (1:0)
Termin: Sa 18.09.1971, 15:30 Uhr
Zuschauer: 28.000
Schiedsrichter: Walter Engel (Reimsbach)
Tore: 1:0 Jürgen Kalb (29., Elfmeter), 1:1 Hans-Jürgen Sperlich (52.)
Eintracht Frankfurt | Hertha BSC Berlin |
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Verschiedene Gesichter Niemand weiß genau, welcher Ausmaße der Bundesliga-Skandal noch annehmen wird. Anzunehmen ist aber, dass eine der Ursachen für die Bestechungsversuche und tatsächlich erfolgten Manipulationen in der sportlichen und wirtschaftlichen Diskrepanz der Bundesliga im Vergleich zu den 1963 zeitgleich mit der Profiliga eingeführten fünf Regionalligen (Süd, Südwest, West, Nord und Berlin) zu suchen ist. Diese zweithöchsten Spielklassen können aus finanzieller Sicht mit der Bundesliga nicht mithalten, so dass ein Bundesligaabstieg einen Club im schlimmsten Fall wirtschaftlich ruinieren könnte. Einen wichtigen Anstoß für die Reform des Spitzenfußballs haben nun die Vorsitzenden der Bundesligaclubs auf einer Tagung in Frankfurt vor wenigen Wochen gegeben: Sie beschlossen, dass der Bundesligaausschuss auf dem DFB-Bundestag am 30. Oktober in Kaiserslautern den Antrag stellen wird, die Zweite Bundesliga in zwei Gruppen auf dem Wege der Ausschreibung zu bilden. Eine 2. Bundesliga könnte somit schon ab der der Saison 1973/74 Realität werden. Traurige Wirklichkeit ist bereits, dass der heutige Gegner der Eintracht im Zuge des Bundesligaskandals zwei Spieler durch Sperren eingebüßt hat: Nachdem Horst-Gregorio Canellas mittels Tonbandaufnahmen beweisen konnte, dass Bundesligaspiele manipuliert wurden, ereilten Kölns Torhüter Manglitz und die Hertha-Spieler Tasso Wild und Bernd Patzke mehrjährige Sperren. Wild und Patzke wurden vom DFB für die deutschen Ligen bis zum 30. Juni 1975 gesperrt. Während die einen die Gier nach dem Mammon gelockt und verdorben hat, ereilt die Eintracht der Ruf des Geldes in moralisch einwandfreier, aber sportlich bedenklicher Sicht. Mit einem Schlag könnten die Riederwälder einen guten Teil ihrer Verbindlichkeiten ablösen, wenn sie sich von ihrem Mannschaftskapitän trennen würden. Denn den Nationalspieler Jürgen Grabowski hat ein Angebot vom französischen Erstligaclub Girondins Bordeaux erhalten. Die Franzosen sind bereit, 650.000 Mark Ablösesumme zu zahlen. Ob der 27jährige Eintrachtstürmer an einem Vereinswechsel überhaupt interessiert ist, weiß niemand so genau, sicher ist aber, dass "Spione" von Bordeaux Grabowski beim Bundesligaspiel der Eintracht gegen Hertha beobachteten werden. Die Heimbilanz gegen die Berliner ist übrigens von Jahr zu Jahr schlechter geworden. 4:0, 3:0, 2:0, 1:1, 1:3 lautet die Zahlenreihe. So gesehen wäre ein Unentschieden ein Fortschritt, doch die Eintracht braucht einen erneuten Heimsieg, um ihre Auswärtsschwäche auszugleichen. Frankfurts Trainer Ribbeck dagegen ist wegen der enormen Formschwankungen höchst unzufrieden und sieht weiterhin den Grund für die Auswärtsmisere in der Defensive: "Nach jedem Sieg werden wir zu kess!" Erich Ribbeck scheint an dem Vierer-Mittelfeld Gefallen gefunden zu haben, obwohl dem 4-4-2-System in Düsseldorf kein Erfolg vergönnt war. Auf jeden Fall verzichtet er gegen die bisher nicht sonderlich treffsichere Hertha zugunsten eines weiteren Mittelfeldspielers wieder auf den dritten Stürmer. Ender Konca bleibt wieder nur der Platz auf der Bank. Die Eintracht tritt in derselben Aufstellung an wie gegen die Fortuna. Das bedeutet, dass auch Dr. Kunter spielen kann. Sein Einsatz war ebenso fraglich wie der von Lorenz Horr auf der Gegenseite, doch auch der frühere Alsenborner Akteur ist von Beginn an mit von der Partie. Doch System hin und Aufstellung her – die Eintracht beginnt ihr Heimspiel gewohnt stürmisch. Jürgen Grabowski dribbelt seine Gegner schwindelig, dass es eine wahre Freude ist und dem Besuch aus Bordeaux die Augen über- und die Geldtaschen aufgehen dürften. Grabis Sturmpartner Parits ist immer in Bewegung und gönnt der unsicheren Berliner Abwehr keine Ruhepause. Die Eintracht ist in der ersten Hälfte so dominant, dass es einem um die Hertha angst und bange werden könnte. 45 Minuten lang spielen die Adler ihren Gegner förmlich an die Wand. Einziges Manko bei den Gastgebern ist wieder einmal die Chancenverwertung. Allzu verschwenderisch gehen die Frankfurter mit ihren Einschussmöglichkeiten um. Die Berliner fallen im ersten Durchgang fast nur durch zahlreiche Fouls auf, die der unsichere Schiedsrichter Engel jedoch nicht allesamt oder zu früh ahndet. Nicht nur einmal wird Parits zurückgepfiffen, weil Schiedsrichter Engel den Vorteil nicht zu erkennen vermag.
Als in der 29. Minute Thomas Parits von Erwin Hermandung im Strafraum zu Fall gebracht wird, entscheidet Engel ebenso konsequent auf Strafstoß. Herthas Trainer "Fiffi" Kronsbein vermutet wohl eine Konzessionsentscheidung des Unparteiischen. "Parits fiel doch mehr, weil er stolperte als durch die Einwirkung von Hermandung", schimpft er. Jürgen Kalb lassen die üblichen Diskussionen völlig kalt. Erneut erweist er sich als nervenstarker und treffsicherer Elfmeterschütze. Mit der hochverdienten Führung geht es auch in die Pause. Die Hertha kann sich bei neben ihrem Torhüter Groß bei Uwe Witt bedanken, der als Feuerwehr einige der überraschend schnell und weiträumig vorgetragenen Angriffe der Eintracht zu löschen verstand, bevor der Brand den Strafraum der Gäste erreichen konnte.
Trainer Kronsbein ist in der Halbzeit dennoch höchst unzufrieden mit seiner Defensive: "Meine Abwehr gefällt mir überhaupt nicht, wie können die Jungs denn Parits und Grabowski so marschieren lassen. Das darf doch einfach nicht geschehen." "Na ja, Merkels Chancen steigen …", kommentiert ein Berliner Journalist Herthas schwache erste Halbzeit. Denn auf der Tribüne sitzt, kaum erkannt, der frühere Meistertrainer Max Merkel. Er sei "geschäftlich" hier, gibt Merkel eine knappe Auskunft. Mit der Eintracht, so viel ist klar, haben die Geschäfte des Übungsleiters, der zurzeit am Starnberger See wohnt, nichts zu tun. Merkel ist aus seiner Zeit beim FC Sevilla Summen gewohnt, die ihm die Eintracht gewiss nicht bieten kann und wird. Nach dem Wiederanpfiff reiben sich die 28.000 Zuschauer verwundert die Augen. Haben die beiden Mannschaften in der Pause etwa den Trikottausch vorgezogen? Die Eintracht beginnt schläfrig und überlasst der Hertha die Initiative. Besonders der Berliner Mittelfeldmotor Erich Beer lässt sich nicht zweimal bitten und bringt das Angriffsspiel der alten Dame von der Spree in Schwung.
In der 46. Minute ist das Glück noch auf der Seite der Hausherren, als Horr den Ball knapp über das Tor hebt. Doch in der 52. Minute muss dann Dr. Kunter doch hinter sich greifen. Berlins Stürmer Sperlich erzielt den Ausgleich. Dr. Kunter bekommt nun mehr zu tun als ihm lieb sein kann. Schließlich hatte sich erst kurz vor Spielbeginn entschieden, dass der fliegende Zahnarzt im Frankfurt Tor auflaufen kann. Der Routinier im Kasten der Eintracht hatte sich im Training am Fuß verletzt und spielt dank einer schmerzstillenden Spritze. Gut für die Eintracht, dass man ihrem Keeper im Spiel nichts von seiner Verletzung anmerkt, mindestens drei Rettungstaten von ihm halten das 1:1 fest. Gut auch, dass Herthas Stürmer Horr noch nicht wieder in Toppform ist und dass Mittelfeldmann Varga im Schatten von Horst Heese steht, der heute wieder einen humorlosen und effektiven Prellbock spielt. Heeses Deckungsarbeit hat leider keinen Vorbildcharakter für seine Kollegen im Mittelfeld, die dem Gegner immer wieder Lücken anbieten. Eine Partie ohne Fehl und Tadel bieten dagegen Lutz als souveräner Libero und Thomas Rohrbach, der sich mittlerweile zu einem Klasseverteidiger entwickelt hat und oft den verdienten Beifall des Publikums einstreichen kann. Reichel attackiert den Berliner Jung-Nationalspieler Steffenhagen nach Kräften und über weite Strecken zufriedenstellend.
Zuschauer und Journalisten fragen sich nach etwas mehr als einer Stunde, wann denn Trainer Ribbeck auf die nachlassenden Kräfte seiner Mannschaft reagieren wird. Hölzenbein ist gegen Beer ins Hintertreffen geraten und nur noch zweiter Sieger, der hölzern wirkende Trinklein schwächelt, profitiert allerdings von der unterdurchschnittlichen Form seines Gegenspielers Horr, dem man seine Verletzungspause anmerkt. Zudem missraten Nickel nun seine Pässe in Serie und der leicht angeschlagene Kalb, der mit der Nummer 11 Sonderaufgaben erfüllt, dürfte eine Auswechslung eher als Erlösung, denn als Strafe empfinden. Ribbeck mangelt es also nicht an Spielern, die für eine vorzeitige Dusche in Betracht kommen, zumal auch Parits und Grabowski nicht an die Leistung des ersten Durchgangs anknüpfen können. Der harte Hermandung hat Parits ein wenig den Schneid abgekauft und Grabis Dribblings sind längst nicht mehr alle vom Erfolg gekrönt. In der 78. Minute bringt Ribbeck endlich die dringend benötigte Verstärkung. Er schickt für Verteidiger Peter Reichel mit Ender Konca seinen dritten Stürmer in die Partie. Vier Minuten später löst auch Aust Heese ab. Und immerhin kommt die Eintracht in der Offensive nun wieder etwas besser ins Spiel, aber es ist zu spät, um dem Spiel noch einmal eine entscheidende Wende zu geben. Konca sorgt zwar für einige gefährliche Situationen, muss dabei jedoch auf die wertvolle Unterstützung von Jürgen Grabowski verzichten. Grabi, der über weite Strecken der zweiten Hälfte auf sich allein gestellt ist, haben seine Dribblings zu viel Kraft gekostet.
Der Berliner Keeper Groß, der vorher bereits famos gehalten hat, steigert sich noch einmal, zeigt tolle Reaktionen und eine souveräne Beherrschung seines Strafraums. Volkmar Groß ist die imponierendste Erscheinung auf dem Platz, besonders Nickel verzweifelt schier an des langen Berliners Künsten. Am Ende trennen sich die beiden Mannschaften mit einem – aufgrund der unterschiedlichen Halbzeiten – gerechten Unentschieden. Paradox: Die Eintracht verbessert sich in der Tabelle trotz des verlorenen Heimpunktes vom 12. auf den 11. Platz, während die Hertha vom 7. auf den 8. abrutscht. Zu dem gewonnenen Punkt gibt Erich Ribbeck den Kontrahenten aber noch ein Kompliment mit auf den Weg: Hertha war die bisher stärkste Mannschaft, die wir in Frankfurt erlebt haben. Berlin war jedenfalls gegen uns, noch ein ganzes Stück besser als Tabellenführer Schalke." "Nach der Pause sahen wir so schlecht aus, dass das Unentschieden schon gerecht ist", ist das eine Herz, das in Ribbecks Brust schlägt, das andere ärgert sich jedoch sehr: "Das Spiel hätte vor der Pause schon entschieden werden müssen. Gelegenheit dazu hatten wir ja genug. Da wurde versäumt, die nötigen Treffer zu schießen." Aber auch Hertha-Trainer Kronsbein trauert den 30 Minuten nach der Halbzeit nach, als die Berliner zu ihren besten Chancen kamen: "Noch ein Tor mehr hätten wir in dieser Phase doch verdient gehabt. Wir waren nun stärker als die Frankfurter in der ersten Hälfte." Nach dem Schlusspfiff ist "Fiffi" deutlich zufriedener als noch zur Pause: "Nein, ich habe im ganzen nichts auszusetzen." Im Ganzen nicht, im Einzelnen aber schon, wie seine Kritik am Schiedsrichter zeigt: "Elfmeter? Darüber kann man doch überhaupt nicht streiten, dass das keiner war." Voller Lob ist der Berliner Coach dagegen für seinen Torhüter: "Er war der Beste unserer Spieler." Dr. Kunter stimmt ein: "Ganz toll!" "Das war wirklich eine großartige Partie", bestätigt auch Bundestrainer Helmut Schön Groß’ großartige Leistung, äußert aber eine leise Kritik an einem Berliner Mannschaftsteil: "Das war nicht die Hertha, wie ich sie kenne. Im Mittelfeld klaffte diesmal eine Lücke, aber natürlich war es eine gute Leistung." Erich Ribbeck sieht sich indes den Fragen der Journalisten ausgesetzt, die vom Trainer wissen wollen, warum er mit den Auswechslungen so lange gewartet habe. Ribbeck antwortet mit einer Gegenfrage: "Wen hätte ich auswechseln sollen?" Zu viele Spieler hätten sich für einen Wechsel angeboten, deutet Ribbeck gegenüber den Medienvertretern an, um dann seinen Blick angesichts des verlorenen Heimpunktes in die Zukunft zu richten: "Wir brauchen mal auswärts einen Erfolg, wenigstens einen Punkt." Die nächste Gelegenheit dazu hat die Eintracht beim Gastspiel am nächsten Samstag beim Namensvetter in Braunschweig.
Nach Tasso Wild und Bernd Patzke werden ab 23. Januar 1972 Jürgen Rumor und Laszlo Gergely auf Lebenszeit sowie Zoltán Varga bis 30. Juni 1974, Volkmar Groß, Peter Enders, Wolfgang Gayer, Arno Steffenhagen, Karl-Heinz Ferschl, Hans-Jürgen Sperlich, Franz Brungs, Jürgen Weber Michael Kellner und Uwe Witt vom 21. Juni 1972 bis 20. Juni 1974 gesperrt. Varga erhält am 1. Juli 1972 die Freigabe fürs Ausland. Jürgen Rumor und Laszlo Gergely werden am 26. Januar 1973, Wild, Patzke, Volkmar Groß, Peter Enders, Wolfgang Gayer, Arno Steffenhagen, Karl-Heinz Ferschl, Hans-Jürgen Sperlich, Franz Brungs und Jürgen Weber am 26. November 1973 begnadigt. Michael Kellner zahlte weder die Verfahrenskosten noch die Geldbuße und blieb bis 12. Oktober 1981 gesperrt. Uwe Witt zahlte ebenfalls nicht und ist auf Lebenszeit gesperrt. (rs)
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