FSV Frankfurt - Eintracht Frankfurt |
Oberliga Süd 1953/54 - 6. Spieltag
0:6 (0:3)
Termin: 19.09.1953
Zuschauer: 30.000
Schiedsrichter: Jakobi (Mannheim)
Tore: 0:1 Hans Weilbächer (14.), 0:2 Erich Dziwoki (27.), 0:3 Richard Kreß (36.), 0:4 Erich Dziwoki (48.), 0:5 Erich Geier (49.), 0:6 Hans Weilbächer (73.)
FSV Frankfurt | Eintracht Frankfurt |
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Trainer
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Klasse-Fußball - Klasse-Tore - Klasse-Schiedsrichter Eintrachts Champagner-Fußball Wir wissen nicht, ob am Samstagabend in Erich Dziwokis „Posthörnchen" und in Alfred Pfaffs „Sportklause" die Sektpfropfen knallten. Aber wir wissen eines: Am Nachmittag hatte die Eintracht am Hang prickelnden, perlenden Champagner-Fußball serviert. Er betäubte Bornheim und berauschte das Volk. Der FSV versuchte es mit einem Gewalt-Streich, Richard Herrmann war sofort wie der Blitz an Krömmelbein vorbei und seine Steilvorlage nahm der „Scheppe" Kraus direkt aus der Luft. Es war ein Meisterschuß. Aber Henig riß instinktiv die Hände hoch - das Leder gehörte ihm und der Ueberfall war mißglückt. Was dann geschah, trug eine Stunde lang den Stempel „Made in Riederwald". Das Spielfeld wurde zur Einbahnstraße und die Eintracht zum Fußball-Dozenten. Ihr Spiel lief wie auf Gummirädern und war nach dem neuesten, englischen Fußballjournal zugeschnitten. Wirbelnde Dreieckskombinationen im FT-Tempo wechselten mit überraschenden Querpässen über die ganze Spielfeldbreite, Krömmelbein neutralisierte den ambitiösen Herrmann, Popovic wurde zum Spielzeug Wlokas, Weilbächer graste voller Wohlbehagen das 40 m tiefe Weideland ab, das auf der linken FSV-Seite heranwuchs, weil Scherer Adjutantendienste beim Kreß-Polizisten Lurz leisten mußte, und der kleine Remlein wurde zum populären Romanautor. Er schrieb das Buch „Der Schneider himmlischer Fußballhosen". Remlein als Kalanag Der Ex-Ulmer verwandelte sich an diesem Nachmittag in den Kalanag des runden Leders. Die Blauschwarzen wurden in seinen Händen zu Marionetten und der Ball sein willenloses Werkzeug. Er gehorchte ihm wie ein wohldressierter Pudel. Seit Hugo Mantels Zeiten sah man keine solch millimetergenauen Flachpässe mehr. Remleins Zuspiel erreichte mit schier tödlicher Sicherheit seinen Mann — und jeder Paß kam so schnell, daß die Bornheimer Deckungsspieler keine Zeit mehr fanden, ihm den Weg zu versperren. Aber auch im harten Zweikampf mit Albin Meyer blieb Remlein in 98 von 100 Fällen Sieger. Er wurde zum Musterexemplar eines modernen Außenläufers und zum Stahlmast, um den sich das ganze Eintracht-Karussell drehte. Die Bornheimer hatten gegen diesen Riederwälder Fußballzauber nur ihren Mut und ihren Kampfgeist in die Waagschale zu werfen. Er wog schwer, weil er aus Eisen war. Aber er genügte nicht. Remlein und Krömmelbein bohrten immer neue Sprenglöcher in den blauschwarzen Abwehrbeton und die Brisanz des von Kreß mit der Virtuosität eines Sindelar und Piola geführten Eintrachtsturmes riß ihn erbarmungslos auseinander. Glanzstück Eintracht-Sturm Dieser Eintrachtsturm hatte es in sich. Wenn er in Aktion trat, wurde er zum reißenden Gebirgsbach. Er schwemmte alles hinweg, was sich ihm entgegenzustellen wagte. Erich Dziwoki kam bis auf Zentimeter dem Außenstürmeridealbild nahe, der „Hochzeiter" Geier präsentierte sich in echter Polterabendstimmung, Weilbächer entwickelte die Angriffskraft eines Düsenjägers und Richard Kreß zeigte sich den erstaunten Augen des Bundestrainers in einer Paradeform, die mit Lautstärke 12 nach seiner Eingliederung in die Nationalelf schrie. Er machte Lurz zu einem armen Mann und war der spitze Dorn im Auge der Bornheimer Abwehr. Nur einmal trat er selbst als Torschütze auf. Aber vier weitere der sechs Eintrachttreffer trugen sein Signum. Das erste servierte er dem dankbaren Weilbächer geradezu mit der Eleganz eines englischen Butlers, und auf einem goldenen Tablett. Pfaff blieb — welch' Ueberraschung — der blasseste Mann in diesem lebenssprühenden, vor Gesundheit strotzenden Quintett. Aber er war durch eine Oberschenkelzerrung schwer gehandicapt, und das entschuldigte vieles. Bornheims Sturm schlief nicht. Er rackerte sich nach Kräften ab und stieß immer wieder vor. Aber W. Mayer und Scherer überließen ihn — notgedrungen — zu sehr seinem eigenen Schicksal und weil Popovic und Albin Meyer von Wloka und Remlein restlos schachmatt gesetzt wurden, bestand er faktisch nur aus drei Mann. Mit diesem „Dreizack" konnte man die Eintrachtdeckung nicht aus den Angeln heben. Man konnte sie ankratzen, aber nicht erdolchen. Bechtold, Heilig und Henig wurden mit dem Trio ziemlich mühelos fertig, solange der Eintrachtsturm auf Touren lief. Ihre ernsthafte Belastungsprobe kam erst, als es schon 6:0 hieß und die Spielmacher der Eintracht bewußt kurz traten. Herrmann und der ungemein wendige Kunkel verschafften sich jetzt wiederholt freies Schußfeld. Aber Henig war selbst für einen „Trostpreis" nicht zu haben. Er zog die Jalousie herunter und sagte energisch nein. Interessanter weise zielten sein Schilderhaus fast ebensoviele Schüsse an, wie das des bedauernswerten Klemm. Nach unserer Statistik hieß das Torschußverhältnis 25:23 für die Eintracht. Es spricht für Henigs, der ganzen Eintrachtabwehr Klasse, daß auch nicht ein Ball ihm entwischte. Wacklige FSV-Abwehr Auch in diesem Kampf — einem großen, gehaltreichen Kampf, dessen Rasanz auch die „Fans" in Highbury enthusiasmiert hätte — offenbarte sich die derzeitige, bedenklich stimmende Schwäche der FSV-Deckung wieder in aller Deutlichkeit. Lurz, Nold, Scherer und selbst Werner Niebel waren dem Wirbelwindtempo des Eintrachtsturms einfach nicht gewachsen. Sie wurden ausgespielt und überspielt, weil ihre Reaktionsschnelligkeit nicht ausreichte, weil sie körperlich und geistig nicht wendig genug waren. Nold überstand das Derbyinferno noch am besten, und Werner Niebel hatte nach der Pause einige große Szenen, als er mit Scherer den Platz tauschte und das Steuerrad des führungslos dahintreibenden FSV-Schiffes ergriff. Auch Werner Mayer tauchte jetzt aus der Versenkung empor — aber das Spiel der Bornheimer blieb zerhackt, improvisiert, systemlos. Zuviel blieb dem Zufall überlassen und zuviel der Initiative des einzelnen. Klemm tat den 30000 in der Seele leid. Er kam sich in seinem Gehäuse vor wie ein armer Sünder. Aber niemand werfe einen Stein auf ihn. Er schlug sich prächtig. Trotz des halben Dutzends Tore, die man ihm aufbrummte. Gegen sie war kein Heilkraut gewachsen. Sie gehörten samt und sonders zur Kategorie der unhaltbaren. Der junge Mannheimer Jakobi war der rechte Mann am rechten
Fleck. Er war stets auf der Höhe des Balls (fast wie der Engländer
Ellis), ließ sich kein X für ein U vormachen, traf seine Entscheidungen
schnell und exakt und griff sofort zu, wenn es brenzlig wurde. So fand
ein Klassespiel, in dem es Klassetore zu bejubeln gab, auch einen Klasseschiedsrichter.
(aus 'Der neue Sport' vom 21.09.1953) |