Wiener SC - Eintracht Frankfurt

Europapokal der Landesmeister 1959/60 - Viertelfinale, Rückspiel

1:1 (1:0)

Termin: 16.03.1960
Zuschauer: 47.423
Schiedsrichter: Huber (Schweiz)
Tore: 1:0 Erich Hof (3.), 1:1 Erwin Stein (60.)

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Wiener SC Eintracht Frankfurt

  • Rudolf Szanwald
  • Hans Windisch
  • Erich Hasenkopf
  • Rudolf Oslansky
  • Heinrich Büllwatsch
  • Leopold Barschandt
  • Novy
  • Adolf Knoll
  • Erich Hof
  • Josef Hamerl
  • Karl Skerlan

 


 

Trainer
  • Hans Pesser
Trainer

 

Eintracht im Vorzimmer des Endspiels

Das dramatische 1:1 der Riederwälder im Europacup-Rückkampf beim Wiener SC

Bert Merz und Ludwig Dotzert schildern die große Leistung des deutschen Meisters im Praterstadion

Als erster deutscher Verein steht die Frankfurter Eintracht im Vorzimmer des Pokalspiels um den Europacup. Das 1:1 gegen den Wiener SC sicherte dem deutschen Fußballmeister nach dem 2:1-Sieg im Frankfurter Vorspiel die weitere Teilnahme an dem derzeit populärsten Wettbewerb im internationalen Fußball. Am gleichen Tag sollte der Gegner der Riederwälder im Spiel zwischen den Glasgow Rangers und Sparta Rotterdam ermittelt werden. Durch den l:0-Sieg der Holländer in Glasgow trat jedoch Tor- und Punktgleichheit zwischen den beiden Mannschaften ein, so daß ein drittes Spiel in London am 30. März über die Bühne gehen muß. Für das zweite Vorschlußrundenspiel bestimmte das Los das Zusammentreffen der berühmten spanischen Mannschaften von Real Madrid (Pokalverteidiger) und FC Barcelona.

Im Prater blüh'n nie mehr die Bäume. So jedenfalls schien es, als der Wiener SC am vergangenen Mittwoch im Prater-Stadion nach seinem 1:1 gegen die Frankfurter Eintracht Abschied nehmen mußte vom Europapokal. Der vielbesungene Volkspark am Rande der Millionenstadt sah in der halben Stunde nach dem Erlöschen des Flutlichts trister aus als im "Dritten Mann". Naß bis auf die Haut schlichen sich die Zuschauer heimwärts. Fünfzigtausend begossene Pudel! Anderthalb Stunden lang hatten sie im an- und abschwellenden Schnürlregen ausgehalten und fast ununterbrochen gegen irgend etwas rebelliert: gegen den Schiedsrichter, gegen die Eintracht, gegen die eigene Mannschaft, gegen die Fliege an der Wand. Jetzt hörte man nur das Scharren der Schritte auf der festgetretenen Erde und das Knirschen der Pneus auf dem schlüpfrigen Asphalt. Kein Zweifel: der Himmel war eingestürzt über Wien.

Dabei hatte sich vor ihren Augen lediglich das Natürlichste von der Welt abgespielt. Eine Mannschaft, die total danebenlag, war an einer Mannschaft gescheitert, die dem Gesetz der Stunde bedingungslos gehorchte. Bereits bei seiner 1:2-Niederlage in Frankfurt wunderte man sieh über das abendfüllende G'scheiberl, in das sich diese elf Ballstreichler hineinspintisierten; aber damals konnte man. den seltsamen Ringelreihn zur Not noch als hinhaltenden Widerstand erklären, als eine brillante Form permanenter Sekundenschinderei.

In Wien mußten die Wiener nach Lage der Dinge mindestens zwei Tore schießen, um ins ersehnte Halbfinale vorzudringen. Sie mußten gewinnen, um wenigstens ein drittes Treffen gegen den deutschen Meister zu erzwingen; aber sie scheiberlten weiter. Diesmal gab es keine Erklärung mehr. Allenfalls die eine, daß die Entwicklung in der österreichischen Staatsliga vor einiger Zeit stehenblieb. Wenn sich ein Dornbacher und ein Riederwälder heutzutage vom Fußball unterhalten, dann verstehen sie sich nicht mehr.

In Wien mußte der Gegensatz besonders schroff herauskommen. Ein Unentschieden genügte den Riederwäldern. Sie versuchten zwar den Gegner vom Start weg mit einem oder gar zwei Treffern zu überrumpeln. Als dies jedoch mehr durch Pech als durch den Widerstand des Gegners mißlungen war, gingen die Riederwälder konsequent den Weg des geringsten Risikos.

Nicht, daß sie sich ängstlich verschanzt hätten. Jeder Stürmer stets in erster Linie ein Stürmer. Aber alles andere, einschließlich der Außenläufer, kannte nur Ziel: zerstören und markieren. Das übrige ergab sich von selbst. Die Wiener kamen nie aus den Umgehungsmanövern heraus, und wenn sie herauskamen, war das Spielfeld zu Ende.

Schmucklos, trocken und unbeirrbar verfolgten dagegen die Riederwälder ihr Ziel. Und so stand ein auf die Grundformel gebrachter Erfolgsfußball gegen das Stückerl Fußballromantik, von dem die Wiener einfach nicht lassen können. Der Erfolgsfußball dominierte zum bassen Erstaunen der Zuschauer nicht nur in puncto Defensive, sondern auch in puncto Offensive. Das konnten sie einfach nicht fassen.

Szanwald mit dem Glück per „Du"

Der weltberühmte Hampden-Roar von Glasgow wurde im Praterstadion in diesem Europacupspiel restlos in den Schatten gestellt. Es schien so, als ob die Wiener ihre viel zitierte Gemütlichkeit und Höflichkeit, denen man in der Stadt auf Schritt und Tritt begegnete, an der Kasse des Stadions für eineinhalb Stunden zur Aufbewahrung abgegeben hätten. Für 90 Minuten waren sie Fanatiker in einer Art, wie man sie in Deutschland kaum einmal zuvor antraf. Sie waren angeheizt durch die 1:2-Niederlage des Vorspiels, die als günstig angesehen wurde, und durch die Zeitungen, die einen regelrechten Zweckpessimismus betrieben, seit die Eintracht im Lande war.

Der Hexenkessel der 50.000 war unvorstellbar. Vermutlich wären bei gutem Wetter noch mehr Besucher gekommen. Aber genau wie beim Frankfurter Vorspiel, setzte der Regen, wie auf Verabredung, zwei Stunden vor Beginn ein. Lediglich daß er nur in der letzten Viertelstunde die Frankfurter Stärke erreichte. Von dem Augenblick an, da die Mannschaften das Spielfeld betraten, gab es für die Wiener nur noch die weiße Elf. Die Frankfurter, ganz in Rot, existierten praktisch nur noch, um ausgepfiffen zu werden.

Unter diesen Verhältnissen war das Remis der Eintracht fast einem Sieg gleichzusetzen. Er wäre wahrscheinlich ohne weiteres eingetreten, wenn der Wiener SC nicht einen Mann wie Szanwald zwischen den Pfosten gehabt hätte und mit dem Glück nicht etwas auf „du und du" gestanden hätte. Die erste Hälfte gehörte zum großen Teil dem WSC. Aber ehe der Wagen der Wiener anrollte, hätte es 2:0 für die Eintracht stehen können. Was war das für ein Schuß von Stein von links genau auf die Kante des entfernten Torpfostens, wie bog sich Szanwald anschließend dem Schuß Lindners entgegen? Und nach einem Kampf auf Biegen und Brechen vollzog sich das Drama im Wiener Strafraum in den letzten zehn Minuten fast genauso. Die .Latte war dem Schuß Meiers (87. Minute) im Weg, Büllwatsch dem nachspringenden Lindner auf der Linie ebenso — und dazwischen Szanwald, immer wieder Szanwald!

Man muß der Eintracht bestätigen: Sie hat den Kampf gegen die Umstände — und oft gegen das Glück — so erfolgreich wie nur möglich geführt. Vielleicht war ihr Spiel wenige Tage zuvor gegen die Offenbacher Kickers weicher, eleganter, stilreiner. Aber in Wien war alles risikolos, unerbittlich, kraftvoll, wie es die Stunde erforderte. Da war Loy wie eine Feder gespannt, um herauszuflitzen, wenn der Ball in den Rücken der Deckung kam, da spielte Schymik (gegen den allerdings schwächsten Wiener Skerlan) einen Verteidiger ohne Schnörkel, verrechnete sich Stopper Eigenbrodt bei kaum einem Kopfball, und da war Höfer wieder der Höfer wie in seinen allerbesten Tagen.

Aber nicht nur am einzelnen lag es, daß die Wiener selbst bei ihren größeren Aufmärschen keine freien Wege fanden, es war die Einstellung der Deckung, in der Weilbächer und Stinka (mit einer Trainingsverletzung noch gehandicapt) ihren Platz nie verließen und auf Ausflüge in des Gegners Hälfte völlig verzichteten.

Der Riese Hamerl, der in Frankfurt die Eintracht und die Zuschauer erschreckte, war in Wien bald ein kleiner Mann. Er stand im Schatten von Knoll und Hof, die Stinka und Eigenbrodt das Leben sauer machten, aber nur einmal in der 31. Minute nach einem Vorstoß des Rechtsaußen Novy ihre Scheiberlpartie bis an den Frankfurter Torraum heranbrachten, wo Hof an Loy vorbei das 1:0 herausschoß.

Der Eintrachtsturm mußte seine Pfade fast alleine suchen. Alfred Pfaff blieb meist im Mittelfeld und flitzte sofort zurück, wenn die Wiener in Ballbesitz kamen. Lindner stand in der ersten Halbzeit etwas zwischen den Ereignissen, um im zweiten Teil sich erheblich zu steigern. Die drei Spitzen Kreß, Stein und Meier waren den härtesten Attacken ausgesetzt, sie schonten sich nicht, denn der linke Verteidiger Hasenkopf kannte meist nur die Parole „Ball oder Mann", und sein rechter Kollege Windisch mähte Meier in den ersten Minuten um, daß man befürchtete, der Eintrachtlinksaußen habe schon ausgespielt.

Ein Hohelied auf Stein

Er wirkte, weiter mit der gewohnten Kraft bis zur Pause, aber später waren ihm die Anstrengungen doch zu außergewöhnlich. Er kam plötzlich nicht mehr vom Boden weg. Was Erwin Stein betraf, der in der 59. Minute mit einer Lindner-Vorlage aus dem Mittelfeld heraus auf und davon zog und an Szanwald vorbei das 1:1 erzielte, war ein come back in großem Stil. Sein Lied sangen die Wiener Zeitungen am nächsten Tag am lautesten.

Gnadenloser Kampf

Worte nach dem 1:1

Trainer Paul Oßwald: „Ich glaube wir haben den Eintritt in die Vorschlußrunde verdient. Unsere Mannschaft hatte die bessere Kondition und in der Schlußphase auch die klareren Chancen. Ich freue mich, daß Erwin Stein so gut gespielt hat."

Spielausschußvorsitzender Ernst Berger: "Wir sind glücklich, daß wir das Ziel erreicht haben. Nimmt man beide Spiele gegen den Wiener SC zusammen, so darf ich wohl sagen, daß die Eintracht die bessere Mannschaft war."

Spielführer Alfred Pfaff: „Wir hatten noch reichlich Pech. Die Pfostenschüsse und die vielen guten Paraden von Szanwald! Der Sieg war für uns viel näher als für Wien."

Erwin Stein: „Es war ein gnadenloser Kampf und ich habe vieles einstecken müssen, besonders von Hasenkopf. Aber es hat jeder sein bestes gegeben. Ich glaube, daß ich meine Verletzung völlig überwunden habe."

Hans Eigenbrodt: „Es war ein sehr schweres Spiel. Die Wiener hatten ein glänzendes Innentrio. Zum Glück hatten ihre Außen nicht viel zu bestellen."

Verdienter Erfolg

Was die Presse zum Europacupspiel meinte

Der Eintrachtsieg hat insbesondere in der österreichischen Presse einen nachhaltigen Eindruck gemacht, und neben einer harten Selbstkritik wird die Leistung des deutschen Fußballmeisters lobend herausgestellt. Heribert Meisl schreibt im Wiener Kurier u.a.: „Wenn deutsche Berichterstatter aus dem Praterstadion meldeten, daß das 1:1 der Eintracht-Elf mehr als verdient gewesen und ein zweiter Sieg der Frankfurter nach dem 2:1 in der ersten Begegnung im Bereich der Möglichkeit gelegen hat, dann kann man ihnen gar nicht Unrecht geben... Eintracht Frankfurt überraschte in bestem Sinne. Weilbächer, Lindner und Stein gefielen am besten."

Die „Presse" urteilt: „Die Deutschen haben sich den Aufstieg in das Semifinale ehrlich verdient. Sie waren in Frankfurt stets überlegen, und sie hielten in Wien den Kampf stets offen, ja, es gab Perioden, in denen sie mit ihrem kraftvollen Direktspiel den Wienern gefährlich zusetzten und weiteren Treffern nahe waren."

Die „Arbeiterzeitung" kommt zu dem Schluß: „Räumt endlich mit den Vorurteilen auf, daß die Deutschen nicht ordentlich Fußball spielen. Gäbe es in Wien nur einen angeblich so 'primitiven' Mittelstürmer Stein — Bundestrainer Decker würde ihn ohne Zögern ins Team stellen."

Das „Neue Oesterreich" stellt fest, „daß die Deutschen nicht nur die bessere Kondition aufwiesen, sondern auch hinsichtlich Technik, Spielauffassung und Kombinationsspiel besser waren!" Der Sportexpreß: „Es gab nichts, aber auch gar nichts, was den WSK über die Frankfurter gestellt hätte. Die Deutschen waren technisch besser."

Auch die deutschen Zeitungen sind von dem Erfolg der Eintracht beeindruckt. Die „Süddeutsche Zeitung" schreibt: „Unser Meister rechtfertigte das Vertrauen, das man in ihn setzte. Die Prognose ist nicht zu kühn, wenn wir behaupten, daß er unter Oßwalds kluger Lenkung fähig ist, das Endspiel im Europapokal zu erreichen." Die „Frankfurter Rundschau" stellt fest: „Das Ergebnis mutet an, als hätten sich die Frankfurter von vorneherein ganz auf die Defensive gestützt. Aber es war alles ganz anders. Mit einem ans Tollkühne grenzenden Unternehmungsgeist stürzten sich die Riederwälder in die Partie."


Auf Bahnsteig 5

Die Rückkehr der Eintracht

Die schwarzweißen Fahnen wehten, Hörner klangen, zur Verzweiflung der Bahnbeamten: die Eintracht-Anhänger feierten auf Bahnsteig 5, da war am Donnerstag noch nichts vom „Donau-Kurier" aus Wien zu sehen.

Christian Kiefer bahnte sich tapfer mit seinen Mannen und seinem rotweißen Nelkenstrauß einen Weg durch das Gewühl. Plötzlich stieg das Eintracht-Lied: „So ein Tag, so wunderschön wie heute..." aus der Menge auf. "Jetzt kommt er" rief man.

Und da rauschte auch der D 303 heran. Für einige Minuten ging dann ziemlich alles durcheinander. Aus dem Gewoge tauchte zuerst der Kopf von Pfaff auf. Er und Höfer verschanzten sich hinter ihren Jüngsten, die sie auf den Armen trugen. Die Fenster von den Nachbarzügen waren geöffnet. Vom Gleisarbeiter bis zu den zufälligen Reisenden fiel alles in die Hochrufe auf den deutschen Meister ein.

Blaß und abgespannt mit einem verlegenen, einem glücklichen Lächeln ging's durch das begeisterte Spalier der Frankfurter Fußballfreunde. „Wir sind reichlich müde" meinte dann Trainer Osswald im Vorübergehen. Und Christian Kiefer benutzte blitzschnell eine Pause zwischen den Hochrufen, den Spielern ein Willkommen zuzurufen. „Nicht nur die Eintracht, alle Sportler gratulieren euch zu diesem Erfolg." (aus 'Der neue Sport' vom 21.03.1960)

 

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