Eintracht Frankfurt - Hannover 96

Bundesliga 1965/1966 - 21. Spieltag

0:1 (0:0)

Termin: Sa 05.02.1966, 15:00 Uhr
Zuschauer: 15.000
Schiedsrichter: Werner Treichel (Berlin)
Tore: 0:1 Hans Siemensmeyer (68.)

 

 

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Eintracht Frankfurt Hannover 96

 


  • Horst Podlasly
  • Heinz Steinwedel
  • Stefan Bena
  • Bodo Fuchs
  • Otto Laszig
  • Fred Hoff
  • Winfried Mittrowski
  • Walter Rodekamp
  • Hans Siemensmeyer
  • Werner Gräber
  • Jürgen Bandura

 

Trainer Trainer
  • Helmut Kronsbein

 

Reine Glücksache

Wann trifft die Eintracht endlich wieder? Das ist die Frage, die den Eintrachtanhang bewegt. Seit drei Spielen hat die Elf von Trainer Elek Schwartz nicht mehr ins Schwarze getroffen. „In letzter Zeit haben wir zwar ganz schön Punkte, aber nicht gerade viel Tore gemacht“, sagt auch Eintrachts Linksaußen Wolfgang Solz vor der Begegnung mit dem Tabellenzwölften Hannover 96, der seit dem 4:0 gegen Kaiserslautern Anfang Dezember des letzten Jahres auf einen Bundesligasieg wartet und am letzten Wochenende das Heimspiel gegen Spitzenreiter 1860 München 0:1 verloren hat.

Auswärts haben „die Roten“ bislang nur zum Saisonauftakt in Köln sowie beim designierten Absteiger Tasmania Berlin doppelt punkten können. Dafür haben die Niedersachsen aber am Mittwoch im Messepokal Selbstvertrauen getankt, als mit dem FC Barcelona eine spanische Spitzenmannschaft mit 2:1 geschlagen werden konnte. Und wem zwei Treffer gegen Barcelona gelingen, der sollte auch in Frankfurt nicht chancenlos sein. „Die Deckung der Frankfurter ist jedoch schwer zu überwinden“, warnt Hannovers Trainer Kronsbein seine Elf vor den Hessen.

Kronsbein, dessen linke Hand infolge einer Kriegsverletzung gelähmt ist, kennt man als durch und durch autoritären Fußballlehrer, der die Hannoveraner in seiner ersten Amtszeit bei 96 zur Deutschen Meisterschaft führte. Er ist zwar gelernter Friseur, doch seine Art mit Menschen umzugehen, hat wenig von einem Figaro und dafür um so mehr von dem militärischen Ton des Feldwebels, der Kronsbein einst an der Heeresmusikschule in Bückeburg war.

Auf dem Platz setzt der Fußballlehrer, der 1948 an der Sporthochschule in Köln unter dem damaligen Bundestrainer Sepp Herberger sein Trainer-Diplom erworben hat, eher auf Verteidigung als auf Attacke. Doch sein Temperament geht auch schon mal mit ihm durch, wie am 14. Spieltag bei der 0:1-Niederlage in Gelsenkirchen. Nachdem Kronsbeins Sohn Peter, den er zum zweiten Mal in der Bundesliga aufgeboten hatte, wenige Minuten vor dem Ende den Schalker Grau durch einen Tritt von hinten eine Prellung zugefügt und das Spiel für den Gegner damit vorzeitig beendet hatte, kochte die Stimmung nicht nur im Stadion, sondern auch bei „Fiffi“ Kronsbein über. Und so kam es, dass noch auf dem Platz ein Polizist im Zuge von Ermittlungen die Personalien des bekannten Trainers aufnehmen musste. „Als ich nach dem Abpfiff in die Kabine gehen wollte, wurde ich festgehalten. Da musste ich mich losreißen“, erklärte Kronsbein dem Beamten.

Später ging der Trainer, der zusammen mit Betreuern und Ersatzspielern in der ersten Reihe der Vortribüne gesessen hatte, mehr ins Detail: „Schon während des Spiels waren wir, das heißt Ligabetreuer Roschlau, Masseur Hümann, die Reservespieler Grunenberg and Kettler und ich, unerhörten Anpöbeleien von Schalker Fanatikern ausgesetzt. Einer war darunter, ein Betrunkener, der schlug mir auf den Kopf. Das war, nachdem mein Sohn Peter den Schalker Rechtsaußen Grau gestoppt hatte. Da brüllte dieser Betrunkene: „Dein Sohn ist ein Mörder!“ Ich habe mich gegen ihn zur Wehr gesetzt und ihm eine Ohrfeige gegeben.“ „Ich habe schon während des Spiels immer wieder die Ordner gebeten, uns vor diesem Pöbel zu schützen. Aber vergebens“, kritisierte Kronsbein und wollte Beschwerde beim DFB einlegen.

So angriffslustig wie den gegnerischen Trainer wollen die meisten der 15.000 Zuschauer wohl heute gerne die Eintracht sehen. Deren Trainer Elek Schwartz kann heute wieder auf die Angreifer Grabowski und Bechtold zurückgreifen, die für Lotz und Weber in die Elf kommen. Dass viele Stürmer noch keine Garantie für Tore sind, ist dann aber rasch zu erkennen.

Die Frankfurter beginnen zwar so stürmisch wie ein Faustkämpfer, der versucht, seinen Kontrahenten mit einem Schlag zu Boden zu schicken, doch die Gastgeber finden in der dichten Deckung der Niedersachsen entweder die Lücke nicht oder verfehlen mit ihren Hieben das Ziel.


Paul Rist

Das Drama spielt sich aber nicht auf dem Platz, sondern auf der Ehrentribüne ab. Eben noch hat Schlussmann Podlasly einen Flachschuss Lechners aus 12 Metern Entfernung pariert, da erleidet der 74 Jahre alte Paul Rist einen Herzschlag. Das Ehrenmitglied der Frankfurter Eintracht, das in der Saison 1910/11 für den Vorgängerverein Frankfurter Kickers am Ball war, ist tot … Das Spiel jedoch geht weiter, als sei nichts geschehen.

Die Eintracht stürmt weiter und kommt zu Chancen, die allesamt nicht genutzt werden. Die Gäste agieren zurückgezogen und abwartend, aber jederzeit bereit, aus der Tiefe in die Spitze zu spielen, wo die Angreifer der Gäste ihren Widersachern aufseiten der Frankfurter – mit der Ausnahme von Lutz – im Antritt überlegen sind. Dort sorgt vor allem der bewegliche Rodekamp für einige Unruhe, während Gräber und Siemensmeyer ihre Kollegen planvoll aus der zweiten Reihe mit Pässen füttern.

Im zweiten Durchgang stehen sich die Frankfurter in der Offensive gegenseitig noch mehr auf den Füßen als zuvor. Die Gäste überlassen der Eintracht das Mittelfeld, machen die Räume in Strafraumnähe aber weiterhin dicht und kämpfen entschlossen. Laszig gibt ihnen hier das Vorbild, dem die 96er gerne folgen. Die Flügel der Adler werden zudem von Bena und Steinwedel weitgehend lahm gelegt. Gegen den Jugoslawen Bena, der seit dem 17. Spieltag zur Stammelf gehört, hat Solz einen schweren Stand und Steinwedel lässt Grabowski nur weitab von der Gefahrenzone Raum, um sich auszutoben, steht ihm jedoch auf den Füßen, sobald sich der junge Außenstürmer dem Sechzehner nähert. Und da Huberts auch die besten Möglichkeiten auslässt, während Bechtold sich gegen Fuchs nicht mehr durchsetzen kann, muss der Schiedsrichter eingreifen, um der Eintracht das Tor zur Führung zu öffnen.

Das allerdings tut Schiedsrichter Treichel, den Karl Seeger im „kicker“ mit Recht als den „besten Berliner, den wir in dieser Saison in der Bundesliga sahen“, bezeichnen wird, in Ausübung seiner ihm aufgetragenen Pflicht. Der bis dahin famose Stopper Laszig hält Huberts in der 64. Minute im Torraum fest, so dass Treichel gar keine andere Wahl bleibt, als auf Strafstoß zu entscheiden. Lechner tritt an, schießt halbhoch, doch Podlasly ahnt die Ecke und faustet den Ball ins Feld zurück. „Es war reine Glückssache“, berichtet der von seinem Mitspielern stürmisch beglückwünschte: „Ich dachte, wirfst dich mal nach links – und da hatte ich den Ball.“ „Ich war zum Elfmeterschießen bestimmt worden“, entschuldigt sich Schütze Lechner für seine Fehlleistung, „doch ich hatte sowieso nicht meinen besten Tag.“

Den hat die ganze Truppe nicht erwischt, die vier Minuten nach dem verschossenen Elfmeter von den Gästen für die bislang ausgelassenen Möglichkeiten bestraft wird. Rodekamp führt in der Frankfurter Hälfte den Ball, verzögert und passt dann auf den rechts neben ihn platzierten Siemensmeyer. Der Spieler, der gegen die Eintracht bereits bei seinem Bundesligadebüt in der Hinrunde getroffen und auch gegen Barcelona beide Tore erzielt hat, wartet einen Moment, täuscht kurz an und schießt mit der Stiefelspitze wuchtig aus gut 20 Metern ins lange Toreck.

Die Eintracht liegt zurück und rennt in den letzten 20 Minuten gegen eine Gästeabwehr an, die sich nun noch mehr als zuvor zurückzieht und mit Macht die knappe Führung verteidigt. Dass ihr das gelingt, liegt an der Einfallslosigkeit, die die Frankfurter bis zum Schluss nicht ablegen können, sowie am großartigen Torhüter Podlasly. Eine Minute vor Spielende rettet er mit einer weiteren Glanztat gegen den heute glück- und erfolglosen Huberts.

„Ein glücklicher, aber bestimmt nicht unverdienter Sieg“, findet Hannovers Trainer Kronsbein, dessen Defensivkonzept aufgegangen ist: „Genau so haben wir es uns vorgestellt.“ „Nach zwei schweren Spielen dieser Woche bin ich glücklich“, freut sich der sonst so gestrenge Fußballlehrer und gerät fast in Schwärmen: „Meine Elf hatte einen kämpferisch großartigen Tag, auch taktisch hatten wir der Eintracht, deren Deckung Klasse verriet, einiges voraus.“

Schwartz nimmt die Vorlage seines Kollegen auf. „Was nutzt das gute Spiel der Abwehr, wenn der Sturm versagt?“ fragt er, ohne eine Antwort zu erwarten. Die gibt er ohnehin selbst: „Zu Hause darf man kein Spiel mit einem Gegentor verlieren.“ Schwartz wird dennoch vorgehalten, dass sein Konzept nicht aufgegangen sei. „Wir hätten schon nach zehn Minuten 3:0 führen können“, verteidigt er sich: „Vor der Halbzeit musste das Spiel für uns entschieden sein, da hatten wir mindestens fünf klare Chancen.“ „Aber unter Angriff versagte völlig“, bestätigt der Spielausschussvorsitzende Ludwig Kolb seinen Trainer, der ergänzend hinzufügt: „Das hat nichts mit Taktik, sondern mit Nervenstärke zu tun.“ Und: „Nach dem 0:1, als Hannover dichtmachte, war es doppelt schwer.“


Epilog

Peter Kronsbeins Bundesligakarriere ist nach dem zweiten Auftritt in Schalke beendet. Er wechselt mit seinem Vater in die Stadtliga Berlin, wo er zuerst für Hertha BSC und ab 1968 noch eine Spielzeit für Wacker 04 am Ball ist. Danach kickt er für den ASV Herzogenaurach, der vom Adidas-Eigentümer und Kronsbein-Arbeitgeber Adolf Dassler unterstützt wird. Er stirbt am 2.10.2011 im Alter von 68 Jahren.

Dieter Stinka hat gegen Hannover 96 sein letztes Bundesligaspiel für die Eintracht bestritten. Nach der Saison geht er zum SV Darmstadt 98 in die zweitklassige Regionalliga Süd, wo der Postbeamte 1968 seine Spielerlaufbahn beendet. 1972 kehrt als Co-Trainer zur Eintracht zurück. Er feiert 1978 ein erneutes Comeback am Riederwald, nachdem er 1975 zum VfR Groß-Gerau gewechselt war. Bis 1983 trainiert Stinka die Amateure der Eintracht und danach noch einmal für zwei Jahre den Nachbarn FSV Frankfurt.

Hannover 96 verliert das Rückspiel im Messepokal beim FC Barcelona am 16.2.1966 mit 0:1. Im Entscheidungsspiel am 2.3. bringt Bandura „die Roten“ nach zehn Minuten in Führung und bis drei Minuten vor dem Ende sieht es so aus, als würden die Niedersachsen den großen Favoriten ausschalten und ins Viertelfinale einziehen können. Dann jedoch gelingt den Spaniern der späte Ausgleich, bei dem es auch bleibt. Das Los muss entscheiden. Und es fällt für den Tabellendritten der Primera División, der am Ende den Messepokal auch gewinnt.

Helmut „Fiffi“ Kronsbein wird bei Hannover 96 am 28.4.1966 entlassen. Als Grund für die Kündigung wird angegeben, dass Kronsbein Geschenke von einem Spielervermittler angenommen habe. Hannes Kirk übernimmt den Trainerstuhl, Hannover 96 beendet die Runde als Tabellenzwölfter.

Kronsbein wird die 96er nach einem achtjährigen Gastspiel bei Hertha BSC, wo er 1980 auch seine Karriere beendet, noch zwei Mal als Trainer betreuen. 1984 wird Kronsbein angeklagt, seine 1979 tot in der Badewanne aufgefundene Ehefrau ermordet zu haben. Er wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft freigesprochen, nachdem ein Gerichtsmediziner in seinem Gutachten Kronsbeins Version vom Selbstmord seiner Frau mit einem Fön für glaubhaft erklärt wird. Helmut Kronsbein stirbt am 27.3.1991 im Alter von 76 Jahren. (rs)


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