Young Boys Bern - Eintracht
Frankfurt |
Europapokal der Landesmeister 1959/60 - Achtelfinale, Hinspiel
1:4 (1:1)
Termin: 04.11.1959
Zuschauer: 33.322
Schiedsrichter: Zariquiegui (Spanien)
Tore: 0:1 Hans Weilbächer (4.), 1:1 Eugen Meier (24.), 1:2 Erwin Stein (70.), 1:3 Erich Bäumler (78., Elfmeter), 1:4 Erich Meier (83.)
Young Boys Bern | Eintracht Frankfurt |
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Trainer
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Das Spiel, das 40000 im Wankdorf-Stadion begeisterte Um den Europapokal: Young Boys Bern - Eintracht Frankfurt 1:4 (1:1) Die Riederwälder sprangen in das Spiel wie elf Kastenteufel. Nichts stand still in dieser Mannschaft. Es sah aus, als ob sie in der ersten von 90 Minuten bereits zum Endspurt ansetzte. Ein Eintracht-Endspurt mit ausgeruhten Knochen und unverbrauchter Nervenkraft! Dem konnten die Berner nur knapp vier Minuten widerstehen. Dann waren sie reif, einen Schlag zu empfangen, von dem sie sich vielleicht nie mehr ganz erholten. Stein fand auf einer Sprintstrecke von mehr als vierzig Metern keinerlei Widerstand vor und wurde nur dadurch gebremst, daß man ihm schließlich 25 Meter vor dem Schweizer Tor von hinten die Beine unter dem Leib wegriß. Den Strafstoß jagte Weilbächer mitten durch eine konfus gebaute Abwehrmauer einen Meter an dem erstarrten Torwart Eich vorbei zum Führungstreffer des deutschen Meisters ins Netz. Der an den Anfang vorverlegte Endspurt der Frankfurter währte mindestens weitere 15 Minuten und wäre doch um ein Haar umsonst gewesen, weil er keine weiteren Erfolge brachte. Die verpatzten Chancen häuften sich in einem Umfang, der die Riederwälder erfahrungsgemäß mehr zermürbt als die Zeitabschnitte, in denen sie gar keine Chancen haben. Es nahte zum erstenmal der Punkt, in dem plötzlich quasi ein neues Spiel beginnt, das mit dem bisherigen kaum noch in Zusammenhang steht. Berns Meyer glich für seine Young Boys in der 24. Minute aus, und sein Schuß aus 20 Metern zuckte derart unvermittelt aus dem Fußgelenk, daß ihn die Eintrachtfreunde wie einen elektrischen Stoß empfanden. Erstaunlich, wie die Spieler diesen Stoß verkrafteten, aber gespürt hatten sie ihn auch. Das sah man daran, daß ihnen die Geschehnisse, die sich vorher fest in ihrer Gewalt befanden, nun auf einmal wieder entgleiten wollten. Als die Pause kam, hatte sich die Szene nahezu ausgependelt. Dann fegte zum zweitenmal eine Eintracht in Endspurtpsychose über die Schweizer hinweg. Noch erdrückender und deprimierender für die Berner als vor einer Dreiviertelstunde. Aber noch zermürbender auch für die Eintracht, der mit keiner Chance zu helfen war. Noch einmal geriet das Treffen in die Nähe eines Augenblicks, der eine Stunde unverkennbarer bis klarer Ueberlegenheit auslöschen kann. Berns Meyer köpfte einen Eckball genau auf die Ecke, an die Loy am wenigsten dachte. Aber an seiner Stelle wachte Höfer. Als Höfer den Ball von der Linie holte, hatte man sofort das Gefühl, daß nun die letzte Gefahr für die Riederwäider vorüber sei. Die Eintracht hatte Platz für ihre Großraumkombinationen. Stein fand Muße zum Stoppen, Zielen und Schießen und schoß aus 25 Metern so hart und genau wie andere aus zehn Metern. Steffen bugsierte sein Handspiel, das er so geschickt vor den Zuschauern, aber nicht vor dem spanischen Traumschiedsrichter zu verbergen wußte, und Bäumler paßte den Elfmeter täuschend ins Tor. Endlich kam auch Riederwalds Meier mit einem seiner Schüsse durch und trieb das Ergebnis damit auf eine Höhe, die internationales Aufsehen erregte. Das Ganze war jenseits aller leichten Schwankungen und Wechselfälle eines jener Spiele, mit denen die Riederwälder bisweilen jede Kritik zum Schweigen bringen. Gewiß, es stellte sich deutlicher denn je heraus, wie fatal es sein kann, daß Erwin Stein beim Schuß nur dann höchste Wucht und Präzision erreicht, wenn er den Ball selbst an den Abschußpunkt heranführt oder doch Gelegenheit erhält, zunächst zu stoppen. Wie oft wurde er abgedrängt und abgeblockt, weil er den direkten Schlag nicht riskierte! Gewiß, Schymik auf dem Posten des linken Verteidigers war nur ein Provisorium, wenn auch wahrscheinlich das Beste, was sich an diesem wunden Punkt nach dem Ausfall von Eigenbrodt und Sorger zur Zeit für die Riederwälder erreichen läßt. Und Stinka hat offenbar noch immer daran zu kratzen, daß er sich seinen Auftritt in der B-Nationalmannschaft eindrucksvoller vorgestellt hatte. Bäumler war kein Ueber-Bäumler mehr wie auf dem Bieberer Berg, sondern nur noch ein guter Normal-Bäumler, und Pfaff blieb auf seiner mittleren Linie. Das alles aber wurde in der Totale höchst unwichtig. Wenn die Kastenteufel losschlugen, sah man nur noch einen einzigen Wirbel. Der Wirbel rotierte um einen Weilbächer, der nie vielseitiger und umsichtiger war, und um einen Lindner, der bis in die Höhen eines Alfred Pfaff vordrang, wenn dieser gut aufgelegt ist. An Weilbächer, Lindner und Pfaff zerbrach die Berner Abwehr. An Lutz, Loy und Höfer zerbrach der Berner Angriff. Ludwig Dotzert
Von unserem Chefredakteur Erich Wick Unter all den Ergebnissen, die die Europapokalrunde bisher gebracht hat, scheint mir der klare Eintrachtsieg in Bern am bemerkenswertesten zu sein. Trotz den Kassandrarufen eines Sing war in der Schweiz und darüber hinaus auch in der Bundesrepublik die Meinung einhellig, daß der Schweizer Meister in diesem Spiel klarer Favorit sei. Wir haben es in allen Schweizer Blättern am Dienstag und Mittwoch letzter Woche lesen können. Leider waren es nur die wenigen Schlachtenbummler, die das Spiel gesehen haben, da ja die Fernsehübertragung ausfiel. Sie werden mir bestätigen, daß es eines jener köstlichen Spiele war, in denen die Eintracht ihren Gegner „auseinandernimmt". Gerät ein Verein in eine solche Eintrachtmühle, sagen die Unwissenden, daß er „schlecht aussähe", daß man ihn sich stärker vorgestellt habe, daß er einen miserablen Tag gehabt habe oder die Spieler keine Laune gehabt hätten. Aehnliche Sätze fanden wir dann auch prompt in manchen Tageszeitungen, vor allem der Schweiz. Die Eintracht war taktisch gut beraten und startete ihren Hauptangriff erst zu einer Zeit, als die weit älteren Berner Boys bereits mit der Erschöpfung kämpften. Es ist der wunderbare Vorzug der Jugend, daß man sie auf diese Weise in den taktischen Plan einbeziehen kann. Darüber hinaus war aber sichtbar, daß fernab von jeder taktischen Unterweisung einfach die besseren Fußballspieler im Eintrachtteam standen. Nicht der Kampfgeist der Deutschen (wie es beispielsweise die „Tribüne de Lausanne" vorher warnend angedeutet hatte) entschied die Partie. Sosehr sich die Frankfurter teilweise einsetzten, sie schillerten doch vor allem in einer fast jungenhaften Gleichgültigkeit der einzelnen Torchance gegenüber. Sie spielten die Möglichkeiten heraus, lächelnd, und vergaben sie ebenso lächelnd. Aber sie exerzierten ein steiles Sturmspiel vor mit so viel Witz und Charme, daß manche Schweizer wohl denken mochten: „Das also sollen keine Ungarn, Jugoslawen, Italiener sein, das sind Deutsche — welch eine Ueberraschung!" Und so riß man sich bei der Eintracht auch nicht die Haare aus, wenn eine mehr als 99prozentige Torchance verpaßt wurde, man schüttelte sich vergnügt die Hand, wenn ein Zusammenstoß passiert war, es war alles so nett, und der tierische Ernst hatte längst Reißaus genommen. Um auf die Taktik zurückzukommen: Die Eintracht schirmte sich gegen durchaus greifbare Gefahren dadurch ab, daß ihre komplette Abwehr immer eine Abwehr blieb. Der Aufbau war den Halbstürmern allein vorbehalten, vor allem Lindner. Durch oft enges, aber abgewogenes und schnelles Zuspiel kam die Eintracht trotzdem meistens schnell aus Umklammerungen heraus. Diese Abwehr ist übrigens auch nicht auf den Mann dressiert. Sie läßt den Gegner spielen und kommen, aber wo er durchbrechen will, wird er hart angepackt. Schnelle Leute wie Lutz und Höfer erspähen die geringste Blöße, die sich der ballführende Gegner gibt. Die Methode spart Kräfte und entwickelt Spezialisten, wie mir Lutz einer als Stopper zu sein scheint. Sie gibt auch das Gefühl der Ruhe, so daß im beklemmenden Augenblick eines gegnerischen Tornados ein einfaches Rückspiel à la Horvat klären kann. Zum erstenmal ist die Eintracht international herausgekommen. Der Start hätte nicht besser sein können. Der Europapokal schafft Möglichkeiten, ohne Länderspielberufung im besten Sinne „International" zu werden. Der legendäre Ruf von Real Madrid beweist es. Es ist ein lockendes Ziel für die Eintracht, im Rückspiel über Young Boys Bern endgültig unter die letzten acht — deutlicher ausgedrückt: unter die europäische Elite des Fußballs — vorzustoßen. (aus 'Der neue Sport' vom 09.11.1959)
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