Glasgow Rangers - Eintracht
Frankfurt |
Europapokal der Landesmeister 1959/60 - Halbfinale, Rückspiel
3:6 (1:3)
Termin: 05.05.1960 19;30 im Ibrox Park
Zuschauer: 68.578
Schiedsrichter: Lööw (Schweden)
Tore: 0:1 Dieter Lindner (8.), 1:1 McMillan (12.), 1:2 Alfred Pfaff (20.), 1:3 Richard Kreß (27.), 2:3 McMillan (53.), 2:4 Erich Meier (67.), 2:5 Erich Meier (69.), 3:5 Wilson (73.), 3:6 Alfred Pfaff (88.)
Glasgow Rangers | Eintracht Frankfurt |
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Manager
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Glasgows Ibrox-Park lag der Eintracht zu Füßen Emil Österreicher schwärmt vom deutschen Meister Bert Merz saß mit dem Real-Manager in einem Flugzeug Der Ibrox-Park in Glasgow lag am Donnerstagabend kurz nach 21 Uhr dem deutschen Fußballmeister, Eintracht Frankfurt, zu Füßen. Als die elf Männer in den knallroten Hosen zur überdeckten Stehtribüne hinliefen, brauste der Jubel für eine Elf auf, die Schottlands stolzesten Verein, die Glasgow Rangers, in zwei Spielen von der Plattform zum Endspiel um den Europacup hinweggefegt hatte. Die ältesten Schotten können sich keiner Ovation ähnlicher Art für eine ausländische Mannschaft in der Stadt am Clyde Fluß erinnern. Diejenigen aber, die diesen Tag von Glasgow miterlebten, denen wird er noch lange im Gedächtnis bleiben. Ebenso lange mindestens wie das 6:1 des Vorspiels im Frankfurter Stadion, dessen Glanz so schnell nicht verblaßt. Das 6:3 aber von Ibrox rundete dieses erste Spiel zum vollen Erfolg ab. Es traf die Schotten und den britischen Fußball wie ein Keulenhieb. Das Wunder der Rangers (nach dem 1:6 von Frankfurt noch gleichzuziehen) blieb aus, das Wunder der Eintracht aber erstand aufs neue. In dieser Form können die Riederwälder zum großen Gegner der so berühmten Real-Elf aus Madrid werden, mit der sie am 18. Mai in der gleichen Stadt um den wohl derzeit populärsten Pokal kämpfen. Wenn ein so vielgereister Mann wie der Real-Manager Emil Oesterreicher vom Eintracht-Spiel schwärmt und von der schweren Aufgabe seiner Mannschaft im Finale spricht, dann sind das keine leeren Worte. Zwei Stunden nach dem Ende stand er unter den Frankfurtern, hob die Hände leicht empor und sagte: "Endspiel um den Europacup! Wissen Sie, was das bedeutet? Was ein FC Barcelona, ein AC Mailand, ein Wolverhampton Wanderers, ein Glasgow Rangers, ein Nizza und ein Roter Stern Belgrad, was noch keine ungarische Mannschaft erreicht hat, das haben Sie geschafft. Wissen Sie, was das bedeutet? Das ist der größte Erfolg des deutschen Fußballs außer Bern." So sprach der Manager des kommenden Eintracht-Gegners, der mit seinem neuen Trainer Munoz gekommen war, um die Eintracht zu studieren. Ich glaubte zu träumen, aber es war Oesterreicher, der am anderen Morgen im Flugzeug zwischen Glasgow und London neben mir saß. Als wir beide, der Manager und ich, schon ein wenig Abstand von den Dingen hatten, da schwärmte Emilio noch von der Eintracht, als sei es seine Mannschaft. Der Eintracht-Traum vom Europacup kann ein Traum bleiben, die Spiele der Eintracht gegen die Glasgow Rangers, gegen die berühmteste und erfolgreichste Mannschaft Schottlands, waren die „Spiele des Jahres" für den deutschen Meister. Im hohen Norden der Britischen Inseln zerstörte er die Mär von der Vormachtstellung der Profis aus dem Mutterland, die fassungslos dieser Art Fußball gegenüberstanden, mit dem ihre Meisterelf „zersägt und in ihre Einzelteile zerlegt wurde", wie eine schottische Zeitung sarkastisch bemerkte. Wie die Eintracht mit ihren planvollen Kombinationen, ihren überlegten Angriffen, ihrem Spiel in den freien Raum und ihren großartigen Schüssen auftrumpfte, das alles war so imponierend, daß die schottischen Fußballkenner bei aller Bitternis der Rangers-Katastrophe erfreut sind, am 18. Mai ein Wiedersehen mit dem deutschen Meister zu feiern. Bei diesem Fest in knapp zwei Wochen Ist zwar der fünffache Cupsieger, die „Elf der Millionäre" aus der spanischen Hauptstadt, der Favorit und die namenlose Eintracht der Außenseiter. Aber diese Namenlosen werden alles geben, um den deutschen Fußball würdig zu vertreten. Der Glanz um die Rangers-Spiele wird selbst dann noch strahlen, wenn der Pokal in den fremden Schrein wandern sollte.
Der Vorstand des Deutschen Fußball-Bundes hat die im Oktober 1957 gegen den ungarischen Spieler Fereno Puskas ergriffenen Maßnahmen aufgehoben, nach denen es deutschen Mannschaften nicht gestattet war, gegen Mannschaften zu spielen, in denen Puskas als Spieler oder Trainer mitwirkte. Dieses Verbot war ausgesprochen worden, weil Puskas verleumderische Behauptungen über die Weltmeisterelf des Jahres 1954 verbreitet hatte. Da Puskas nunmehr seine damaligen Behauptungen in aller Form mit dem Ausdruck des Bedauerns zurücknahm, sah sich der DFB-Vorstand in die Lage gesetzt, das gegen Puskas verhängte Spielverbot zu beenden. Mit und ohne Hut Ohne Hut von Glasgow zurück kam unser Sonderberichterstatter. Seit Donnerstag 20.15 Uhr ziert sein original-bayrischer Chapeau den Dachfirst der Rangers-Haupttribüne im Ibrox-Park. In einem Anfall großherzigen Leichtsinns hatte er vor dem Spiel im Kollegenkreis verkündet, daß er beim fünften Eintrachttor seinen Hut hinunter aufs Spielfeld werfen würde. Ein Handschlag verpflichtete ihn in der 70. Minute nach dem 5:2-Stand zur Trennung von dem guten Stück. Der ausführende Werfer allerdings hatte vermutlich die Glasgower Thermik nicht beachtet. So flog der „Frankfurter Bayernhut" nicht über den Dachrand hinaus. Vermutlich dürfte er dort noch auf Jahre hinaus die Glasgower an den 5. Mai 1960 erinnern. * Mit Hut dagegen kehrte Alfred Pfaff von der Clyde zurück. Sein Erinnerungsstück ist ein Original-„Koks" britischer Prägung. Bis zu dem 6:3 gehörte er Rangers-Direktor Wilson jun. Als Alfred dieses Schmuckstück bei der Ankunft entdeckte, ließ er sich damit für die Nachwelt auf den Film bannen, und das Bild ging fast durch die gesamte Presse. Direktor Wilson aber strafte alle Lügen, die behaupten, daß die Schotten humorlos und geizig seien. Beim Bankett ließ er den „Koks" als ein Geschenk an „meinen Freund Alfred" auf einen silbernen Tablett servieren. „Koks" und Schenkungsurkunde, so schreibt es die Abmachung vor, sollen in Alfred Pfaffs Lokal einen Ehrenplatz erhalten, wo Wilson nach dem Frankfurter Spiel einen seiner schönsten Abende verlebte. Alfred Pfaff zog den Schotten den Nerv Ludwig Dotzerts Einzelkritik der beiden Mannschaften In Glasgow wurde es endgültig offenbar. Der Oberliga-Riederwälder und der Europacup-Riederwälder — das sind zwei verschiedene Menschen. Der Oberliga-Riederwälder ist durchaus fähig, an jedem guten Tag jeden deutschen Gegner glatt zu besiegen. Er ist trotzdem nur ein Abglanz des Mannes, der am Donnerstagabend in Glasgow auf die höchste internationale Ebene hinaustrat. In Glasgow sah es aus, als hätten die großen Elf vom noch immer regierenden deutschen Meister Mann für Mann ihren noch größeren Bruder aufs Feld geschickt. Es gab Ausnahmen, denen die Verwandlung in das bessere Ich nicht ganz gelang. Es gab einen Linksaußen Meier, der erst in der Schlußphase über jenen kreuzbraven Meier hinauswuchs, der sich zwar die Hacken abrennt, aber dann im Augenblick der Chance vor Eifer blind wird. Es gab den Mittelstürmer Erwin Stein, der neunzig Minuten lang stets das gleiche tat, dessen Schüsse zwar hart, und genau kamen, der jedoch jedesmal die Richtung so deutlich anzeigte, daß ein Tormann wie Niven nicht zu überraschen war. Und es gab, woran niemand gedacht hätte, einen Weilbächer, dessen Aktionen merkwürdig mühselig wirkten, einen Weilbächer, der nicht vor Kraft strotzte, sondern die Kraft mit äußerster Anstrengung aus sich herauszupressen schien. Das waren immerhin drei Punkte, wo sich die Scherenschnitt-Paßfolgen der Riederwälder leicht verwischten. Aber man mußte schon sehr genau hinsehen, um dies zu erkennen. Die verwischten Punkte wurden überwuchert von einem sprießenden Ideengeflecht, das neunzig Minuten lang in Kraft und Saft stand. Ein Ideenspiel der Eintracht ist immer ein Pfaff-Spiel. Alfred Pfaff war nie überwältigender als in Glasgow. Gewiß, er erfreute sich im Ibrox-Park mindestens derselben Freiheiten wie vierzehn Tage vorher im Frankfurter Stadion; aber wahrscheinlich hätte kein anderer deutscher Spieler die Situation derart konsequent ausgeschlachtet. Pfaff zog den Schotten mit last jeder seiner glitzernden Aktionen einen Nerv. Er frikassierte sie mit Steilvorlagen. Pfaff war in jeder Phase des Riederwälder Höhenfluges der Chef-Pilot. Nicht minder wichtig für den Ablauf der Geschehnisse war Lindner , der den besten Teil seiner Partie an die erste Halbzeit verschwendete. In dieser Halbzeit jedoch beseitigte der Blondy vom Riederwald alle Zweifel daran, daß er neben Haller und Schütz zum allerengsten Kreis der „chileverflächtigen" deutschen Nachwuchs-Fritz-Walters gehören mußte. Seine fast salopp vorgetragenen Soli schufen heillose Verwirrung beim Gegner. Nie wußten die Schotten, ob jetzt ein Paß, ein Schuß oder ein Dribbling zu erwarten war, wenn Lindner anrückte. Sie trauten sich kaum noch an ihn heran. Knüppel aus dem Sack Dazu ein Stinka, der mit der Akkuratesse eines Musterschülers für Nachschub sorgte und mit der Eleganz eines Südländers die Bälle zwischen den angreifenden Schotten herausspießte — das genügte im Ueberfluß, um eine Partie aufzuziehen, der kein Gegner mehr geistig folgen konnte. Richard Kreß war so etwas wie die grandiose Zugabe, mit der auf Seiten der Rangers offenbar nie jemand rechnete, war der Knüppel aus dem Sack, der in immer kürzeren Abständen auf die stets aufs neue überraschte Rangers-Deckung niedersauste. Im gegenüberliegenden Revier konnte nur der glatte Fisch McMillan der Eintrachtabwehr bisweilen entwischen. Die anderen waren längst durchschaut. Selbst vor Wilson und Scott, den Außenflitzern der Rangers, die Höfer und Lutz in Frankfurt noch heftig zusetzten, hatten die Frankfurter Verteidiger keine Scheu mehr. Eigenbrodt unterliefen nur zwei Fehler, die den Schotten freilich prompt zu zweien ihrer Gegentreffer verhalfen. Wenn schon..! Und Loy erlebte einen jener Tage, an denen er in jede Nationalmannschaft passen würde, Es gab nur einen noch tolleren Torwart an diesem Abend in Europa, und das war der Schotte Niven von vis-a-vis, der seine Mannschaft vor einer weltweiten Blamage bewahrte.
Die Zeit der Hoffnung bei den Rangers, das Unmögliche noch zu schaffen, war so kurz, wie sie niemand unter den 60.000 Zuschauern erwartete. Der frisch kreierte Ibrox-Roar, ein Ableger des vielzitierten Hampden-Roar, trieb die Blauen minutenlang nach vorn. Selbst als Scott den ersten Vorstoß mit einem Fehlschuß weit hinter Loys Hütte abschloß, brauste der Beifall wie für eine außergewöhnliche Tat auf. Um so ernüchternder wirkte der Führungstreffer Lindners nach acht Minuten, der den Schotten wie ein Pfeil ins Innere drang. Beim dritten Vorstoß lief der Eintracht-Halbrechte mit einem Zuspiel Pfaffs über die Mittellinie, kam unbehelligt bis zwanzig Meter vor das Glasgow-Tor und schoß. Im äußersten linken oberen Eck fand sich der Ball wieder. Meier knallte anschließend in die Deckung des Gegners, und es schien alles im besten Lot. Das 1:1 war vermeidbarer als jeder andere Treffer an diesem Tag. Loy hatte im Gedränge einen Freistoß weggefaustet, und Eigenbrodt hinter ihm in der Torecke Posten bezogen. Beim Nachschuß McMillans auf diese Stelle schlug der Eintracht-Mittelläufer mit dem Fuß am Ball vorbei. Es hätte vielleicht gefährlich werden können, wenn Millar nicht aus sieben Metern fast ebenso hoch geschossen hätte. Aber dann ging es mit dem Zauber der Rangers doch langsam zu Ende. Ein akrobatischer Zieher Lindners, den Niven fing, leitete zu Pfaffs 2:1 in der 20. Minute über. Freistoß aus siebzehn Metern, genau mitten vor dem Strafraum. Jemand sagte: „Tor", als der Ball noch gesetzt wurde. Die Rangers werkelten an ihrer Mauer herum, und doch trat das Unbeschreibliche ein. Der Ball trudelte mitten durch die Sperre, und Niven saß wie gebannt Richtung Torecke hilflos auf der Erde. Von diesem Augenblick an kamen die Glasgower für den Sieg nicht mehr in Frage! Bis zur Pause hätte es gut und gern 6:1 für die Riederwälder lauten können. Was sich an das 3:1 von Kreß in der 28. Minute an Schüssen auf Nivens Tor anschloß, war jeweils torreif. Ehe Kreß seinen zweiten Nachschuß im Netz unterbrachte, war der Angriff schulmäßig von Stein über Stinka mit einem Wechsel zum halbrechts gestarteten Pfaff und einem Schuß des Käpt'n, den Niven zurückstieß, traumhaft sicher gelaufen. Von den anschließenden drei Stein-Schüssen hielt Niven zwei, der dritte flitzte vorbei. Kreß schoß, Niven drehte den Ball zur Ecke und ließ kurz vor der Pause noch Stein in den Schuß. Die erste Viertelstunde nach dem Wechsel wirkte müde gegen das, was vorher abrollte. Meier, bis dahin wenig hervorgetreten, mußte das 4:1 schießen, verzielte sich aber gewaltig. Als McMillan, von dem Real-Manager Oesterreicher meinte, er könne jederzeit in Madrid spielen, seine zweiten Treffer, einen gewaltigen Zwanzig-Meter-Schuß, hoch ins Eintracht-Tor setzte, waren alle Geister wieder geweckt. Eine der Kombinationen echt Riederwälder Prägung, von Stein über Pfaff zu Lindner, zerschellte an der Außenkante des Pfostens. Das 4:2, das die Frage nach dem Sieger endgültig regelte, war bei der immer größer werdenden Ueberlegenheit der Eintracht gar nicht mehr aufzuhalten. Pechvogel Meier schoß zweimal innerhalb von zwei Minuten die Kugel ins Rangers-Tor, fast von der gleichen Stelle und fast nach dem gleichen Angriff nach großartigen Flanken von Stein und Kreß. Zeitweise sprangen die Frankfurter mit den ausgekochten (aber auch ausgelaugten) Profis wie mit Schulbuben um. Das Volk hatte sich längst von seinen Lieblingen abgewandt und nahm von dem dritten Treffer seines Meisters in der 74. Minute längst nicht mehr so Notiz wie bei McMillans Schüssen. Es war mehr ein Versehen, daß Wilsons Schuß nach einer Ecke den Strafraum und den Millar deckenden Eigenbrodt passierte. Loy aber war so überrascht, daß das Leder an seinen Händen vorbei ins Eck sprang. Zweimal kam zwar noch Wilson an der Sperre Lutz-Weilbächer vorbei, doch meisterhaft verkürzte Loy jeweils den Einlaufbogen des Rangers-Mannes. Als alles zum Aufbruch rüstete, kam noch A1freds zweites Meistertor. Er nahm den von weit angeflogenen Ball noch vor dem Strafraum voll auf den Spann, und in der Ecke fanden sie sich wieder ...Niven und der Ball! Berz Merz Alle lobten die Eintracht Emil Österreicher, Manager von Real Madrid: „In der Geschichte der Europacupspiele ist es noch nie vorgekommen, daß eine Mannschaft in zwei Vorschlußrundenspielen zwölf Tore schoß. Die Eintracht hat großartig gespielt und wird ein sehr schwerer Gegner für Real im Endspiel sein." Ernst Berger, Spielausschußvorsitzender der Eintracht: „Es war doch richtig, daß wir offensiv spielten. Ich glaube, wir können glücklich und stolz zugleich sein, so weit gekommen zu sein." Rangers-Mittelstürmer Millar: „Es gibt keinen Zweifel, das bessere Team hat gewonnen. Die Eintracht war die stärkste Mannschaft; die im Europacup bisher in Glasgow spielte." Rangers-Läufer Stevenson: „Die Deutschen hatten hervorragende Halbstürmer, die mit Ueberlegung und Können die Angriffe aufzogen. Ich glaube, daß die Mannschaft gegen Real gewinnt, denn die Kampfweise der Eintracht liegt den Spaniern nicht." Eintracht-Kapitän Paff: „Was soll ich sagen? Wir haben es geschafft, und das ist die Hauptsache." ' bm. (aus 'Der neue Sport' vom 09.05.1960)
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