Eintracht Frankfurt - 1860 München

Bundesliga 1965/1966 - 27. Spieltag

5:2 (3:1)

Termin: Sa 26.03.1966, 16:00 Uhr
Zuschauer: 44.000
Schiedsrichter: Kurt Tschenscher (Mannheim)
Tore: 1:0 Horst Trimhold (21.), 1:1 Hans Küppers (22.), 2:1 Istvan Sztani (35.), 3:1 Wilhelm Huberts (45.), 3:2 Timo Konietzka (76.), 4:2 Wilhelm Huberts (78.), 5:2 Horst Trimhold (81.)

 

 

>> Spielbericht <<

Eintracht Frankfurt 1860 München

 


  • Petar Radenkovic
  • Hans Reich
  • Bernd Patzke
  • Zeljko Perusic
  • Manfred Wagner
  • Alfred Heiß
  • Otto Luttrop
  • Peter Grosser
  • Friedhelm Konietzka
  • Hans Küppers
  • Wilfried Kohlars

 

Trainer Trainer
  • Max Merkel

 

 

 

Lange Bärte und Gesichter

Bei einem Spiel weniger liegt der TSV 1860 München zwei Punkte hinter Tabellenführer Dortmund und einen Zähler hinter dem Zweiten Bayern München auf dem dritten Tabellenplatz. Da der BVB und die Bayern an diesem 27. Spieltag Heimspiele bestreiten, geht es für die Truppe von Trainer Max Merkel darum, mit einem Erfolg im Frankfurter Waldstadion den Anschluss an die Spitze zu halten.

Angesichts der bislang fehlenden Erfolgserlebnisse in Frankfurt könnte seitens der Münchner Respekt angebracht sein, doch anderseits haben die Mannen von Trainer Elek Schwartz in diesem Jahr vor eigenem Publikum noch keine Wunderdinge vollbracht: In den vier bisherigen Punktspielen im Waldstadion blieb die Eintracht drei Mal ohne einen Torerfolg, holte nur einen knappen Sieg gegen den VfB Stuttgart und verlor gar gegen die ebenfalls nur mittelprächtigen Hannoveraner.

Doch vor 44.000 Zuschauern zeigt die Diva vom Main heute plötzlich wieder ihr Festtagsgesicht. Die Elf scheint vom hochklassigen Gegner und dessen Ambition inspiriert, verzichtet auf das zuweilen umständliche Kurzpassspiel der letzten Wochen und setzt den Gästen mit präzisen langen Pässen schwer zu. Horst Trimhold schwingt sich dabei im Mittelfeld zu einem Regisseur selten gesehener Güte auf und bedient die Spitzen mit Maßvorlagen in Serie. Den Münchnern fehlt dagegen im Abwehrzentrum ein Organisator. Hans Reich ist mit dieser Aufgabe überfordert. Einzig Radenkovic verhindert den Rückstand mit gelungen Paraden, etwa als er im Flug einen Freistoß aus den rechten Torwinkel fischt und festhält.

Der überragende Trimhold ist jedoch nicht zu bremsen und zeichnet auch nach 21 Minuten für den Führungstreffer verantwortlich. Lotz hat sich am rechten Flügel fintierend durchgesetzt und droht im Sprint davonzuziehen, wird jedoch am Eindringen in den Strafraum gerade noch von Gegenspieler Patzke mit einer Grätsche in die Knochen gehindert. Mit dem fälligen Freistoß schaufelt Lotz den Ball gefühlvoll vor den Fünfmeterraum, wo Trimhold seinen Gegenspieler scheinbar locker um Haupteslänge überspringt und aus sechs Metern unhaltbar gegen die Laufrichtung des auf der Linie bleibenden Radenkovic in den rechten Torwinkel einköpft. Die Freude bei den Hausherren ist jedoch nur von kurzer Freude, denn fast vom Anstoß weg erzielen die Gäste den Ausgleich: Hans Küppers ersprintet sich im Strafraum eine Vorlage von Otto Luttrop und spitzelt den Ball rechts am herausstürzenden Kunter vorbei zum 1:1 ins Netz. Es ist Küppers zweites Saisontor.

Die Eintracht bleibt am Drücker und es ist besonders erfreulich, dass dem „Heimkehrer“ Istvan Sztani nach gut fünfmonatiger Verletzungspause das 2:1 glückt. Einen Eckball von Lotz, mit dem Nationalverteidiger Bernd Patzke viel Mühe hat, köpft der hochgestiegene Sztani in der 35. Minute freistehend aus fünf Metern per Aufsetzer fast mittig in den Kasten. Der Münchner Keeper wird bei diesem Gegentreffer von seiner Abwehr allein gelassen und sieht sich neben Sztani einem weiteren allein gelassenen Frankfurter Angreifer gegenüber. Doch auch er sieht nicht gut aus, weil er mittig im Fünfmeterraum steht und dort verharrt. Nach Ansicht von DFB-Bundestrainer Helmut Schön hat er bei diesem Tor schlicht „geschlafen“. Dieses Urteil tut dem Klassekeeper, der immer für eine Überraschung gut ist, jedoch Unrecht, denn der Schlussmann war nicht unkonzentriert, sondern schlicht noch benommen. Vor dem Eckball musste Radenkovic nämlich einige Minuten behandelt werden, nachdem er einen verdeckten Schuss vom linken Strafraumeck im katzenartigen Sprung bravourös über die Latte gelenkt hatte, bei der Landung jedoch hart mit dem Kopf aufschlagen war.

Auch in den folgenden Minuten wirkt Radenkovic nicht im Vollbesitz seiner Kräfte, was sich auf seine Vorderleute auswirkt, die nun ebenfalls fahrig wirken. Einer Kerze im Strafraum folgt der misslungene Fangversuch Radenkovics, der den Ball vor die Füße von Solz bugsiert. Dessen Hereingabe von der Torauslinie rechts neben dem Tor können die Sechziger gerade noch vor Huberts aus der Gefahrenzone schlagen. Der dritte Treffer der Hausherren kann aber bei solchen Abwehrleistungen nicht mehr lange auf sich warten lassen.


Huberts oder doch
Trimhold?

Neben Sztani und Trimhold überzeugen übrigens auch Huberts und Solz, die ebenfalls mächtig aufdrehen. Gegen Wolfgang Solz kann sich Manfred Wagner immer wieder nur mit Fouls helfen. Eines dieser Fouls begeht Wagner nach Meinung von Schiedsrichter Tschenscher kurz vor dem Pausenpfiff im Strafraum, nachdem dieser den Vorsprung des davon gesprinteten Solz ausgleicht, als dieser sich 12 Meter vor dem Tor auf den Schussstiefel legen will, doch der Stürmer bei der Körperberührung zu Fall kommt. Fast entschuldigend hebt Solz beide Arme, als er Wagner dann gegenüber steht. Es ist nicht klar, ob er damit ausdrücken will, dass er gegen den Elfmeterpfiff nichts machen könne oder dass sich Wagner nicht beschweren solle, weil es ein klares Foul gewesen sei. Trimhold ist es einerlei. Er krempelt sich bei, Strafstoß noch während des Anlaufs entschlossen beide Ärmel hoch (sic) und lässt einen nicht minder entschlossenen Schuss folgen, den Radenkovic reaktionsschnell an die Latte lenkt. Den von der Unterkante der Latte zurückspringenden Ball drücken Trimhold und Huberts fast Scheitel an Scheitel zum 3:1 über die Linie. Keiner im Rund kann sagen, welcher von beiden den Treffer erzielt hat. „Das Tor geht je zur Hälfte auf unser beider Konto“, einigen sich die beiden Spieler zwar in der Kabine, doch der DFB schreibt Huberts den Treffer zu. Es ist sein erster Treffer seit dem 20.11. des letzten Jahres, als er beim 6:1-Sieg in Neunkirchen ein Tor beisteuern konnte.

Im zweiten Durchgang beherrscht die Eintracht den Gegner klar. Mehrfach haben die Frankfurter die Chance, auf 4:1 davonzuziehen, wie Solz der nach einem Konter über den rechten Flügel und einem präzisen Querpass im Strafraum allein vor Radenkovic auftaucht, doch am erneut reaktionsschnellen Schlussmann der ‚Löwen’ scheitert, weil es diesem gelingt, den Linksschuss an den linken Pfosten zu lenken. Völlig überraschend sind es Merkels Männer, die nach einem Zwischenspurt im letzten Spieldrittel mit ihrer zweiten Torgelegenheit ins Netz treffen. Timo Konietzka erläuft sich in der 77. Minute eine Steilvorlage Luttrops, schiebt die Kugel an Kunter vorbei ins Tor und verdient sich mit so spät seine Aufstellung.

3:2. Aber die Möglichkeit, die Partie zu drehen, besteht keine 60 Sekunden. Dann zerstört Huberts die aufkeimenden Münchner Hoffnungen, indem er eine missglückte Abwehraktion von Wagner nutzt und aus halblinker Position Radenkovic mit einem Rechtsschuss überlistet, der neben dem linken Pfosten flach ins kurze Eck rauscht.

Dem halben Dutzend aus Neunkirchen kommt die Eintracht heute nahe, denn nach einer weiteren Traumkombination erzielt Trimhold in der 81. Minute das 5:2. Solz erobert sich im Rückwärtsgang 30 Meter vor dem Tor den Ball, dreht sich und spielt das Leder nach rechts zu Sztani. Der lupft den Ball zurück an den Strafraum, wo sich Solz vergeblich nach dem Ball reckt, und erreicht sein Ziel mit dem aus dem Rückraum nach vorne stoßenden Trimhold. Der nimmt den Ball 18 Meter vor dem Tor in zentraler Position mit dem linken Fuß an, legt sich den Ball in den Lauf, lupft ihn, bevor dieser wieder den Boden berührt, mit dem rechten Fuß am ersten Gegenspielers vorbei und mit dem linken Fuß über die Grätsche des nächsten Münchners. Mit dem rechten Fuß nimmt er den Ball elegant mit und schließt aus acht Metern mit der linken Klebe flach in die rechte Ecke ab, bevor das lange Bein des letzten gegnerischen Abwehrspielers seinem Schuss in die Quere kommen kann. Das war hohe Fußballkunst, die geradezu brasilianisch anmutet.

Während Radenkovic nach dem Abpfiff in seinem Strafraum sitzt und weint, wie Paul Palmert von der „Bild“ zu berichten weiß, ist Gäste-Trainer Merkel nach dem Schlusspfiff sichtlich angefressen. „Ich ärgere mich nicht so sehr über das verlorene Spiel, viel mehr über die Art, wie es verlorenging. Meine Abwehr war schwach“, schimpft er und fällt mit einer wegwerfenden Handbewegung sein vernichtendes Urteil über seine Schützlinge: „So schlecht, so miserabel schlecht habe ich sie noch nie gesehen.“ „Frankfurt war um drei Klassen besser“, knurrt der ‚Löwen’-Dompteur Merkel. „Es ist ein Wunder, dass wir mit dieser Abwehr überhaupt so weit gekommen sind“, schreibt er die Meisterschaft fast schon ab und schimpft in seiner bekannten polternden Art: „Als die 1860-Abwehr das letzte Mal so schwach war, da haben die Spieler noch lange Bärte gehabt.“

Selbst Helmut Schön zieht angesichts der Leistung des Titelkandidaten ein langes Gesicht: „Himmel, was war die Münchner Hintermannschaft schwach! Vor allem in der Staffelung – da ging aber auch gar nichts zusammen.“ Adalbert Wetzel, der Präsident des TSV 1860 München, ist geknickt, denn die Bayern und der BVB haben ihre Partien gewonnen: „Solche Fehler dürfen einfach nicht vorkommen, aber wir stecken noch lange nicht auf, auch nach dem Dortmunder Sieg nicht.“ „Frankfurt ist für uns nun mal ein schlechtes Pflaster“, macht er sich selbst Mut.

„In diesem Spiel war Musik“, lobt Helmut Schön noch und schränkt sofort ein: „Musik, die allerdings die Eintracht machte.“ Kein Wunder also, dass Eintracht-Trainer Schwartz hochzufrieden ist: „Erst muss ich mal meinen Jungs gratulieren. So viel Grund dazu hatte ich schon lange nicht mehr.“ „Ich freue mich sehr, dass es glänzend geklappt hat. Trimhold und der überraschend gut spielende Sztani haben unserem Angriff die Impulse gegeben, die seither fehlten“, lobt er und hebt Trimhold noch einmal besonders hervor: „Phantastisch! Schon in den letzten Spielen zeigte er eine konstante, saubere Form.“ Das findet auch die „Bild“ und nominiert Trimhold zum sechsten Mal in dieser Saison für die „Nationalelf der Woche“, in der auch Friedel Lutz bereits zum fünften Mal steht. Allein der starke Jürgen Friedrich findet angesichts der 100-prozentigen Chancenverwertung der Gäste aber doch noch ein Haar in der Suppe: „Wir haben zu unseren fünf Toren immerhin 15 Chancen gebraucht.“

Epilog

„Seit 1949 haben die Münchner ‚Löwen’ In Frankfurt nicht mehr gewonnen; gestern kratzten ihnen vor 44.000 Zuschauern die Adler vom Riederwald mit 5:2 (3:1) die Augen aus. 1860 als Meisterschaftsanwärter? – Nach diesem Spiel glaubt niemand mehr daran“, schreibt Paul Palmert am 27.3.1966 in der „Bild“. Zwei Tage später kassieren die Münchner zudem im Viertelfinale des UEFA-Cups beim FC Chelsea eine 0:1-Niederlage, die für sie nach dem 2:2 im Hinspiel das Ausscheiden bedeutet. Doch als sie am vorletzten Spieltag beim punktgleichen Tabellenführer Dortmund antreten, entführen sie mit einem 2:0-Sieg beide Zähler aus dem Westfalenstadion. Nachdem die Sechziger im letzten Spiel gegen den HSV 1:1 spielen und der BVB in Frankfurt mit 1:4 unterliegt, wird die Truppe von Max Merkel doch noch Deutscher Meister. (rs)

 


>> Spieldaten <<





© text, artwork & code by fg