FSV Frankfurt - Eintracht Frankfurt

Bezirksliga Main-Hessen 1927/28 - 14. Spieltag

0:2 (0:1)

Termin: 30.10.1927 im Stadion
Zuschauer: 40.000
Schiedsrichter: Maul (Nürnberg)
Tore: 0:1 Karl Ehmer (40.), 0:2 Fritz Schaller

 

>> Spielbericht <<

FSV Frankfurt Eintracht Frankfurt

  • Krieger
  • Furch
  • Heinig
  • Heuß
  • Böhm
  • Frey
  • Wijk
  • Eschenlohr
  • Brettville
  • Strehlke
  • Brück

 


 

Trainer

  • William Townley

Trainer

 

Mit den 40.000 im Frankfurter Stadion

Fußballsportverein Frankfurt gegen Eintracht Frankfurt 0:2.

Ich entsinne mich nicht, mich durch Wort, Schrift oder Tat dem Fußballsportverein Frankfurt gegenüber gehässig gezeigt zu haben. In den Kreisen des Vereins, dem ich selbst angehöre, der Eintracht, ist man sogar vielfach der Meinung, meine Wohlanständigkeit dem Konkurrenzverein gegenüber weit übertrieben zu haben. Um so mehr befremdete es mich, daß ich am vergangenen Sonntage in der Pause des großen Ortsspieles das Opfer eines recht unliebsamen Zwischenfalles wurde, der mich veranlaßt, hier mit aller Deutlichkeit zu erklären, daß es seitens des gastgebenden Vereins, des Fußballsportvereins, eine ungeheuerliche Zumutung bedeutet, einen Teil des Publikums, dem man am Platzeingang sein Geld abgenommen hat, und einen Teil der Pressevertreter der Brutalität und der Raubauzigkeit eines Ordnungsdienstes auszuliefern, dem die elementarsten Begriffe landesüblicher Anstandslehre vollkommen fremd sind. Fußballsportverein hatte diesmal in dem ermieteten Stadion Hausrecht, das er für sich in Anspruch nehmen konnte. Das sei zugegeben. Friedliche Platzbesucher haben aber einen Anspruch auf Gastrecht, das im Altertum hehr und heilig gehalten wurde. Heute kehrt man sich aber nicht mehr um solch veraltete Begriffe und pöbelt Presseleute, die sich klar und einwandfrei in ihrem Rechte befinden, in einer Weise an, gegen die ich für meinen Teil hiermit auf das allerenergischste Protest erhebe. Ich verlange, daß platzbauende Vereine Ordnungsleute auf die Menschheit loslassen, die wenigstens ganz bescheidene Umgangsformen haben.

Es ist mir ganz gleichgültig, ob und inwieweit der Fußballsportverein durch unkorrektes Verhalten maßgebender Leute der Eintracht am 2. Oktober 1927 auf dem Riederwaldplatze Veranlassung zu haben glaubte, zu dokumentieren, daß nach seiner Meinung auf einen groben Klotz ein noch beträchtlich viel gröberer Schlag gehöre. Ich gehöre nicht zu den „maßgebenden" Kreisen der Eintracht und habe keine Ahnung, was am 2. Oktober angeblich gefällig gewesen sein soll. Jedenfalls habe ich heute die Feststellung gemacht, daß man die Taktik nicht nur auf dem Fußballfelde, sondern auch in der Verteilung der Sitzplätze anwenden kann. Dem Fußballsportverein bleibt das ruhmvolle Verdienst, hier bahnbrechend vorgearbeitet zu haben, und sein System, das zweifellos sehr bald Allgemeingut sein wird, eröffnet die lieblichsten Perspektiven für die nahe Zukunft. Schön! Der Fußballsportverein glaubte sich am 2. Oktober in der Zuteilung der Logen- oder Tribünenkarten benachteiligt. Als Repressalie sperrte er dafür heute die Ehrenplätze und die unmittelbare Nachbarschaft — bildlich gesprochen — mit Schlagringen und Gummiknüppeln hermetisch gegen alles ab, was einigermaßen „eintrachtverdächtig" war. So weit ich sportliche Mentalität von heutzutage kenne, wird bei der nächsten Gelegenheit die Eintracht ihre gesamte Tribüne absolut Fußballsportvereinsfrei halten, und Fußballsportverein wird dann vermutlich seine gesamte Mitgliedschaft zum absoluten Boykott des Riederwaldplatzes anhalten und erziehen. Wer weiß, wo diese herrliche gradatio ad major dann noch endet. Wahrlich, sie „führen uns herrlichen Zeiten entgegen", sie, die Herren, die heute die „Führung" im Sporte an sich gerissen haben.

Um Zweifel im voraus auszuschalten: ich saß auf meinem angestammten Kickerplatze in vorderster Reihe des Pressebalkons, wo ich mich im Kollegenkreise wohl und geborgen und bestens aufgehoben gefühlt habe. Auf Wunsch des Herrn Walther Bensemann und mit Wissen und Erlaubnis des Herrn Dr. Rothschild, 1. Vorsitzenden des Fußballsportvereins, habe ich in der Pause auf wenige Augenblicke die Estrade, auf der sich die Ehrensessel befinden, betreten wollen. Ich habe nicht im entferntesten daran gedacht, meinen schönen Presseplatz gegen einen roten Korbsessel einzutauschen, zumal es bei mir noch nie feststand, ob auf diesen „Ehrensitzen" zu thronen, wirklich eine „Ehre" ist. Ich, Ludwig Isenburger, bin wenigstens noch nie danach lüstern gewesen. Punktum! Schluß!

Das Spiel selbst war eine neue Rekordveranstaltung. Ein gigantisches Manifest, publiziert von Seiner Majestät Fußball. Welches Verbandsspiel zwischen zwei Ortsvereinen hat je zuvor eine solche Riesenzuschauermenge in seinen unwiderstehlichen Bann zu fesseln gewußt? 35.000, vielleicht auch 40.000 Zuschauer machten das große Stadion in Frankfurt zu einem vollkommen ausverkauftem Hause. Die Aufregung, mehr noch die fanatische Einstellung der mehr oder weniger nächstbeteiligten Anhänger hüben und drüben war nachgerade unerträglich geworden. Begeisterung für den Fußballsport ist etwas schönes, treue Anhänglichkeit an seinen Verein etwas sehr löbliches, beides aber soll und muß in den Grenzen des Anstandes und der Vernunft bleiben. Dies als wohlgemeinten, guten Rat allen denen, vor denen man sich in der Woche vor dem Spiele kaum noch retten konnte.

Umso angenehmer ist es, feststellen zu können, daß man während des ganzen Verlaufes der Veranstaltung weder bei den Spielern noch bei den Zeugen der Begebenheit einen Aufbruch häßlicher Leidenschaften wahrzunehmen hatte. Man darf der ersten Mannschaft des Fußballsportvereins mit restloser Anerkennung nachrühmen, daß sie mit größtem Anstande die zweifellos recht unerwünschte Niederlage hingenommen hat, daß sich ebenso der recht zahlreiche Anhang des Mainmeisters durch das widrige Schicksal nicht einen Augenblick aus der sogenannten „contenance" hat bringen lassen, daß Eintracht ebenso wenig in die Rolle des frivolen Siegers verfiel und von keiner Lippe das "vae victis" abzulesen war. Diese durchaus erfreuliche Feststellung sei hiermit festgehalten.

Den Spielergebnissen der letzten Zeit nach zu urteilen, mußte Eintracht als mutmaßlicher Sieger betrachtet werden, ein Vergleich der einzelnen Spieler beider Parteien konnte in gleicher Weise für den Fußballsportverein einnehmen. Das war alles, was vernunftgemäß vor dem 30. Oktober zu sagen war. Die Entscheidung selbst war diesem Sonntagnachmittag überlassen. Sie fiel zugunsten der Eintracht aus, und kein Mensch wird sagen wollen, daß der einwandfreie 2:0-Sieg dieser unberechtigt und unverdient war. Beide Mannschaften hatten diesen heißen Kampf mit ihrer stärksten Streitmacht bestreiten wollen und hierzu Vorbereitungen getroffen, die über das Normalmaß weit hinausgingen.

Die Absichten des Mainmeisters wurden in letzter Stunde erheblich durchkreuzt. Robert Pache lag mit einem Grippeanfall stark fieberkrank im Bette. Es ist möglich, ja sogar wahrscheinlich. daß Fußballsportverein mit Pache eine bessere Figur gemacht hätte. Sicher ist, daß seine Mannschaft heute niemanden als geistigen Führer hatte. Ob Paches Fehlen für die Niederlage als restlose Erklärung angeführt werden kann, bleibt dahingestellt. Wohl hatte Eintracht in Walter Dietrich ihren geistigen Führer, obendrein auch noch einen ganz vorzüglichen, trotzdem er ganz kurz nach Spielbeginn verletzt und in seiner Bewegungsfreiheit erheblich behindert war. Wenn also die Frage Pache aufgeworfen wird, dann kann dem entgegengehalten werden, daß auch die Eintrachtmannschaft mit einem gesunden Dietrich wesentlich besser gewesen wäre. Fußballsportverein hat zweifellos heute nicht mehr die Spielstärke der letzten Jahre aufzuweisen. Ob der massenhafte Zuzug auswärtiger Spieler hierfür verantwortlich zu machen sei, wie es nach der Niederlage gar manche Mitglieder des Vereins selbst taten, kann m. E. vorderhand noch nicht entschieden werden. Nicht allein, wohl aber in der Hauptsache krankt die Elf am Sturme. Eschenlohr, der statt Pache halbrechts stürmte, war so schlecht, daß er bei Halbzeit in die Läuferreihe zurückgenommen wurde, wo er auf gewohntem Platze sehr versöhnliche Leistungen bot, wenn er auch Kellerhoff, der heute in bester Form war, oft davonziehen lassen mußte. Wijk bekam wieder viel zu wenig Bälle, scheint aber auch zurzeit nicht mehr der Alleskönner zu sein, als welcher er sich so schnell in Frankfurt-NO. beliebt gemacht hat. Auch Bretteville trat nicht in die Erscheinung, wie es sich von dem Mittelstürmer einer Meistermannschaft geziemt. Ebenso hat Strehlke ausgerechnet heute nicht die Glanzleistungen der letzten Kampftage aufbringen können. Gut war nur Brück. Aggressiv vordringend und richtig flankend. Von Brück hätte der Sieg kommen können, nicht aber von Brück allein. In der Läuferreihe war Frey ein Versager und Böhm gar manchesmal nicht viel besser. Wenigstens in der zweiten Halbzeit. Henß rettete die „reputation" der Läuferreihe, bis er anstelle Eschenlohrs in den Sturm geschickt wurde, wo er übrigens als rechter Flügelmann gar keine üble Figur machte. Henß ist und bleibt auf alle Fälle menschlich und spielerisch eine äußeret sympathische Erscheinung. Kleine Nervositäten seien dem Torhüter, ebenso geringe Unsicherheiten seien den beiden Verteidigern verziehen. Diese drei Hinterleute haben sich vollauf ehrenwert geschlagen. An der Niederlage, die sie nicht aufhalten konnten, trifft sie keine Schuld.

Und nun Eintracht. Sieh da! Die weiche, fast verweichlichte, immer in Watte gewickelt gewesene Eintrachtelf hat zäh kämpfen gelernt. Unter Dietrichs Kampfleitung hat sie die entscheidende Schlacht gewonnen. Nur zwei Leute müssen sich einige Schwächen nachsagen lassen. Egly und Müller. Mit allen übrigen darf man angesichts des errungenen Erfolges für heute schonend verfahren. Besonders zu loben bleibt Schütz, den ich hiermit SFV. und DFB. für Repräsentativ- und Länderspiele, ja sogar als Olympiakandidat angelegentlichst empfehle. Angenehmste Ueberraschung bot Kellerhoff, der von allen guten Geistern entflammt zu sein schien. Recht wacker hielten sich auch wieder Goldammer, Kübert und Döpfer. Die Mannschaft zeigte nach anfänglichem Lampenfieber wesentlich besseren Zusammenhang als der Gegner und gewann daher vollkommen verdient.

Die ersten zehn Minuten gehörten voll und ganz dem Fußballsportverein. Eintracht brauchte Zeit, um sich an das Scheinwerferlicht aus 80.000 kritischen Augen (hoffentlich waren keine Einäugigen unter den Zuschauern, sonst stimmt meine Zahlenangabe nicht!) zu gewöhnen. Dann lieferte sie dem Gegner gleichwertiges Spiel. Aber bis zur Pause sah man nichts von dem wesentlich günstigeren Eindruck, den die Elf dem gleichen Rivalen gegenüber am 2. Oktober gemacht hatte. Sie erweckte etwas, ein klein wenig mehr Vertrauen, aber nicht annähernd in dem Maße, wie beim Vorspiel. Kurz vor der Pause fiel dann das erste Tor. Kübert hatte seitlich einen Strafstoß getreten, Krieger zu flach gefaustet. (Hatte ich nicht kürzlich schon gesagt, daß Krieger das Fausten noch nicht genügend versteht?!) Goldammer bekam den Ball vor die Füße und schoß flach, Ehmer vollendete den Erfolg. Unmittelbar nach dem Seitenwechsel kam die linke Eintrachtseite zum Durchbruch. Kellerhoff flankte gut, Krieger verpaßte den Ball, und Schaller schoß ins leere Tor. Von diesem Augenblicke an spielte Fußballsportverein viel zu kopflos, um an dem Endergebnis noch etwas zu eigenen Gunsten korrigieren zu können. Als äußeres Zeichen dieser Kopflosigkeit hielten die blauschwarzen Leute nicht mehr Stellung. Man sah Eschenlohr als Mittelläufer, Böhm als linken Läufer und zahlreiche andere „Versprengter". In der letzten Viertelstunde war Eintracht am Ende ihrer Kraft, was nach den vorhergegangenen Gewaltanstrengungen zu verstehen ist. Sie verlegte sich darauf, den sicheren Vorsprung zu halten. Das gelang ihr auch.

Herr Mau1 aus Nürnberg ist nicht erst heute mein Freund geworden. Der heutige Kampf stellte an ihn als Schiedsrichter wahrhaft große Anforderungen. Er hat das Spiel sehr gut geleitet. Gewiß, eine ganz kleine Auslese von Fehlern könnte ich anführen. Sie waren aber, an der Gesamtleistung gemessen, vollkommen belanglos, Vor allem wird niemand diesen Kleinigkeiten entscheidenden Einfluß auf die Torziffer machen können. Deshalb schnell Schwamm über den einen oder anderen geringfügigen Lapsus. Vor allem aber möchte ich Herrn Maul allen Schiedsrichtern als leuchtendes Vorbild bezeichnen in der ominösen Frage des absichtlichen und unabsichtlichen Handspielens. Genau wie Freund Fritz aus Oggersheim hat auch Maul die paar wenigen Fälle von absichtlichem Handspiel restlos herauszufischen gewußt und alles andere, dem Sinne und dem Wortlaut der Regeln entsprechend, ungeahndet gelassen. Wenn ich seinerzeit sagte: "Bravo. Herr Fritz", dann sage ich heute mit gleicher Ueberzeugung. „Bravo. Herr Maul"!     Ludwig Isenburger.

Kritische Betrachtungen

Warum hat Eintracht gewonnen und weshalb hat der Fußballsportverein verloren? Diesmal scheint mir die Frage ziemlich einfach und klar zu beantworten zu sein. Eintracht war eine Mannschaft mit der rückhaltgebenden Stärke des gewohnten Zusammenspiels, der Fußballsportverein bildete ein Experimentationsteam, das in ungewohnten Geleisen laufend seine gewohnten Kräfte meist einsetzen konnte. Eintracht hat Haltung in großen Spielen bekommen, auch in dem nervenaufpeitschenden Lokalkampf. Wenn man zum Beispiel beobachten konnte, wie die Läuferreihe ein ganz anderes Selbstbewußtsein von vorneherein hatte als früher, dann müßte das ein bedeutsamer Wink sein, die Leute wissen insgesamt jetzt, daß sie gegen den Fußballsportverein auch wieder siegen können. Ob das Spiel nach absoluter Wertung Niveau hatte, ist eine andere Frage. Meiner Ueberzeugung nach in vielen Phasen nicht. Eintrachts Taktik war richtig. Sie zog nach den beiden Erfolgen, die Früchte klügeren Angriffsspiel waren als das des Gegners, Dietrich als vierten Läufer zurück. Damit war der ohnehin sich schlecht entwickelnde Sturm der Bornheimer lahmgelegt. Es fehlte ein Rechtsaußen, als Wijk nach innen gegangen war und Henns außen stand, es fehlte an dem gewohnten Sturm und Drang im Innensturm. Was man geahnt hatte, sah man nun kommen. Die Tonwleysche Schule war noch nicht wirksam genug, um gegen die mit gleicher Waffe kämpfende Eintracht bestehen zu können. Die Fahrt der Angriffsfreude litt im ungewohnten Passing, ein Spieler wie Eschenlohr, der auf diesen Flachpaß eingestellt ist, kommt nicht zur Geltung, wenn er in einer Mannschaft orthodox darauf besteht, die früher die hohen Vorlagen verwandelte und in ihrem Fall die brenzlichsten Situationen schuf. Wo Pache wohl war? Krank, unpäßlich, man konnte es nicht erfahren. Sein System hätte den Bornheimern an dem Tag wohl mehr geholfen als der Anflug gepflegten Schiebespiels. Aber es kommt ja nicht auf den Sieg an, wenn man von weiterer Perspektive ausblickt, sondern auf die Entwicklung der Fußballkunst in Frankfurt. Da wird Townley wohl noch viel Arbeit haben, und es ist erfreulich, daß diesmal d i e Mannschaft verdient gewonnen hat, die wirklich schöner spielt. Im übrigen: Schütz als Verteidiger ist ein Mordskerl, der wohl einmal unter den Olympiakandidaten genannt werden dürfte. Dietrich ist einer der intelligentesten Fußballfüchse, die man bisher unter den jüngeren Spielern sah, Kellerhoff hat auf den linken Eintrachtflügel bewiesen, daß er einzig und allein für diesen Posten in Frage kommt, wenn er richtig geleitet wird. Spielend umging er ein übers andere Mal die Gegner und flankte gut. Die Sportvereindeckung ist nervös, Furch erschien langsam, ebenso der linke Läufer Frey, der Schaller nicht halten konnte. Frey hat keinen Start und ein Läufer, der keinen Start hat, ist kein Läufer. Unauffällig fleißig der kleine Böhm als Mittelläufer des Sportvereins, Goldammer auf der anderen Seite überraschend verbessert. Das als Gesamtüberblick: ein Spiel ohne Zwischen- und Zufälle.      Dr. P. L. (aus dem 'Kicker' vom 01.11.1927)

 

 


 

 

Frankfurt überflügelt alles

Nürnberg-Fürth und München, diese beiden großen bayerischen Zentralen, sind mit ihren bisher höchsten Besucherzahlen von 25.000 bei Vereinsspielen von der Mainmetropole weit überflügelt. Das Treffen F.Sp.V. — Eintracht, das am Sonntag im Stadion stattfand, zog 40.000 Menschen an. Diese Masse hält einen Vergleich mit englischen Verhältnissen aus. Frankfurts Rekord ist kein Zufall, sondern eine natürliche Folge der ungeheueren Rivalität zwischen dem Fußballsportverein und der Eintracht. Auch andere Städte haben solche Lokalrivalität, z. B. Klub — Fürth, Wacker — Bayern in München, Stuttgarter Kickers — V.f.B., V.f. R. Mannheim — Waldhof, K.F.V. — Phönix Karlsruhe, aber Frankfurt a. M. hat die impulsivere Bevölkerung und die umsichtigeren, tatkräftigeren, mehr nach vorwärts strebenden Vereinsleitungen. Frankfurt a. M. hat den größten Unternehmungsgeist. Seitdem an der Spitze des F.Sp.V. ein Dr. Rothschild steht, pulsiert intensiveres Leben in Frankfurts Fußballgemeinde. Der wirkliche Aufstieg des F.Sp.V. ist Dr. Rothschilds Werk. Man hat dem F.Sp.V. viel Prügel zwischen die Beine geworfen, seinen Namen mit geflügelt gewordenen Bezeichnungen gegeben, aber das alles spricht nur für die Tatkraft des F.Sp.V., den der boshafte Beiname „Völkerbund" nur populär gemacht hat. Auch „die bayerische Läuferreihe", die man dem F.Sp.V. ankreidete, ist nur ein Zeichen des allgemeinen Interesses an diesem Verein. Tatsache ist, daß ohne das Emporkommen des F.Sp.V. und ohne die großen Leistungen dieser Mannschaft in den deutschen Meisterschaftsendspielen der Frankfurter Fußballsport nach wie vor stagnieren und sich in fruchtlosem Stammtischtratsch erschöpfen würde. Die Führung, die der F.Sp.V. nunmehr in fünf aufeinanderfolgenden Spieljahren behauptete, hat die vordem führende Eintracht aufgerüttelt, man hat im Lager derer von der Hauptwache-Gegend eingesehen, daß nur die Tat zählt. Nachdem auch in den Kämpfen am grünen Tisch beim F.Sp.V. anstelle eines zwar eifrigen, jedoch rabiaten Max Hase die geistige Führung eines Dr. Rothschild trat, scheint die Rivalität mit den Bornheimern eine durchaus gesunde Form angenommen zu haben. Man weiß endlich, daß man aufeinander angewiesen ist, daß man sich gegenseitig nicht vernichten, sondern befruchten soll. Diese Befruchtung hat sich bereits ausgewirkt in der Fortentwicklung des bisher nicht gerade hoch eingeschätzten Frankfurter Fußballspiels und in den Rieseneinnahmen bei den beiden letzten Treffen F.Sp.V. — Eintracht (beide Vereine haben in diesen zwei Spielen in vier Wochen zusammen etwa 70.000 Mark eingenommen.

Jetzt hat die Eintracht 2:0 gesiegt, schon das Vorspiel (1:1) zeigte ihre etwas bessere Gesamtform gegenüber dem unter verschiedenen Systemen leidenden F.Sp.V. Aber Meister Townley, der jetzt dje Elf des F.Sp.V. in der Hand hat, wird die Leistung der Blauschwarzen mit der Zeit vorteilhaft beeinflussen. Eines ist sicher: Dieser 30. Oktober ist ein weithin sichtbarer Markstein in der Geschichte des Frankfurter Fußballsportes. Frankfurt a. M. ist auf dem besten Wege, die übrigen süddeutschen Zentralen auch spielerisch zu erreichen. Warum sollte es sie nicht auch eines Tages spieltechnisch überflügeln? Doch zunächst wäre schon das gleichberechtigte Aufrücken ein eminenter Erfolg.

Frankfurts großer Tag

40.000 kommen zum Rückspiel Eintracht gegen F.Sp.V. 2 : 0.

Ein wirklich ganz großes Ereignis ist vorbei. Der fünfmalige Meister vom Mainbezirk, seit Iahren unbesiegt, hat eine klare eindeutige Niederlage von seinem alten Rivalen hinnehmen müssen.

Diese Niederlage wiegt um so schwerer, als sie entscheidend für die diesjährige Meisterschaft sein kann. Und noch um viel mehr ging es. Frankfurts weltbekannte Stadionanlage hält einen neuen Rekord, denn es waren 40.000 Zuschauer da, bei einem Verbandsspiel eine nie erreichte und geradezu phantastische Zahl. Geradezu ideales Fußballwetter begünstigte ebenfalls das Spiel und ließ die richtige Stimmung aufkommen. — Diese Woche war Frankfurt auf den Kopf gestellt. Es war ganz egal, wo man sich befand, es hieß nur: Wer gewinnt? Bornheim war wie ein Vulkan. Die unmöglichsten Gerüchte erhitzten die Gemüter. Genau so war es im Eintrachtlager und als der Samstag kam, war die Stimmung in Siedehitze. Am Sonntag setzte dann eine wahre Völkerwanderung zum Stadion ein. Unübersehbare Autokolonnen, Motorräder, Fahrräder, dichtbesetzte dreiteilige Trambahnzüge rollten unaufhörlich zum Stadion. Fürwahr ein überwältigendes Bild, für den mainischen Fußballsport speziell ein großer Tag.

*

Als die Reservemannschaften beider Gegner den Platz verließen, Eintracht hatte trotz Überlegenheit der Sportvereins-Mannschaft mit 3:1 gewonnen, war das große Oval des Stadions von einer Menschenmauer gefüllt, es gab kein freies Plätzchen mehr. Wie Zündstoff lag es in der Luft. Endlich löste sich der Bann und die Eintracht sprang zuerst bei sehr mäßigem Applaus in die Arena. Gleich darauf kam der Mainbezirksmeister, empfangen von einem minutenlang anhaltenden Getöse. Trompeten, Schellen, Kuhglocken, kurz alle möglichen und unmöglichen Radauinstrumente waren vertreten. Reichlich lange ließ der Unparteiische auf sich warten. Endlich erschien auch er in schmuckem schwarzen Dreß, begleitet von vier in roten Jerseys gehüllten Linierichtern. Erfreulich schnell ging die Wahl vonstatten und ein kurzer schriller Pfiff, es hatte begonnen.

Das Spiel.

Eintracht stößt an und es gibt gleich einen ungefährlichen Vorstoß. Verschiedene Fehltritte beiderseits beweisen auch die große Aufgeregtheit der Mannschaften. Bereits nach zwei Minuten erzielen die Bornheimer eine Ecke, nach einer weiteren Minute die zweite. Das Spiel ist aber begreiflicherweise noch sehr nervös, planlos. Sportverein findet sich dann plötzlich, kann aber an der guten Deckung der Eintracht nicht vorbeikommen. Dann läuft Bellerhof durch und erzielt ebenfalls eine Ecke, auch ohne zum Erfolg zu kommen. Es folgt eine 3. Ecke für Sportverein. Das Spiel ist jetzt mehr im Fluß und wird sehr bewegt. Bei wechselseitigen Angriffen kommt die zweite und dritte Ecke für Eintracht. Furch wird sehr faul und Dietrich ist der Leidtragende und fällt stark ab. Sportverein bekannte Oberwasser und spielte überlegen. Jedoch der Sturm ist zu unentschlossen und verpfuffte sich in Einzelaktionen, die natürlich an einer Eintrachtverteidigung zerschellen mußten. Da erwischt in der 40. Minute der lange Eintracht Mittelläufer den Ball, täuscht, legt ideal steil vor und Ehmer, der Schußgewaltige hat Krieger bezwungen.

Eintracht führt 1 : 0.

Die restlichen 5 Minuten gehören dem Sportverein. Pause.

*

Gleich der Beginn der zweiten Hälfte sollte die Entscheidung bringen. Sportvereins Anstoß wird gleich abgefangen, Kellerhof überläuft prächtig Furch, Krieger ist nicht da und Schaller kickt ins leere Tor. War beim ersten Erfolg der Beifall gering, so änderte sich das Publikum zugunsten der Eintracht und es wagen sich jetzt die rotweißen Fähnchen hervor. Mit dem Maße, wie Eintracht nun besser wird, fällt Sportverein auseinander. Eschenlohr geht als Läufer, Wijk geht auf Rechtsinnen. Es wird aber nicht besser, die Elf findet sich absolut nicht, wenn auch zeitweise ganz gefährliche Durchbrüche erzielt wurden. Dagegen arbeitete Eintracht eine ganze Reihe sehr gefährlicher Torchancen heraus. Nur dem geradezu aufopfernden Spiele von Heinig verdankt Sportverein, daß das Resultat nicht deutlicher wurde. Auch im Eintrachttorraum ging es noch heiß zu; aber hier stand ein Verteidiger ganz großen Formats, Schütz, der einfach alles zunichte machte. Beim Schlußpfiff wurden der Eintracht dann gewaltige Ovationen dargebracht, ein Flieger warf ein Blumenbukett ab und ein wertvoller Pokal wurde ihr von einer Lichtbühne, die den ersten Fußballfilm im Laufe der Woche aufführt, überreicht.

Das Spiel ist aus, langsam entleert sich das Stadion. Je nach der Vereinszugehörigkeit helle oder finstere Mienen. Die blauschwarzen Fahnen sind verschwunden, überall glänzt der rote Adler, der Sieger hat die Gunst der Masse ...

Die Kritik

sei ganz kurz gehalten. Gewiß, man hat schon schönere Spiele gesehen. Aber bei diesem nervenaufpeitschenden Kampfe leidet naturgemäß die Schönheit. Es war ein harter Männerkampf, und wenn nicht Furch mehrere Male aus der Rolle gefallen wäre, wäre es gut gewesen. Die siegreiche Elf der Eintracht war überraschend gut als Ganzes und machte einen guten, trainierten Eindruck. Auch in puncto Schnelligkeit war sie ihrem Gegner weit überlegen. Sportverein enttäuschte in jeder Beziehung. Zusammenhanglos, reichlich lasch, auch ein zeitweises Aufflackern kann daran nichts ändern, spielte die Elf ihr Pensum ab. Ganz hervorragend war Heinig und Krieger im Tor. Auch Heuß gefiel, aber nur als Läufer. Über die andern Kanonen wohlwollendes Stillschweigen. Townley wird viel zu tun haben, bis er das hohe System von Pache ausgerottet haben wird.

Schiedsrichter war Herr Maul aus Nürnberg. Er war gut, und das will bei diesem Treffen viel heißen.     C.D. (aus dem 'Fußball' vom 01.11.1927)

 


Die Kapitäne Eschenloher (FSV)
und Schütz (Eintracht) sowie
Schiedsrichter Maul.

 

 

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